Der Ausblick aus meinem Fenster zeigt einen wolkenlosen tiefblauen Himmel. Ein perfektes Omen für diesen besonderen Tag.
Denn heute steht die erste Etappe der Nam Ou Flussfahrt nach Luang Prabang auf dem Programm. Das wird hoffentlich genau der verrückte Trip werden, den ich mir erhoffe. Also wilde Strudel und Stromschnellen und Wellen und Untiefen. Und dazwischen Herzklopfen und Adrenalin. Genau das Richtige für mich.
Die Aussicht auf diesen Tag hat mich früh aus den Federn geholt. Nichts mit Frühstück, die griesgrämige Dame an der Reception schenkt mir auf meine diesbezügliche Frage einen abschätzigen Blick, der wahrscheinlich die laotische Version von Fuck off bedeutet. Die etwas jüngere Dame, die mich in einem Restaurant oberhalb des Flusses bedient, scheint zur gleichen Spezies zu gehören. Auch hier lediglich ein grimmiges Gesicht, als hätte ich sie durch meine blosse Anwesenheit zutiefst beleidigt. Doch der Kaffee ist Klasse.
Immerhin.
Das Abenteuer beginnt
Langsam versammeln sich die potentiellen Mitglieder des geplanten Trips am Ufer. Ich habe mich mit Reto verabredet, einem Schweizer, den ich gestern kennengelernt habe. Wir werden die Fahrt zumindest bis Muang Ngoi gemeinsam machen. Nachdem sich die wartenden Touristen im Boot bequem gemacht haben, stösst das vollbeladene Boot pünktlich um 9.30 ab.
Der Mensch reagiert bei Gefahr immer so wie vor tausenden von Jahren: die Kampf-oder-Flucht-Reaktion kommt ins Spiel. Sie beschreibt die rasche körperliche und seelische Anpassung von Lebewesen in Gefahrensituationen als Stressreaktion. Bei gefährlichen Flüssen allerdings scheinen weder Kampf noch Flucht sinnvolle Reaktionen zu sein. Cortisol- und Adrenalin Ausschüttungen werden dabei vor allem zu erhöhtem Blutdruck und Herzklopfen führen.
Es dauert aber noch etwas bis zu den erwarteten Auswirkungen. Vorerst scheint der Fluss ein wohlgesonnenes Monster zu sein. Wir werden erst etwas später merken, was für ein hinterhältiger Kerl dieser Fluss ist. Aber eines ist sicher: die Nam Ou Flussfahrt nach Luang Prabang könnte der Höhepunkt dieser Reise werden.
Stromschnellen und ein wackliges Boot
Es hat Platz für knapp 10 Personen, die zu beiden Seiten hintereinander sitzen. Der Kapitän sitzt majestätisch vorne am Bug, in der Hand lässig das Steuerrad, in der andern Hand eine Zigarette. Er ist sich seiner Bedeutung bewusst; wenn ein gelegentlicher ängstlicher Aufschrei zu hören ist, gleitet ein spöttisches Grinsen über sein rundes Gesicht. Doch er versteht sein Handwerk. Mit stoischer Ruhe steuert er sein Boot über die immer wilder werdenden Wogen, gibt mal Gas, umschifft eine Untiefe, die uns verborgen bleibt.
Ein wilder Tanz
Weitere Stromschnellen, immer ein wenig furchterregender werdend, ein wilder Tanz auf den Wellen, der Bug hebt und senkt sich im Takt des Wassers, das peitschend am Boot rüttelt. Manchmal wird man nass und fühlt sich wunderbar. Was sind wir bloss für wilde Kerle …
Das Ufer, von Bäumen, Gebüschen und kargen Wiesen gesäumt, gleitet immer schneller vorbei, viel schneller als vorgestellt.
Der Aussenbordmotor knattert und röhrt und bringt das schmale Holzboot zum pfeilschnellen Gleiten auf dem unruhigen Fluss. Das auf den ersten Blick wacklige Boot entpuppt sich als rasendes Torpedo, das mit Lichtgeschwindigkeit über das unruhige Wasser gleitet. Oder schwebt. Wasser gischtet auf beiden Seiten, überzieht die Passagiere mit einer kalten Dusche.
Mit Ausnahme einiger weniger Einheimischer, die das Ganze eher als notwendiges Übel hinnehmen, ist die Begeisterung gross. Natürlich kommt es uns manchmal vor, als wären wir den Launen des Flusses vollkommen ausgeliefert (was wir vermutlich auch sind). Aber schliesslich sind wir genau deswegen hier. Um etwas Adrenalin zu spüren. Etwas Angst und Herzkllopfen, um dann nach überstandenem Abenteuer erleichtert durchatmen zu können.
Es dauert nicht lange, bis der Fluss seine wahre Natur zu zeigen beginnt. Doch das, was wir jetzt schon als ziemlich wild empfinden, ist nichts im Vergleich zu den kommenden Kilometern. Doch dann beruhigt er sich wieder, als müsste er kurz Luft holen.
Wir atmen auf, bewundern die Konstruktion einer neuen Brücke über den Fluss. So ganz wohl ist uns nicht dabei. Wir wissen sehr genau, dass dies die Vorboten der Zukunft sind, ob sie sich als postitiv erweisen, wird sich zeigen.
