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Trans Swiss Trail

Trans Swiss Trail – Schweiss und Keuchen und Fluchen

Manchmal möchte man gerne ins Gehirn eines Fremden eindringen, um zu sehen, wie er tickt und was ihn oder sie antreibt.

Ich spreche jetzt nicht über Putins Gehirn, desses psychopathische Dunkelheit würde vermutlich erschrecken, nein, ich verweise auf die Planer des Trans Swiss Trails. Warum haben sie gegen den Schluss die mit Abstand längste und anstrengenste Etappe festgelegt? Eine Art practical Joke, den niemand versteht?

Anyway, es sind über acht Stunden nach dem Plan, was für uns wohl eher zehn oder elf Stunden bedeuten würde. Aber wir sind ja in der Zwischenzeit in Top-Verfassung, es könnte also klappen. Und wenn nicht, nehmen wir Plan B aus der Schublade.

Sogar der Travelguide schwafelt was von steilem Aufstieg, die Länge der Etappe verschweigt er allerdings tunlichst.

Steiler Aufstieg ins Val d’Isone mit Blick auf den Piano di Magadino. Vom See bei Gola di Lago blieb nur ein Sumpf übrig. Weiter durch ein Meer von Farn im lichten Birkenwald Richtung Bigorio. Das Franziskanerkloster Santa Maria: ein Adlerhorst über Tesserete.

 

 

Ein letzter Blick zurück

Ausgerechnet an diesem anstrengenden Tag scheint uns das Wetter seine Gunst zu versagen. Der Himmel schaut grau aus, irgendwie beleidigt (so kommt er uns vor), mit wenig einladenden Schlieren am Firmament, passt aber perfekt zu den düsteren Türmen der Burg.

Mit Ausnahme einiger Umsteigeaktionen am Bahnhof habe ich die Stadt bisher erfolgreich gemieden, was die Prioritätensetzung bezüglich Reiseziele erheblich in Frage stellt. Auch mit grauem Gewölbe macht die Stadt einen sehr einladenen Anblick, es gäbe offenbar viel zu sehen und zu entdecken, meint der Travelguide.

En Abstecher zu den historischen Burgen würde sich lohnen, heisst es dort. Schliesslich handle es sich hier um ein veritables UNESCO Weltkulturerbe, und seine Wehranlagen gehörten zu den bedeutendsten Zeugen der mittelalterlichen Befestigungsbaukunst im Alpenraum.

Upps, alles nicht gewusst, dabei war Bellinzona bereits zu Zeiten der Römer, die hier erstmals im 1. Jh. ein Kastell errichteten, wegen seiner Lage strategisch wichtig, allerdings immer wieder Zankapfel zwischen den Mailänder Herzögen und den Eidgenossen, wobei sich letztere die Stadt 1516 einverleiben konnten.

Also, mit etwas schlechtem Gewissen doch noch etwas dazugelernt.

 

Bellinzona - old buildings and towers beneath a grey sky  Bellinzona - castles and towers

 

Ein endloser Aufstieg

Es dauert eine ganze Weile, bis man Bellinzona durchquert hat, immer den steilen Hügel vor Augen, der uns die nächsten Stunden versauen will. Nach dem Start beim Hotel geht’s erstmal Richtung Ticino, wo uns dann Schotterwege und teils asphaltierte Strassen dem Flusslauf entlang nach Giubiasco bringen.

Schliesslich aber stehen wir vor der Tafel „Cima di Dentro“ 2 Std. 35 Minuten. Sieht auf den ersten Blick gar nicht so schlimm aus.

Bei einem grossen Spielplatz verlässt man also die Zivilisation und steigt steil Richtung Cima di Dentro auf. Steil? Sowas liest man nicht gerne, also skeptisch, aber  frohgemut wie immer, machen wir uns an den Aufstieg.

Und der hat es tatsächlich in sich. Denn es geht nun bis zu dieser Cima ausschliesslich aufwärts, am Anfang teuflisch steil, bis man an ein paar Rustici vorbei den höchsten Punkt etwas über 1000 m.ü.M. erreicht.

Bis dahin sind unsere Gespräche längst verstummt, Keuchen und Schwitzen und fluchen, zumindest, was mich betrifft, denn meine beiden Kumpels sind längst entflohen. Weiter oben, viel weiter oben, sehe ich die beiden Gestalten, auch nicht mehr so schnell wie üblich.

 

Steep ascent to the Cima di dentro  It doesn't stop - upwards upwards

Der Travelguide macht darauf aufmerksam, dass man auf dem Cima di Dentro Zeuge von Militärübungen werden könnte. Granaten- und Sturmgewehrlärm seien hier üblich. Das Dorf Isone, hinter Cima die Dentro gelegen, ist bekannt für die Ausbildung der Grenadiere.

Grenadiere – ausgerechnet!

Wenn ich auf etwas verzichten kann, dann auf alles, was auch nur im Entferntesten mit der Armee zu tun hat (zugegeben: der Krieg in der Ukraine hat verschiedene felsenfeste Überzeugungen zum Einsturz gebracht; aber lassen wir das für heute).

