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Hippie Trail

Der Hippie Trail – Durch die afghanische Wüste

Wenn man sich in der Wüste befindet, diesem unendlichen Meer aus fast nichts gegenübersteht, merkt man wieder, wie klein man ist, welch lächerlich verletztliches Wesen der Mensch doch ist. Und heute ist einer dieser Tage, wo wir uns tatsächlich klein und ziemlich verlassen vorkommen.

Aber alles der Reihe nach.

Die gesamte Strecke nach Kabul misst über 1000 Kilometer, mehrheitlich durch menschenfeindliche Umgebung, entlang schnurgerader Strecken, wo sich das Auge im immer Gleichen verliert, wo man von einer seltsamen Müdigkeit ergriffen wird.

Wir beabsichtigen, die Strecke in drei Abschnitte zu teilen. Dass sich das als eine Schnappsidee herausstellen wird, wissen wir an diesem kühlen, herbstlich anfühlenden Morgen noch nicht.

Benzintanken in Herat

Aber bevor es losgeht, müssen die Benzintanks gefüllt werden, wer weiss schon, welche Überraschungen auf uns warten. Und eine Panne infole fehlenden Benzins wollen wir uns nicht antun.

Das ist allerdings schneller gesagt alst getan. Denn nirgends ist das gute iranische Benzin zu kriegen, nur dieses stinkende Zeug aus Russland, dieses Shurewy Petrol oder wie auch immer dieses Ding heisst.

Und eine weitere Schwierigkeit tut sich auf, mit der niemand gerechnet hat (obwohl man dies nach den Erfahrungen in der Bank eigentlich hätte wissen müssen, von allen vorherigen Warnungen mal völlig abgesehen).

Anyway, Ueli ist das erste Opfer und merkt nicht auf Anhieb, dass er betrogen wird. Sein Beispiel zeigt die Funktionsweise der faulen Tricks . Also – die Rechnung beläuft sich auf 210 Afghanis. Man bezahlt also mit zwei Hunderter und einem Zehner. Dummerweise sehen die beiden Noten fast identisch aus, also quasi eine Vorlage für jeden Betrugsversuch.

Der Tankwart nimmt die drei Scheine entgegen, wechselt einen der beiden Hunderter blitzschnell und ohne dass es jemand merkt, in einen Zwanziger um. Dann reklamiert er freundlich und fast verschämt, dass er nur 130 Afghanis erhalten hat. Oh sorry, sagt man entschuldigend, und wechselt den Zwanziger folgsam gegen einen Hunderter ein. Und fertig ist der Betrug! Immerhin achtzig Afghanis für den Tankwart. Bei so vielen unbedarften Touristen muss das ein gutes Geschäft sein.

Und übrigens – bei der nächsten Tankstelle in der Wüste geschieht das haargenau Gleiche nochmals, und dann, erst dann, geht uns – und Ueli – ein Licht auf. Aber eben – man lernt nie aus.

Die Fahrt durch die endlose Wüste

Der Blick auf die Karte zeigt das Ausmass der uns umgebenden Einöde.

Genau gesagt handelt es sich um eine sogenannte Halbwüste, also viele Steine und Sand und gelegentlich ein paar vertrocknete Kameldisteln dazwischen. Man fragt sich dabei, wie die Kamele diese stachligen Dinger essen. Ein weiteres Mysterium, eines von vielen, die uns im Verlauf der nächsten Tage begleiten werden.

Lawrence of Arabia

Kann man an die Wüste denken, ohne „Lawrence of Arabia“ vor dem inneren Auge entstehen zu lassen? Die Nefud, die menschenfeindliche Wüste, die Lawrence mit seinen Beduinen durchqueren muss, um in Akaba die Türken zu vertreiben? So kommt es uns heute vor, nicht ganz so lebensfeindlich wie die Nefud, doch beängstigend leer und abweisend.

