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Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Steine und Schnecken und Regen

Das wahre Highlight des Tages ist das Frühstück mit der Sikh Familie. Während ich in aller Ruhe in meinem opulenten Frühstück stochere, leistet mir das Ehepaar Gesellschaft.

Er erzählt die irre Geschichte seines Wegs, der ihn von allen Orten der Welt ausgerechnet nach Amden geführt hat. Offenbar ist das Hotel längere Zeit leergestanden, sozusagen ein Schnäppchen für jemanden, der zeigen will, dass er fähig ist, eine auf den ersten Blick aussichtslose Sache zum Erfolg zu bringen. Seine Zuversicht ist ansteckend, ein Beispiel für die ewig ängstlichen Schweizer, die immer nur an die Risiken und selten an die Chancen denken? Ich verlasse mich auf die junge Generation. Sie tickt definitiv anders.

Im Gegenzug erzähle ich von meinen Erlebnissen im Punjab bzw. in Amritsar, vor langer langer Zeit, als die Welt noch jung war.

Der heutige Plan bietet eine Menge Meter und Kilometer, leider nicht die attraktivsten.

 

From Amden to Siebnen

 

Der Retter der Regenwürmer und Weinbergschnecken

Bevor es auf der Linthebene nur noch gerade aus geht, führt der Weg über einen alten historischen Saumpfad von Amden nach Weesen hinunter. Zuerst geht es aber wie üblich durch nasse glitschige Wiesen hangabwärts, wie immer leitet mich mein alter Freund, der 3-Wegweiser.

 

on wet meadows downwardsmy friend, the 3 signpost

Ich werde definitiv in den Schnecken- oder zumindest in den Regenwurmhimmel kommen und dort als Retter und Wohltäter gefeiert. Keine Ahnung, wieviele Regenwürmer ich die letzten Tage von den nassen Strassen auf die angrenzende Wiese in Sicherheit gebracht habe (das Bücken mit dem schweren Rucksack bringt weitere Pluspunkte im Wurmuniversum).

Heute sind die Weinbergschnecken an der Reihe.

Am Anfang denke ich an einzelne Exemplare, bis sich ihre Anzahl allerdings so schnell vervielfacht, dass sich jede Rettungsaktion in eine länger dauernde Übung entwickeln würde. Ich habe noch nie derart viele dieser wunderbaren geschützten Schnecken gesehen, es muss sich hier also um ein eigentliches Schneckenparadies handeln.

Sehr schön! Dann kriecht und vermehrt euch schön, meine Lieben!

 

One of hundreds of snails

Immerhin blinkt durchs dichte Blättergewimmel bereits der Walensee herauf, eine hellblaue Lagune, gekrönt von den hinter weisslich grauen Umhängen versteckten Glarneralpen. Ich hätte gerne einen Blick auf sie geworfen, aber das wird mir heute wohl verwehrt bleiben.

 

the Walensee is blinking from down there

 

Der Treppenweg

Am Anfang ist der Weg sehr angenehm, leicht bergab führend, ein Vergnügen. Doch dann beginnen die Treppenstufen, und man ahnt es – kein Vergnügen mehr, vor allem nicht für die Knie, die bereits wieder lauthals protestieren. Jede Stufe ist hoch, viel höher als man sich gewöhnt ist. Es erinnert mich an die verflixten Stufen auf dem Langtang Trek in Nepal, der mich dazu verleitet hat, jedem zukünftigen Trek abzuschwören.

Der Treppenweg, als Wegbaukunst zum Kulturgut erklärt, wurde in den Nullerjahren restauriert, sodass man nun aus eigener Erfahrung mitfühlen kann, welche Strapazen früher erlitten werden mussten, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

 

The historic stairway
Der historische Treppenweg

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie die Leute früher mit Sack und Pack, wahrscheinlich mit Hilfe von Eseln oder Maultieren, bis 1882 über Hunderte von anstrengenden Steinstufen diesen steilen Weg hinauf oder hinunter geschafft haben. Andererseits weiss man sehr genau, welche Mühsal das Leben früher gewesen sein muss. Keine angenehme Zeit, auch wenn sie gelegentlich romantisiert wird.