Ein holländischer Gentleman
Irgendwo im Niemandsland wechseln wir das Boot, niemand weiss den Grund, aber es ist letztlich egal. Allerdings ist das Boot grösser, vor allem kann es mehr Gepäck aufnehmen. Aus einem offenbar nahegelegenen Dorf tragen Männer und zierliche Frauen gewaltige Lasten herbei, die allesamt ins Boot verladen werden. Wenn das bloss gut geht.
Ein Holländer bietet sich ganz Gentleman-like an, beim Transport zu helfen, und gerät kurz, obwohl einen Kopf grösser und wesentlich breitschultriger als die schwachbrüstigen Laoten, an seine körperlichen Grenzen. Sein Keuchen ist von weitem zu hören. Wir bemitleiden ihn alle, aber nur ein bisschen …
Urwald und riesige Bäume
Ein dichter Urwald zieht sich dem Ufer entlang bis zum Horizont, bis zu den hügligen Gebirgszügen, kaum erkennbar im morgendlichen Dunst. Riesige Bäume, mir völlig unbekannt, stossen bis zum Himmel, andere neigen sich mit ausladenden Kronen, Schatten verbreitend, über das Ufer.
Das Wasser ist schnell, gleitet schäumend an den ausgewaschenen Ufern vorbei, das Boot ruckelt und zuckelt, und es dauert nicht lange, bis uns die erste Stromschnelle durchschüttelt. Das Lachen, eben noch mutig und heldenhaft, wird nervöser. Man erkennt zum ersten Mal, das wir uns hier in einer Situation befinden, die doch ein bisschen weniger harmlos ist als vorgestellt. Wir sind begeistert, glauben an das grosse Abenteuer, in Unkenntnis davon, dass dies erst der Beginn ist. Die wirklich furchterregenden Stromschnellen liegen flussabwärts, aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht
Und dann beruhigt sich das wilde Wasser wieder, das Boot gleitet ruhig und sanft über den Fluss, das Auge hat nun Zeit, die Umgebung zu erforschen
Vorboten der Zukunft
Es wird gemunkelt, dass irgendwo im unteren Abschnitt des Flusses ein Staudamm gebaut werden soll. Kann es sein, dass diese Flussfahrt in absehbarer Zeit nicht mehr möglich ist? Dann unsere Freunde aus dem Norden einmal mehr ihre Muskeln zeigen und ohne Rücksicht auf Verluste ihre wirtschaftlichen Absichten in die Tat umsetzen wollen?
Es darf einfach nicht wahr sein. (Ist es aber: kaum zwei Jahre nach diesem legendären Flusstrip wurde der Damm fertiggebaut und damit der bisherige Transport auf dem Nam Ou erschwert bzw. verunmöglicht; ich darf gar nicht sagen, wie sehr mir das zu Herzen geht.)
Kinder, Kinder
Und weiter. Immer schön dem Wasser entlang, dem gischtenden Wasser, das an Wildheit und Kraft von Kilometer zu Kilometer zunimmt, zu beiden Seiten das Ufer als wechselnde grün-gelb-braune Kulisse. Dazwischen Kinder,immer wieder Kinder, grosse, kleine, immer laut und lärmig und herzig und freundlich.
Muang Ngoi
Nach Stunden ruhigen und dann wieder wilden Treibens auf dem Fluss, erreichen wir Muang Ngoi.
Es ist einer der Orte, die jeder Traveller kennt und in denen es garantiert wimmelt von kleinen Läden und Restaurants, wo du alles erhältst, wonach sich dein Herz sehnt. Er ist nur über den Fluss erreichbar, was ihn speziell und gottlob etwas abseits macht. Sollten die Prophzeiungen der Staudämme sich als wahr erweisen (was ich befürchte), wird sich dieser wunderbare Ort in kurzer Zeit verändern. Es werden vielleicht keine Travellers mehr kommen, kein Geld, kein Einkommen für die vielen Restaurants und Läden und Hotels. Das Leben wird sich zurückziehen, es wird wieder still und einsam.
Man möchte es sich nicht vorstellen.
Zimmer mit schlechtem Ruf
Ich nehme ein Zimmer in einem Hotel oberhalb des Flusses. Jemand erzählt, dass ausgerechnet dieses Zimmer meistens frei steht. Offenbar wurde hier vor einiger Zeit ein junges Paar tot aufgefunden steht. Ich bin ja nicht abergläubisch, aber diese traurige Geschichte geht mir doch ans Herz.
Seltsame Souvenirs
Wir essen eine Kleinigkeit auf der Terrasse, schwatzen über Gott und die Welt, machen einen Rundgang durch das wirklich herzige Kaff.
An allen Ecken raucht und riecht es nach allerhand Köstlichkeiten, und manchmal steht irgendwo an einer Ecke der Überrest einer Fliegerbombe aus dem Vietnamkrieg. Seltsame Souvenirs! Eine grosse Anzahl Backpackers streunen durch die Gassen und unbefestigten Strässchen. Es ist genauso wie überall auf der Welt, wo sich Backpackers treffen, für eine Weile ihre Ruhe haben, bis sich der Massentourismus anmeldet und die Karawane weiterzieht, einem neuen Backpacker Hotspot entgegen.
Das Dorf gefällt mir wirklich, und deshalb entschliesse ich mich kurzfristig, noch etwas hierzubleiben und am nächsten Tag einen Trip ins nächste Dorf zu unternehmen. Der Abend ist kühl, um zehn wird der Strom abgestellt, und ich stehe mit meiner Zahnbürste im Dunkel …
PS Song zum Thema: The Killers – This River is wild
Und hier geht’s weiter …