Immerhin geht es nun abwärts, Schweiss und Keuchen haben für heute ein Ende (ich befürchte allerdings, dass die morgige Etappe noch mehr davon bringen wird, denn ich habe zwei Etappen zusammengelegt; tja, die Hybris, auf gut deutsch die Selbstüberschätzung, unsere alte Freundin, schon wieder schlägt sie zu, aber das ist ja nichts Neues unter der Sonne).

 

Steep and dirty and exhausting ascent  Sometimes trees, sometimes jsut burt meadows

It gets better - at least it seems so  Panting and sweating buddy

 

Plan B – für die Alten und die Müden

Eigentlich war Plan B von Anfang an Plan A.

Nichts und niemand wird uns dazu bringen, über zehn Stunden zu wandern, wenn es eine geniale Alternative gibt. Sie nennt sich Bus und Zug, verhilft müden Wanderern zu bequemen Sitzplätzen und einer exzellenten Aussicht auf das, was wir zu Fuss hätten machen müssen.

Und so warten wir in Isone – ohne den Lärm von Granaten und Sturmgewehren – auf den Bus, steigen zweimal um und erreichen unser Tagesziel Tesserete beinahe ausgeruht. Und schon fragen wir uns, was uns dazu gebracht hat, auf das letzte Teilstück zu verzichten. Natürlich ist das komplett geflunkert, aber hätte doch sein können.

 

Our Hotel in Tesserete  Our Hotel in Tesserete

Der Vollständigkeit halber hier doch noch was der Travelguide über das von uns schmählich links liegengelassene Teilstück zu sagen hat:

Über herrliche Pfade, durch verzauberte Birkenwälder und mit Sicht auf die umliegenden Gipfel wird Condra erreicht. Es folgen der Abstieg und die letzte Wanderstunde.

Rund 200 Höhenmeter führen über gepflasterte Wege und entlang der im Tessin typischen Mauern. Den verwinkelten Dorfkern von Bigorio durchquert, folgt das letzte Stück nach Tesserete, wiederum zusammen mit der Via Gottardo. Etwas weiter unter der Pfarrkirche San Stefano, Hauptsehenswürdigkeit von Tesserete, endet nach etwa acht Stunden die abwechslungsreiche, konditionell anspruchsvolle Wanderung.

Na ja, vielleicht  ein anderes Mal – oder dann spätestens im nächsten Leben …

 

Passender Song:  James Brown – Cold Sweat

Und hier geht der Trail weiter … nach Morcote, langsam dem Ende zu

 

Trans Swiss Trail

Trans Swiss Trail – Geradeaus dem Ticino entlang

Nun, nach der gestrigen anstrengenden Etappe dürfen wir uns auf eine lange, aber zumindest ebene Strecke entlang dem Ticino freuen.

Und unser kleines Grüppchen hat temporären Zuwachs erhalten. Silvia, meine Ex-Gemahlin, möchte herausfinden, wie es um ihre Fitness steht und begleitet uns bis Bellinzona.

In Biasca, wo die Etappe startet, vereinen sich das Bleniotal vom Lukmanier und die Leventina vom Gotthard her. Etwas oberhalb des Bahnhofs befinden sich die Wasserfälle der Heiligen Petronilla. Schäumend stürzen sie über die Felswände. Nach einigen Minuten durch Biasca erreicht man den Ticino.

Bei Biasca öffnet sich das Tal zu einer breiten, langgestreckten Ebene: der Riviera. Hier lässt sich prächtig an den Ufern des Ticino wandern, meistens durch Auenwald, oft auch auf einem Flussdamm. Am Ende wartet Bellinzona mit seinen drei Burgen.

Unsere Daten: Länge 25 km; Aufstieg | Abstieg 680 m | 710 m; Wanderzeit 7 h 30 min

 

From Biasca to Bellinzona
Von Biasca nach Bellinzona

 

Entlang der Riviera

Seltsamerweise trägt die langgestreckte Ebene, die sich bis kurz vor Bellinzona hinzieht, den vielversprechenden Namen Riviera. Auf jeden Fall bietet die heutige Etappe 25 Kilometer reinstes Wandervergnügen dem Ticino entlang.

Der Weg führt mehrheitlich durch schattigen, duftenden Auenwald. Wie nehmen es gemütlich, die letzten Tage haben trotz phantastischer Etappen ihre Spuren hinterlassen. Aber das Wandern an diesem sonnigen Tag bringt soviel Abwechslung, dass die müden Beine schon bald vergessen sind. So könnte man sich das vorstellen, flach, abwechslungsreich, schattig. Aber das würde vermutlich schon bald wieder in eine gewisse Langweile kippen.

Wie auch immer, der Weg ist weit und alles andere als langweilig.

 

The path along the Ticino

Manchmal, vielleicht auch nur eingebildet, hat man den Eindruck, dass die Lichtfülle der Sommerstunden abgenommen hat.

Es ist zwar immer noch warm, gelegentlich ziemlich heiss, aber der Herbst kündigt sich auf leisen Sohlen an. Auch dieser gefühlt ewig dauernde Sommer wird enden, vielleicht sind wir froh um das, was hinter der Tür wartet. Im günstigsten Fall werden wir uns wieder an Dunkelheit, an Kälte  und frostige Winde gewöhnen, vielleicht sogar erfreuen.

