Okay, versuchen wir mal, aus der Situation das Beste zu machen. Wir sind ja so eine Art Gefangene in Teheran (Krankheit, Wetter) und haben somit viel Zeit, uns der Stadt aus einer objektiveren Seite zu nähern.
Es gibt viel Interessantes aus der uralten Geschichte zu erzählen, was uns Hippies, die sich lieber um Alltägliches, Banales kümmern, normalerweise verborgen bleibt. Es ist halt so, wir sind noch jung, da gehört offenbar eine gewisse Gedankenlosigkeit dazu. Hoffen wir, dass es in späteren Jahren besser wird.
Vom Obstgarten zur Stadt
Teheran im Jahr 1975 ist mit knapp 5 Millionen Einwohnern bereits ein Koloss von einer Stadt, geprägt von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Dynamik, ausgelöst durch die Pläne des Shas, den Iran zu einem wohlhabenden, prosperierenden Staat zu machen. Man erinnere sich an die unzähligen Lastwagen in Jugoslawien auf dem Weg ins gelobte Land namens Iran oder an die Lastwagenkolonnen an der türkisch-iranischen Grenze.
[Dass die Pläne des Shas kurz nach unserer Reise durch einen frommen Führer namens Khomeini zerstört wurden, ist ein Kapitel, das sich bis in unsere Zeit hinzieht, aber davon ist noch nichts zu spüren.]
Die lange und turbulente Geschichte beginnt als kleine Obstgartensiedlung gegen Ende des 9. Jahrhunderts. Die wenigen Bewohner leben offenbar zum Teil in unterirdischen oder halbunterirdischen Gängen und Höhlen. Wenn man das heutige Teheran als Vergleich nimmt, ist die Vorstellung von Gängen und Höhlen ziemlich verrückt.
Immerhin soll der Ort bereits zu dieser Zeit berühmt gewesen sein für die ausgezeichnete Qualität der dort angebauten Granatäpfel. Na also, sogar wir unkundigen Bauern aus den Alpen haben die Vorteile der süssen Früchte entdeckt.
Von Dynastie zu Dynastie
Die Geschichte des Irans war, wie in jedem anderen Land auch, von Höhen und Tiefen geprägt. Im 12. und 13. Jahrhundert gehörte das Dorf zum Reich der Buyiden und Seldschuken, bevor die Mongolen einfielen und Tod und Zerstörung brachten (man fragt sich, wo diese Kerle eigentlich nicht eingefallen sind). In den nachfolgenden Jahrhunderten entwickelte sich der Ort zu einer Provinzstadt, zunächst noch ziemlich unbedeutend.
Es folgte Dynastie auf Dynastie, den Safawiden folgte die Zand-Dynastie, dann kamen die Kadscharen. Man baute Paläste und Städte mit Befestigungsmauern, die später zerstört wurden, man putschte sich an die Macht und verlor diese wieder, man brachte sich um und wurde selbst ein Opfer von Krieg oder Anschlägen.
Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden breite Straßen und Alleen, die Stadt wurde zeitweilig als Residenz benutzt. Um das Jahr 1800 zählte man etwa 15.000 Einwohner. Nach und nach entstanden zahlreiche Moscheen und Paläste, unter anderem auch der Golestanpalast.
Auch die Befestigungsmauer um die Stadt wurde teilweise restauriert. 1883 zählte man bereits über 100.000 Einwohner. Damit wurde Teheran zur größten Stadt Persiens, bedingt auch durch die starke Zentralisierung des Landes.
Und dann, im 20. Jahrhundert, kamen die Pahlavis an die Macht, etwas später dann der Schah mit seiner wunderschönen, unglücklichen Soraya und dem Jahrhundertfest in Persepolis.
Die Teheran-Konferenz
Ein geschichtliches Detail ist noch interessant – die Teheran-Konferenz von Churchill, Roosevelt und Stalin in der Zeit vom 28. November bis 1. Dezember 1943.