Ein Meilenstein der Filmgeschichte. Ein All-time-favorite, der immer noch zu begeistern vermag. Und ja, viele Jahre später ein ähnliches Erlebnis – in Vietnam.

Hier zwei berühmte Ausschnitte:

 

Lastwagen und Karawanen

Die Strasse verläuft lange Zeit schnurgerade dem verschwommenen Horizont entgegen. Eine Betonpiste russischer Bauart, sehr angenehm zu fahren, alle paar Meter macht es einen kaum wahrnehmbaren Hüpfer. So ist das also, der Nachbar aus dem Norden ist also nicht  nur mit Benzin vertreten sondern auch mit Strassen. Und ja, wir wissen, wozu dies geführt hat. Gerade mal vier Jahre später stellte die damalige Sowjetunion klar, wer im Land das Sagen hat, und überfiel das wehrlose Land.

Allerdings vergassen sie – wie viele vor und nach ihnen – die unvergleichliche Widerstandskraft des Landes, die es immer wieder schaffte, den Eroberern die Stirn zu bieten. Dass die Mujaheddin beim Widerstand gegen die Russen von den Amerikanern tatkräftig und mit vielen Waffen unterstützt wurden, ist eine andere Geschichte. Sie zeigt, wie politische Einflussnahme gepaart mit einer gewissen Einfalt zum Gegenteil dessen führt, was eigentlich beabsichtigt wurde (siehe Vietnam, siehe Irak).

Aber das war damals, im fernen 1974, eine Geschichte, die bei der Fahrt durch die afghanische Wüste eine untergeordnete Rolle spielte.

Ab und zu, ein seltenes Ereignis in der Wüste, ein einheimischer Lastwagen, vollbepackt nicht nur mit Material sondern auch mit Passagieren, die wie Kletten am Wagen hängen. Öffentlicher Verkehr? Fehlanzeige. Für die in der Wüste lebenen Menschen sind diese Lastwagen das einzige Mittel, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Für uns schlicht unvorstellbar, wie es sein muss, vielleicht stundenlang in der brennenden Sonne am Strassenrand auszuharren, um irgendwann mit etwas Glück eine Fahrgelegenheit zu finden.

Und dann, unerwartet und wie ein Phantom, eine Karawane. Kamele, Esel, vollverhüllte Frauen, Männer in ihren traditionellen Kleidern. Und Kinder. Ihre dunklen Augen bleiben auf uns haften, ihre Miene scheint zu fragen, wer wir sind, was wir hier tun, wohin uns der Weg führt.

Wahrscheinlich wissen wir es selbst nicht.

 

Obolus

 

Song von 1974:  Eric Clapton – Let it grow

Und hier geht der Trail weiter … in Kandahar und nach Kabul

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Die Stadt der Schlitzohren

Der Ruf des Muezzin weckt aus tiefem Schlaf, man kriecht empor aus dem Schlamm der Bewusstlosigkeit. Die erste Nacht in einem fremden Land. Irritierend, irgendwie surreal. Vögel begrüssen den Morgen jubilierend, ich hoffe für sie, dass es etwas zum Jubilieren gibt.

Später besteigen wir frohgemut eines der wartenden Gaudis (der Gaudi? das Gaudi?) und lassen uns durch die Stadt kutschieren. Die Sinne offen, lassen wir die fremden Aromen, Bilder, Geräusche der Stadt auf uns wirken. Eigentlich ist alles braun. Die Häuser. Die Strassen, die Gassen, die Hinterhöfe. Der Staub, der alles bedeckt. Monochromatisch.

Aber da sind Farben. Überraschend und doch wieder nicht. Denn der lokale Handel hat sich an die Nachfrage der Touristen angepasst.

Wandelnde Afghanmäntel

An allen Ecken und Enden laden kleinere und grössere Läden zum Eintreten, zum Shoppen, zum Feilschen. Ihr Angebot aus lokaler Kunstfertigkeit, manches heutig, anderes aus tiefster Vergangenheit,  lässt sich perfekt mit dem Geschmack der jungen Touristen koordinieren: Felldecken, Teppiche, Schmuck, alte Waffen und andere Antiquitäten, Stiefel und natürlich Afghanmäntel in unübersehbarer Menge und Qualität.

