Ich streune mit einem wehmütigen Gefühl das letzte Mal durch Sucre.
Die Stadt ist mir innert kurzer Zeit ans Herz gewachsen. Wenn die stinkenden Micro-Busse nicht wären, wäre es ein Ort, an dem man sich eine Weile zu leben durchaus vorstellen könnte. Diese Vehikel sind das einzige öffentliche Verkehrsmittel der Stadt, halbgrosse, völlig heruntergekommene Busse, deren bis ins Dach hinauf reichenden Auspuffe dicke Wolken ausstossen.
Wahrscheinlich sollen damit die Fussgänger vor den schlimmsten Abgasen geschützt werden. Sobald jemand am Strassenrand die Hand hebt, hält er an. So kann es sein, dass er alle zehn Meter stoppt und in einer noch dickeren Abgaswolke wieder losfährt. Ein einfaches System, aber eben …
Stille Gassen
Sobald man die bekannten Bereiche verlässt, stösst man gelegentlich auf verborgene, schattige Plätze, auf stille Gassen, wo bestenfalls ein Hund seinen Mittagsschlaf abhält. Hier haben Touristen Seltenheitswert.
Einen dieser Plätze entdecke ich ganz zufällig, er liegt oberhalb der Stadt, im Schatten einer Kirche, mit einer wunderbaren Rundsicht über die ganze Stadt und ihre Umgebung. Ein Meer aus roten Ziegeldächern scheint an den Hügel zu branden, seine Wellen brechen sich an steilen Aufstiegen.
Marktstände und Marktweiber
An allen Ecken und Enden stehen Marktstände, dahinter, mit ernsten Mienen, die Damen. Sie sind die wahren Herrscher der Strasse. Ihnen entgeht nichts, auch nicht die neugierigen Blicke des Touristen, und sofort entspinnen sich wunderbare Dialoge.
Der letzte Zahn
Die vielen Bettler, darunter viele alte, zerbrechlich wirkende Frauen, deren Gesichter beinahe mumifiziert wirken, gehören ebenso zum Stadtbild wie die vielen Heldenstatuen, nur sind sie mir die alten Damen extrem viel symphatischer.
In einer Seitenstrasse wirft mir ein auf dem Trottoir sitzendes Mütterchen einen Blick zu, der mein Herz wie Butter schmelzen lässt. Er ist nicht klagend oder bittend oder vorwurfsvoll, sondern voller Schalk und Lebensfreude. Dabei ist klar, dass sie einfach arm ist, nicht viel mehr besitzt als dieses unglaubliche Lächeln.
Irgendein unerklärlicher Funke springt über, ich kann gar nicht anders als stehenbeiben, nach meinem Portemonnaie greifen und ein paar Münzen in den Sammelbecher fallen zu lassen. Erst im letzten Moment merke ich, dass es gar nicht der Sammelbecher ist, sondern das Gefäss mit ihrem Trinkwasser. Was für ein Idiot! Ich stottere hundert Entschuldigungen, aber das Mütterchen winkt ab, grinst mich einfach an, und aus ihrem offenen Mund blickt der letzte einsame Zahn …
Und wieder ein Abschied
So vergeht der letzte Tag in Sucre, ganz langsam, ganz aufmerksam, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ich nochmals hier sein werde, ist verschwindend klein. Morgen früh fährt der Bus nach Potosi. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Kilometerstand: 2960
Song zum Thema: Tony Joe White – Sweet Tooth
Und hier geht der Trip weiter … nach Potosi