Ein Minibus, vollgestopft mit zahlreichen anderen Travellers, macht sich um Punkt 10.00 auf den Weg nach Norden.
Das Tagesziel ist Chiang Khong, am Mekong gelegen. Dort werden wir auf die laotische Seite wechseln, bevor uns dann das Boot in Richtung Luang Prabang bringen soll. Knapp 300 Kilometer in nordöstlicher Richtung, durch die Ebenen Nordthailands.
Wie erwartet eine ganz angenehme Fahrt, wäre da nicht der Dauer-Quassler am Steuer, der seinem Handy mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem dichten Verkehr.
Es erinnert mich an die erste Fahrt durch Thailand, ein Bus von Hua Hin Richtung Süden. Der Chauffeur, ein junger drahtiger Kerl mit breitem Lächeln im Gesicht, macht seine Sache gut, ausser wenn auf dem Bildschirm, senkrecht über ihm, eine besonders spannende Szene läuft und er der Versuchung nicht widerstehen kann, mitzuschauen.
Aber immerhin, die Strassen sind in hervorragendem Zustand, manchmal etwas schmal, wenn wir mit Höchstgeschwindigkeit durch die Dörfer brausen.
Merkwürdige Menschen
Während vor dem Fenster die Welt, in diesem Fall die nördlichen Ebenen Thailands, vorbeihuschen, als wären sie lediglich Staffage für unseren Ausflug, lerne ich Menschen kennen.
Man sitzt sich ja auf engem Raum gegenüber oder nebeneinander, kaum Platz für Füsse oder Beine, und irgendwann sieht man sich in die Augen, nickt, versucht herauszufinden, wer das da ist, dieser elegante Herr mit der riesigen Fototasche und seine Frau, mit einem etwas angespannt fröhlichen Ausdruck im Gesicht, man ist schliesslich im Urlaub.
Oder vielleicht fürchtet sie die nächsten Tage.
Sie planen nämlich voller Freude, in eine klassische Touristenfalle zu tappen, was bedeutet, von einer Baumhütte aus, weit oben in den Bäumen, Affen zu beobachten. Ich habe natürlich davon gehört, auch die Lady von der Hotelreception berichtete nur Gutes darüber, aber wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann meine kostbare Zeit mit fremden Leuten zu verbringen und dabei Affen zu beobachten. Da gehe ich doch lieber in den Zoo.
Was sagte doch Arthur C. Clarke (SF-Autor, unter anderem auch 2001: A Space Odyssey) zum Thema Menschen im Universum: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir sind allein im Universum – oder wir sind es nicht. Beide Optionen sind verstörend.“
Reise durch die Linse des Fotoapparats
Der Mann fotografiert ohne Unterbruch, sozusagen eine Reise durch die Linse seines Geräts. Später stelle ich fest (und er bestätigt die Beobachtung voller Stolz), dass er auch jedes Essen fotografiert. Also auch den Snack im kleinen Restaurant, in dem wir kurz Rast machen, einen rostroten undenierbaren Saft sowie ein ziemlich altbacken aussehendes Croissant (oder ist es was anderes?).
Meine ironisch gemeinte Bemerkung, dass er somit später genau feststellen kann, von welcher Mahlzeit er Dünnpfiff gekriegt hat, findet er überhaupt nicht lustig.
In der Hoffnung, endlich wieder mal mein Spanisch anbringen zu können, spreche ich die neben mir sitzende junge Dame, der ich von weitem die Herkunft ansehen kann, an und merke in Sekundenschnelle, dass ich im besten Fall jedes fünfte Wort verstehe.
Taj Mahal
Von Chiang Khong, dem letzten Kaff vor der Grenze, aber bereits am Mekong gelegen, ist bei der Ankunft am Abend noch nicht allzu viel zu sehen. Wir werden in einem ziemlich heruntergekommenen Hotel (na ja, ist ja schliesslich im Preis inbegriffen) ausgeladen.
