Keine Nostalgie, keine Verklärung, eher Staunen über die Tatsache, dass ich mich nach all den Jahren erneut in diesem wunderbaren Städtchen in der Bergen befinde.

Hier werde ich mich – genauso wie das letzte Mal – sehr wohlfühlen.

Ich frage mich, ob Mister Singh, unser Trekkingführer, noch hier lebt und ob er seine wunderbar anachronistische Art der Trekkingführung beibehalten hat.

Ich werde ihn suchen gehen …

 

Das Railroad Hotel

Das Railroad Hotel ist zwar recht neu, hat sich aber bereits einen Namen gemacht. Hier trifft sich alles, was ein echter Backpacker ist, das Durchschnittsalter dürfte unter dreissig liegen.

Ich kriege ein nettes Zimmerchen, in dem man sich durchaus ein paar Tage wohlfühlen kann. Das Bett ist weich, die Laken duften wunderbar sauber, es gibt einen Tisch mit Stuhl und ein Badezimmer.

 

my room at the Railroad Hotel
Hier kann man sich wohlfühlen

 

Ein sehr besonderes Badezimmer

Hier muss ich doch etwas ausholen, denn dieses Badezimmer schreit danach, näher beschrieben zu werden. Ich bin überzeugt, dass bei der Planung (falls es denn eine gab) und Ausführung massiver Genuss von Betelnuss oder anderen Drogen eine Rolle gespielt haben muss.

Ganz von vorne: man muss zuerst eine ziemlich gefährliche Stufe hinab steigen, um den Boden zu erreichen, der permanent überflutet ist. Grund: der Konstrukteur hat vergessen, einen Ablauf für das Duschwasser einzubauen. So muss man der trockenen Höhenluft und anderen physikalischen Einflüssen Zeit lassen, das Ding auszutrocknen. Das ist aber noch nicht alles an Verrücktheiten.

Da der Boden wie erwähnt etwas gar weit unten ist, steht man vor einem Lavabo, das dafür viel zu weit oben ist, im Kurztext: man muss sich auf die Zehen stellen, um sein Gesicht sehen zu können. Haken sind nirgends zu sehen, also sind Ideen gefragt, wo man die Frottetücher und das Necessaire hinhängt.

Zum Schluss die Toilette: sie wurde wahrscheinlich wie das Lavabo auf der richtigen Höhe geplant, was – wen überrascht’s – dazu führt, dass man sich tatsächlich auf dem Thron fühlt und von weit oben auf die irdische Welt hinunterblickt. Burmesische Baukunst ist generell nicht sehr berühmt, aber dieses Badezimmer erhält tatsächlich die goldene Himbeere für das schlechtest geplante und noch schlechter ausgeführte Bauwerk westlich des Irrawaddy …

 

Das Leben ist gut

Aber sonst lässt sich absolut nichts Nachteiliges über das Etablissement sagen: das Personal ist freundlich und hilfsbereit, das Frühstück eines der sieben Weltwunder. Im Sekundentakt werden Früchte, Pancakes, Brot, Konfi, Butter, Kaffee gereicht, dass man kaum zum Atmen kommt. Mein Gott, das Leben kann so gut sein …

 

Breakfast at Railroad Hotel
Essen wie der König in Frankreich
Noch zu erwähnen: der 3-Tage-Treck fällt ins Wasser und wird durch einen zweitägigen ersetzt. Grund: alle Agenturen sind restlos ausgebucht. Es muss auf diesen Touren zu- und hergehen wie am Carneval in Rio, also nein, nicht unbedingt etwas, was ich in voller Länge mitmachen möchte. Also steht mir ein zusätzlicher Tag in Kalaw zur Verfügung.

 

Wiedersehen

Schon beim ersten Besuch 2004 stellte Kalaw einer der Höhepunkte der Reise dar. Nicht nur wegen den angenehm kühlen Temperaturen (im Vergleich zum restlichen Burma), sondern weil die Stadt eine eigene Grazie ausströmt. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre, die Leute sind freundlich und zuvorkommend.

Also freue ich mich auf ein Wiedersehen.

Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert, auf den zweiten jedoch erkennt man den Einfluss des rasant wachsenden Tourismus. Es gibt nun an jeder Ecke Läden und Stände, wo es alles zu kaufen gibt, was das Backpackerherz erfreut. Dazu die üblichen Restaurants, die auf ausländischen Geschmack ausgerichtet sind.