Allerdings sind diese Vorstellungen an diesem warmen Spätsommertag weit weg.

Und so wandern wir schwatzend, lachend, kaum einmal ausser Atem kommend, dem Ufer entlang, gelegentlich auch auf Dämmen entlang des Flusses. Sie erinnern daran, dass hier immer latente Überschwemmungsgefahr herrscht.

 

The Ticino, sometimes smooth, then again a wild monster  through riverside forests along the Ticino

That's the way it ought to be - shady trees, pleasant paths  The Ticino - water and rocks and trees

 

Versteckte Schönheiten

Nach knapp zwei Stunden überqueren wir den Fluss bei Lodrino, von nun an führt die Wanderung auf der anderen Uferseite weiter.

Das gibt uns Gelegenheit, bei Castione-Arbedo einen ausgedehnten Break mit Fototermin einzulegen, während hinter uns die Moësa gurgelt und rauscht, bevor sie kurz danach vom Ticino verschluckt wird.

Der Travelguide ist wieder einmal unzufrieden mit unserem achtlosen Vor-sich-her-wandern, denn eigentlich würde man in den Dörfern entlang des Weges zahlreiche versteckte Schönheiten finden. Aber eben, sie sind versteckt und somit unbekannt, und so erfahren wir wieder einmal erst im Nachhinein, was wir alles verpassen.

Beispiele gefällig: etwa in Osogno die Kapelle Santa Maria del Castello oder in Claro das Bergkloster Santa Maria Assunta.

Allerdings muss ich zu unserer Verteidigung hinweisen, dass wir seit Airolo soviele Kapellen und Kirchen gesehen haben, dass wir uns mindestens ein Freiticket in den Himmel erworben haben.

 

Santa Maria del Castello in Osogno  Santa Maria Assunta in Claro

Die Klöster Santa Maria del Castello in Osogno und Santa Maria Assunta in Claro

Eine zukünftige Energieversorgung

Im Unterschied zu den versteckten Schönheiten, die wenig Interesse finden (leider), sticht uns ein seltsames Gebäude in der Nähe des Wegs, ein Art Kran mit sechs Armen, ins Auge. Dass es sich dabei um ein futuristisches Projekt, initiiert von einem Amerikaner, handelt, ist ziemlich einmalig in seiner utopischen Richtung.

Es handelt sich hierbei um ein Hubkraftwerk. Die Idee scheint trivial und genial zugleich: Bei geringem Strombedarf werden Betonblöcke mittels erneuerbarer Energie hochgezogen und bei hohem Strombedarf zur zusätzlichen Energiegewinnung wieder abgesenkt, ähnlich dem System von Wasserkraft mit Staudamm und Pumpwerk.

Mal sehen, ob sich daraus etwas ergibt und ob die Idee schlussendlich nicht eine Idee bleiben wird.

 

a lifting power plant

 

Die letzte Stunde

Bellinzona kommt näher, wir haben, ohne es gross zu merken, tatsächlich 25 Kilometer abgespult. Und einmal mehr gäbe es viel zu sehen und zu entdecken, Beispiele trutziger Wehrbereitschaft, Zeugen vergangener Auseinandersetzungen, wahrscheinlich genauso unnötig wie die heutigen.

Der Travelguide ist auf jeden Fall begeistert:

Ein kleiner Abstecher zu den Schlössern Castelgrande, Montebello und Sasso Corbaro lohnt sich. Sie gehören zu den eindrucksvollsten Exemplaren mittelalterlicher Wehrbauten des gesamten Alpenbogens. Mit ihren zinnenbewehrten Mauern, Türmen und Toren wurden die prächtigen Monumente im Jahr 2000 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Zweck der Festungen war es, den nördlichen Völkern den Zugang zum Tessiner Tal zu versperren und die Wegezölle sowie die Strasse in Richtung Gotthard zu kontrollieren.

 

Santa Maria Assunta in Claro  The castle MOntebello above Bellinzona

                                                                                           Die Burgen Castelgrande und Montebello oberhalb Bellinzona

Bellinzona am südlichen Zugang zu den Alpenpässen Gotthard, San Bernardino und Lukmanier ist die wohl italienischste Stadt der Schweiz.

Die mächtige Festungsanlage der drei mittelalterlichen Burgen bilden sozusagen die Skyline der Tessiner Hauptstadt.

Man spricht von lombardischem Charakter der Stadt, hier scheint der Einfluss der norditalienischen Provinz am grössten gewesen zu sein. Nicht verwunderlich, dass Bellinzona ein von der UNESCO anerkanntes Weltkulturerbe darstellt.

Auf jeden Fall werden wir am Abend zumindest die kulinarischen Vorzüge der Stadt gebührend feiern. Was einmal mehr beweist, dass Kunst und alles andere in erster Linie durch den Magen geht.

 

Passender Song:  The New Colony Six – At the River’s Edge

Und hier geht der Trail weiter … nach Tesserete