Der Morgen fängt gut an, wir sind, trotz Kälte und nächtlichen Störgeräuschen guter Stimmung, geniessen das Frühstück, lachen, schwatzen.
Ganz und gar überraschend hängt am frühen Morgen ein dünner Nebel in der Luft. Die Bäume im Hintergrund verschwinden in der milchigen Suppe.
Eine wunderbar friedliche Stimmung. Auch bei den Kühen.
Nebel
Die Phase des gegenseitigen Austausches von mehrheitlich banalen Reiseerlebnissen ist längst vorbei, jetzt sind beim Frühstück andere Themen angesagt. Von Game of Thrones bis Königin Beatrix, von Hauspreisen und Heiratsplänen, von dem, was in der Zukunft Angst macht, und dem, was nicht früh genug geschehen kann. Und über den Terrorismus, die Paris-Anschläge und all das, was sich daraus ergeben könnte.
Doch immer wieder schweifen unsere Blicke über die angrenzenden Wiesen, den Hof mit den Kühen, die gemütlich an ihrem Fressen kauen. Es ist der Nebel, der fasziniert. Er liegt wie ein schwebender Hauch schwerelos über der Welt, ein flirrender, sich bewegender Dunst, der alles mit einer milden Patina überzieht.
Einfach schön.
Dann wandern wir los. Zuerst in eine Art Apotheke, wo Sanny jemanden kennt, der ein todsicheres Mittel gegen Durchfall und Bauchschmerzen verkauft. Ich bin etwas misstrauisch, als er mir einen Becher mit einer seltsam aussehenden Flüssigkeit entgegenstreckt. Das Zeug sieht aus, als könnte man damit jemanden vergiften, aber was soll’s – viel schlimmer kann’s nicht werden. Und tatsächlich – im Verlauf des Tages erholt sich mein Magen-Darm-Trakt. Wahrscheinlich vor lauter Schrecken über die ungewohnte Medizin.
Frodo-Country
Heute sind noch einmal knapp 20 Kilometer angesagt, deswegen geht’s früh los, damit wir der sengenden Sonne entgehen können. Wir sind nun ein eingeübter Trupp, fast schon Profis, obwohl die zierliche Stefanie immer noch behauptet, alles, aber sicher keine Wandererin zu sein.
Die ersten paar Kilometer sind eine Reise durch Lord-of-the-Rings Territorium. Fast wie Frodo und seine Begleiter folgen wir dem schmalen Fusspfad, umgeben von mit Spinnweben behangenen Gebüschen, die sich leise im Morgenwind wiegen. Allerdings erinnern die Spinnweben auch an den Düsterwald, wo die 13 Zwerge mit Bilbo auf die mörderischen Riesenspinnen trafen. Das hingegen muss nicht sein. Oder hat sich da was bewegt im dichten Gebüsch?
Die ersten Kilometer entlang nebelverhangener Felder ist für mich der bisherige Höhepunkt dieses Treks, der weiss Gott viele wundersame Eindrücke gebracht hat. Man fühlt sich in einer eigenen Welt, bezaubernd und unheilvoll zugleich. Ein erinnerungswürdiger Tag.
Der Aussichtsturm
Irgendwann am Nachmittag fällt uns schon von weitem eine seltsame Konstruktion ins Auge. Ist es ein Aussichtsturm? Und falls ja, wofür? Es gibt weit und breit nichts zu sehen. Natürlich können wir der Versuchung nicht widerstehen, bis ganz nach oben zu klettern. Allerdings schwankt die Konstruktion unter dem Gewicht, und es ist empfehlenswert, die Tragfähigkeit nicht weiter zu testen.
Manchmal werden wir beobachtet, misstrauische Kinderaugen folgen unseren Bewegungen. Wenn wir in ihre Richtung sehen, wenden sie sich erschreckt ab und verziehen sich hinter ein Gebüsch. Aber sie sind einfach nur herzige Kinder. Man wünschte, ihnen allen etwas schenken zu können, aber dann bräuchten wir Lastwagen.
Geborstene Bäume und andere Überraschungen
Manchmal ist Sanny der einzige, der redet. Wir anderen sind gefangen in der Schönheit der Gegend und nehmen sie nur noch schweigend wahr. Jedes Wort ist überflüssig und würde den Frieden stören. Und gelegentlich tauchen Gedanken auf, die sich mit der Dezember-Kälte zuhause beschäftigen und der Tatsache, dass wir hier mitten im Sommer durch blühende Gegenden marschieren, schwitzend und manchmal fluchend, wenn sich die Sonne über Mittag mit gnadenloser Macht über uns hermacht.
Manchmal ein Stopp
Wie aus dem Nichts taucht immer mal wieder ein Dorf auf, oder zumindest so etwas wie ein Restaurant, wo sich die durstigen und müden Trekker verpflegen können. Wie immer fragt man sich, was die Leute machen, die hier ziemlich gelangweilt herumsitzen und offenbar in irgendeiner Weise zum Inventar gehören.
Die Erde wird rot
Je näher wir uns dem Tal nähern, in dem der Inle-Lake liegt, desto röter wird die Erde. Es geht abwärts, die Ebene öffnet sich.
