Wir haben die Sonne herbeigesehnt, doch nach ein paar Tagen in der feuchten subtropischen Hitze von Pakistan und Indien wären wir einer Pause davon nicht abgeneigt. Das nächste Ziel im Kaschmir liegt weit im Norden, also inmitten des Himalaya, es darf angenommen werden, dass sich die Temperaturen wieder in angenehmere Niveaus normalisieren könnten. Hoffen wir, dass es sich nicht als Fehler erweist und wir uns schon bald wieder den Arsch abfrieren.

Es ist halt einfach so – das was man hat, ist nie das, was man möchte. 

From Amritsar to Srinagar
Von Amritsar nach Sinagar

Srinagar. Kaschmir. Himalaya

Manchmal kriegt man den Eindruck, dass man sich nach einem inneren Kompass, der vor dem Start eingestellt wurde, fortbewegt. Dass das nächste Ziel gesetzt wurde, auch wenn es von der direkten Route abweicht. Wir fahren also nicht nach Süden, sondern nehmen den langen Weg nach Srinagar im Kaschmir unter die Räder.

Wie sollte jemand im Ernst Srinagar auslassen. Kaschmir. Den Himalaya.

Eine Todsünde.

Road to jammu

Bis Jammu entspricht die Route dem, was wir in der Zwischenzeit kennen. Lange, beinahe ebene Strassen entlang Feldern und Wiesen und all dem, was man hier zu erwarten hat. Verstreuten kleineren und grösseren Dörfern, Hütten im Nirgendwo, dann wieder Städte, dann wieder lange nichts.

Allerdings ist die Strasse nun beinahe verkehrsfrei, offenbar liegt der Norden nicht im Zentrum des verkehrsmässigen Interesses. Kann uns nur recht sein.

Wir machen sozusagen einen grossen Bogen um die Grenze zu Pakistan, aber was stören ein paar zusätzliche Kilometer.

Und so ist man manchmal froh, ein anderes Fahrzeug zu entdecken, und sei es bloss ein Linienbus, der zwar alt und heruntergekommen aussieht, aber immer noch schnell genug ist, unser extrem langsames Vehikel zu überholen. Die Blicke und Grimassen hinter den Fenstern sagen alles.

Jammu

Das erste Teilziel ist Jammu, seines günstigeren, wärmeren subtropischen Klimas wegen offenbar als Winterhauptstadt der Regierung von Jammu und Kashmir bekannt.

Die Stadt ist ein wichtiger Eisenbahn- und Transportknoten und besitzt zahlreiche hinduistische Tempelanlagen. Die Stadt wird tatsächlich aber nur von wenigen Touristen besucht, da sie in der Vergangenheit mehrfach Ort terroristischer Anschläge gewesen ist; die Gebiete westlich von Jammu gehören zu den gefährlichsten Gegenden Indiens.

View to Jammu
Sicht auf Jammu City (Copyright Paul La Porte)

Wir verbringen die Nacht in Jammu, ohne uns gross um die Stadt zu kümmern, den Srinagar ruft. Kaschmir, die geheimnisvolle Provinz mitten in den Bergen, umgeben von den Himalaya Riesen.

Und doch, wenn man das Angebot an Sehenswürdigkeiten etwas genauer ansehen würde, käme man kaum auf die Idee, sofort weiterzufahren. Man denke bloss an den Mubarak Mandi Palace:

Be gentle on my Curves!

Nie stellt man sich etwas so vor, wie es sich später in der Realität findet. So auch heute. Denn kurz nach Jammu ist es vorbei mit der Herrlichkeit breiter flacher Strassen, auf denen kaum Verkehr herrscht. Jetzt beginnt nämlich eine Fahrt über die Berge, die es in sich hat.

Die Strasse ist teilweise in einem desolaten Zustand, es rüttelt und schüttelt durch die Landschaft, die immer steiler und abweisender erscheint.

