„Old Age is not for Sissies.“ (Quote Bette Davies * 1908 + 1989 US Amerikanische Schauspielerin)
Ich muss ihr zustimmen.
Es ist immer ernüchternd und etwas schmerzhaft, wenn man an das eigene Alter erinnert wird.
„You walk? .. Yes. Why? .. You old!!“
Heute Morgen werde ich einmal mehr daran erinnert. Das Mädchen an der Rezeption des Railroad Hotels namens Sima scheint die westliche Zurückhaltung bezüglich unpassender Bemerkungen zum fortgeschrittenen Alter ihrer Kunden noch nicht verinnerlicht zu haben (obwohl ich mir diese Direktheit manchmal wünschen würde).
Auf jeden Fall beginnt mein 2-tägiger Treck Richtung Inle-Lake mit genau diesen Worten. Wir lachen beide herzlich (ich ein wenig verkrampft) und verabschieden uns. Es war – trotz Badezimmer – ein wunderbarer Aufenthalt.
4 Personen plus Sanny
Bei der organisierenden Agentur findet sich nach und nach die Truppe von insgesamt 4 Personen plus Guide zusammen (genau die richtige Grösse, denn immerhin ist man für 2 Tage eng zusammen und erleidet sozusagen das gleiche Schicksal).
Sebastian, ein junger Deutscher aus Rosenheim, Chris und seine Freundin Stefanie aus Amsterdam und Sanny, unser Guide. Zu ihm wird es noch einiges zu sagen geben, denn er wird sich als die grosse Attraktion unseres Ausflugs erweisen. Alles in allem eine gute Zusammensetzung, eine sehr gute.
Wir werden, da nur 2 Tage unterwegs, den ersten Teil mit dem Sammeltaxi in die Hügel hinausgefahren, wo wir schliesslich irgendwo im Nirgendwo ausgeladen und uns selbst überlassen werden.
Na ja, immerhin haben wir ja Sanny. Er ist ein 55-jähriger, kleiner, drahtiger Mann mit einem feinen Geflecht von Falten in seinem sonst glatten Gesicht, immer mit einem Lächeln, auf dem Kopf eine Wollmütze, um die Beine schlottern sehr weite helle Hosen, die ihn von Weitem erkennen lassen. Dass er ein äusserst eloquenter Gesprächspartner und ein Geschichtenerzähler wie aus Tausend und einer Nacht ist, wird sich schon bald erweisen.
Ein gelbes Meer
Nun denn, auf geht’s! Wir folgen dem Weg anfänglich gegen Osten, über gut ausgebaute Wege, dann wieder ausgewaschene Fusspfade, vorbei an gelben Feldern mit blühenden Sonnenblumen, an Feldern mit Sticky Rice (allerdings soll es gemäss Sanny auch Sticky Sticky Rice geben, der muss dann ziemlich sticky sein). Für die Nichtexperten: Sticky Rice ist anders als der Wet Rice etwas anders im Geschmack und gehört je nach Stamm, Volk oder Land mehr oder weniger zum täglichen Menü.
Es ist wie in einem Traum. Einem wunderschönen Traum.
Banyan Bäume
Manchmal kreuzen wir die riesigen Banyan-Bäume, stehen einen Moment still und bewundern die uralten, heiligen Monstren. Dann wieder vorbei an einem gelben Meer von Blumen. Das Auge wird müde ob der schieren Pracht.
Wenn ich unserem gut informierten Führer glauben kann (Einschränkung: ich glaube ihm nicht alles, obwohl ich überzeugt bin, dass ER alles glaubt, was er uns erzählt. Die Geschichte mit seinen Heilerqualitäten (was ein eigenes Kapitel füllen würde) ist so abstrus und gleichzeitig komisch, dass, falls nicht wahr, doch wenigstens gut erfunden ist).
Wenn ich ihm also glauben kann, gibt es unterschiedliche Banyan-Bäume, nämlich die heiligen und die anderen. Wie sie sich unterscheiden, ist allerdings unklar. Die einen sind einfach heilig und werden mit ebenso heiligen Utensilien bekränzt, während die anderen, obwohl vollkommen gleich aussehend, eben nicht heilig sind.