 

not very comfortable

across a vertical wall

restored stairway

 

Endlich im Tal

Das Städtchen Weesen am Walensee ist berühmt für sein mildes Klima, Trauben und Feigen gedeihen hier, man fühlt sich wohl.

Nach dem Abstieg über den Treppenweg habe ich mir eine Pause verdient, doch nur eine kurze, der Weg ist weit bis Siebnen. Heute ist eine der längsten Etappen angesagt, und ganz ehrlich, auch eine der langweiligsten und ödesten des ganzen Wegs. Aber auch die müssen absolviert werden.

Immerhin, der Weg der Linth entlang, hier ein schnurgerader Kanal, der sich bis zum Zürichsee hinzieht, ist eine mehr als willkommene Abwechslung nach all den Hügeln und Bergen und steilen Wegen.

 

Along the Linth

Die Wiesen stehen in voller Blust, man könnte meinen, es gäbe was zu feiern. Aber vermutlich nützen die Pflanzen den kurzen regenfreien Augenblick, um Sonne und Wärme zu tanken, bevor sie der nächste Schwall Nässe trifft. Der Himmel macht einen bedenklichen Eindruck, als würde meine Wetterprognose in absehbarer Zeit eintreffen.

 

Flowers along the Linth

Poppy field

Der Blick geht ins Tal hinein, ins Glarnerland mit dem Glärnisch und dem Rauti, verdeckt von dicken Wolken, die nichts Gutes für den Nachmittag bedeuten. Ich befinde mich nun sozusagen in meiner engeren Heimat, Näfels ist einen Katzensprung entfernt, ich könnte einen Abstecher zu meinen Verwandten machen, aber eben, der Weg ist wie gesagt noch weit (und der Himmel verdüstert sich einmal mehr).

 

white hats on the mountains

 

Hinaus auf die Linthebene

Der Linthkanal (oder Escherkanal) macht einen Schwenk nach rechts, passiert das Dorf Ziegelbrücke und führt dann schnurgerade in Richtung des Zürichsees.

Man kann nicht über den Linthkanal sprechen, ohne ein Wort zur Vergangenheit zu verlieren. Vor der Linthkorrektion 1807-1822 durch Hans Conrad Escher von der Linth vereinigte sich bei Ziegelbrücke die Linth mit der Maag, dem früheren Ausfluss des Walensees. Ab dort mäandrierte die Linth stark und war durch die Anlagerungen von Sandbänken nur bedingt schiffbar.

Durch den Linthkanal – die kanalisierte Maag zwischen Weesen und Ziegelbrücke und die korrigierte Linth zwischen Ziegelbrücke und Zürichsee – fliesst das Wasser seither ohne Geschiebe weiter. Der Geschieberückstau der Linth hatte zuvor zu einer Versumpfung der Linthebene und zu wiederholten Überschwemmungen in Weesen geführt.

Durch den Bau des Linthwerks mit Escher- und Linthkanal senkte sich der Pegel des Walensees um mehrere Meter, das grosse Malaria-verseuchte Sumpfgebiet zwischen Walensee und Obersee konnte trockengelegt und durch wertvolles Kulturland ersetzt werden.

 

Nordwärts auf der Linthebene

Bei Ziegelbrücke verlasse ich den Kanal und drehe nach Niederurnen ab, in der Hoffnung, ein Restaurant zu finden. Die anstehende Abstimmung (über die ich später noch einige Worte verlieren werde) hinterlässt ihre Spuren auch im kleinen Café, wo ich meine müden Knochen ausstrecke.

Und nicht zum ersten Mal befürchte ich nach den aggressiven Aussagen der Wirtin das Schlimmste (ich sollte recht behalten).

Nördlich von Niederurnen führt wider Erwarten abseits der Hauptstrasse tatsächlich ein Wanderweg dem Waldrand entlang. „Glarner Wanderwege“ heisst es auf zahlreichen Schildern. Die besagten Wanderwege sind gut, allerdings scheint man die Sitzbänke entlang des Weges vergessen zu haben. Es dauert einige Zeit, bis ich mitten in der Verbrennungsanlage wenigstens einen flachen Stein finde, auf dem ich, beobachtet von misstrauischen Arbeitern, mein Mittagessen einnehme.