Es gibt weder Lavabo noch WC im Zimmer, dafür bestehen die Wände aus Papier, so zumindest scheint es mir in der Nacht, als man beinahe das Atmen der Gäste nebenan hören kann. Atmen würde ja noch gehen, aber auf die mitternächtlichen Telefonate im Nebenraum hätte ich gerne verzichtet. Lange nicht mehr derart mörderische Gedanken gehabt …
Das wird dann eine dieser Nächte. Lang und unerquicklich. Kalt und schlaflos.
Beim Morgenessen lerne ich die andern Mitreisenden kennen. Ein älteres englisch sprechendes Paar fällt auf. Er ähnelt einem Waldschrat oder zumindest einem Hobbit: klein gewachsen, mit Bauch und langen Haaren. Sie ist rundlich, passt zu ihm, mit herrlich unmodernem Hut. Ich beobachte sie am Pool (oh ja, den gibt es). Sie springt anmutig ins Wasser, seine Antwort darauf ist einfach grossartig: You’re a great Lady.
Endlich der grosse mächtige Fluss
Nach dem Frühstück werden wir zum Fluss transportiert. Da ist er endlich, der Mekong, auf den ich mich so lange gefreut habe. Breit, braun, schnell, massig, kräftig. Ein Monster von einem Fluss.
Und dann – endlich – Laos. Neues Land. Auf dem Fluss, überquerend in einem alten Boot, der Gedanke an Styx, an den „Fährmann“. Dann die ersten Schritte, eine steile Treppe hinauf zum Grenzhaus, wo es wimmelt von Travelern wie in einem Ameisenhaufen.
Warten auf das Boot
Irgendwie muss man sich durch das Gewühl kämpfen, man steht an langen Schlangen an, merkt irgendwann, dass es die falsche ist, und sucht sich eine andere.
Dann Geld wechseln, viele Kips für ein paar Dollars, wieder die Erinnerung an Burma, aber irgendwann, ganz entspannt, ganz gelassen, ist alles getan, alles erledigt.
Wir sitzen in einem Restaurant, warten auf das Schiff. Langsam bildet sich eine Gruppe.
Die meisten anderen Travellers sind jung, freundlich, oberflächlich, manche nicht gerade Lichter am Himmel, aus Irland, Australien, England, Spanien. Man versteht sich, hilft sich, unterhält sich, rückt zusammen im fremden, unbekannten Land.
Und dann das Schiff, der Fluss. Alles ist etwas grösser als vorgestellt. Die Passagiere sitzen in Zweierreihen mit einem Zwischengang.
Leider sind die Sitze so tief, sodass man sich strecken muss, um die vorbei schiessende Landschaft geniessen zu können.
Durch die braunen Fluten
Und zu sehen gibt es viel. Obwohl Slowboat genannt, pflügt sich das Boot mit beeindruckender Geschwindigkeit durch die braunen Fluten, vorbei am busch- und baumbestandenen Ufer, an dem Kinder spielen, Männer lange Fischerruten ins Wasser halten, sich Wasserbüffel träge suhlen, Frauen ihre bunte Wäsche waschen.
Immer wieder fliegen schroffe Felsen vorbei, das Boot ruckelt vorsichtig daran vorbei, Stromschnellen lassen zum ersten Mal das Abenteuerherz hüpfen (allerdings noch in Unwissenheit darüber, welche Stromschnellen der Nam Ou bereithalten wird).
Manchmal schiessen Speed Boats vorbei, der infernalische Lärm der Aussenbordmotoren springt uns einen Moment an und verebbt nach wenigen Sekunden hinter einer Kurve.
Ich liebe den Fluss jetzt schon (ich habe Flüsse schon immer geliebt, auch wenn sie mir Angst machen – ich mit meinen begrenzten Schwimmkünsten). Man spürt die ungeheure Kraft des Wassers, dieses Ziehen, Drücken, und glaubt, die leise Drohung zu erkennen.