Abschied von Sanny
Weiter also durch die wechselnd farbige Landschaft, doch nun geht’s mehrheitlich bergab, der Ebene entgegen, wo der Inle Lake liegt. Wir erreichen ihn sozusagen pünktlich, ein weiteres lukullisches Mittagsmahl erwartet uns, und Sanny gibt zum Abschluss eine weitere Kostprobe seiner KungFu Nummern zum Besten, diesmal mit Stöcken.
Also eines ist klar, mit ihm möchte ich auf keinen Fall in Streit geraten. Er würde mich – und auch die um einen Kopf grösseren Chris und Sebastian – schlicht und einfach zerschmettern. Der Abschied von ihm, denn ab hier übernimmt uns der Bootsfahrer, ist wehmütig, denn wir wissen, dass wir ihn nie mehr wiedersehen werden.
Der Inle-See
Die ersten Kanäle tauchen auf, braunrotes Wasser führend. Boote knattern vorbei, manche mit Lebensmittel gefüllt, die zu den Dörfern auf dem See gebracht werden. Spätestens jetzt kommen die Erinnerungen hoch. Der Ausflug zum Inlé-Lake war in jeder Beziehung ein Höhepunkt einer von Höhepunkten vollen Reise. Die Sehnsucht, dieses noch erhaltene Kleinod nochmals zu sehen, erfüllt sich heute.
Aber es ist auch ein Ort, in den ich mich rettungslos verliebt hatte. Allerdings befürchte ich das Schlimmste. Seit meinem letzten Besuch hat sich die Anzahl der Touristen vervielfacht, und jeder weiss, was dies für fragile Orte wie den Inlé-See bedeutet.
Zerstörung.
Aber wir werden sehen …
Ein zwiespältiges Erlebnis
Die Fahrt über den Inle See ist für mich ein zwiespältiges Erlebnis. Die Unterschiede zur Fahrt vor 11 Jahren sind krass: Nun brausen beinahe im Sekundentakt Speedboote vorbei, vollbeladen mit Touristen,, man hat den Eindruck, als wäre eine allgemeine Zerstörung in Gang gesetzt worden. Was unendlich schade wäre, denn dieses Kleinod sollte dringend geschützt werden.
Doch es macht den Anschein, als würden sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten. Das Wasser ist nicht mehr klar, es ist ganz offensichtlich verschmutzt, und nicht ganz unerwartet kann man Oelflecken auf dem Wasser erkennen. Die fragile Infrastruktur der schwimmenden Inseln ist gefährdet. Man muss sich vorstellen, dass diese schwimmenden Gärten von Menschenhand angelegt wurden. Sie dienen der Anpflanzung von Gemüse und Früchten. Werden sie zerstört, ist die Lebensgrundlage der Seebewohner akut gefährdet. Und das alles nur zum Wohl der in der Zwischenzeit zu Tausenden zählenden Touristen.
Ich nehme mich nicht davon aus, ich gehöre ebenfalls zur Zerstörungs-Brigade (was nicht nur für den Inlé-Lake, sondern für zahlreiche andere Schmuckstücke auf der ganzen Welt gilt). Wir sind auf der Suche nach Schönheit, vielleicht Abenteuer oder Abwechslung und merken nicht, was unser Tun für die Umwelt bedeutet.
Ich muss über die Bücher. Was allerdings sehr schwierig werden wird …
Weitere Abschiede
Und dann erreichen wir Nyaung Shwe, und ich sage Goodbye zu Chris und Stefanie, mach’s gut, Sebastian. Wir werden uns nicht wiedersehen.
Das Herz wird ein bisschen schwer.
Nyaung Shwe
Es scheint, dass nicht nur der Inle See sich gewandelt hat, sondern auch das früher so friedliche und gemütliche Nyaung Shwe. Ich kann mich an geruhsame Fahrradtouren erinnern, an Strassen ohne Verkehr, an eine entspannte Atmosphäre.
Das ist vorbei. Der Massentourismus hat Einzug gehalten. Die Hauptstrasse ist permanent verstopft, die Luft eignet sich kaum noch zu atmen. Waren vor 11 Jahren ein paar wenige Fahrzeuge auf der Strasse anzutreffen, so sind es heute hunderte, tausende. Überall Staus, Abgase, Hektik, und mitten drin – als Auslöser der ganzen Misere – die Touristen. In Scharen, nicht nur Backpacker, sondern jetzt auch die Vertreter des Massentourismus, riesige Cars, die ganze Wagenladungen ausspucken und auf die Stadt und den See loslassen.
Ein paar Impressionen von früher
Tja, es hat sich tatsächlich einiges verändert. Um einen Eindruck zu verschaffen, wie es vor einigen Jahren, d.h. vor dem Ansturm des Massentourismus, aussah, hier ein paar Impressionen. Sie machen mein Herz schwer …
Das Emerald Moon Hotel
Der Weg zu meinem Hotel ist wesentlich länger als in Booking.com beschrieben, und so bin ich ziemlich erschöpft, als das Emerald Moon Hotel endlich auftaucht. Ein Bungalow mit allen Wunderbarkeiten moderner Hotellerie wartet auf mich. Nicht ganz überraschend, dass ich um acht bereits in tiefem Schlummer liege …
PS Song zum Thema: Bob Seger and the Silver Bullet Band – Fire Lake
Und hier geht die Reise weiter …