Die letzten Etappen durch die Türkei bis zur griechischen Grenze sehen nicht mehr nach Turkish Delight, sondern eher nach Turkish Blues aus. Entgegen aller seltsamen Erfahrungen in der Osttürkei haben wir mit der Türkei Frieden geschlossen, oder mit anderen Worten – wir haben das Land lieben gelernt. Wenn ich an die Hinfahrt denke, die beleidigenden Blicke und Gesten, die Monika über sich ergehen lassen musste, dann scheinen wir in einem anderen Land angekommen zu sein.

Nun, vorläufig sind wir noch tief im Süden, allerdings sieht es aus, als kämen die schönen Frühlingstage am Meer an ihr Ende. Der Norden ruft wieder mal, vielleicht auch Europa oder noch wahrscheinlicher unser Zuhause. Das wird sehr seltsam werden … Man will es sich nicht vorstellen.

Ein wehmütiger Abschied

Nach einigen Tagen glorreichen Ausspannens in Antalya gilt es Abschied zu nehmen, jedoch nicht nur von der türkischen Mittelmeerküste, sondern vor allem von unseren Freunden Beatrice und Ruedi. Es waren viele tausend Kilometer, die wir gemeinsam erlebt, erduldet, erlitten haben. Sowas schweisst zusammen, aber nun ist der Abschied nahe, und seit Indien werden wir uns das erste Mal trennen.

Wir werden sie schmerzlich vermissen.

Während die beiden noch mindestens einen Monat länger als wir unterwegs sein werden, geht es für uns auf die letzten Etappen, zuerst durch die Türkei, dann Griechenland und schliesslich Italien. Angesichts der vielen Kilometer, die wir bereits hinter uns gebracht haben, erscheinen uns die restlichen Etappen als ziemlich mickrig. Allerdings sind nicht nur wir etwas müde, auch unser Bus spürt sein zunehmendes Alter, die Probleme, die er sich und uns zugemutet hat. Ich will mir den Moment nicht vorstellen, wenn wir uns von ihm verabschieden müssen.

Pamukkale

Es gibt die vom Mensch gemachten Sehenswürdigkeiten – die Pyramiden von Gizeh, der Petersdom, Angkor Wat, das Taj Mahal, die Moschee von Lahore, Machu Pichu -, und es gibt die von der Natur bereitgestellten wie die Iguaçu-Wasserfälle, der Grand Canon, der Salzsee von Uyuni, das Monument Valley, das Great Barrier Reef …

Pamukkale ist auch eine davon. Wir sind auf dem Weg dahin, die knapp 300 km sind ein wahrer Augenschmaus mit Sonne, Wärme und grossartigen Landschaften.

Von Antalya nach Pamukkale

Pamukkale ist ein bizarres Wunderwerk der Natur, ein Kunstwerk aus Kalk. Seine Berühmtheit hängt mit den Kalksinterterrassen zusammen, die über Jahrtausende durch kalkhaltige Thermalquellen entstanden. Dass sie heute eine Touristenattraktion erster Ordnung darstellen, ist nicht verwunderlich, denn sie stehen zusammen mit der oberhalb gelegenen archäologischen Stätte der antiken griechischen Stadt Hierapolis auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.

Der Ort liegt in einem tektonisch aktiven Gebiet. Es gibt dort 17 heisse Quellen deren Quellwasser mit Calciumhydrogencarbonat gesättigt ist. Das mit mineralischen Stoffen angereicherte, 35 Grad Celsius warme Wasser sprudelt aus dem Boden, kühlt ab und verdunstet in der Sonne. Dabei lagert sich Kalziumkarbonat auf der Oberfläche ab, überzieht alles, Schicht um Schicht, bis es zu einem natürlichen Kalkstein wird. Es ist also nicht Eis, das Pamukkale sein charakteristisches Aussehen verleiht. Was aus der Ferne aussieht wie eine Winterlandschaft, ist in Wirklichkeit ein Kunstwerk aus Kalk.

Die Auszeichnung als Weltkulturerbe hat die Zerstörung durch den Massentourismus weitgehend verhindert. Man muss sich das vorstellen – die Natur benötigte Jahrtausende, um dieses Juwel zu schaffen, während der Mensch es beinahe schaffte, es in wenigen Jahrzehnten zu zerstören. Wenn man solche Berichte hört, wird man nachdenklich. Gehören wir als Besucher nicht auch dazu?

Wir verlassen das Wunderwerk der Natur mit einem nachdenklichen Blick.