Die burmesischen Eigenheiten sind dabei etwas untergegangen. Aber immerhin ist der gedeckte Markt im Zentrum noch da, immer noch voller Kleider und Hüte und Früchte und Gemüse und Dinge, die ich nicht identifizieren kann (siehe unten).

 

undefinable stuff
Was könnte das sein?
Who is buying that stuff?
Wer kauft all dieses Zeug?
Tourist stuff
Alles auf Touristen ausgerichtet
fruit- and vegetable market
… und der obligate Früchte- und Gemüsemarkt
Smelly things
Keine Ahnung, was es ist, aber es riecht

 

Ein kühler Abend

Ein paar ergänzende Worte zu Kalaw: es gibt an die 80’000 Einwohner, verteilt über die Stadt und die vielen Hügel der Umgebung. Zu Zeiten der Engländer war Kalaw eines der beliebten Bergdörfer, wohin man sich in den heissen Sommermonaten zurückzog.

Die Lage auf gut 1400 Metern ermöglicht ein angenehm kühles Klima, was ich bereits am gestrigen Abend und vor allem in der Nacht am eigenen Leib erfahren musste. Es wird nämlich saukalt. Sobald die Sonne verschwindet, sinkt die Temperatur schnell und macht das Sitzen in kurzen Hosen schnell einmal etwas unangenehm, so dass man sich in die vermeintliche Sicherheit des Hotels flüchtet. Nur ist es dort auch nicht wesentlich wärmer, verflixt!

Als leidenschaftlicher Frischluft-Fanatiker kann es natürlich nicht sein, dass ich nicht mindestens ein Fenster sperrangelweit offen lasse, was ich als böser Fehler erweist. Irgendwann so um zwei Uhr morgens pfeift mir eine Bise um die Ohren, dass es nur so kracht. Aufstehen und das Fenster schliessen? Viel zu kalt, also ziehe ich die Decke über den Kopf und gelobe Besserung.

 

Die Bahnstation in Kalaw

Heute aber ist die frostige Nacht vergessen, die Sonne brennt vom Himmel, und ich mache mich auf zu einem Waisenhaus, um endlich meine Farbstifte und Zeichenhefte loszuwerden.

 

train station in Kalaw
Der kleine niedliche Bahnhof (für einen Zug, der nicht mehr fährt)
1300 Meters above sea level
Immerhin über 1300 Meter über Meer

Der Weg führt bei der Bahnstation vorbei, dort, wo wir 2004 sehr sehr lange auf den Zug warten mussten, der uns im Schritttempo zum Inlé-See führte. Alles ist noch so wie damals, doch hat man den Eindruck, dass sich bezüglich Technik im Bahnhofsbüro doch einiges verändert hat.

 

old technology at the station
Die damaligen technischen Geräte, mit viel Stolz präsentiert

 

Das Waisenhaus

Und wen wundert’s – niemand scheint etwas von einem Waisenhaus gehört zu haben, nicht der Uniformierte, der etwas Undefinierbares bewacht, nicht der Portier beim Luxushotel, niemand auf der Strasse.

Muss ich das Zeug tatsächlich wieder nach Hause nehmen? Doch der Himmel hat ein Einsehen mit mir, denn der gepflegten Dame an der Reception ist doch noch in den Sinn gekommen, was ich gemeint haben könnte und weist mir den Weg zu einem grossen, etwas baufälligen Haus, das sich tatsächlich als das gesuchte Waisenhaus entpuppt.

Es handelt sich dabei um ein Kinderheim, das von einer Deutschen und ihrem Verein gegründet und unterstützt wird. 58 Kinder aus den besonders armen Regionen der Shan-Berge leben hier. Nur, wo sind sie? Ein junges Mädchen macht mir klar, dass sie alle an der Sonntagsandacht sind und erst am Nachmittag zurückkehren.