Unsere Reisegefährten, offenbar voller Respekt vor der zu erwartenden Kälte in den nördlichen Gefilden des Landes, lassen sich überreden und kleiden sich ein. Man könnte meinen, dass wir einen Auflug in die Arkis machen.

Es handelt sich nach erfolgtem Handel ohne Übertreibung um sechs währschafte wandelnde Afghanmäntel. Sie fallen allerdings nicht gross auf, denn jeder zweite Tourist sieht genauso aus.

Es könnte gut sein, dass sich ihre Vorsicht auszahlt, denn die frostigen Nächte in Kabul, von denen Heimkehrer raunen, könnten noch einige ungute Überraschungen bereiten.

Wir werden sehen. Aber es sieht auf jeden Fall schön aus, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig.

Türme und Moscheen

Eine leichte Brise weht, als wir uns den wirklichen Sehenswürdigkeiten der Stadt nähern. Manchmal hat man den Eindruck, dass es Dinge jenseits der profanen Wirklichkeit gibt. Es gibt Kunstwerke und Kunstwerke, diese hier gehören in die Kategorie ewiger Hinterlassenschaften menschlicher Kreativität.

Nur schon die Aussenmauern der Moschee sind eine Augenweide, und man fragt sich, welche Künstler hier am Werk gewesen sind. Das Auge kann sich kaum sattsehen, und immer wieder taucht die Überlegung auf, wie sehr sich diese Kunstwerke vom profanen Alltag der heutigen Zeit unterscheiden.

Aber so stehen wir halt da, staunend und mit offenem Mund, können kaum glauben, was die islamische Kunst der Welt hinterlassen hat.

 

 

Die Fremden sind Gäste

Etwas fällt sofort auf – im Gegensatz zu vielen Iranern sind die Einheimischen in Herat freundlich und zurückhaltend. Es scheint, dass Ehre und Tradition verlangen, die Fremden, auch wenn sie noch so seltsam erscheinen, als Gäste zu behandeln.

Aber vielleicht ist die Wirklichkeit viel profaner: sie interessieren sich schlichtweg nicht die Bohne für das seltsame Volk, das mehr durch Zufall in ihrer Stadt aufgetaucht ist. Also beachtet man sie gar nicht, ausser man will ein Geschäft mit ihnen machen. Und davon gibt es einige.

Darunter auch das Geschäft mit dem Geld.

Bankbeamte und andere Schlitzohren

Die Freundlichkeit und Zurückhaltung gilt allerdings nicht überall. Zum Beispiel dann, wenn unbedarfte Ausländer, denen man offenbar jede Intelligenz abspricht, vor dem Bankschalter stehen und Geld wechseln möchten.

Man betritt also als Kunde eine Bank, um Dollars in Afghanis zu wechseln. An sich eine einfache Geschichte, die man kennt. Nicht so hier in Herat (und sämtlichen zukünftigen Orten in diesem Land ebenfalls). Der Beamte, mit abweisendem grimmigem Gesichtsausdruck, als hätte er etwas Schlechtes gegessen, rechnet den entsprechenden Betrag aus und zählt die Scheine in Afghani auf den Tresen.

Während der Wartezeit – die Warteschlange ist lang – hat man Gelegenheit, seine Tricks zu beobachten, die zwar plumper nicht sein könnten, aber trotzdem funktionieren. Beim Herauszählen irrt er sich und zwar immer zu seinen Gunsten.

Eigentlich ist die Lösung ganz einfach. Man nimmt das Paket Noten – es sind viele – entgegen und zählt sie vor den Augen des Beamten nochmals durch, ganz langsam natürlich. Die ärgerlichen Blicke des Bankbeamten sagen alles. Denn der Betrag stimmt nicht. Es fehlen Noten, nicht viele, aber trotzdem.

