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Südindien

Zwischen den Welten

Ich befinde mich zwischen den Welten.

Mit einem Fuss noch im kühlen Sand am Strand von Calangute, mit dem anderen zuhause.

Und so bin ich zurück am Ausgangspunkt. Der Kreis hat sich geschlossen. Eine Art Heimkommen. Eine längst bekannte Erkenntnis: Sobald man an einen bekannten Ort zurückkehrt und sei er in noch so negativer Erinnerung, fühlt man sich zuhause. Unterwegs zu sein, heisst ja auch, die Sicherheit des Bekannten hinter sich zu lassen. Sich hineinfallen zu lassen ins das Unbekannte. Cees Noteboom sagt es sehr treffend in seinem wunderbaren Reisebuch Im Frühling der Tau: Man muss wählen zwischen dem Schrecken des einsamen Zimmers zuhause und der Maskerade der ständigen Ortswechsel.

Zwischen den Welten

Ich habe mich für den zweiten Schrecken entschieden. Es ist keine Wahl zwischen Pest und Cholera, es ist die Wahl zwischen zwei verschiedenen Arten von Unruhe. Das einsame Zimmer zuhause, vollgestopft mit den notwendigen Ingredienzien modernen Lebens, gaukelt einen vermeintlichen Zugang zur Welt vor, während es doch in Tat und Wahrheit eine Vorspieglung falscher Tatsachen ist.

Es ist und bleibt ein einsames Zimmer.

Dem man – zumindest gelegentlich – entfliehen muss.

In den Schrecken Nummer zwei.

23 Uhr und müde

Dieses Gefühl stellt sich an diesem späten Abend am riesigen Flughafen in Mumbai ein. Ich fühle mich müde und möchte schlafen, doch es gibt keine Gelegenheit dazu. Es sind schon viele Stunden vergangen seit dem frühen Morgen. Seit der Verabschiedung meiner Freunde in Calangute. Der Fahrt mit dem Taxi zum Flugplatz. Der scheinbar endlosen Warterei auf den Abflug inmitten lärmender Familien. Und endlich dem Flug mit Spicejet nach Mumbai.

From Goa to Mumbai with Spicejet
Von Goa nach Mumbai mit Spicejet

Hier sitze ich nun auf einem unbequemen Sitz, umgeben von anderen halb- und ganzschlafenden oder sonstwie dösenden Passagieren. Sie haben alle das gleiche Ziel. Endlich einsteigen und abfliegen zu können. Es herrscht eine seltsame Stille, nur manchmal unterbrochen durch die blecherne Stimme einer Ansage oder das leise Schnarchen eines übermüdeten Mitleidenden.

Das Problem ist einfach: zwischen Hin- und Weiterflug liegen mehrere Stunden Wartezeit, die man sich mit Kaffeetrinken, Essen, Spazieren, Lesen und Langweilen vertreibt. Doch irgendwann hat man genug Kaffee getrunken, sämtliche Gänge und Hallen mehrmals abgelaufen und keine Lust mehr, Zeitungen oder Romane zu lesen.

Man ist einfach nur noch müde und möchte schlafen.

Und wieder schlägt die Dummheit zu

Immerhin habe ich es geschafft, doch noch etwas gegen die Langeweile zu tun. Es hätte allerdings auch böse herauskommen können. Aber alles schön der Reihe nach.

Es geht einmal mehr darum, dass man auch als erfahrer Traveller die dümmsten Fehler macht (siehe Laos). In Mumbai liegt der Domestic Flughafen abseits vom International Airport, es gilt also, den dafür vorgesehenen Gratisbus zu benützen. An sich kein Problem, ausser man verlässt vor der Abfahrt trotz Warnung das Flughafengebäude.

Dabei steht auf einer grossen Tafel sehr deutlich und in zahlreichen Sprachen, dass es nach Verlassen des Gebäudes keinen Eintritt mehr gibt. Mit anderen Worten: ist man mal draussen, nützt weder Bitten noch Flehen etwas. Der bewaffnete Soldat am Eingang hat absolut (und zu Recht) keine Lust, für den Deppen eine Ausnahme zu machen.

