Manchmal – nicht zu häufig, denn das Leben ist kurz – wird man vom Gefühl gepackt, etwas Verrücktes tun zu müssen.
Etwas Gefährliches. Etwas fürs Alter, wenn nur die Vergangenheit und ein paar verrückte Erlebnisse geblieben sind.
Und manchmal weiss man vorher gar nicht, dass es gefährlich werden könnte.
Es geschieht hin und wieder und passt wunderbar ins Kapitel Reisen und Geschichten. Und es erinnert an andere Flussabenteuer, nicht weniger aufregend. Beispielsweise die Fahrt auf dem Nam Ou in Laos.
So geschehen auf dem Mekong. An einem wundervollen Morgen, eine leichte Brise weht, die Luft riecht erstaunlicherweise nach Frühling. Nichts deutet darauf hin, dass in einer halben Stunde alles anders sein wird.
Wer denkt an einem solchen Morgen schon an Nebel? An DICHTEN Nebel.
Der Passagier
Ich bin also zur verabredeten Zeit an der Anlegestelle, geht eben die Sonne auf. Ein wunderbarer Gruss zur richtigen Zeit.
Wie erwartet bin ich der einzige Passagier, offenbar gibt es sonst niemanden, der dieses kleine Abenteuer in Angriff nehmen möchte. Macht aber nichts, ich finde, ein bisschen gehört mir die heutige Fahrt ganz allein. Am Anfang kommt es zwar noch zu einer Diskussion, denn die Gasflaschen, die der Driver mitnehmen will, sind nicht unbedingt die Begleiter, die ich mir wünsche. Erst, als er sein Portemonnaie zückt, um mir mein Geld zurückzugeben, gebe ich nach.
Aber, dass sie leer sein sollen, wie er mir mit überzeugender Miene verspricht, daran glaube ich keine Sekunde. Jä nu, wird schon gut gehen.
Ein Wort zum Boot. Es ist klein, sehr klein. Wie sich hier bei Vollbesetzung vier Passagiere hineinzwängen sollen, ist mir schleierhaft. Eigentlich gibt es nur einen einigermassen anständigen Sitzplatz, die anderen sind knapp einen halben Meter lang und man sitzt am Boden. Der Driver sitzt zuhinterst am Steuer und Motor, sein Grinsen bereitet mich bereits darauf vor, was ich in den nächsten zwei Stunden zu erwarten habe.
Das Speedboot
Es handelt sich wie gesagt um ein Speedboat. Das bedeutet nichts anderes, als dass es mit Höchstgeschwindigkeit (so 50 bis 60 km/Std) den Fluss hinunter brausen wird, begleitet vom ohrenbetäubenden Gedröhn des Motors und dem Geräusch des aufgepeitschten Wassers.
Und der Driver gibt Gas, als müsste er dem Passagier zuallererst mal zeigen, wer der Boss ist.
Was er nicht weiss, ist, dass ich mich genau darauf gefreut habe. Wir zischen also los, zielen in die Mitte des Flusses und haben nun allen Platz der Welt. Vielleicht ist noch beizufügen, dass es kurz nach acht ist und tatsächlich nicht ein einziges anderes Boot zu sehen ist (ein äusserst seltenes Ereignis, was aber kurze Zeit später etwas zu meiner Beruhigung beitragen wird).
Die Nebelwand
Denn nach ein paar Kilometern taucht in der Ferne etwas auf, was man anfänglich nicht genau erkennen, geschweige denn identifizieren kann (wer den Highway 1 zwischen Los Angeles und San Francisco schon befahren hat, weiss wovon ich spreche: vom heissen Süden her kommend, sieht man etwa in der Mitte der Strecke von weitem eine Nebelwand, die sozusagen die Wärme von der Kälte trennt und man innert Minuten eine wärmende Jacke überziehen muss).
Wir tauchen in eine neblige Welt ein, in Sekundenschnelle verschwinden Ufer und alle anderen Orientierungspunkte in einer undurchdringlichen Suppe.
Wer nun denkt, dass dies eventuell gefährlich werden könnte und man besser etwas langsamer fährt, täuscht sich. Während ich Mühe habe, die eigene Hand vor den Augen zu sehen, gibt der Driver Gas, als wäre es ein wunderschöner sonniger Nachmittag. Ob er sich an den Leitspruch hält, dass am Vortag um diese Zeit auch kein Boot entgegengekommen ist, weiss ich nicht.
Dem Schicksal ergeben
Da man nichts machen kann, muss man sich dem Schicksal ergeben. Ich lehne mich also zurück, knöpfe meine Jacke bis zum Hals zu, denn es ist empfindlich kalt geworden. Der neblige Tau legt sich auf Brille und Kleider, es kommt mir vor, als würden wir durch eine riesige eiskalte Sauna fahren.
Nur ganz selten, wenn auch das angepeilte laotische Ufer im Weiss verschwindet, fahren wir ein bisschen langsamer, aber wirklich nur ein bisschen. So geht der Blindflug weiter, während ich hoffe, dass weder ein Fischerboot noch einer der riesigen Dampfer noch irgendein anderes potentielles Crashobjekt entgegenkommt.
Aber wie immer (wie meistens?) meint es Buddha oder wer auch immer gut mit uns, irgendwann löst sich die Suppe auf, und die Sonne bricht durch. Jetzt endlich erkennt man die Ufer, rechts die thailändische, links die laotische Seite.
Ein Katzensprung, und ich wäre in Laos (als Schweizer kein Problem, denn als einziges mir bekanntes Land braucht man kein Visum; niemand weiss den Grund dafür). Etwas weiter unten, wo sich der Fluss verengt, wird es etwas ruppiger. Wir werden ordentlich herumgeworfen, doch das Boot gleitet über die schlimmsten Stromschnellen wie ein schwereloser Pfeil.
Und dann, die Rauchsäulen zeigen es von weitem an, Chiang Khong, mein Tagesziel. Der Driver lacht immer noch, ich denke, dass er findet, einen sehr lukrativen Tagesbeginn erlebt zu haben. Er ist nicht der einzige, der grinst, denn auch für mich ist ein kleines Träumchen in Erfüllung gegangen …
PS Song zum Thema: The Rolling Stones – Doom and Gloom
Und hier geht die Reise weiter …