Man gibt also das Bündel Noten zurück, er zählt grimmig ein zweites Mal, legt ein paar Noten hinzu. Und diesmal stimmt es. Zumindest fast. Aber der Sieg ist so überwältigend, dass man grosszügig über den kleinen Betrag, der immer noch fehlt, hinwegsieht und sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen kann.

Soviel zu diesen unnötigen Kleinkriegen. Man muss sie mitmachen, ob man will oder nicht.

Feilschen und Tee trinken

Aber schliesslich sind wir hier im Orient, wo kein Produkt, und sei es nur eine Handvoll Äpfel, keine Dienstleistung, einen festen Preis hat. Wo alles und jedes zuerst ausgehandelt werden muss. Und damit muss man sich als Europäer, gewohnt an feste Regeln und Preise, zuerst anfreunden. Auf jeden Fall dauert es seine Zeit, bis man die innere Blockade überwindet und selbst zum professionellen Feilscher wird.

Natürlich sind auch die Strassenhändler Schlitzohren, die sich niemals eine Gelegenheit entgehen lassen, einen Kunden übers Ohr zu hauen. Doch das geschieht mit einer gewissen verschmitzten Lässigkeit.

Und so findet man sich plötzlich auf dem Boden sitzend und Tee trinkend, während der orientalische Teppichhandel in die nächste Phase geht. Wenn die Händler nämlich merken, dass man ein harter Verhandlungspartner ist und nicht den erstbesten, viel zu hoch angesetzten Preis akzeptiert, dann beginnt das wirkliche Spiel, dessen Ausgang von Anfang an klar ist.

Das schlaue Grinsen im Gesicht zeigt, dass am Ende zwar immer der Händler gewinnt, man dem Kunden aber den Anschein vermitteln will, dass er gewonnen hat. Schliesslich soll er wiederkommen.

Dem sagt man wahrscheinlich die Psychologie der alltäglichen Wirklichkeit.

So geht der Tag vorüber, man möchte bleiben, eintauchen in die Seele dieses seltsamen Ortes, der soviel auslöst. Aber wir müssen weiter, bis Kabul sind es über 1000 Kilometer durch Wüste und Einöde. Immerhin tröstet uns der Gedanke, dass wir uns auf dem Heimweg wiedersehen werden.

 

Song von 1974: Stevie Wonder – Living for the City

Und hier geht der Trail weiter … nach Kandahar

 

Hippie Trail

The Hippie Trail – Herat in der Wüste

Trotz der übermässig langen Prozedur an der Grenze sind wir tatsächlich in der Lage, die erste grosse Stadt in Afghanistan, Herat, noch bei Tageslicht zu erreichen. Die Strasse ist erstaunlicherweise asphaltiert, eine erste positive Überraschung. Hoffentlich nicht die letzte.

Einstmals und jetzt

Herat, die Hauptstadt der Provinz Herat und die zweitgrößte Stadt des Landes nach Kabul, hat eine lange Geschichte. Mitten in der Wüste liegend, war sie früher eine lebendige Handelsstadt auf der Seidenstrasse von Europa nach Asien. 

The ancient Silk Road
Die alte Seidenstrasse

Wiki meint dazu:

Alexander der Große eroberte die Stadt 330 v. Chr. und baute sie unter dem Namen Alexandria in Aria zu einem militärischen Stützpunkt aus. In dieser Zeit entstand die berühmte Zitadelle der Stadt. Die Region um Herat wurde nach dem Fall der Seleukiden von den einheimischen Parthern erobert – von hier aus begann die Gründung des mächtigen Parther-Imperiums.