Solange möchte ich nicht hierbleiben und drücke die Spielsachen mit einem Gruss dem Mädchen in die Hand und verabschiede mich schnell, bevor die Überzeugung, ein besonders guter Mensch zu sein, allzu übermächtig wird (hier fehlt mir ein schief grinsendes Emoji) …

 

Die falsche Kirche

Eine Ergänzung: zwei Stunden später stehe ich vor einer Kirche, höre einen Chor Kinderstimmen und frage mich, ob das die Andacht sein könnte, wo meine in Zukunft malenden und zeichnenden Schützlinge beten, doch weit gefehlt. Eine resolute Dame macht mich auf den Fehler aufmerksam. Ich habe schlicht die falsche Kirche, die falsche Religion erwischt. Hier sind es Baptisten, die anderen sind Katholiken. Ach so.

 

Auf der Suche nach Mr. Singh

Dann weiter auf meinem Erkundungsmarsch. Ich hoffe immer noch, irgendwo den Führer, der uns bei der letzten Reise auf einem erinnerungswürdigen ganztägigen Trek als Führer begleitete, d.h. einen Tag lang durch die angrenzenden Hügel und Dörfer.

Man muss sich einen sanften Menschen vorstellen mit weicher Stimme und Manieren wie aus dem alten England, grossgewachsen, hager, mit dicken schwarzen Haaren, eine Erinnerung an seine indische Abstammung.

Und er wusste schlicht alles, was es zu wissen gab. Seine Augen blieben warm und freundlich, auch dann noch, als er uns erzählte, dass er früher Lehrer war und nun als Guide der einzige in einer Grossfamilie war, der gelegentlich etwas Geld verdiene. Zur Grossfamilie gehörten auch seine Söhne, beide studiert, mit ihren Familien, die keine Chance hatten, einen angemessenen Job zu finden.

 

Eine Oase des Friedens

Und dann – ganz unerwartet – stosse ich bei meinem Spaziergang auf einen buddhistischen Tempel. Die Mönche sind  eben beim Essen (sorry für die schlechte Bildqualität, es musste schnell und unbemerkt gehen).

 

Mönche im Tempel
Mönche mit Hunger

Der Tempel (den wir beim letzten Trip verpassten) ist wie immer grossartig und strömt das aus, was immer da ist: eine ganz eigene innere Ruhe. Als wäre es eine Insel inmitten der Hektik des täglichen Lebens. Eine Oase des Friedens.

 

great art
kunstvolle Gegenstände
bell
… an der zugehörigen Glocke
Beautiful
Einfach nur schön ..
Buddha in Kalaw
Und noch ein Buddha …

 

Heimweg

Der Weg zu meinem Hotel führt über schmale Strassen mitten durch das Städtchen. Ein ziemlich fettes Schwein wird zum Abendspaziergang ausgeführt. Der Schweinehirt versteht kein Wort, dabei hätte ich ihn gern nach dem Schicksal der stattlichen Sau gefragt (was eigentlich klar ist).

 

pig at afternoon stroll
Die Sau beim Abendspaziergang
Skynet - Terminator
Skynet – da erinnert man sich doch gleich an den Terminator

 

Reisepläne

Das Lustige ist, dass ich zwar plane, Ende der Woche die Grenze nach Thailand auf dem Landweg zu überqueren, aber eigentlich niemand mit Sicherheit sagen kann, ob dies überhaupt möglich ist. Und da mein Burma-Visum am 1. Dezember abläuft, mir also höchstens noch zwei Tage bleiben, um ein Flugzeug zu erwischen, spiele ich momentan etwas Vabanque. Macht aber nichts.

Seit einiger Zeit hat Burma nämlich die Grenzen etwas offener gemacht, will heissen, dass man nun an vier Orten die Grenze nach Thailand überqueren kann. Gemäss Führer braucht es dazu aber ein Special Permit, das nur in Yangon mindestens 2 Wochen vorher beantragt werden muss und 85$ kostet. Einige Fellow-Travellers haben mir aber glaubhaft versichert, dass dies Unsinn ist. No problem, man, absolutely no problem! Wir werden sehen.

Merkwürdigerweise kann man den burmesischen Grenzort Tachileik nur via Flugzeug erreichen, da die Strasse entweder a) unpassierbar ist b) durch ein Gebiet der Aufständischen führt oder c) eine Verschwörung zwischen den Fluggesellschaften und der Regierung ist. Anyway, ich poste mir schon mal ein Ticket für den 28. November. Dann heisst es bye bye Myanmar. Bin jetzt schon irgendwie traurig.

 

PS Filmtrailer zum Thema: Terminator – Judgement Day

Und hier geht die Reise weiter …

 

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