Aber sei’s drum, Banyan-Trees haben eine wichtige Rolle in Buddhas Geschichte gespielt. Soweit ich weiss, meditierte er in Bodh Gaya, einem Kaff in Indien, ein paar hundert Kilometer von Varanasi (Benares) entfernt, unter einem Banyan-Tree und wurde eben dort erleuchtet (ein Ur-Ur-… Enkel des damaligen Baumes wächst immer noch an der gleichen Stelle, selbst gesehen und kein Wort geglaubt) …
Durch Felder und Wälder
Es ist einer der schönsten Wanderungen ever. Ein gemütlicher Spaziergang entlang Wiesen und Felder und Wälder, an lieblichen Flüssen und Bächen vorbei, beobachtet von Wasserbüffeln und Kühen und Kindern … Man müsste einfach weitergehen können. Endlos. Mit offenen Augen und Ohren und Nase. Es riecht nach Parfums, nach teuren Ingredienzen, nach Natur und schönen Frauen …
Auge und Herz erschöpfen sich im Angesicht der Schönheiten. Der endlosen gelben Felder, die sich bis zum Horizont ziehen, scheinbar ohne Grenzen. Das Grün der Wiesen, das Braun der verbrannten Erde. In im Ohr das sanfte Geräusch des Windes in den Ästen der Bäume.
Es sollte nie zu Ende gehen …
Mönchsordination
Manchmal muss man etwas Glück haben. Auf dem Weg nach Osten treffen wir auf einen buddhistischen Tempel, wo eben eine seltsame Zeremonie im Gange ist. Unweit eines Tempels warten unter den ausladenden Ästen eines Banyanbaumes (siehe unten) eine Menge Leute, alte, junge, Babies, Kinder,die Blicke auf den Eingang des Tempels gerichtet, wo man das monotone Gemurmel buddhistischer Rezitationen hört.
Wir stellen uns dazu, und Sanny, unser Führer, erklärt uns, dass eine Ordination im Gang ist. Offenbar werden an diesem Tag zahlreiche neue Mönche (Bhikkus) ordiniert, d.h. sie erhalten ihren Status als Mönch und müssen ab diesem Tag die über zweihundert Gebote (die meisten davon betreffen lustigerweise die Vorgaben, wie man richtig am Tisch sitzt, isst und trinkt) einhalten.
Erstaunlicherweise ist der Buddhismus in dieser Beziehung sehr locker und offen: eine Ordination wie im katholischen Glauben beispielsweise, die für die Ewigkeit gilt, kann hier problemlos wieder aufgelöst werden, man wird also nach mehr oder weniger Tagen oder Wochen oder Jahren auf eigenen Wunsch von seinen Gelübten gelöst und kann sein normales Leben weiterführen.
Es dauert nicht lange, und die gut zwanzig frischgebackenen Mönche verlassen mit ernsten Gesichtern den Tempel, sie werden durch die Zuschauer mit Musik begrüsst, und die ganze Prozession geht würdevoll von dannen, ohne uns auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen …
Wir verlassen die Feier mit einem zwiespältigen Gefühl. Einmal mehr möchte man gern Teil der Kultur sein, ist sich aber bewusst, dass wir nicht dazugehören.
Kinder …
Manchmal laufen Kinder über den Weg, scheu, zurückhaltend, rennen weg, sobald eine Kamera gezückt wird. In einem Dorf dann eine ganze Meute, die nach Pencils schreien. Pencils?
Jetzt habe ich endlich die Gelegenheit, die restlichen Farbstifte loszuwerden. Der Verteilprozess ist allerdings etwas mühsam, denn zehn Kinder springen an mir hoch, versuchen mit ausgestreckten Händen an die begehrten Stifte zu kommen. Also muss das organisiert werden, alles in eine Reihe, dann faire Verteilung, damit auch die jüngeren nicht zu kurz kommen.