Ein Trinkglas in der Ablage scheppert solange, bis ich die Nerven verliere und es in weitem Boden aus dem Fenster werfe. Monika ist alles andere als erfreut. Aber die Anspannung auf dem heutigen Kurs ist nicht zu unterschätzen.

Immerhin wird die Atmosphäre alle paar Kilometer etwas aufgelockert, denn Tafeln am Strassenrand weisen auf die Gefahren der Strecke hin. Ein paar Beipiele gefällig:

„Be gentle on my Curves!“

Oder der beste von allen:

„Death lays its icy Hands on Speed Kings!“

Jahre später, auf einem Besuch im benachbarten Ladakh, werde ich mich an diese Fahrt erinnern, denn dort (offenbar ein regionales Phänomen) sind ähnliche Sprüche zu sehen.

Was wir auf dieser Fahrt noch nicht ahnen, ist der Verlust sämtlicher Fotos, die wir hier und später in Srinagar schiessen, aufgrund einer technischen Panne verloren gehen.

Der schlimmste Tunnel von allen

Nach dem sogenannten Zero Point auf der Passhöhe folgt ein Tunnel, der Qazigund Banihal Tunnel. Was soll ich sagen, es ist mit Abstand die schlimmste Fahrt durch eine vollkommen schwarze, unbelichtete, von Auspuffgasen vergiftete Röhre, die irgendwohin führt. Meistens geradeaus, soviel können wir noch erkennen, aber vom Boden, wahrscheinlich voller Löcher und Steine, ist nichts zu erkennen.

Man darf sich nicht vorstellen, hier eine Panne zu erleiden. Kein Licht, keine Ausweichmöglichkeit, die absolute Horrorvorstellung. Meine Augen versuchen verzweifelt, das Black Hole zu durchdringen, denn ja, wir geben es zu, auch unsere Scheinwerfer sind nicht das Gelbe vom Ei.

Und manchmal, wenigstens nicht sehr häufig, drehen die entgegenkommenden Trucks ihre Scheinwerfer erst im letzten Moment auf, also für ein paar Sekunden vollkommene Blindheit. Und bis sich die armen Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt haben, fahren wir im Blindflug.

Und dann Shangri-La

Nie zuvor haben wir derart aufgeatmet, als nach einer endlos scheinenden Fahrt durch die dunkle Hölle so etwas wie das Morgenlicht aufscheint.

Es ist aber nicht das Morgenlicht, sondern ganz einfach das Licht am Ende des Tunnels. Es kommt uns vor, als wären wir aus dem Schlund eines urzeitlichen Monstrums ausgespien worden.

Eine neue Welt tut sich auf, obwohl wir uns immer noch inmitten der Berge befinden. Aber es geht bergab, nicht nur wir, sondern auch unser gepeinigter Motor scheint spürbar durchzuatmen.

Alles, was uns an Unangenehmem im Leben zustösst, ist nie ein Zufall, und manchmal, obwohl selten, wird an dafür belohnt. Genau das geschieht nach weiteren mühsamen Kilometern, denn dann erreichen wir ein Tal. Ist es das sagenumwobene Shangri-La, der mystische Ort im Tibet?

Aber wir sind ja nicht im Tibet, sondern im Kaschmir, weit weg von dem fiktiven Ort in Tibet, in dem Menschen in Frieden und Harmonie leben. Es muss wohl an den mentalen Anstrengungen der letzten Stunden liegen, dass wir durch die prächtige sattgrüne Landschaft an ein Paradies erinnert werden.

Wie auch immer, der magische Moment der Harmonie oder schlicht der Illusion verschwindet, Srinagar nähert sich und damit der erneute Einbruch der Realität, denn nun geht es darum, im Durcheinander der Stadt einen Schlafplatz zu finden.

Klingt irgendwie bekannt, nicht wahr?

 

Passender Song zum Jahr:  Bob Dylan – Forever Young

Und hier geht die Reise weiter … in Srinagar

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