Nichts gegen die Glarner Wanderwege, aber die erste Sitzbank taucht kurz nach der Kantonsgrenze zu Schwyz auf. Keine Lorbeeren für die Glarner, aber einige für die Schwyzer (es sollten die einzigen bleiben). Eine keuchende Frau mit Hund joggt vorbei, die Frage, ob der Hund keine Probleme mit dem Tempo hat, beantwortet sie mit: „er nicht, aber ich“.

 

still dry weather

 

Geschichten von Weitwanderern

Dann in Reichenburg endlich ein Restaurant, sogar mit Garten. Falls jemand meint, dass ich den Hauptteil meiner Wanderung entweder auf Sitzbänken oder in Restaurants verbringe, hat er nicht ganz unrecht. Ich muss oekonomisch wandern, meine Kräfte einteilen, sonst bleibt Genf ein ferner Traum. Also suche ich jeweils nach 90 Minuten einen Platz zum Ausruhen.

Der Wirt setzt sich zu mir, will wissen, wo’s hingeht. Er nickt bedächtig, erzählt dann allerdings von einem 75-jährigen Deutschen, der sich sozusagen seit Jahren auf allen Weitwanderwegen Europas herumtreibt. Also von Kiel nach Kroatien, dann via Italien nach Spanien und weiter quer durch den Kontinent. Sein Handy habe er zuhause gelassen, weil ihn sonst seine Frau ärgere, die dauernd wissen wolle, wo er sei.

Was soll man da sagen? Ich fühle mich mit meinen geplanten 500 Kilometern wie ein Anfänger, ein Niemand (ich werde später kurz vor Genf noch so einen Wahnsinnigen treffen, der auf dem Weg nach Jerusalem ist). Immerhin scheine ich nicht der einzige Spinner unterwegs zu sein. Was ein immerhin kleiner Trost ist.

 

 

Es regnet wieder mal

Der Wirt meint, dass es nicht so ernst sei mit dem Regen („es wird ihn sicher wegwinden“). Wie die nächste halbe Stunde zeigt, kann man sich auf solche Prognosen nicht verlassen, denn es beginnt zu pissen, was das Zeug hält.

Was ich Gottlob nicht weiss, ist, dass es bis Siebnen anhalten wird.

Eigentlich würde der Weg nun auf den weiten Feldern nördlich Reichenburg weiterführen. Angesichts des Gewitters mit Blitz und Donner ziehe ich es vor, der Hauptstrasse zu folgen.

Was nun folgt, ist eine endlos lange Wanderung entlang jämmerlich hässlicher Strassen und Dörfer. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum diese einstmals hübschen kleinen Orte derart verschandelt worden sind. Ein unansehnliches Industriegebäude nach dem anderen (die meisten davon in irgendeiner Weise mit Autos verbunden, Garagen, Autohandel, Pneuhandel, Landwirtschaftsmaschinen). Dank dem Regen schaue ich geradeaus, um mich nicht durch die vollkommene Abwesenheit von Schönheit ärgern zu lassen.

 

Schritt um Schritt

Und so trotte ich vor mich her, der Regen peitscht in mein Gesicht, die Autos und Lastwagen schleudern beim Vorbeifahren Gischt über mich, es ist mir egal. Ich spule lange, endlos lange, teilweise schnurgerade Strassen in gemächlichem Tempo ab, ich muss nicht pressieren, nass bin ich sowieso.

Nicht zum ersten Mal verspüre ich das Meditative beim Gehen. Der Geist hat sich verzogen, das Denken eingestellt, man setzt einen Fuss vor den anderen, alles verschwindet ausser den nächsten Metern, dem nächsten Dorf, der nächsten Abzweigung. Nicht-Wanderer werden es nie begreifen, aber genau diese Momente sind es, die es zu etwas Besonderem machen. Man müsste es jedem empfehlen, der in Problemen steckt, Depressionen, Burnout, Verlorenheit.

Man muss einfach nur gehen. Mit oder ohne Rucksack, bis zur Erschöpfung, bis man nicht mehr kann, bis die schlimmen Gedanken und Gefühle weggebrannt sind.

