Ein Unterschied (einer der wenigen) zu La Paz von 1981 Ist leicht zu erkennen.
Es ist die Gondelbahn, die in mehreren Linien die wichtigsten Quartiere der Stadt verbindet.
Gondel hinauf nach El Alto
Ein paar Infos dazu: Im Sommer 2012 wurde vom bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales der Bau von drei Seilbahn-Linien angekündigt, die unter anderem die Stadt El Alto mit dem tiefergelegenen Regierungssitz La Paz verbinden sollen, um der vor allem in Stosszeiten akuten Verkehrsüberlastung entgegenzuwirken.
Kritiker bemängelten jedoch, dass diese im besten Fall nur etwa sechs Prozent (18.000 Personen/Stunde auf allen 3 Linien; 17 Stunden Betrieb/Tag) der täglichen Verkehrsleistung in La Paz aufnehmen können. Trotzdem wurde am 10. September 2012 ein Vertrag zwischen dem österreichischen Unternehmen Doppelmayr und der bolivianischen Regierung unterzeichnet.
Nach einer Bauzeit von weniger als 18 Monaten konnte am 30. Mai 2014 die erste der drei Linien mit einer Streckenlänge von 2664 Metern unter Anwesenheit von Staatspräsident Evo Morales eröffnet werden, die Kabinen sind täglich 17 Stunden an 360 Tagen im Jahr in Betrieb, und können bis zu 18.000 Personen pro Stunde transportieren.
Seit Dezember 2014 sind inzwischen alle drei Linien mit elf Stationen in Betrieb, bis zum Jahr 2019 soll das Netz um drei weitere Linien auf insgesamt zwanzig Kilometer und 23 Stationen erweitert und das Grossprojekt im Jahr 2020 mit weiteren zwei Linien abgeschlossen werden.
Wenn man die täglichen Stosszeiten in Betracht zieht, hat man nicht den Eindruck, dass die Gondelbahn einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrsberuhigung leistet. Wie auch immer, das muss ich mir ansehen. Der Preis ist mit umgerechnet etwa dreissig Rappen bezahlbar. Dafür erhält man Hin- und Rückfahrt auf einer der Linien. Es gibt ein paar Zwischenstationen, wo man aus- bzw. einsteigen kann.
Hinauf nach El Alto
Sobald man die Talstation betritt, glaubt man, in einer anderen Welt zu sein, in einer hochmodernen, technisch und organisatorisch auf dem letzten Stand befindlichen Welt.
Also so ziemlich das Gegenteil vom ’normalen‘ La Paz.
Die ‚Linea Roja‘ fährt hinauf nach El Alto, der Schwesterstadt, also wie bereits erwähnt der Ort, wo die weniger Betuchten wohnen. Sobald man in der Kabine sitzt, könnte es auch irgendeine Bahn in der Schweiz sein, fehlen nur die grünen (oder weissen) Hänge, die Tannen und die weidenden Kühe.
El Alto – Heimat der armen Bevökerung
Eine Million roter Dächer gleitet langsam unter uns vorbei.
Oben angekommen, ist man auf über 4000 Metern, und es stimmt, die Kälte hat zugenommen. Mehr gibt es in Gottesnamen nicht zu El Alto zu sagen. Die Häuser machen einen ärmlichen Eindruck, offenbar ist El Alto tatsächlich die Heimat des ärmeren Teils der Bevölkerung.
Auf der Suche nach dem besten Aussichtspunkt auf die Stadt hinunter, gehe ich die lange Hauptstrasse entlang, wundere mich über winzige Hüttchen und die davor sitzenden Frauen, die alle daran sind, eine Art Grill anzuheizen.
Ich kann nur spekulieren. Es würde mich nicht wundern, wenn hier in absehbarer Zeit der Geruch von Gegrilltem um die Nase kräuselt. Auf das auf den Grills Brutzelnde kann ich allerdings verzichten.
Aber die Aussicht auf die Stadt hinunter und die Umgebung ist atemberaubend. Am Horizont blinken weissgepuderte Gipfel, die hohen Berge sind nicht weit entfernt. Sie erinnern mich an meinen ersten Besuch in La Paz und die geistesgestörte Idee, ins nahegelegene Skigebiet zu fahren.
Die Fahrt mit dem Jeep der entsprechenden Organisation ist lang und mühsam, führt aber entlang lapislazuli-blauen Seen inmitten braunen lebloser Wüste hinauf bis auf knapp 5000 Meter. Nach der Besteigung des Kilimandscharo also der zweithöchste Punkt, an dem ich je gewesen bin.