… und Wasserbüffel
Wasserbüffel, das schönste Bild ein Wasserpfuhl, wo sich zehn Stück aufs Mal wohlig suhlen, während im Hintergrund eine Mutterkuh ihr Junges bewacht und uns misstrauische Blicke zuwirft. Ein ernst dreinblickender Mann, offenbar der Hirt, wirft uns misstrauische Blicke zu. Heute haben wir aber keine Absicht, seinen wunderbaren Tieren ein Leid anzutun oder sie mitzunehmen. Er scheint erleichtert, als wir unserer Wege ziehen …
Peperoncini
Was den Fotographen unter uns, Chris, besonders erfreut, sind die zum Trocknen ausgelegten Peperoncini, man hat den Eindruck, dass ganze Fussballfelder in dunklem Rot schimmern. Darauf kauern sich Frauen und Kinder, zum Teil in ihren wunderbar farbigen Trachten des Pa-O Stammes, und wenden die Dinger oder sammeln sie ein.
Den genauen Ablauf habe ich nicht ganz verstanden, allerdings erscheinen mir gewisse Details der Anpflanzung von Gemüse, das ich nicht besonders mag, auch nicht besonders erinnerungswürdig (ausser den wunderbaren Farben natürlich).
Mein Magen/Darm rebelliert
Etwas müsste ich vielleicht noch erwähnen: gestern Nachmittag, müde und heisshungrig auf etwas Süsses, habe ich den einen Fehler gemacht, den man tunlichst vermeiden sollte, nämlich in einem indischen Restaurant einen lauwarmen Kaffee zu trinken. Natürlich hätte ich das Gebräu zurückzuweisen müssen, aber manchmal ist man einfach zu dumm oder zu höflich.
In der Konsequenz: Punkt fünf Uhr morgens die unangenehme Überraschung, die man sich vorstellen kann. Nun bin ich also auf einem 2-tägigen Treck, der mich irgendwohin führt, auf jeden Fall nicht in Gegenden, die für anständige WCs bekannt sind. Aber wie gesagt, mein Fehler, aber das gehört halt irgendwie dazu. Ein gehöriger Input von Loperamid-Mepha wird hoffentlich dafür sorgen, dass ich mich nicht allzu sehr als Störenfried entpuppen werde.
Die Pa-O Dame
Alle paar Stunden ein Halt, wie es sich gehört, einmal ein Teestopp bei einer Pa-O Dame, die emsig am Weben von wunderbaren Tüchern und Taschen ist. Ein endloser, mühsamer Prozess, der für ein einziges Tuch mehrere Tage dauern kann, und – nach unseren finanziellen Gegebenheiten – für ein Trinkgeld verkauft wird.
Mittagessen im Homestay
Mittagessen dann in einem Haus, das für andere Trekkinggruppen als Homestay dient.
Ein runder Tisch ist bereitgestellt, man setzt sich auf den Boden (ah, wie ich das hasse, wie mein blöder Rücken protestiert) und erhält ein mehrgängiges Menü aus Noodles, Gemüse, unedefinierbaren Beilagen, die aber, so höre ich, sehr gut schmecken (ich begnüge mich aus verständlichen Gründen mit einem Teller Suppe). Es wird gequatscht und gelacht, langsam findet sich die Gruppe zusammen. Einmal mehr ist Englisch die Lingua Franca.
