Vielleicht ist es ein Fehler, aber ich habe mich davon überzeugen lassen, die nächtliche, äusserst beschwerliche Busfahrt nach Sucre bleiben lassen, und stattdessen den 30-Minuten-Flug zu buchen.

Anstatt mir also heute Abend den Nachtbus anzutun, bin ich um neun am winzigen Flughafen (wohl eher Flugplatz), werde in Sekunden eingecheckt und stelle kurz darauf fest, dass der Flug mindestens eine Stunde Verspätung hat. Ist ja auch verständlich, dreissig Minuten Flugzeit, alle diese in Sucre wartenden Anschlussflüge nach Singapur und New York und London (Lol).

Und wieder einmal Marquez

Ich vertiefe mich also in „Cien Anos de Soledad“ von Gabriel Garcia Marquez, das Buch meines Lebens (das beste der Literaturgeschichte, garantiert), und obwohl ich es schon einige Male gelesen habe, muss es ein weiteres Mal sein. Es ist nicht nur ein unübertreffliches Lesevergnügen, es hilft mir auch dabei, meine Spanischkenntnisse aufzufrischen.

Allerdings wimmelt der Roman von so vielen seltenen und mir völlig unbekannten Wörtern, dass ich froh bin, es auch mal auf deutsch gelesen zu haben. Einmal mehr also folge ich den verrückten Taten des José Arcadio Buendia und verbeuge mich vor dem erst vor einigen Jahren verstorbenen Gabriel Garcia Marquez

Der leere Altiplano

Der Flug ist zwar kurz, aber da die Wolken sich schon bald verziehen, liegt unter uns der leere braune und grüne Altiplano, durchsetzt von tiefen Einschnitten und Flüssen, und da tatsächlich, taucht wie eine Wunde in der Landschaft der braune Streifen der Strasse auf.

Dort unten also hätte ich mich durchmühen müssen. Muss nicht sein, also bin ich ganz zufrieden mit dem Entscheid.

Sucre Airport
Landung unter bewölktem Himmel

Bewölktes Sucre

Der Flugplatz liegt etwas höher als Sucre, auf einer Hochebene weit über dem Talkessel, wo die konstitutionelle Hauptstadt Boliviens und Sitz des obersten Gerichtshofs liegt.

Das ist eine seltsame Geschichte mit diesen zwei Hauptstädten (jedermann denkt ja an La Paz als Hauptstadt). Bis 1899 war Sucre die eigentliche Hauptstadt des Landes, begründet durch den enormen Reichtum, der durch die Nachbarstadt Potosi angehäuft worden war (das Kapitel Silber und Minen wird später Thema sein). Wegen des wirtschaftlichen Niedergangs Potosis sowie der schlechten Verbindungen zum Rest des Landes wurde Sucre 1899 als Regierungssitz zugunsten von La Paz aufgegeben, bleibt aber wie gesagt konstitutionelle Hauptstadt.

Schon von weit oben wird klar, warum Sucre als eine der schönsten Städte (Ciudad Blanca) Südamerikas gilt und heute zum Weltkulturerbe der Unesco erkoren worden ist. Seine weiss getünchten Häuser, die wiederum im Schachbrettmuster angelegten Häuser, die gepflegten Pärke, die unzähligen Kirchen und Museen stelllen einen Anziehungspunkt der besonderen Art dar.

Plaza 25 de Mayo

Es scheint, dass mir das Glück heute hold ist, denn mein Hotel Casa Solariega liegt nahe dem zentralen Platz und ist ein wunderbar verschnörkeltes Gebäude mit stillen Innenhöfen, wo man sich bestens vom Trubel erholen kann.

Ich mache mich also auf den Weg, entlang der Calle Grau und stehe nach ein paar Minuten mitten drin im von unzähligen hohen Palmen und anderen Bäumen beschatteten Plaza 25 de Mayo (Tag der Unabhängigkeitserklärung). Das Leben quillt über. Junge Menschen (Schüler, Studenten, Kindergärtler) machen sich den Platz streitig, man sieht vor lauter farbigen Schuluniformen kaum noch andere Menschen. Sucre ist ja auch eine Universitätsstadt, sie wimmelt geradezu von Jugendlichen, die im Gegensatz zu vielen älteren Einheimischen, vor allem indigener Abstammung, einen total aufgestellten und offenen Eindruck machen.

Wenn man sie sieht und vor allem hört, (denn sie sind ziemlich laut), muss man sich um die Zukunft des Landes keine Sorgen machen. Die Gegenwart allerdings, die unzähligen Bettler, die ärmlich gekleideten Indios, die vielen Frauen, die am Strassenrand irgendwas für beinahe nichts verkaufen, lässt den Pessimismus wieder auffrischen.

Wie schon mal erwähnt: ich sehe im Vergleich zum ersten Besuch 1981 keine wirklichen Fortschritte. Wenn die Frauen nicht wären, die wie in vielen anderen armen Ländern den Karren ziehen, sähe es noch viel schlechter aus.

Gebratene Insekten?

Die Abendstimmung wird durch eine rasch fallende Temperatur begleitet, sodass man schon bald die langen Hosen und die warme Jacke überzieht.

Im Joyride, einem von der freundlichen jungen Dame an der Hotelreception vorgeschlagenen Restaurant, mühe ich mich durch die Menükarte und bestelle aufs Geratewohl irgendwas Unbekanntes. Als es dann endlich kommt, muss ich nachfragen, um was es sich handelt. Es soll Trockenfleisch sein, allerdings in eine Form gebracht, die eher an gebratene Insekten als an Fleisch erinnert (vielleicht sind es ja auch Insekten, aber auf jeden Fall schmeckt’s gut, etwas gewöhnungsbedürftig und salzig, aber ganz okay).

Tja, was man nicht alles macht, wenn man Hunger hat …

 

Kilometerstand:  2960

Song zum Thema:  Emily Browning – Sweet Dreams are made of this

Und hier geht die Reise weiter …

 

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