Es gilt also, ein Taxi zu finden, das mich zum International Airport bringt. Gar nicht so einfach. Es ist spät, es ist zappenduster, es hat keine Taxis. Langsam werde ich etwas nervös, bis mich ein properer junger Inder anspricht, offenbar auf diese Fälle vorbereitet, und mir ein Angebot für fünfzig verspricht. Ich hätte vielleicht nach der Währung fragen müssen, denn im Taxi, das sich als heruntergekommener Lieferwagen entpuppt, sitzen neben dem Chauffeur zwei ziemlich dubiose Figuren, die nicht fünfzig Rupien sondern fünfzig Dollars verlangen, die man mir für die dreizehn Kilometer abnehmen will.

Ganz blöd gelaufen, wirklich ganz blöd.

Doch für einmal erweist mir mein cholerisches Temperament in der nicht ganz ungefährlichen Situation einen guten Dienst. Der saublöde plumpe Trick macht mich derart wütend, dass ich alle Vorsicht ausser Acht lasse und so laut schimpfe, dass man mich konsterniert aus dem Wagen lässt. Der Tuktuk-Fahrer, der mich dann für hundert Rupien ans Ziel bringt, wird mit einem saftigen Trinkgeld belohnt.

Tja, man weiss nie, wofür auch schlechte Angewohnheiten irgendwann ihr Gutes haben.

Revue

Anyway, ich bin hier, wie gesagt müde und gereizt und warte auf den Aufruf zum Boarden, was allerdings die Möglichkeit verschafft, die vergangenen Wochen nochmals Revue passieren zu lassen. Also nochmals das Gefühl der Ungebundenheit, der entspannten Ruhe, des Nichts-tun-Müssens, bevor mich in ein paar Stunden die Welt wieder einholt.

Die vergangenen Tage und Nächste schweben vorbei, winken noch einmal kurz und verschwinden, lösen sich auf, bis sie irgendwann nur noch undeutliche Erinnerung sein werden. Einiges wird bleiben, Bilder, Erlebnisse, Stimmungen, doch sie werden sich ändern in den komplizierten Katakomben des Gedächtnisses, das seine eigenen Gesetze hat.

Irgendwann werden es nur noch geisterhafte Landschaften, grüne, braune, gelbe, rote, sein, die vor einem virtuellen Fenster vorbei fliegen, untermalt durch ein vielstimmiges Konzert aus menschlichen Stimmen, Hupen, Glocken, Rasseln, Muhen, Bellen, Bremsgeräuschen, Motoren und immer wieder dazwischen Kinderstimmen, laute, fröhliche, leise und traurige.

Und die Nase wird sich erinnern an die Gerüche, die scharfen, zarten, süssen, sauren Aromen, die das Land ausmachen, an den Duft der Obst- und Gemüsemärkte, den Gestank der Kanäle, der Ausscheidungen zahlloser Lebewesen, der verfaulenden Lebensmittel am Strassenrand, das Odeur des Meeres, den Duft des Banana-Pancakes auf meinem Frühstückstisch.

Beim Vorbeigehen an den Rosen riechen …

 PS Song zum Thema: John Mayall’s Bluesbreakers – Looking Back  

Und hier geht’s weiter … nach Laos

 

Südindien

Goa – Die letzten Hippies

Gibt es noch Hippies aus den 60-er Jahren?

Wenn ich das Wort Goa höre, tauchen vor meinem geistigen Auge augenblicklich langhaarige Gestalten in bunten Kleidern auf, Hippies, damals wie heute das Synonym für alternative Lebensformen, für Aussteiger, für Drogen, psychedelische Musik.

Ich habe sie auf dem Hinweg nach Indien angetroffen, die meisten davon auf dem Weg nach Goa oder wahlweise nach Kabul oder Kathmandu, immer schön der Nase nach, dorthin, wo es viele und billige Drogen gegeben hat.

