Eigentlich liegt mein enttäuschtes Auge auf dem mickrigen Frühstück, doch ich komme nicht umhin, dem Gespräch am Nebentisch zu lauschen.

Ein Paar ist in intensiven Diskussionen vertieft, doch ich benutze eine kleine Pause, um auf den tiefblauen Himmel hinzuweisen (das Wetter ist ein beliebter und meistens erfolgreicher Trick, ein Gespräch zu beginnen).

Daraus ergibt sich ein lebhaftes Gespräch, die Dame stammt offenbar aus Zürich, hat heute Geburtstag (many happy Returns!), ihr Mann ist englischer Abstammung und schweigt meistens, obwohl wir das Gespräch auf englisch führen.

Warum ich das erwähne? Beim Thema Wandern sagt die Dame etwas Besonderes. Sie behauptet, dass das Alleinwandern das beste Rezept gegen jede Art von Melancholie, Verzweiflung, Depression ist. Ich muss ihr beipflichten.

Natürlich vergesse ich dabei die Zeit, und so bin ich wieder einmal (nicht das erste und wohl nicht das letzte Mal) sehr spät beim Aufbruch.

Ein Morgen aus dem Bilderbuch

Es ist ein Morgen, der zum Sonntag passt.

Das tiefe Blau umarmt das Gebäude mit den beiden Türmen, verpasst ihnen kitschige Farben. Man könnte glauben, dass es ein spezieller Gruss zur Wiedergutmachung der gestrigen Turbulenzen sein könnte (was es natürlich nicht ist).

Saignelégier - this is the place where tje famous Marché Concours takes place

Auf diesem Platz vor diese, imposanten Gebäude findet jeweils der berühmte Marché Concours statt, das jährliche Pferdefest für, tausende von Zuschauern.

The famous Marché ConcoursDer Marché-Concours in Saignelégier zieht jedes Jahr mehr als 40’000 Besucher an, die sich ein Wochenende lang von einem vielfältigen Programm rund ums Pferd begeistern lassen: Reitvorführungen, Fohlenschauen und unzählige Pferde- und Wagenrennen, eine Vorführung des Ehrengastes sowie eine riesige Parade mit mehr als 400 Pferden.

Man kann es sich vorstellen. Die Wiese voller prachtvoller Wesen (die Pferde, nicht die Zuschauer), die jemand mal als Gottes liebste Geschöpfe bezeichnet hat.

Vom gleichen Stamm

Wenn es einen Beweis braucht, dass die ersten Kilometer meistens die schönsten sind (nicht immer), dann ist das dieser Morgen. Im Moment stören höchstens ein paar kaum sichtbare Wolkenschlieren die Perfektion des Bildes.

Die Beine bewegen sich von selbst, die gestrige Müdigkeit ist im Café du Soleil zurückgeblieben. Der Kopf ist leicht, die Gedanken fliegen, die Luft kühl und voller Hoffnungen. Die Landschaften sind schöner als das Leben (ich zitiere wieder mal Fernando Pessoa). Es ist still, nur ganz leise und weit entfernt das Schnauben eines Pferdes. Man müsste ewig verweilen können.

Jogger überholen mich leicht atmend, an diesem Morgen gibt es keine Anstrengung. Man nickt sich zu, man gehört zum gleichen Stamm, ist sich nicht mehr fremd. Sogar die ewigen Biker empfangen zur Abwechslung einen aufmunternden Blick.

Sunday morning coming down

Der Travelguide hat auch nur Gutes zu berichten:

Über saftige Matten, zwischen mächtigen Tannen zum «Energieberg» mit den von weitem sichtbaren rotierenden Propeller des Windkraftwerkes und den Solarzellen-Paneelen: die grösste Anlage für erneuerbare Energien in der Schweiz! Steiler Abstieg nach St-Imier.

Meine Werte: 20.97 km, 7 h 21 min

From Saignelégier to St. Imier

All die schönen Pferde

Man glaubt sich in der amerikanischen Prärie, fehlen bloss noch ein paar Indianer.

Manchmal bleibe ich stehen, ganz still, beobachte diese Geschöpfe des Himmels. Es ist die Perfektion der Natur, kein anderes Tier erreicht diese übernatürliche Schönheit (ich entschuldige mich beim Sibirientiger, beim Eisvogel, beim Rotaugenlaubfrosch und all den anderen Schönen dieser Erde).

Sie stehen nahe beisammen, als würden sie die gegenseitige Nähe suchen. Es gibt keine Zäune, keine Abschrankungen, ich bin für ein paar Minuten sozusagen ein Teil der Herde. Eines der mutigeren Pferde, eine Stute natürlich, sieht mich, kommt auf mich zu, ich halte den Atem an, dann drückt sie einen Augenblick lang ihren warmen Kopf an meine Brust und geht weiter.

Ein magischer Augenblick.