 

Endlich da

Schliesslich Schübelbach, dann Buttikon, keine Grenze mehr erkennbar, alles ist miteinander verschmolzen, doch die Umgebung gewinnt auch jetzt nicht an Attraktivität. Vielleicht ist es das schlechte Wetter, vielleicht die letzten Tage mit der Erfahrung der Schönheit der Berge und Täler, dass mir die Hässlichkeit der Umgebung derart ins Auge sticht.

Manchmal setze ich mich auf einen nassen Stein am Strassenrand, müde und mit elenden Knieschmerzen, aber es ist nicht mehr weit bis Siebnen. Die ersten Häuser tauchen auf, ein Mann in meinem Alter bleibt vor mir stehen, fragt nach meinem Befinden. „Da scheint jemand müde zu sein.“

Wir lachen, haben offenbar gemeinsame Freunde in Näfels, ein hochwillkommenes Treffen. Die letzten Meter zum Bahnhof, wo mich mein Freund Nestel erwartet, sind sehr viele Meter, denn der Bahnhof liegt natürlich am anderen Ende von Siebnen. natürlich erkennt er mich nicht in meinen Regenklamotten, kein Wunder, ich muss aussehen wie ein Fremder.

Das Zimmer ist schön, das spätere gemeinsame Nachtessen genau das, was mich von den Erfahrungen des Tages rettet. Morgen geht’s weiter. Allerdings habe ich nach den heutigen knapp 30 Kilometern und 8 Stunden keine Lust auf eine weitere Monsteretappe.

Ich werde mir eine Alternative überlegen. Mal schauen …

 

Song zum Thema:  Bruce Ruffin – Rain

Und hier geht der Trail weiter … nach Einsiedeln

 

Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Irrungen und Wirrungen

Irgendwann möchte ich aufhören, den Tag mit Regen zu beginnen und mit Regen zu beenden.

Ich hoffe, dass heute der Tag der Auferstehung bedeutet, der Tag mit dem letzten fucking Rain bis Genf. Natürlich wird dies ein frommer Wunsch bleiben, denn auch heute Morgen entdeckt der erste Blick aus dem Fenster das haargenau Gleiche wie gestern Abend.

Beim Morgenessen starre ich irgendwie apathisch aus dem Fenster, Lastwagen preschen vorbei, die Gischt des aufgewühlten Wassers fliegt meterhoch in die Luft. Die Berge sind nicht zu sehen, ist mir egal. Sie sehen genau gleich aus wie gestern, tief verhangen mit Nebel und Nässe.

Der Blick auf den heutigen Plan zeigt eine einfache Route durch das Tal von Stein nach Amden.

Der recht lange Aufstieg von Stein zur Vorderen Höhe wird mit einer herrlichen Aussicht auf die Glarner Berggipfel belohnt. Eine abwechslungsreiche Höhenwanderung führt um den Gulmen herum, zum Mattstock hinüber und nach Amden hinunter.

 

From Stein to Amden

 

Ein wunderlicher Entscheid am frühen Vormittag

Wie sich heute zeigen wird, kann man einen falschen Entscheid auch beliebig wiederholen. Anyway, der Regen hat tatsächlich eine Pause eingelegt, als wollte er mich davon überzeugen, dass er mir trotz allem gut gesinnt ist. Ich kenne diesen elenden Lügner in der Zwischenzeit sehr gut, also erwarte ich nichts Gutes.

Auf jeden Fall trete ich um neun aus der Tür, schaue mich um, da ist der Wegweiser, kein 3-er, aber ein Wegweiser, der garantiert in die richtige Richtung zeigt. Frohgemut – der Schlaf im hochanständig getrennten Bett war gut und tief und die Klamotten trocken – folge ich dem Weg, der in ein Tal hineinführt.

Selbstverständlich beginnt es nach einer halben Stunde zu regnen – hallo du lügenhafter Kerl – Autos und Traktoren fahren an mir vorbei, vorsichtig, wie mir scheint, um den seltsamen Wanderer nicht noch nasser zu machen, als er eh schon ist. Und wieder führt der Wanderweg auf die Wiesen hinaus, ich wiederhole meine Abneigung gegen hohes nasses Gras nicht mehr. Auf jeden Fall taucht ein spitzer Kegel am Horizont auf, kaum sichtbar durch den Nebel, aber es könnte sich um den Speer handeln.