Junge, langhaarige Menschen, voller Lebensfreude, geimpft durch den Summer of Love, Woodstock, das Versprechen von Frieden, Freude, Eierkuchen.

Bis Altamont den Illusionen ein Ende bereitete. Ende der Sechziger- bis Mitte der Siebzigerjahre waren sie auf dem Weg ins gelobte Land, nach Indien, Afghanistan, Nepal. Die meisten kehren zurück, tauchten ein ins bürgerliche Leben, wurden Banker, Politiker, Unternehmer, Handwerker. Doch einige blieben hängen, fanden den Absprung nicht mehr.

Bis sie nur noch als geisterhafte Existenzen durch ein Leben als letzte Hippies wanken …

 

Verlorenes Paradies

Heute morgen, auf dem Weg durch die Stadt, habe ich einen gefunden, einen der letzten überlebenden Hippies.

Dem Aussehen nach hat er seine besten Jahre hinter sich. Sein Alter ist schwer zu schätzen, aber wenn ich davon ausgehe, dass er seit den Siebzigerjahren hier ist, muss er mindestens zwischen 60 und 70 sein. Sein eingefallenes runzliges Gesicht deutet allerdings eher auf 80 hin. Auch eine Aussteigerbiographie scheint nicht für ewige Jugend zu sorgen.  Da dürften auch ein paar Drogen eine Rolle gespielt haben.

Während ich im Restaurant am Strassenrand meinen Kaffee trinke (hervorragend), sitzt er teilnahmslos auf dem Trottoir und bettelt die vorbei flanierenden Touristen an. Einige greifen in die Tasche, aber ihre Gesichter sagen deutlich, dass hinter ihrer milden Gabe Mitleid steht. Oder gehört auch eine Portion Schadenfreude dazu?

Die späte Rache des Bürgertums? Wer weiss …

 

Calangute Town

Calangute ist ein kleines Städtchen im Norden von Goa mit ca. 14’000 Einwohnern, zusätzlich ein paar Tausend einheimische und ausländische Touristen während der Hochsaison über Weihnachten und Neujahr und im Sommer, der hier in erster Linie im Mai abgehalten wird.

 

Calangute Town
Calangute Town

 

Ein paar Worte zu Goa

(Wikipedia) Goa – auch Konkani oder Marathi genannt – ist der kleinste indische Bundesstaat. Er liegt an der mittleren Westküste Indiens, hat eine Fläche von 3702 Quadratkilometern und knapp 1,5 Millionen Einwohner (Volkszählung 2011). Die Hauptstadt Goas ist Panaji.

Goa ist nach der ehemals gleichnamigen Stadt, heute Velha Goa, benannt. Die Region war rund 450 Jahre lang portugiesische Kolonie und weist daher eine besondere kulturelle Prägung auf. Kaum ein indischer Bundesstaat ist kulturell so nachhaltig von einer europäischen Kolonialmacht beeinflusst worden wie Goa. Dies zeigt auch der hohe katholische Bevölkerungsanteil.

Am 18. Dezember 1961 marschierten indische Truppen mit etwa 20-facher Übermacht in Goa ein.

Das Unternehmen trug den Namen „Operation Vijay“ und war nach 26 Stunden abgeschlossen. Die portugiesischen und goanesischen Truppen kämpften auf verlorenem Posten. Indien bombardierte strategische und zivile Ziele in Goa, Damao und Diu, unter anderem den Marktplatz von Damao. Im darauffolgenden Jahr wurde Goa, zusammen mit Daman und Diu, zu einem indischen Unionsterritorium.

Mir fällt auf, dass sich seit dem letzten Besuch in 2007 die Zusammensetzung der Herkunftsländer der Touristen verändert hat.

Waren es früher vor allem Engländer, die aus geschichtlichen Gründen ihre alte Kolonie besuchten, sind es heute Russen und andere Nationalitäten. Und – vor allem übers Wochenende – jede Menge Einheimische, die, dank lockeren Gesetzen bezüglich Alkohol, ausgiebig Party feiern und sich volllaufen lassen.