Heisse Nächte

In dieser Nacht wundern wir uns über die Wärme im Wagen, schon beinahe sommerliche Temperaturen. Das ist eine Weile her seit der letzten Tropennacht. Khajuraho? Könnte sein. Ein ziemlich schräges Erlebnis nach den arktischen Temperaturen vor nicht allzu langer Zeit.

Wir fahren weiter, Kuşadası ist das Ziel, eine Stadt am Meer. Der Weg dahin ist allerdings von schlechtem Wetter begleitet, ein trüber, verhangener Himmel weist uns den Weg in Richtung Westen, zerzauste Wölkchen jagen vorbei, überholen uns, manchmal reisst der Himmel auf, zeigt sein Frühlingsgesicht, um es gleich wieder zu verbergen.

Wetter hin oder her, der Frühling hat mit Macht Einzug gehalten. Bäume, Sträucher, Gras scheinen eine Art Wettstreit abzuhalten, wer das üppigere Grün, das sattere Gelb, das hellere Rosa zur Schau stellt. Und dann erreichen wir Kuşadası, etwas glänzend Helles dahinter, das Meer.

Von Pamukkale nach Kuşadası

Kuşadası

Kuşadası ist ein beliebtes Reiseziel für einheimische und ausländische Touristen. Rund um die Stadt befinden sich etliche Strände mit feinem Sand, darunter der City Beach und der berühmte Ladies Beach. Offenbar ist die Stadt ist bekannt für ihre bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurückreichde Geschichte.

Tja, eben, ein beliebtes Reiseziel. Das merkt man nach wenigen Minuten, und man wird unwillkürlich an Alanya erinnert. Die gleichen touristischen Angebote, die immergleichen Restaurants und Pubs und Cafés und Shops und alles weitere, was zu einem derartigen Hotspot gehört. Dabei hätte die Stadt einiges zu bieten, zum Beispiel Ausflüge zu den antiken Ruinen von Ephesos oder dem Apollon-Tempel oder der Taubeninsel, auf der sich eine historische Burg befindet.

Vielleicht sind wir langsam etwas versnobt, aber bei diesem Angebot verziehen wir angewidert die Nase, und als das zur Stadt gehörende Mocamp exorbitante Übernachtungspreise verlangt, ergreifen wir schleunigst die Flucht in Richtung Izmir, was nur eine gute Stunde entfernt liegt.

Der schönste Abschnitt

Es gibt Orte, wo man verweilt, und andere, wo man übernachtet und sofort weiterzieht. So gesehen hat Izmir schlechte Karten, denn die Stadt ist schlicht zu gross für einen längeren Aufenthalt, also fahren wir am nächsten Morgen weiter. Bei der Abfahrt wissen wir nicht, dass es einer der schönsten Abschnitte der ganzen Reise werden wird.

Die Fahrt von Izmir nach Çanakkale erstreckt sich über eine Strecke von etwas über 300 Kilometer und führt grösstenteils entlang der Küste, dabei atemberaubende Ausblicke auf das Meer und die umliegende Landschaft bietend.

Der Tag gibt schon am frühen Morgen seine Visitenkarte ab. Er spielt ein stilles Spiel mit den Wolken, mal sieht man den Himmel, mal wieder nicht, doch jedes Mal, wenn das tiefe Blau durchscheint, öffnet er den Blick auf die Welt im Festgewand. Es scheint, als ob der Frühling zeigen will, zu was er fähig ist, wenn man ihn denn lässt. Man könnte – wenn man die Fähigkeiten dazu hätte – Gedichte schreiben, über die Farben, die Düfte, das sanfte Schaukeln der Bäume im Wind, der selbst Gerüche mit sich trägt, vom Meer, von den Föhren, den Blumen auf den blühenden Wiesen. 

Und das Meer, man kennt seine Schönheit, doch heute strebt es der Vollkommenheit zu. Ein Blau, das nicht von dieser Welt sein kann, so kitschig, so surreal. Die Oberfläche wird durch sanfte, kaum sichtbare Wellen zum Schaukeln gebracht, weiss glitzernde Spitzen kräuseln im leichten Wind.

Wie gesagt, man müsste ein Dichter sein.

Von Izmir nach Canakkale

In einem Restaurant am Meer, kaum ein paar Meter oberhalb des Ufers, essen wir den Lunch, Shish-Kebab, wie es sich gehört, dazu Fisch und frisch gebackene Pommes Frites. Kann man es uns verdenken, dass unsere Augen glänzen, dass wir uns beschenkt fühlen?