 

Could it be the Speer on the horizon?
Könnte es der Speer am Horizont sein?

Die erste Warnung. Eigentlich dürfte ich aus dieser Perspektive noch keinen Berg sehen, auf jeden Fall nicht den Speer.

 

Scattered farms along the way
Verstreute Bauernhöfe auf dem Weg

Aber ich fühle mich wohl, es geht vorwärts, langsam und stetig, vorbei an den typischen Bauernhöfen dieser Gegend, kein Mensch ist zu sehen, manchmal höre ich ein unterdrücktes Muhen aus den Ställen. Ich scheine nicht der einzige zu sein, der auf schöneres Wetter hofft.

Die Bäche sind voll, rauschen unter den Brücken vorbei.

 

After the Flood

Aber dann werden die Wege schlechter, die Strasse hat sich irgendwohin verflüchtigt, es geht nun aufwärts. Der Dreck steckt wieder mal tonnenschwer an den Schuhsohlen, der Atem geht schwer, und alle paar Meter muss ich eine Atempause einlegen.

Aber der Wegweiser zeigt stur in die hoffentlich richtige Richtung, bergaufwärts, dem Sonnenuntergang entgegen (falls es denn Sonne hätte).

So gehe ich denn talaufwärts, beinahe wie in Ladakh auf dem Babytrail, einfach mit Regenbegleitung.

 

Immerhin würden die Wiesen bei Sonnenschein ein wunderbar farbiges Bild abgeben; heute sehen sie aus wie halb ertrunken und machen mir einmal mehr das Gehen zu einer mittleren Tortur.

Es wird steiler und steiler, und immer noch hoffe ich, endlich die 3-er Wegweiser zu entdecken. Immer noch im Glauben, am richtigen Ort zu sein, male ich mir in Gedanken eine böse e-Mail an die Organisatoren des Panoramawegs aus. Es darf doch nicht sein, dass eine ganze Etappe nicht bezeichnet wird.

 

Blooming meadows - again

 

Erste Zweifel – Das falsche Tal?

Doch langsam schleichen sich Zweifel ein. Der notwendige Blick auf die Karte oder das iPhone ist schwierig und nass bei diesem Regen und entfällt grösstenteils. Aber die umliegenden Berge und Abhänge entsprechen doch mehr oder weniger dem, was ich erwartet habe. In Kürze müsste doch eigentlich die Vorderhöhi auftauchen, oder doch nicht?

Auch der Weg wird noch schlimmer, Sumpf und Schneereste wie gestern, dazu steile Hänge, die das Gehen zur Mühsal machen. Es ist absolut keine lebende Seele zu sehen, ich höre nichts ausser dem eigenen Schnaufen und Fluchen. Der Weg sieht auf jeden Fall so aus, als hätte ihn das letzte Mal jemand im 19. Jahrhundert durchquert.

 

Really bad path

Aber plötzlich taucht von rechts eine stattliche Waldstrasse auf, die ich ganz und gar nicht erwartet habe. Auf der Karte ist nichts zu finden, aber was soll’s, viel mehr falsch kann ich heute nicht mehr machen. Und tatsächlich, nach kurzer Zeit taucht so etwas wie Kamm auf, und ich kann meinen Augen kaum trauen, zum ersten Mal heute sehe ich einen 3-er Wegweiser.

Ich bin auch jetzt noch überzeugt, auf der Vorderhöhi zu sein, allerdings meint der Wegweiser, dass ich auf dem Weg zwischen Vorder- und Hinderhöhi stehe.

Ja Herrgott, wo bin ich denn da durchgegangen? Mit Hilfe der verschiedenen Wegweiser und einem verschämten Blick auf die Karte verstehe ich endlich meinen Fehler. Ich bin doch tatsächlich den ganzen Tag durch das falsche Tal gegangen, also weiter nördlich als das richtige. Das Missgeschick passierte offenbar unmittelbar nach dem Verlassen des Hotels. Ich hätte nicht nur links sondern auch rechts blicken müssen, und dort hätte ich meine geliebten 3-er Schilder entdeckt.

Einmal mehr – was für ein Idiot!