Zumindest ein Teil der Todesfälle im Meer ist weniger den Strömungen, sondern dem Alkohol zuzuschreiben. Die Meinung der Einheimischen, d.h. Ladenbesitzer, Wirte, Standverkäufer etc., ist klar: obwohl es viele englische Touristen mit wenig Niveau gegeben hat, so stellen die heutigen im Vergleich eindeutig eine qualitative Verschlechterung dar. Und diese Bezeichnung ist sogar noch freundlich gemeint.

 

Südwärts

Die Reise in den Süden hat bisher genau ein Ziel definiert: den untersten Zipfel des indischen Subkontinents zu erreichen. Und dort, wo das Arabische Meer und der Golf von Bengalen zusammentreffen, die Füsse ins Wasser zu halten. Einer in diesem Meer, der zweite im anderen. Ich stelle mir das irgendwie mythisch vor.

Ich stehe gleichzeitig in zwei riesigen Meeren.

Wahrscheinlich werde ich keinen Unterschied bemerken.

Dann gegen Abend Abschied von Goa. Zurück nach Tivim, langes Warten, das durch Gespräche mit zwei jungen Indern und einem brasilianischen Paar erleichtert wird. Der Zug hat Verspätung, niemand stört sich daran. Irgendwann taucht in der Ferne die blaue Lokomotive auf, kaum mehr erkennbar in der Dämmerung.

 

Siesta on the floor
kein Platz zu unbequem für ein Mittagsschläfchen
Stalls at the station
Verkaufsstände am Bahnhof

Im Zug nach Trivandrum

Nun bin ich endlich genau dort, wo ich sein will.

Unterwegs nach irgendwohin.

Mir gegenüber sitzt ein älterer Inder, er stellt sich als Wissenschaftler heraus, freundlich, gescheit, aber auch ein indisches Ehepaar, mit Handys ausgerüstet, deren Klingeltöne Tote zum Leben erwecken könnten.

Mit der typisch indischen Neugier erkundet er sich nach dem Woher und Wohin, stimmt mit dem typisch indischen Kopfschütteln zu oder verzieht zweifelnd den Mund. Da ich nicht zum ersten Mal in Indien bin, kenne ich die Bedeutung des Kopfwackelns und weiss, dass sie Zustimmung meint. Nicht ganz einfach für uns Westler.

Ich erinnere mich gut an das Gesicht des Obstverkäufers irgendwo nahe der Grenze zu Pakistan, als ich mich nach Bananen erkundigte und als Antwort das Kopfwackeln erhielt. Sein verständnisloser Blick wird mir ewig in Erinnerung bleiben, als ich mich mit einem bedauernden Blick verabschiedete.

Am Horizont, knapp erkennbar durch die fürchterlich verschmutzte Fensterscheibe, hängt eine goldgelbe Sonne über braunen, gelben, grünen Landschaften, die vor dem Zug vorüber huschen.

Indien gleitet dahin, ich bin glücklich.

Und während verbrannte Landschaften an die Oberfläche des Mars erinnern, schiebt sich eine andere Erinnerung ins Gedächtnis.

 

From Goa to Trivandrum
Von Goa nach Trivandrum

Lagaan – Es war einmal in Indien

Ein Film, ein indischer Film, ein Bollywood-Film, der sich tief in meine filmische Erinnerungsreihe eingepflanzt hat. Ein wahrer Schinken von knapp vier Stunden, wovon keine einzige Minute überflüssig oder langweilig gewesen war.

Lagaan spielt im Indien des späten 19. Jahrhunderts. Der Regionaloffizier des britischen Hauptquartiers unterdrückt die Leute in der Region mit hohen Steuern (lagaan), während diese zusätzlich noch unter einer ungewöhnlichen Dürre leiden.