Troja

Der Umweg nach Troja ist nicht weit, also nehmen wir die Ruinen der antiken Stadt mit, in der Hoffnung, nicht alles, was die Illias erzählt und Heinrich Schliemann herausgefunden hat, vergessen zu haben.

Troja ist ja vor allem durch die „Ilias“ und die „Odyssee“ des Dichters Homer bekannt, in denen der Trojanische Krieg und das berühmte Trojanische Pferd beschrieben werden. Der Trojanische Krieg wurde durch die Entführung der Helena, der Ehefrau des Menelaos, durch Paris, den Sohn des trojanischen Königs Priamos, ausgelöst. Trotz einer zehnjährigen Belagerung gelang es den Griechen nicht, die stark befestigte Stadt zu erobern, bis sie das berühmte hölzerne Pferd bauten, in dem sich ihre tapfersten Krieger versteckten.

Die archäologischen Funde und Ausgrabungen in der Region liefern wichtige Hinweise auf die historische Realität von Troja und werfen gleichzeitig Fragen nach der Herkunft und Bedeutung der Saga auf. Es bleibt jedoch umstritten, ob der von Homer beschriebene Krieg tatsächlich stattgefunden hat.

Während Troja ein faszinierendes Beispiel dafür ist, wie Mythologie und Geschichte miteinander verwoben sind und die archäologischen Entdeckungen auch heute noch viele Fragen aufwerfen, stapfen wir ohne wirkliche Begeisterung in den Ruinen herum. Nicht mal die Tatsache, dass Troja oder das, was davon übrig ist, heute ein UNESCO-Welterbe ist, kann noch Begeisterung auslösen. Einmal mehr müssen wir einsehen, dass unser Potential für neue Eindrücke und Erlebnisse erschöpft ist. Die Zentren, wo unsere Erinnerungen gespeichert werden, sind überladen und kaum noch in der Lage, neue Eindrücke aufzunehmen.

Also verabschieden wir uns schweren Herzens und mit etwas schlechtem Gewissen und fahren weiter nach Canakkale, wo wir die Fähre über die Dardanellen nehmen.

Bye-bye Asien

Es sind über 200 Tage seit unserer Abreise vergangen, und die Galata-Brücke in Istanbul, auf der wir den Sprung nach Asien machten, ist ferne Erinnerung. So lange her, so viel erlebt. Doch jetzt heisst es definitiv Abschied zu nehmen von Asien. Von seinen Menschen, seinen Farben, seinen Gerüchen, seinem Lachen, seiner Armut, seinem Reichtum. Es hat uns so unendlich viel gegeben.

Die Überfahrt über die Dardanellen dauert nicht lange, doch für uns trennt die Stunde zwei Welten, die nicht unähnlicher sein könnten. Wir empfangen verwunderte Blicke, man weiss nicht recht, was man von uns halten soll.

Von oben sieht unser Bus noch ganz ordentlich aus, natürlich mit dem Schmutz von halb Asien bedeckt, aber das sind Auszeichnungen. Wir werden ihn ganz gewiss nicht waschen, bevor wir zuhause sind.

Es ist ein seltsames und doch beglückendes Gefühl, zurück in unserem alten Kontinent zu sein. Hier kennen wir uns aus, nichts und niemand ist ein Buch mit sieben Siegeln (zumindest fast nichts und niemand). Wir müssen uns daran gewöhnen, dem alten Europäertyp auf Schritt und Tritt zu begegnen, dem manchmal zynischen, überheblichen und gleichzeitig virilen, aggressiven Typus, der die Welt erobert und über viele Jahrhunderte geprägt und verändert hat. Aber es könnte gut sein, dass seine Herrschaft, die ein paar Jahrtausende gedauert hat, schon bald vorbei sein könnte. Es dämmert eine neue Zeit herauf, die Zeit der asiatischen Wiedergeburt. Wir waren Zeugen davon, auch wenn heute vieles noch nicht in dieser Richtung zeigt. Wir lassen uns überraschen …

Wie auch immer, Geopolitik hin oder her, wir finden am Meer ein wunderbares Plätzchen für die erste Nacht auf europäischem Boden, und ja, wir fühlen uns recht wohl, beinahe zuhause … Doch der Blick auf die andere Seite des Meeres, nach Asien, ist voller Schwermut. Vorbeifahrende Schiffe grüssen, ebenso der volle Mond. Wie kann man nur so glücklich und gleichzeitig so voller Abschiedsschmerz sein?

 

Passender Song von 1975:  Patti Smith – Gloria

Und hier geht der Trail weiter … zurück nach Griechenland

Ähnliche Beiträge

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert