Die Umgebung, die sich dem verschlafenen Blick aus dem Fenster zeigt, könnte nicht unterschiedlicher sein. Gestern Vogelgezwitscher, Sonnenschein und die Aussicht auf einen heissen Tag, heute ein grauer vernebelter Morgen. Hupen, Gedröhn, ganz klar die Kakophonie einer grossen Stadt.

Es ist Mitte Februar, ich bin in Hanoi und in der Kälte gelandet. Dann also mit Adrian Cronauer aka Robin Williams: Gooooood Morning Vietnam!

Zurück im Vietnamkrieg

Dabei war der Flug kurz, keine 50 Minuten, doch er hat genügt, um mich vom Paradies in die erste Ebene der Unterwelt zu bringen. Ein ziemlich altes, propellergetriebenes Flugzeug. Sind das rostige Stellen auf den Flügeln, oder stelle ich mir nur das Schlimmste vor? Es erwartet einen gemischten Haufen von Reisenden, und ein gemischter Haufen ist es in der Tat.

So stelle ich mir die Passagiere in einer dieser Maschinen vor, die die amerikanischen Soldaten von einem Krieg zum nächsten führten. Die Männer neben mir scheinen die letzten Überlebenden dieses längst vergessenen Krieges zu sein: Amerikaner, Briten, andere undefinierbare Nationalitäten. In jedem Fall sehen sie aus wie Söldner: abgehärtet, gemein, dunkel, hart. „The Expendables“ kommt mir in den Sinn.

Das sind die Flugzeuge oder Airlines, vor denen man gewarnt wird. Dass sie gefährlich sind. In der Statistik der Flugunfälle an vorderer Stelle sind.

Was soll’s.

Hanoi by Night

Eine endlos lange Fahrt – erstaunlicherweise viel länger als der Flug – bringt mich mit horrendem Tempo  über eine nicht enden wollende Autobahn. Sie führt in schnurgerader Richtung nach Hanoi.

Es gibt einige Augenblicke, da ist einfach nur Luft anhalten geboten. Doch ich überlebe und gelange schliesslich in ein sehr respektables Hotel mit allem, was das Herz begehrt. Grosser Flatbild-TV, riesiges Badezimmer, Frühstück inklusive,, ein Bett in der Breite einer Turnhalle.

Inzwischen ist es zehn Uhr abends, und mein Magen ist leer wie der einer toten Kuh. Also suche ich ein Restaurant, aber überraschenderweise scheinen die Vietnamesen zu dieser Nachtzeit zu schlafen, denn ich finde nur geschlossene Türen. Keine andere Lösung als ohne Abendessen ins Bett zu gehen, was auch bedeutet, wie ein Hund zu schlafen. Übrigens ist es im Raum so kalt, dass ich froh bin, dass es eine Heizung gibt.

Heißes Südostasien? Das muss ein Witz sein.

Survival of the Fittest

Wie schon erwähnt, Orientierung ist definitiv nicht meine Stärke, aber ich ziehe frischen Mutes los, den Stadtplan in der Hand, und weiss bereits nach 5 Minuten nicht mehr, wo ich bin. Doch die Strassen sind gut beschriftet, und so findet sich auch ein blindes Huhn wie ich zurecht.

Alles andere ist schlicht unbeschreiblich, ich versuche es trotzdem.

Um dem geneigten Leser ein Bild  dessen abzugeben, was sich auf den engen Gassen abspielt, stelle man sich einfach Trottoirs vor. Sie sind vollgestellt mit Motorrädern, Fahrrädern, Autos und Tischen bzw. Stühlen, worauf sich, eng nebeneinander gekuschelt, Menschen über ihre Teller beugen.

Es gibt also absolut keinen Platz für Fussgänger, und so muss man sich den Weg über die Strasse suchen. Diese wird aber von hunderten von Rollern, Autos, Rischkas und anderen Fussgängern streitig gemacht. Das ist Darwin, Survival of the Fittest. Alle anderen flüchten zurück in ihre Hotels und buchen sofort den Weiterflug in ruhigere Gefilde.