Aber irgendwie finde ich es auch lustig. Es gibt nichts Besseres für das eigene Ego bzw. dessen richtige Einordnung als solche blödsinnigen Fehlleistungen. Das hat in meinem Fall nichts mit dem Alter zu tun, ich war diesbezüglich schon immer ein ziemlicher Vollpfosten!

Wie man sieht, kann man dasselbe Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreichen und zwar ohne es zu merken. Dazu braucht es allerdings Blindheit, Regen, der die Kontrolle auf der Karte verunmöglicht, sowie eine gehörige Portion Gleichgültigkeit. Eine wichtige Voraussetzung für entspanntes Gehen und gelassene Geisteshaltung.

 

The path I did today
Diesen Weg habe ich heute genommen – ziemlich falsch

 

Nah am Glück

Zwei ältere Biker treffen ein, ziemlich schwer atmend, ich erkundige mich, woher sie kommen. Sie lachen sich halbtot, als ich ihnen mein Missgeschick erzähle, aber wir stimmen überein, dass solche Geschichten letztendlich das Salz in der Wandersuppe sind.

Nach der Hinderhöhi, die ich nach einer halben Stunde erreiche, geht es nun zügig abwärts, am Mattstock vorbei. Im HIntergrund ragt der Speer empor, sein Auftauchen am Horizont hätte das erste Warnsignal sein sollen. Und oh Wunder, es regnet nicht mehr.

 

Way down

Und endlich eine Sitzgelegenheit, eine hölzerne Bank mitten auf einer blühenden Wiese. Ich esse, trinke, atme tief durch, sinniere über die wechselhaften Einfälle des Lebens, und da, unerwartet und so willkommen, ausgerechnet nach diesem seltsamen Tag wieder einer dieser Momente, wo alles in vollkommener Balance ist. Näher am Glück kann man nicht sein.

 

My bench for picknick

Während im Tal der Löwenzahn, meine Lieblingsblume, längst verblüht und sich fallschirmmässig über die Wiesen ergossen hat, blüht er auf dieser Höhe noch immer in voller Pracht. Gibt es ein schöneres Bild für den Frühling als eine Wiese übersät mit blühendem Löwenzahn? Für mich nicht. Da kann sich jede noch so schöne Orchidee oder Rose schleunigst verziehen.

 

Blooming dandelion whole fields of dandelion

Wie befürchtet ist die Sesselbahn nach Amden hinunter nicht in Betrieb, als muss ich die letzten Abhänge auf teuflisch steilem und glitschigem Weg zu Fuss machen. Nach kurzer Zeit scheine ich gewachsen zu sein, denn an den Schuhsohlen hat sich eine dicke Schicht Dreck angesammelt, die das Gehen noch mühsamer macht. Immer wieder kann ich mich im letzten Moment auf den Füssen halten, Kühe am Wegrand finden es wieder mal hochinteressant, dem stolpernden und fluchenden Wanderer zuzusehen.

Im Hintergrund tauchen die Glarneralpen auf, ein Stück Walensee glänzt in der Tiefe. Ich bin fast da.

 

The Glarner Alps

Aber irgendwann ist das letzte Stück dieser unseligen Etappe geschafft, und tatsächlich, die Sonne ist aufgegangen, es wird schnell warm, eine Einladung, sich vor dem Café mit Bäckerei einen Kaffee mit Meitschibei zu gönnen. Selten hat mich diese Kombination in eine derart positive Stimmung gebracht.

 

A well-deserved Coffee

 

Übernachtung im Punjab

Das Hotel Schäfli hält eine Überraschung bereit, denn ich werde von einem waschechten Sikh begrüsst. Schon der erste Blick im Inneren zeigt eine wunderbare Vermischung von indischer und einheimischer Kultur. Aber im Moment interessiert mich nur eine heisse Dusche und anschliessend etwas zu essen.

Ich erkundige mich bei einem alten Freund, ob er Lust auf ein Bier mit mir hat, leider ist er aber momentan abwesend in den Ferien. Und so esse ich halt allein im Hotel Rössli. Und übrigens – draussen regnet es wie aus Kübeln (nur um die alte Tradition fortzusetzen, den Tag mit einer Regenmeldung zu beenden).

 

Song zum Thema:  Bob Dylan – Idiot Wind

Und hier geht es weiter … nach Siebnen