Der Bug pflügt sich in beeindruckendem Tempo durch die Wellen, vorbei an den Felsen, den Untiefen, die nur ein guter Lotse und Kapitän kennt. Ich habe zwar einen sehr netten jungen Mann auf dem Nachbarsitz, einen Schweden auf längerer Reise, bevor er sich ins bürgerliche Arbeits- und Karriereleben einfügen will, doch ich will mehr sehen vom Fluss, von der wilden Fahrt auf dem Rücken des Monsters.
Es sitzen, stehen zwar schon einige Leute am Bug, doch irgendwie schaffe ich es, einen vorzüglichen Sitz auf dem aufgestapelten Gepäck zu finden.
Und so beginnt der wirklich atemberaubende Teil der Reise, auf einem Hochsitz über den Wellen. „I’m the King of the World“, würde Leonardo Di Caprio auf dem Bug der Titanic rufen. Mir genügt der heruntergekommene Kahn auf dem Mekong.
Laos gleitet vorbei
Und so gleitet Laos an uns vorbei, grün, braun, grau, bunt, eintönig, aber nie langweilig.
Man möchte mehr sehen, das Land erfühlen, entdecken, was hinter den schroffen Felsen liegt. Doch Laos nötigt zur Geduld. Hier ist alles eine Dimension langsamer, leiser, entspannter. Also genau das, was ich suche. Es wird sich früher oder später zeigen.
Manchmal sehr lange kein Lebenszeichen, ausser den Vögeln, dann wieder Herden von Kühen und Büffeln, winkende Kinder, Männer mit ernsten Gesichtern. Manchmal beobachte ich die andern Touristen, ihre Verhaltensweisen, Paare, eng umschlungen auf das Wasser starrend, plappernde Jungs mit neuen Bekanntschaften, Laoten, die ihren Kindern den wilden Fluss zeigen. Schön …
Übernachtung in Pak Beng
Nach langen, aber nicht langweiligen Stunden der Zwischenhalt, Pak Beng, ein Kaff, das wahrscheinlich nur existiert, weil die Touristenboote hier Zwischenhalt machen. Man muss das Gepäck eine steile Betontreppe hinauftragen, was aus dem Hobbit-Paar ein paar tiefe Schnaufer herauspresst.
Die Unterkunft ist nun nicht mehr Teil des Pauschalarrangements, also gilt es zum ersten Mal, ein Hotel zu finden. Was angesichts der beeindruckenden Anzahl kein Problem ist. Das Zimmer ist angenehm, das Bett gross, das Bad akzeptabel.
Und das Essen vorzüglich.
Ich setze mich zu den Hobbits, die sich als ein sehr kluges, wohlinformiertes Paar aus Kanada erweist. Die Vierte im Bunde erweist dem Bild einer ältlichen Jungfer Respekt. Sie ist Bibliothekarin, wohlbelesen, und aus der merkwürdigen Zusammensetzung ergibt sich ein wunderbarer Abend mit den wahrscheinlich hochstehendsten Diskussionen seit langer Zeit. Die alte Dame entpuppt sich als Kennerin der „Gormenghast-Trilogie“ und findet in mir einen begeisterten Fan.
Schloss Gormenghast, ein mächtiges, labyrinthisches Gemäuer, beherbergt seit jeher das alte Geschlecht der Grafen Groan. Die Zeit vergeht anders hinter den dicken Mauern und die Schlossbewohner pflegen rätselhafte Zeremonien. Auch Titus, der 77. Erbe des Geschlechts Groan, muss sich den Traditionen beugen, doch für ihn gleicht das Schloss einem Gefängnis. Als die dunklen Kammern und die nicht enden wollenden Gänge von unerklärlichen Ereignissen heimgesucht werden, muss er um sein Leben fürchten. Kann er dem unheilvollen Gormenghast entkommen?
Und ich schlafe zum ersten Mal durch und erst noch gut.
PS Song zum Thema: Bishop Briggs – River
Und hier geht’s weiter … nach Oudomxai