Mit dem Fall der persischen Sassaniden wurde Herat Teil des muslimischen Kalifats. Die Samaniden erhoben Herat später zu einer Residenzstadt und entwickelten sie zu einem Zentrum der persischen Kunst, Kultur und Literatur

Zeugen einer ruhmreichen Vergangenheit

Heute hat sie ihre frühere Bedeutung weitgehend verloren, doch immer noch zeugen eine Moschee und ein Fort von ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Vieles davon lässt die Wunder von Maschhad beinahe vergessen.

Herat ist eine alte Stadt mit vielen historischen Bauwerken. Die meisten Gebäude sind aus Lehmziegeln erbaut. Die kürzlich wiederaufgebaute Zitadelle von Herat, die unter Alexander dem Großen errichtet wurde, beherrscht die Ansicht der Stadt. Im 15. bis 17. Jahrhundert wurde Herat auch als das Florenz Asiens bezeichnet. (Wiki)

 

 

Herat war offenbar lange Zeit ein Zentrum der persisch-muslimischen Kulturwelt.

Haben wir das gewusst? Natürlich nicht. Wir müssen zugeben, dass wir wieder einmal ohne jegliche Ahnung sind. Afghanistan liegt weit weg, weiter als unser geschichtlicher und geographischer Unterricht gereicht hat. Wer interessiert sich schon für die reichhaltige Vergangenheit eines unbekannten Landes irgendwo im tiefsten Asien, wenn die Schlacht bei Näfels im Vordergrund steht.

Immerhin erfahren wir einige Details (viele davon sehr viel später). Zum Beispiel, dass die Stadt für ihre bedeutende Kunst- und Literaturtradition besonders bekannt ist. Und dass Herat zudem für seine handgeknüpften Perserteppiche einige Berühmtheit erlangt hat. Man spricht deswegen vom nach der Stadt benannten Herat-Stil. Er gehört zu den teuersten und bekanntesten seiner Art.

Car-Parking

Als Tourist – wer hätte das gedacht – hat man keine Probleme, eine Unterkunft zu finden. Der Hippie Trail hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Überall hängen Tafeln, die auf günstige Car-Parking Möglichkeiten oder Ähnliches hinweisen.

Nach all den seltsamen Übernachtungen im Verlauf der letzten Wochen landen wir schliesslich sehr zufrieden in einem riesigen Park eines Hotels inmitten gepflegter Gärten und Bäume. Man fragt sich allerdings, für wen dieser Aufwand betrieben wird, denn wir sind die einzigen Gäste. Und eben darum werden wir mit überschäumender Freundlichkeit empfangen, als ob wir die Könige von Frankreich wären.

Nicht verwunderlich, dass wir die Annehmlichkeiten in extremis geniessen. Warmes Wasser, keine lärmigen Nachbarn oder vorbeidonnernde Lastwagen, Infrastruktur für alles und jeden. So könnte man es sich gefallen lassen. Nach einer überaus angenehmen Nacht geht es am nächsten Morgen darum, die unbekannte Stadt zu erobern. Was nicht überraschend mit einem Gaudi passiert.

Gaudis und buntgeschmückte Lastwagen

Die Stadt erinnert an die autofreien Sonntage während der Oelkrise. Keine Autos auf der Strasse, dafür viele Fussgänger. Sehr angenehm und sehr entspannend.

Ausser den buntgeschmückten Lastwagen sind auf den Strassen nur dies sogenannten Gaudis zu sehen. Es handelt sich dabei um zweirädrige Vehikel, die von einem Pferd gezogen werden.

Es erinnert entfernt an alte Zeiten, die noch gar nicht so lange zurückliegen. Aber das wird uns in den nächsten Wochen noch häufig begegnen.

Später, viele Jahre später, werde ich an diese sogenannte Dischronie denken, in Ladakh, bei den Klöstern und ihrem direkten Draht zum Himmel. Es scheint, als wäre man aus der Zeit gefallen, als ob man in einer Zeit gelandet wäre, die längst vergangen ist.