Und tatsächlich, schon von weitem ist das Dröhnen eines Dieselmotors zu hören, und dann, doch überrascht, hält der Jeep an einem schneebedeckten Abhang, auf dem doch tatsächlich ein Skilift in Betrieb ist.
Allerdings muss man alles vergessen, was man von einem normalen Skilift erwartet. Es gibt keine Sessel, keine Teller, keine Bügel, nur ein Stahlseil, das die mutigen Skifahrer den Hang hinaufzieht. Wie aber hält man sich am Seil fest? Nicht ganz einfach. Zusätzlich zu den Skis und Stöcken erhält man ein Seil, das anfänglich mit Unverständnis und Misstrauen betrachtet wird und eine Erklärung benötigt. Eigentlich ist es ganz einfach (so zumindest versichert man uns): man nimmt das Seil, wirft es über das Schleppseil, windet es so schnell es geht darum herum, bis es einigermassen hält und lässt sich aufwärts ziehen, wo man mit etwas Glück den umgekehrten Vorgang meistert.
Ich schaue mir das Ganze eine Weile an, sehe mit viel Spass zu, wie die mutigsten sich mit dem Aufwärtsziehen schwer tun. Immerhin scheint die Piste in Ordnung zu sein, doch ein mulmiges Gefühl hält mich davon ab, die höchste Skipiste auf der Welt selbst auszuprobieren. Ich habe wenig Lust, mit einem gebrochenen Bein in einem Spital in La Paz zu enden. Der Pfad zum obersten Punkt der Umgebung mit entsprechender Aussicht auf die verschneite Umgebung kompensiert ein wenig für das entgangene Skiabenteuer.
Die Linea Azul
Die ‚Linea Azul‘ führt weiter über El Alto hinaus. Ich bezahle also auch diesen Obolus von dreissig Rappen und lasse mich in luftiger Höhe über die Stadt tragen.
Aus der Höhe hat man eine wunderbare Sicht auf und vor allem auch in die Häuser, was zwar vielleicht etwas voyeuristisch ist, aber viel Spass macht. Es kann also durchaus sein, dass man einer Frau in der Küche beim Schälen der Kartoffeln zusieht und ihren verwunderten Blick mit einem höflichen Nicken beantwortet.
Natürlich sind die meisten Häuser dem Wohlstandslevel der El Alto-Bewohner angepasst, also ärmlich, schmutzig (die Hinterhöfe!), die Zimmer klein, die durchaus vorhandenen Terrassen in den wenigsten Fällen benutzt. Es gibt vielleicht zwei oder drei Wohnungen, wo ich mir zu leben vorstellen könnte, allerdings geographisch etwa 10’000 Kilometer im Nordosten gelegen.
Aber sicher nicht in El Alto …
Der Friedhof – Paläste für die Toten
Auf dem Weg zurück in die Stadt steige ich an der Mittelstation aus. Der städtische Friedhof liegt in der Nähe am Abhang (in La Paz ist alles irgendwie Abhang) und da Friedhöfe eine seltsame Faszination ausüben, kann ich mir das nicht entgehen lassen.
Schon der Blick aus der Gondel eröffnet die Aussicht auf einige merkwürdige Gebäude, die nicht auf den ersten Blick identifizierbar sind. Doch der Guide klärt mich auf, es ist der berühmte städtische Friedhof.
Und wieder unterscheidet sich dieser Friedhof von allen bisher gesehenen. Er ist zusammen mit demjenigen von Buenos Aires einer der eindrücklichsten.
Er ist riesig, angelegt mit Strassen und Gassen, die namentlich bezeichnet sind, sodass man den Ausgang wieder findet (was mir natürlich nicht gelingt). Sie werden gesäumt von hohen dicken Mauern, an deren Vorderseiten Öffnungen von vielleicht 50x70x30 Zentimeter über- und nebeneinander eingelassen sind. Die Hinterseite der Öffnungen sind zugemauert, dahinter befinden sich die Särge.
Davor jedoch finden sich wie bei uns die Namen und Daten der Verstorbenen, umgeben von frischen oder verwelkten Blumensträussen, von Bildern der Verstorbenen, von Inschriften, von Gegenständen, die den Verstorbenen gehörten und – einmal mehr äusserst irritierend – in beinahe jeder Graböffnung kleine Plastikblumen, die sich, wahrscheinlich batteriebetrieben, hin und her bewegen.
Man könnte stundenlang die teilweise kunst- und liebevoll gepflegten Grabhöhlen entlang gehen, die Inschriften lesen, die Wehmut und Trauer mitfühlen, die aus den seltsamen viereckigen Öffnungen sprechen …
Kilometerstand: 3991
Song zum Thema: The Yardbirds – Still I’m sad
Und hier geht der Trip weiter … nach Puno in Peru