Sidewalks in Hanoi
kein Platz für Fussgänger

Mir gefällt’s. Nicht dass ich nicht alle paar Sekunden mein Überleben mit einem Hechtsprung auf die Seite sichern muss, oh nein. Aber man gewöhnt sich sehr schnell an den Lärm, das ständige schrille Hupen von allen Seiten, die dichten Trauben von beweglichen Objekten, die alle nur das eine Ziel haben, irgendwie vorwärts zu kommen.

Ein sonderbarer Tanz

Was aber noch lange nicht heisst, in die gleiche Richtung, abermals oh nein, denn an den Kreuzungen entbrennt nun wirklich die Schlacht bei Waterloo. Alle versuchen, meistens sogar mit Erfolg, entgegen der Absicht aller anderen, über die Kreuzung zu gelangen, dabei wilde Schlenker nach links, nach rechts, zu vollführen, und das wirklich Verrückte ist, dass es gelingt. Ein sonderbarer wilder und trotzdem eleganter Tanz, ein Ritual, das sich an tausend Ecken und Kreuzungen tagtäglich abspielt, und Millionen von Teilnehmer sind Teil des Spiels.

Eine ruhige Oase

Irgendwann, tausende von herzzerreißenden Momenten später, ein See. Eine ruhige Oase inmitten der lärmenden Puffs. Ich atme tief durch und setze mich auf eine der Bänke am Ufer, aber es ist ziemlich kalt. Leicht zitternd, aber mit dem Gefühl, okay zu sein, schaue ich auf das graue Wasser.

Laut dem Führer gibt es tausend Geschichten über diesen See, eine davon über eine riesige Schildkröte, ein wahres Monster eines Tieres (dessen verstorbener Verwandter in einem Museum auf einer kleinen Insel im See einbalsamiert liegt). Vor einigen Jahren wurde er aus dem See gefischt, um die Auswirkungen des kontaminierten Wassers zu behandeln (der See ist zwar ein einziger Kanal). Nun denn, viel Glück, alter Freund!

A lonely island on the lake
Eine einsame graue Insel im See
The entrance to the museum
Der Eingang zum Schildkröten Museum
A sanctuary for a sacred turtle
Ein Heiligtum für eine heilige Schildkröte

Gebratene Nudeln

Es gibt so viel zu sehen, so viel zu verstehen, während man durch dunkle und überfüllte Gassen schlendert, entlang bunter Stände und winziger Suppenküchen, Werkstätten und Restaurants und allerlei Räumlichkeiten und Geschäfte. In einem der wirklich kleinen Restaurants (wie im Lonely Planet erwähnt) setze ich mich hin und bestelle gebratene Nudeln, die sich als überwältigendes Erlebnis erweisen. Nudeln mit einem großen Ausrufezeichen! Die hübschen jungen Mädchen, die die ganze Zeit kichern, freuen sich über meine Komplimente und so bekomme ich das erste Foto von mir selbst und zeige mir brutal, dass die Mütze, die fünf Minuten zuvor gekauft wurde, viel zu klein für meinen großen Kopf ist.

Es gibt auch eine Kirche, eine riesige und alte, die das Kolonialerbe mit französischem Ursprung widerspiegelt. Die Tür ist geschlossen, also umkreise ich sie und bewundere die immer noch beeindruckenden Mauern, während sich fromme Menschen, meist in Sonntagskleidern, an der Treppe versammeln, Fotos machen und Spaß haben.

Ich habe auch eine gute Zeit wie die meisten Leute auch. Obwohl es eiskalt ist, sitzen sie auf winzigen Stühlen, tragen dicke Mäntel und Wollmützen und genießen das Essen und Lachen und Plaudern. Es erinnert mich an Jing Hong und ich wünschte plötzlich, ich wäre einer von ihnen …

Breakfast in Hanoi
Frühstück in Hanoi

 

PS Film zum Thema: Robin Williams – Good Morning Vietnam (best Scenes)

Und hier geht die Reise weiter …

 

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