Einige Stunden später sind wir unterwegs, aufgeregt und beinahe euphorisch, dass es endlich wieder zurück auf die Strasse geht. Im Grunde genommen haben wir uns so an das Leben auf der Strasse gewöhnt, dass längere Aufenthalte schon beinahe zur Strafe werden.
Alles, was wir wollen, ist Bewegung. Immer vorwärts, immer dem Horizont entgegen.
Das Tagesziel liegt in einer Stadt namens Dschallalabad. Einmal mehr keine Ahnung, was sich dahinter verbirgt, aber nur schon der skurrile Name verspricht einiges.
Dschalalabad liegt knapp 160 Kilometer östlich von Kabul nahe dem Khyber-Pass in einer Höhe von ca. 600 m. Die in Pakistan gelegene Stadt Peschawar ist nur ca. 130 km in südöstlicher Richtung entfernt.
Allerdings, was wir ebenfalls nicht wissen, ist die Gefährlichkeit der Strasse. Heute verbindet ein moderner, ausgebauter Highway die beiden wichtigen Städte, doch damals, in den dunklen 70-Jahren, war die Route eine der gefährlichsten der Welt (natürlich nicht zu vergleichen mit dem Manali-Leh Highway).
Die Tangi Gharu Schlucht
Nach Kabul führt die Route noch ein ganzes Stück der Ebene entlang, bevor es dann ernst wird. Das Land hinter uns kippt weg, wir stürzen uns in einen Abgrund hinab, die Tangi Gharu Schlucht.
Die gefährlichsten Straßen der Welt, und dazu gehört offenbar auch unsere heutige Strasse, haben in der Tat einiges zu bieten: gähnende Abgründe ohne sichernde Leitplanken, sandige und rutschige Pisten, obendrauf noch abschüssig, plötzlich anschwellende Bäche, von Lawinen und Erdrutschen bedrohte Berghänge und knisterndes Eis unter den Rädern.
Nun, zumindest plötzlich anschwellende Bäche und Lawinen werden heute nicht auf dem Programm stehen, die gähnenden Abgründe genügen vollkommen.
Wie erwähnt, Jahrzehnte später, im Ladakh im indischen Himalaya, werde ich ein ähnliches Gefühl erleben. Eine Mischung aus Spannung, Freude, Angst, und doch das unstillbare Vergnügen an der Gefahr. Vielleicht ist heute, an diesem denkwürdigen Tag, diese besondere Affinität zur Gefahr entstanden. Dieses leise Kitzeln, das Bewusstsein, dass in Sekunden alles vorbei sein kann, und trotzdem das durch nichts ersetzbare Gefühl, am Leben zu sein. Klingt das komisch? Ich kann es verstehen.
Wie auch immer, der Fahrer ist nun gefragt. All diese Kurven, die endlosen Drehungen in alle Himmelsrichtungen, man könnte fast meinen, man befände sich auf einem Jahrmarkt-Karussel. Kein Wunder, dass es neben mir still geworden ist. Der Blick geht , magnetisch angezogen und gegen den eigenen Willen, hinunter in die Tiefe, wo Dunkelheit zu herrschen droht.
Definitiv nichts für schwache Nerven.
Die alte Straße von Kabul nach Dschalalabad ist offenbar nicht nur bekannt für ihre gefährlichen Bedingungen sondern auch die vielen Angriffe auf Reisende. Angriffe auf Reisende? Das klingt zwar irgendwie schräg, aber ebenso unwahrscheinlich. Falls überhaupt, dann eher im flachen Gebiet in Richtung Dschallalabad.
Wir werden sehen. Ich setze schon mal mein grimmigstes Gesicht auf. Das hat bisher immer geholfen.
Es sind nicht viele Autos oder gar Lastwagen unterwegs. Es scheint aber andere Tage zu geben, wo dichter Hin- und Rückverkehr sich gegenseitig den Platz streitig machen. Lastwagen hinter Lastwagen, daneben Personenwagen und Menschen, wie’s aussieht am Diskutieren, wie es weitergehen könnte.
Nicht lustig.
Irgendwann erreichen wir den Talboden, der zwar alles andere als ein ebener Boden ist, schon eher eine Fahrt durch weiterhin gelb-braune Einöde, wo nichts wächst und der Mensch ein seltenes Phänomen darstellt. Im Vergleich zu dem, was hinter uns liegt, eine spürbare Verbesserung.
Manchmal taucht wie ein Phantom ein Dorf auf, ein paar ärmliche Hütten, versteckt, vergessen, und trotzdem bewohnt, die Rauchsäule über den Dächern zeugt von Leben.
Wir bleiben nicht stehen, fahren weiter, die Gedanken schweifen ein paar Minuten um das seltsame Schicksal dieser Menschen, dann entstehen neue Gedanken, neue Eindrücke, alles vergeht, verändert sich. So ist es halt.
Dschallalabad
Dschallalabad (oder Jalalabad mit zwei oder drei l geschrieben) ist die Hauptstadt der Provinz Nangarhar. Erst viele Jahre später erhält sie eine strategische Bedeutung bei der Besetzung des Landes durch westliche Truppen.
Zu dieser Zeit ist sie nicht sehr eindrucksvoll, für uns lediglich eine Durchfahrtstation, heute jedoch eine grosse eindrückliche Stadt mit fast 300’000 Einwohnern.
Wir finden ein Hotel mit Garten, wo man unsere Wagen abstellen kann und im Restaurant essen kann. Der Wirt des Hotels, ein ausserordentlich freundlicher Mann in den besten Jahren, versucht seine Fremdsprachenkenntnisse an den Mann zu bringen. In ewiger Erinnerung bleibt sein Abschiedsgruss „Au reviens!“
Song von 1974: Lynyrd Skynyrd – Sweet Home Alabama
Und hier geht’s weiter … der Grenze und dem Khyberpass entgegen