Manchmal ist es irritierend, sogar ein bisschen beängstigend, aber immer überraschend und von wohltuender Anderstheit. Man könnte sagen, dass wir hier in Herat zum ersten Mal an einem Ort sind, der jenseits aller bisherigen Vorstellungen liegt.

Ein sehr fremdes Land

Wir sind nun mitten im Herz eines sehr fremden Landes. Man hätte annehmen können, dass sich die beiden benachbarten Länder Iran und Afghanistan nicht allzu sehr unterscheiden, aber weit gefehlt. Ob die unterschiedliche religiöse Strömung – hier Sunniten, da Schiiten – oder der sehr unterschiedliche ökonomische Stand eine massgebliche Rolle spielen, ist für uns Aussenstehende schwierig zu verstehen.

Tatsache ist, dass hier die extremeren Auswüchse häufiger zu sehen sind. Frauen tragen durchwegs die Burka, dieses Kleidungsstück, das der vollständigen Verschleierung des Körpers dient.

Wiederum ein tiefer Griff in die Wikipedia Wissenskiste:

Die afghanische Burka (Ganzkörperschleier wird in Afghanistan als چادرى Tschaderi und das Kopftuch als چادر Tschadar bezeichnet) besteht aus einem großen Stofftuch, mit dem oben eine flache Kappe vernäht ist. Manchmal ist im Stirnbereich ein Gummiband vernäht. Im Bereich der Augen ist eine Art Gitter aus Stoff oder Rosshaar als Sichtfenster eingearbeitet. Das Gesicht ist bei der afghanischen Burka vollständig bedeckt. Der Stoffüberwurf reicht entweder in der Rückenpartie bis auf den Boden und vorn bis zur Hüfte oder er fällt rundum bodenlang. Das Kleidungsstück entstand aus der Verbindung eines Körperschleiers mit einem Gesichtsschleier.

 

Die Männer tragen ihre traditionelle Bekleidung, einen Turban, kunstvoll geschlungen, dazu lange wallende Hosen, darüber eine Art Hemd, das bis zu den Knien reicht. Je nach Laune oder Wetter wird bei sehr vielen noch eine Weste oder ein Jackett getragen.

Selbstverständlich alles in grosser Würde. Es ist nicht erstaunlich, dass wir schon nach kurzer Zeit eine ziemliche Hochachtung entwickeln.

 

Song von 1974: Cockney Rebel – Tumbling down

Und hier geht der Trail weiter … in Herat

 

Burma

Chiang Mai revisited

Gibt es sowas wie eine universelle Sprache, die uns alle verbindet?

Etwas vom Einprägsamsten, aber gleichzeitig etwas, was kaum nacherzählt werden kann, sind die Gespräche mit den Einheimischen, die in den seltensten Fällen ein einigermassen gutes und verständliches Englisch sprechen.

Die Unterhaltung mit der Inhaberin eines Restaurants in Chiang Khong namens Jam („Jams Restaurant“, ungefähr so schräg wie „Alice’s Restaurant“ von Arlo Guthrie) sind ein leuchtendes Beispiel für die wunderbare Vertracktheit der Sprache und die Schwierigkeiten menschlicher Kommunikation und wie es trotzdem gelingt, gegenseitiges Verständnis zu schaffen.

 

Jam’s Restaurant

Madame Jam
Madame Jam, wie sie leibt und lebt

Jam ist eine rundliche, unendlich liebenswürdige Frau mit einem ewigen Lächeln im Gesicht. Wir verstehen uns auf Anhieb. Während ich auf den Bus nach Chiang Mai warte, spüre ich etwas Hunger, denn das Frühstück im Hotel war alles andere als geniessbar.

Jam will mir Fried Rice („Fried Ri“, bedeutet Rice, die Asiaten können das s am Ende nicht aussprechen) aufschwatzen, aber das ist definitiv nicht mein Cup of Tea am Morgen. Wir einigen uns schliesslich auf einen Banana Pancake, der von Jam mit Würde und Stolz serviert wird.

