Aus der Ferne, sagt Charly Chaplin, ist das Leben eine Komödie, aus der Nähe eine Tragödie.
Er hat recht.
Aber kommt man als Reisender überhaupt je in die Lage, hinter die Fassade zu sehen? Will man das überhaupt? Dorthin, wo es weh tut?
Ich bezweifle es. Man zieht die Hochglanzversion vor. Das Schöne und das Grossartige. Das, was in den Erinnerungsfotos an erster Stelle steht.
Nicht das Hässliche. Das Armselige. Das Leben der Menschen, die täglich um ihre Existenz kämpfen. Deswegen reist man nicht. Man geht lieber dorthin, wo das schöne Leben vorgegaukelt wird. Wo nichts zum Nachdenken reizt.
Buenos Aires hat beides. Die Hochglanzfassade in Recoleta mit der stählernen Blume, dem Museum, der Bibliothek. Und wie sich zeigen wird auch in Palermo mit den hippen Restaurants, den teuren Boutiquen, den Strassencafés.
Das Leben ist keine Kömödie
Aber es gibt eben auch La Boca. Die hässliche Seite der Stadt. Die versteckte Armut. Die Menschen, die auf der Strasse leben. Aber bin ich der Tragödie wirklich näher gekommen? Kaum.
Ich bin wie die meisten anderen ein Gefangener meiner Vorstellungen. Ich will im Grunde gar nicht konfrontiert werden mit der Tragödie. Es würde meine Ruhe stören, meine Erwartungen erschüttern.
Deswegen bin ich heute erneut auf der Suche nach der Komödie. In Palermo. Wo nichts meine Ruhe stört.
Oder höchstens ein bisschen.
Palermo
Palermo? In Buenos Aires?
Klingt doch eher nach Sizilien. Die Namensgebung ist umstritten. Sicher ist nur, dass der Name Palermo in irgendeiner Weise auf die sizilianischen Einwanderer zurückzuführen ist.
Allerdings gibt es auch alternative Auslegungen, so beispielsweise soll der Name von einer Abtei herrühren, die nach Benedikt von Palermo benannt ist, oder noch besser, dass ein Kerl namens Juan Domínguez Palermo für die Namensgebung verantwortlich ist.
Egal, das Viertel lohnt einen Ausflug zur ‚Plaza Immigrantes de Armenia‘ (??) oder zur ‚Plaza Cortazar‘ im Zentrum dieses Stadtteils. Man hat nicht den Eindruck, in einer Stadt am Rande des Abgrunds gelandet zu sein.
Es könnte auch Paris sein oder Barcelona oder eines der hippen Quartiere in Los Angeles oder sonstwo.
Nirgends findet man um wunderschön gestaltete Plätze herum, entlang der mit Steinplatten belegten Strassen und Gassen soviele aufgemotzte, gestylte Restaurants und Cafes, die meisten bunt bemalt, jedes anders.
Die Tische davor sind voll besetzt mit jungen Leuten, es wird viel gelacht und noch vielmehr geredet.
Was für ein Unterschied zu La Boca, wo sich Armut und ein Leben ohne Perspektive versammelt haben.
Das hier ist die andere Seite.
Und die Atmosphäre ist tatsächlich speziell.
Ich setze mich in eines der zahlreichen Strassencafes und bestelle einen überdimensionierten Ceasar’s Salad a la Argentina, also ohne die klassische Sauce mit Ei, aber auch ohne Lattichsalat, dafür mit etwas anderem Grünem. Dazu gibt es ein undefinierbares Gebäck, das ausgezeichnet mundet.
Es muss ein aussergewöhnlicher Tag sein, denn ich versuche sogar die mir im Normalfall verhasste Guacamole-Sauce und finde sie erstaunlicherweise gar nicht schlecht. Das muss wohl an der speziellen Atmosphäre liegen.
La Casita de los Viejos
Ist Buenos Aires the place to be?
Es kommt drauf an.
Wenn man das schöne, entspannte Leben sucht, so wie hier in Palermo, wenn man zu den Privilegierten gehört, wie die meisten dieser jungen Leute hier, wenn man Geld und ein gutes Leben hat, dann dürfte es tatsächlich the Place to be sein.
Es gibt alles, was das Herz begehrt. Neben den Restaurants haben sich viele teure Läden und Hotels angesiedelt, sie passen in die besondere Atmosphäre des Viertels. Aber nicht nur das. Es gibt grossartige Märkte, wo alles angeboten wird, und noch viel mehr.
House-Party
Das Chillhouse hat am Abend eine Houseparty auf dem Dach organisiert, zu der ich auch eingeladen bin.
Ein vorsichtiger Blick auf die Partygäste lässt mich erahnen, dass ich wieder mal mit weitem Abstand der älteste Knochen bin. Immerhin komme ich mit ein paar ganz interessanten Leuten in Kontakt. Ein typischer Hipster mit Glatze und Vollbart entpuppt sich als Holländer und ausserdem Navigator auf einem riesigen Passagierschiff, das jeweils mit ca. 6000 Personen (!) bestückt ist.
Eine für mich unvorstellbare Qual, Wochen und Monate mit den meistens ältlichen Leutchen zu verbringen. Diese sind zum Teil so alt, dass auch immer wieder mal ein paar auf der Reise sterben und dann zusammen mit den Blumen in einen gekühlten Raum gesteckt werden, bis sie am nächsten Halteort ausgeladen und nach Hause geflogen werden.
Ich könnte dem Kerl noch stundenlang zuhören, doch leider hat sich ein neues Tattoo auf seiner Brust entzündet und verlangt nach Behandlung.
Und da in der Zwischenzeit die Musik einen Lautstärkepegel erreicht hat, der jede Unterhaltung verunmöglicht, ziehe ich mich in meine Gemächer zurück. Ich höre am Morgen, dass nach Beendigung der Party auf dem Dach eine neue auf der Strasse vor dem Hotel begann, die sage und schreibe bis morgens um acht dauerte.
Ach die Jugend, wie war sie doch schön …
Kilometerstand: null
Song zum Thema: Anywhere – The all run for the carving Knife
Und hier geht die Reise weiter … in Uruguay