Nach dem abendlichen Spaziergang dem Meer entlang, mit einer unendlichen Auswahl an Seltsamkeiten, an unerwarteten und nie zuvor gesehenen Anblicken, wurde es spät. Aber jetzt erwartet mich eine weiterer, allerdings weniger erfreulicher Anblick.
Und wieder ein Höllenritt
Ich bin zwangsläufig schon um sechs wieder auf Achse, einmal mehr mit schwerem Kopf und leerem Magen. Man bringt mich mit dem Motorrad zum Reisebüro. Ich bin der festen Meinung, dass diese paar hundert Meter mit Abstand die gefährlichsten fünf Minuten der bisherigen Reise sind. Dass dem mitnichten so ist, werde ich in Kürze erfahren, aber dazu später.
Panoptikum
Vorerst geht es darum, ein weiteres Mal mal zu warten, und wieder öffnet sich meinem staunenden Blick ein Panoptikum der seltsamsten Gestalten. Eine Opera Buffa, genannt Daily LIfe, die sich hier und überall sonst abspielt. Mit vielen kleinen und grossen Dramen, vielen Komödien und erstaunlich wenig Tragödien (zumindest nicht sichtbaren). Und es scheint, dass auch dieser Tag wieder ein paar besondere neue Leckerbissen bereithält.
Ein rüstiger alter Herr fährt vorbei, ebenfalls noch im Pijama, seitwärts auf einem seltsamen dreirädrigen Töff sitzend und dabei allen Bekannten begeistert zuwinkend. Und dann steht plötzlich und unerwartet diese alte Lady vor mir, ihr rundes Gesicht in unzähligen Falten zerknittert. Sie streckt mir ein Bündel Lose hin. Auf mein bedauerndes Nein hin öffnet sie ihren Mund, in dem absolut kein einziger Zahn mehr zu sehen ist, zu einem der schönsten und charmantesten Lächeln, das ich in langer Zeit gesehen habe. Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr Bündel Lose hätten den Besitzer gewechselt.
Und noch ein Höllenritt am frühen Morgen
Ja, und dann werde ich wieder auf ein Motorrad verfrachtet, Rucksack auf dem Rücken, das Daypack über der Brust, Helm auf dem Kopf, die Hände krampfhaft um die seitlichen Halterungen geschlungen, und dann beginnt der mit Abstand wildeste Höllenritt meines Lebens.
Ich bin mich ja in der Zwischenzeit einiges gewöhnt, allerdings immer aus der Perspektive des kopfschüttelnden Zuschauers, doch diesmal bin ich Teilnehmer am tollkühnen Spiel, offenbar einer aktuellen Version von “Grand Theft Töff 5″. Der Fahrer – ein junger Bursche von knapp Zwanzig – will dem Westler offenbar zeigen, wo Bartli den Most holt, denn sein Bleifuss scheint tatsächlich nur das Gaspedal zu kennen, das er die ganzen Kilometer durchgedrückt hält.
Paris-Dakar-Rallye
Er überholt Lastwagen, Busse, Traktoren, Motorräder, Fahrräder, Traktoren mit dröhnenden Zylindern und knatterndem Auspuff. Er weicht mit eleganten seitlichen Schlenkern Fussgängern und anderen Hindernissen aus, alle paar Minuten – die längsten meines Lebens – schrammen wir um Haaresbreite an entgegenkommenden Fahrzeugen vorbei.
In einem dieser Momente stelle ich fest, dass ich das Atmen eingestellt habe. Die Bodenwellen tun ihr ihriges, denn jedes Mal, wenn er darüberprescht, als gälte es die Paris-Dakar-Rallye zu gewinnen, schlagen die Stossdämpfer bis zum Anschlag durch. Eine Hoch auf meine Bandscheiben. Irgendwie sind wir aber plötzlich da, ein Bremsen, eine Staubwolke, ein Durchatmen, und das Abenteuer ist überstanden, überlebt.
Niemandsland
Zwischen den beiden Grenzposten ist Niemandsland, also auch irgendwie ausserhalb der Gesetze liegend, und so entstehen hier Casinopaläste. Riesige, geschmacklose Bauten, die wohl an Las Vegas orientiert sein sollen. In ihrer Billigkeit manifestieren sie nur, dass es lediglich darum geht, den Kunden auf möglichst einfache und schnelle Weise das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Valentino Rossi schleust mich in der Zwischenzeit durch die Zollabfertigung, doch seltsamerweise interessiert sich kein Schwein für mich, weder auf der vietnamesischen noch auf der kamobschanischen Seite. Nachdem sich Rossi mit einem letzten triumphierenden Grinsen verabschiedet hat, merke ich, dass ich in Kambodscha bin, Stempel im Pass, und heureka! wieder ein neues Land.