All the beautiful horses

Ich gehe entlang flacher Wiesen und verstreuten Bäumen Les Breuleux zu, das Dorf scheint ausgestorben, Sonntagmorgen. Man schläft aus (trotz des schönen Wetters), man bruncht, man nimmt sich Zeit, man sitzt an der Sonne.

Der Himmel bewölkt sich

Doch kurze Zeit später findet der Wettergott, dass es nun genug sei mit Sonne und blauem Himmel und schickt ein paar dunkle Wolken. In der Ferne, umrandet von eben diesen Wolken, sind die ersten Windräder erkennbar, schmale Silhoutten gegen den Himmel.

Sunday morning cow's rest
Sonntagmorgen Ruhe bei den Kühen

Weder Kühe noch Wanderer interessieren sich für die Vorgänge am Himmel, und so nähere ich mich dem Wald, passiere eine lärmige Gruppe von Sonntagsausflüglern, die hier ihr Picknick abhalten.

Noisy people celebrating Sunday morning

Der Wald und die Ruhe

Gott, wie ich diese Wege durch den Wald liebe.

Aller Lärm ist verstummt, manchmal der Schrei eines Vogels, weit weg, die Antwort seiner Geliebten.

Ich nehme mir Zeit, diese Abschnitte sind die schönsten. Einfach ein kaum sichtbarer Pfad quer durch eine Wiese, links und rechts hoch in den Himmel ragende Tannen, manchmal dicht beieinander stehend, darunter, mein Wegweiser. Dann wieder Hobbitland, die Bäume stehen so dicht beieinander wie im Düsterwald, ich erwarte aber auch heute keine räuberischen Spinnen.

Mitten im Wald befindet sich doch glatt ein Picknickplatz, Bänke, Tische, Feuerstelle, alles da, doch ich bin der einzige, der diese Vorzüge benutzt. Während ich versonnen esse und trinke, geht mein Blick in die Ferne, nach Süden, wo das Endziel liegt. So weit ist der Weg noch, ich habe erst ein paar kümmerliche Kilometer geschafft.

Just a peaceful path along meadows

Glad not having to cross it

Hobbitcountry - just like Mirkwood

Le Mont Soleil – Wind und Sonne

Unbemerkt überschreitet man die Grenze zum Kanton Neuenburg, von Ferne grüsst der Mont Soleil.

Dort erwarte ich, die Zukunft der Energieerzeugung in der Schweiz zu sehen. Nicht nur ein paar verstreute Windräder, sondern ganze Farmen davon. Je näher man kommt, desto mehr ist man beeindruckt.

Ganze Hügelkämme sind voll von ihnen, die dreirädrigen Turbinen drehen sich lautlos im Wind, verschaffen dabei unserem Land noch wenige, aber zukunftsträchtige Terrawattstunden. Das wird sich, muss sich in den nächsten Jahren ändern.

The sky darkens, far away wind turbines
Der Himmel wird dunkel, in der Ferne die ersten Windräder
The closer I get the more impressing they seem
Je näher, je eindrücklicher

Aber der wahre Höhepunkt befindet sich auf dem Mont Soleil selbst. Wiki meint dazu:

Internationale Bekanntheit erlangte der Mont Soleil wegen seiner Photovoltaikanlage. Auf einem 20’000 m² grossen Feld wurde 1992 das damals grösste photovoltaische Sonnenkraftwerk Europas zu Forschungs- und Demonstrationszwecken errichtet. Es hat eine Leistung von 560 kW. Die Gesamtfläche der Solarzellen beträgt 4’575 m². Damit werden jährlich rund 550 MWh Strom erzeugt.

Die Anlage kann auch besichtigt werden. Ein rund 4,5 km langer Erlebnispfad führt vom Mont Soleil nach Nordosten zum Windkraftwerk Mont Crosin.

Solar plant from above
Von Mike Lehmann. Pilot: Catherine Nussbaumer, Heliswis

Impressive solar plant

Biggest solar plant in Switzerland

Und dann St. Imier – die Uhrenstadt

Der Abstieg vom Mont Soleil ist steil und anstrengend und gelegentlich überraschend, vor allem dann, wenn man sich durch umgestürzte Bäume kämpfen muss. Der Sturm muss heftig gewesen sein, die Bäume sehen aus wie schwachbrüstige Streichhölzer, die der Wind eben mal kurz niedergeschmettert hat.

Man ist für einen Augenblick erstaunt, beeindruckt, man möchte dem Sturm auf die Schulter klopfen, gut gemacht!

Aber dann, endlich nach vielen Stunden, die Häuser von St. Imier, ich habe tollkühn auf die Bahn hinunter verzichtet (ich frage mich manchmal, wie lange dieser seltsame Machismo anhält).

Das Bed & Breakfast Le petit Tilleul ist nicht einfach zu finden, die Eigentümer sind abwesend, doch der Schlüssel ist einfach zu finden, und so ende ich heute in einer stattlichen Wohnung mit allem Drum und Dran.

 

Passender Song: Express and Company – Out by the Trees

Und hier geht der Trail weiter … nach Dombresson

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