Thema war die Absprache über die weitere Vorgehensweise auf dem europäischen Kriegsschauplatz im Jahre 1944 und die Zeit nach einem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg.
Kurz – der Blickwinkel auf die Stadt verändert sich sofort, wenn man die Geschichte kennt. Wir sind wohl nicht mehr lange hier, aber bei den weiteren Besuchen in der Stadt werden wir eine andere Brille aufsetzen.
Doch noch der Süden?
Während sich Monika langsam von ihrer Krankheit erholt, herrscht ganz annehmbares Wetter, möglicherweise bereits die ersten Anzeichen des nahenden Frühlings. Wenn da nur nicht diese durchdringende Bise wäre, die von morgens bis abends den Tag versaut.
Entgegen der gestrigen Entscheidung ist der Trip nach Isfahan oder sogar bis Shiraz doch noch nicht ganz vom Tisch. So läuft es eben, wenn man die Welt unversehens wieder in bunteren Farben sieht.
Im Moment steht es unentschieden.
Viele Gründe sprechen dafür, den Heimweg anzutreten. Die Reiselust hat zwar den absoluten Tiefpunkt überschritten, aber so ganz überzeugt sind wir noch nicht.
Andererseits lockt der Süden mit seinen Sehenswürdigkeiten, so zum Beispiel Isfahan, Persepolis, der Persische Golf, Shiraz. Allerdings gibt es auch Gründe, die dagegen sprechen. Der persische Golf hat seinen Reiz eingebüsst, seit wir erfahren haben, dass es dort alles, nur keinen Badestrand gibt. Dabei sehnen wir uns so sehr nach Sonne und Wärme!
Shiraz soll auch nichts Besonderes sein, bleiben also nur noch Isfahan und Persepolis. Allerdings wird erzählt, dass die Strasse nach Isfahan schlecht sein soll, viel Verkehr und so weiter. Alles in allem schwierig zu entscheiden.
Wie gesagt – es steht unentschieden.
Der Schneesturm
Kaum zu glauben, aber wir haben den Absprung aus Teheran tatsächlich geschafft, und wir sind auf dem Weg nach Norden. Der endgültige Entscheid in Richtung Türkei ist nach einer Fahrt durch den wiederum teuflischen Verkehr durch die Stadt gefallen.
Noch während wir im Büro für die Visumverlängerung in einer endlos langen Schlange anstehen, löst sich der Knoten wie von selbst. Es ist genug. Ade Isfahan, ade Persepolis und ade alles andere im Süden des Landes. Vielleicht gibt es ein zweites Mal.
Es ist nach lokaler Zeit 15 Uhr, und wenn wir nach draussen sehen, beträgt die Sicht gerade mal 10 Meter, denn es tobt ein mittlerer Schneesturm. Die Kälte dringt auch in den Wagen, durch die zahlreichen Fugen und Ritzen. Unsere Füsse gleichen Eiszapfen, unsere Finger klamm. Denn die Heizung in unserem Wagen kommt an ihre Grenzen.
Dabei hat der Tag überraschend gut angefangen. Bereits um halb acht sind wir in Teheran losgefahren, haben erfolgreich den Verkehr und die schlimmsten Stau überstanden, doch bereits in Takestan hat es zu regnen und sehr bald schon zu schneien begonnen.
Unser Tagesziel Täbris liegt noch über 300km entfernt, dabei stecken wir schon seit über zwei Stunden bei der Highway-Police in Zandjan fest. Es sieht ganz danach aus, als müssten wir die Nacht hier verbringen. Der Himmel sieht weiss Gott nicht danach aus, als ob er uns in den nächsten Stunden günstiger gesinnt wäre. Die dicken, fetten Schneeflocken, die vom grauen Himmel fallen, sind alles andere als Boten günstigeren Wetters.
Kurz – wir sind also wieder einmal ziemlich am Arsch.
Passender Song von 1975: The Eagles – One of these Nights
Und hier geht der Trail weiter … nach Norden