Im Hintergrund werkelt ein junger Mann in der Küche. Alle paar Augenblicke wirft ihm Jam ein paar Worte in hartem Befehlston zu, die dieser mit einem apathischen Schulterzucken beantwortet. Er stammt aus Laos, Jam ist aber offensichtlich nicht besonders begeistert von ihm („very slow“).

Ebenso wenig hält sie vom Manager meines Hotels, der gemäss Jam früher bei der Polizei war, aber auch dort nicht zu gebrauchen war („he no good“). Ich muss ihr zustimmen, denn gestern Abend, nach meinem Speedboat Abenteuer, versprach er, mich im Dorf nach dem Abendessen abzuholen, was er aber vergass und ich auf die gütige Hilfe zweier junger Damen angewiesen war, die mich spätabends ins Hotel zurück brachten.

Aber wir unterhalten uns prächtig, unser Lachen lässt sogar die Leute auf der Strasse einhalten und uns einen fragenden Blick zuwerfen.

Der Bus allerdings ist längst überfällig, was mich aber nicht stört, die wunderbaren Gespräche  mit Jam machen das Warten nicht nur erträglich, sondern zu einem echten Erlebnis.

Aber irgendwann taucht dann doch der Bus auf, und wir verabschieden uns mit ganz viel Wehmut …

Wie schnell sich doch zwei wildfremde Menschen verstehen lernen.

 

Zurück in Chiang Mai

Die Busfahrt nach Chiang Mai ist nachdenklich, beinahe wehmütig, denn eines ist schmerzlich klar: meine unvergleichliche Reise nähert sich ihrem Ende. Der Bus hält an den üblichen Orten, die mir langsam bekannt vorkommen, man steigt aus, verköstigt sich mit mehr oder weniger Lust und Hunger, dann geht es weiter, der brummende Motor als begleitendes Orchester.

Es ist erst Nachmittag, als wir Chiang Mai erreichen, ich suche mein Hotel, lasse mein Gepäck im für einmal riesigen Zimmer und mache mich auf den Weg in die Altstadt, wo mich eine alte Freundin erwartet. Vorbei an Tempeln, die mir neu sind, und an solchen, die ich in der Zwischenzeit kenne, gehe ich langsamen Schrittes durch die engen Gassen, der Lärm der breiten Strassen hinter mir lassend.

Und während ich so dahinschreite, formieren sich in meinem Kopf die letzten Wochen zu einer unentwirrbaren Reihe von Erlebnissen und Erkenntnissen, und ich bin mir bewusst, dass sie widerstandslos in der Dunkelheit des Vergessens verschwinden werden. So wie so vieles andere.

Einiges wird bleiben – die Zugfahrt nach Norden, der Ghostrider-Ritt in der Nacht, der Trek zum Inle See, das Ballonfestival in Taunggyi. Anderes wird, so funktioniert unser Gehirn, unser Gedächnis, wie der Regen auf der Windschutzscheibe weggewischt werden, um Platz für Neues zu schaffen.

 

Tempel in Chiang Mai  Tempelruine

Temples and Buddhas  Eternal Buddha

Glück gehabt

Die drei jungen Herren, allesamt um die zwanzig, krachen samt ihrem Motorrad nur Millimeter entfernt an uns vorbei und prallen mit dreifachem Aufschrei auf dem harten Asphalt auf.

Manchmal entscheiden eben nur ein paar lausige Millimeter über die Fortsetzung des Spaziergangs oder einen längeren Aufenthalt im Spital. Die drei Burschen (der eine stöhnt zwar entsetzlich und bleibt am Boden liegen, aber wir vergewissern uns, dass nicht allzu viel passiert ist) haben mit viel Glück Schlimmeres vermieden. Ob verdient oder nicht, sei dahingestellt.

Wir stehen eben im Begriff, einen Fussgängerstreifen bei Grün zu überqueren. Die drei Verunfallten, Idioten wie viele und überall in diesem Alter, waren wohl zu schnell unterwegs.