Und plötzliche diese Stille
Und das neue Land löst zunächst mal einen kleineren Schock aus. Waren es auf der vietnamesischen Seite tausend Vehikel, Millionen von Menschen, Lärm und Hektik, dann ist es hier eine plötzliche und unerwartete Stille. Eine Strasse liegt vor mir, schmal, löchrig, auf beiden Seiten von ausgedörrten Feldern umgeben, und es ist kein einziges Fahrzeug zu sehen.
Kein Mensch weit und breit, kein Lebenszeichen, sieht man von ein paar ausgemergelten Kühen ab, die im graslosen, zu Beton gebrannten Boden nach etwas Essbarem suchen. Ich bin allein in einem abgewrackten Minibus, ein dunkelbrauner Fahrer, offensichtlich ein Khmer, hat mich mit kurzem Nicken begrüsst. Er fährt mich nach Kep, wo mein heutiges Tagesziel liegt. Während er in gemächlichem Tempo die schnurgerade, immer noch absolut leere Strasse abfährt, verweilen meine Blicke, ungläubig und betroffen, auf der Landschaft. Hundert Gedanken schwirren im Kopf, die Vorstellung eines dunkeln Schattens, der wie Mordor über einem Land liegt, lässt sich nicht verdrängen …
Kep
Die Fahrt dauert nicht lange, es sind lediglich 25 Kilometer, und nach einer halben Stunde erreichen wir Kep. Die üblichen TukTuks erwarten mich auf dem Hauptplatz unweit des Meeres.
Der TukTuk Fahrer bringt mich an mein Ziel. Es ist bedeutend weiter als erwartet, über eine staubige, sehr breite Strasse geht’s in Richtung Landesinnere. Ein einziges Vehikel steht am Strassenrand, sonst ist absolut kein Verkehr auf der Strasse. Eine fast schockartige Erfahrung nach Vietnam …
Aber das Hotel ist toll, und die Inhaberin ein Schatz. Es liegt zwar etwas abseits der Stadt, ein Fussweg von knapp dreiviertel Stunden muss man ein planen. Dafür ist das Zimmer mit Terrasse etwas vom Besten, was mir bisher untergekommen ist.
Spaziergang am Nachmittag
Wie erwähnt – der Spaziergang zur Stadt hinunter ist lang, aber voller Überraschungen. Leere Häuser stehen am Strassenrand, verlassen und von Wind und Wetter zerstört. Ich bin überzeugt, dass hier reiche Leute gewohnt haben, die wahrscheinlich durch die Wirren des Pol Pot Regimes ihr Haus verlassen mussten und möglicherweise umkamen …
Was die merkwürdige Statue unweit des Zentrums bedeutet, entzieht sich meiner Kenntnis. Eine Gottheit …?
Am Meer gibt es eine Reihe von Restaurants mit Blick auf den Ozean hinaus. Ich setze mich beim Ufer auf einen Stein und sehe den Fischern zu, die ihre Netze flicken.
Krabben
Doch irgendwann knurrt der Magen, und die Schilder vor dem Eingang der Restaurants preisen in erster Linie ihre Krabbenmenüs an. Da kann ich natürlich nicht widerstehen …
Crab Amok
Der Crab-Market ist das Zentrum der Krabbenindustrie Kambodschas, also nichts wie hin, um zum ersten Mal Krabben zu essen (tja, der Bauer braucht eben etwas länger, bis er etwas isst, was er nicht kennt). Ein Restaurant reiht sich ans andere, verdächtig viele sehen nach ausländischen Eigentümern aus. Im flachen Meer sind unzählige Einheimische auf der Suche nach den begehrten Krabblern, nur Fischerboote, wie z.B. in Mui Ne sucht man vergeblich …
Nun also, Crabs. Das Problem meiner Abneigung gegen alles, was ich mit den Händen zerteilen muss, wird durch einen “Crab Amok” gelöst, eine Art Krabben-Geschnetzeltes, das nicht schlecht schmeckt, allerdings hätte ich mir tatsächlich etwas weniger Fades erwartet.
PS Song zum Thema: Portishead – Silence
Und hier geht die Reise weiter …