Heimwärts
Der volle Bauch verlangt zwar nach Ruhe und einem Mittagsschläfchen, aber dafür ist der vor uns liegende Weg zu lang. Es gilt, noch einige Kilometer abzulaufen, allerdings durch weiterhin grossartige Gegenden, entlang sanften Hügeln, an deren Abhänge Kühe zusammengetrieben werden. Es ist ein friedlicher Anblick, und wie immer wird man daran erinnert, wie weit weg wir uns von solchen Idyllen bewegt haben. Wir können diese vergangene Welt nicht mehr zurückholen und hoffen für die Einheimischen, dass sie der Verführungskunst westlichen Lebensstils nicht so schnell erliegen …
Auf den Feldern wird angesichts des nahenden Abends zusammengepackt. Das Abendlicht verleiht den Bildern eine unirdische Schönheit …
Ankunft beim Sonnenuntergang
Gegen Abend dann, nach einem Zwischenspurt, denn wir haben viel Zeit verloren, erreichen wir eben vor Sonnenuntergang das Dorf, wo wir übernachten werden. Von weitem sieht es ziemlich seltsam aus, aber offenbar ist das nicht unser Domiziel. Unser Rasthaus (oder wie immer diese Etablissements genannt werden) entpuppt sich als mehrstöckiges Gebäude, wo wir eine hoffentlich angenehme Nacht verbringen werden.
Im nahen Hof tummeln sich Kühe (Gnus?) und ein paar Leute, deren Rolle ziemlich unklar bleibt. Aber sie nicken uns höflich zu, was wir selbstverständlich erwidern. Der Schlafsaal ist riesig und hätte Platz für eine halbe Kompanie Soldaten.
Der Homestay
Der Homestay macht einen recht ordentlichen Eindruck (von den Toilette im Hof möchte ich lieber nicht sprechen), es gibt einen grossen Raum, in dem wir schlafen werden, die Schlafplätze mit Decken und Matratzen sind bereits vorbereitet. Auf die Dusche allerdings (ein Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf) verzichte ich gerne (nur Sebastian ist genügend Masochist, um sich das anzutun).
Nach dem Abendessen im Freien – es wird sehr schnell ziemlich kalt – und einem längeren Vortrag von Sanny über seine Fähigkeiten als Heiler (!), über Buddhismus und einer Präsentation seiner KungFu Künste ist es Zeit, sich unter die Decken zu verkriechen. Allerdings, die vom Organisator versprochenen 5 Zentimeter dicken Matratzen erweisen sich eher als 5 Millimeter dick (wahrscheinlich hat er die Masse verwechselt), aber die Decken scheinen ziemlich warm zu sein (wenn vermutlich auch schon tausend Mal in Gebrauch gewesen).
Ich bin froh um meinen Baumwollschlafsack, der zwar wärmemässig nicht allzu viel hergibt, aber zumindest vor der direkten Berührung mit den Decken schützt. Ich werfe noch eine Tablette ein, in der Hoffnung, jeglichen nächtlichen Gang auf die besagte Toilette vermeiden zu können, und drehe mich auf die Seite. Es ist kalt, und es ist hart, aber irgendwie … wunderbar.
Zumindest im ersten Moment …
Wie gesagt, irgendwie wunderbar, langsam stellt sich Wärme ein, die Matratze ist besser als gedacht, der Magen im Moment ruhig gestellt – da beginnt das, was in jeder Beziehung, im Militär oder bei den Pfadfindern, unweigerlich zu Problemen führt: Schnarchen!
Eine Symphonie des Grauens
Das, was neben mir aus der Kehle Sebastians dringt, ist aber nicht einfach Schnarchen, es ist viel mehr als das, es ist ein Angriff auf Ruhe und Frieden an sich, eine Kakophonie von schaurigen Tönen, mit denen man kleine Kinder zu Tode erschrecken könnte, eine Symphonie des Grauens. Manchmal klingt es, als würde er in den letzten Zügen liegen, manchmal holt er lautlos Atem, um diesen dann in furchterregenden Schüben hinauszupressen. Gott im Himmel!
An Schlaf ist nicht zu denken, denn nun beginnt das, was man dann in solchen Fällen tut, man wartet auf den nächsten Angriff auf die Ohren und kann nicht schlafen. Und die blöden Ohropax habe ich zurückgelassen!
Nun, irgendwie vergeht die Nacht trotzdem, ich falle zwischendurch sogar in einen mehrstündigen Schlummer, der Punkt sechs durch die Geräusche des Morgens unterbrochen wird.
PS Song zum Thema: Wreckless Kelly – Little Blossom
Und hier geht die Reise weiter …