 

Reisevirus

Wir haben also wieder mal Glück gehabt, wie schon oft in unserem Leben.

Wenn es um Glück geht, um überstandene Risiken und Gefahren, tauchen zwangsläufig Erinnerungen auf, vor allem an unsere gemeinsame Reisevergangenheit, vielleicht an den Anfang aller Reisen, den Urknall.

Damals, als der Geist war aus der Flasche entkam, die Krankheit, die man Reisefieber nennt und durch einen Virus ausgelöst wird, den man nie wieder los wird.

 

Der Hippie-Trail

Es geht um jene unvergessliche Reise nach Indien und Nepal.

Entlang des legendären Hippie-Trails.

Durch den Balkan, Griechenland, Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Nepal.

Unvergesslich die unzähligen Pannen mit unserem alten, abgewrackten VW-Bus.

Die schon damals nicht ungefährliche Durchquerung der afghanischen Wüste.

Der nervtötende Strassenverkehr in Indien.

Die Überquerung gefährlicher Pässe in Nepal.

Das Staunen vor dem Taj Mahal.

Oder vor den riesigen Buddhastatuen in Bamiyan.

Und, und, und …

 

Somewhere in the middle of the Afghan desert
Irgendwo inmitten der afghanischen Wüste

Das alles ist irgendwo noch da, vergraben im Langzeitgedächtnis, aber wenn der richtige Trigger gedrückt wird, startet der Film. Und alles ist wieder da.

Dann kommt alles wieder an die Oberfläche, samt Geräuschen, Farben, Gerüchen, Stimmen, Lärm und dem Dröhnen des 1200 Kubik VW-Boxermotors, der uns trotz allen Widerständen und über 2 Tonnen Gewicht über höchste Pässe, durch heisseste Wüsten bis nach Nepal und wieder zurück nach Hause brachte.

Dieses kleine Wunder der Technik, dem ich heute noch grössten Respekt entgegen bringe.

 

Taj Mahal - few tourists at that time
Taj Mahal – damals noch nicht mit Millionen von Touristen

 

Bamyan Buddja statues - now completely destroyed
Die legendären Buddha-Statuen in Bamiyan – damals noch existierend, in der Zwischenzeit durch die Taliban zerstört

 

Early in the morning in Varanai

Denn es ist klar: mit dem heutigen hochkomplizierten elektronischen Schnickschnack, der in jedem Auto eingebaut ist, wäre jede Panne irgendwo am Arsch der Welt in Indien ein fatales Disaster.

Konnte vor vierzig Jahren jeder einigermassen talentierte Inder mit Hammer und Säge und Schweissbrenner jeden noch so schlimmen Schaden beheben, so wäre dies heute ein Ding der Unmöglichkeit …

 

Die Unbedarftheit ist verloren gegangen

Aber wir sind uns bewusst, auch ein paar andere Dinge wären heute unmöglich. Es würde uns an allem fehlen, was zu dieser Zeit noch vorhanden war.

An Mut, an Entschlossenheit, vor allem aber an einer riesigen Portion Unbedarftheit.

Denn das waren wir, vollkommen unbedarft, keine Gefahren sehend, nur das Ziel vor Augen, irgendwie, irgendwann nach Indien zu kommen.

Dass wir es schafften, Schritt für Schritt, von einem Problem zum nächsten, ist aus heutiger Sicht ein Wunder, ein Wunder, das ohne Übertreibung als ganz besonderer Höhepunkt unseres Lebens betrachtet werden kann und niemals wiederholt werden könnte.

Aber jetzt sind wir hier, in der Gegenwart, alt geworden, vielleicht, wenn wir Glück haben, jung geblieben …

Aber irgendwann wird auch diese Reise Gegenstand eines eigenen Berichts werden.

Irgendwann. Zum Beispiel hier.

 

PS Song zum Thema:  Scott McKenzie – San Francisco

Und hier geht die Reise weiter …