Russell bietet den Bauern des Dorfs Champaner eine Wette an: Er wird für ganze drei Jahre die Steuern der gesamten Provinz erlassen, wenn eine Dorfmannschaft seine Männer beim Cricket besiegen kann – eine Sportart, die den Bewohnern bisher völlig unbekannt ist. Wenn sie jedoch verlieren, wird die dreifache Steuer erhoben.

Lagaan – der Film (Trailer)

Eine schwierige Ausgangslage für die Dorfbewohner. Das zu lösende Problem ist auf den ersten Blick unmöglich zu lösen. Vor allem weil es im mausarmen Dorf an potentiellen Kandidaten für die geforderten Spieler fehlt.

Ohne die Pointe zu verraten, nur soviel: eine Szene gegen Schluss ist ein Magic Moment. Nicht verpassen.

 

Langsames Abdriften in die Nacht

Ich habe einen Fensterplatz erwischt und erst noch den Lower Bench, was immer ein Vorteil ist, denn man ist dann nicht gezwungen, auf die obere Pritsche zu klettern. So sitze ich also da, schaue aus dem Fenster, denke nichts.

Irgendwann, die Sonne hat sich in üblicher Pracht verabschiedet, wird das Nachtessen serviert. Es dauert etwas, bis sich mein anfängliches Misstrauen in anerkennendes Essvergnügen verwandelt. Diese positiven Erkenntnisse beinhalten ein gewisses Risiko: ein paar Tage später werde ich schmerzlich erfahren müssen, dass nicht jedes Essen im Zug unproblematisch ist, aber dazu später.

Und dann, mit vollem Magen nach einem wirklich guten Essen, der Höhepunkt des Tages – das wohlige Einkuscheln in den Schlafsack, das monotone Rattern der Räder im Ohr, das Hin- und Herschlagen des Wagens beim Überfahren einer Weiche oder sonst was …

 

PS Song zum Thema: Ian Dury & the Blockheads – Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll

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Südindien

Goa – Auf Jason Bournes Spuren

Es dauert etwas, bis ich merke, warum mir der Strand so bekannt vorkommt.

Natürlich – Jason Bourne Supremacy. Die berühmte Szene am frühen Morgen, als Matt Damon alias Jason Bourne am Strand entlang rennt (siehe Bourne Supremacy – Running Scene). Nur Minuten, bevor er den russischen Killer entdeckt und es mit der Ruhe ein für alle Mal vorbei ist.

Und seine Freundin tot ist …

 

 

Matt Damon rennt

Eigentlich wäre es ganz gut, es Matt Damon gleichzutun und dem Strand entlang zu joggen. Mein sich immer noch in der Phase des Aufbaus befindliches System lässt mich aber wissen: no way! Jetzt ist Urlaub, kein Stress, keine Leistung, somit auch kein Sport! Zumindest heute nicht. Was morgen ist, werden wir sehen.

 

A sad view
Ein trauriger Anblick

Traurig vor sich hin rostend

Immerhin kann ich mich nach dem Frühstück im Ocean Blue, meinem bevorzugten Shack, dazu aufraffen, einen Strandspaziergang zu machen. Und ich entdecke, überrascht und ein bisschen traurig, dass der weit aussen im Meer still vor sich her rostende Kahn wieder ein bisschen schlimmer aussieht als bei meinem ersten Goa-Besuch vor drei Jahren.

Man muss sich das vorstellen: unweit des Ferienparadieses Goa, genauer gesagt am Strand von Calangute, liegt ein gestrandetes Schiff, offenbar ein Frachtschiff, und rostet seinem Untergang entgegen. Niemand macht sich die Mühe, den Kahn ans Ufer zu schleppen und abzuwracken.

Nichts und niemand, auch kein altes Frachtschiff, hat dieses miese Ende verdient.

Ich bin sicher, dass wenn ich das nächste Mal hier bin, das Schiff immer noch da sein wird, vielleicht auf der Seite liegend, vielleicht mit ein paar Löchern mehr in den rostigen Wänden. Ein trauriges Schicksal für das einstmals stolze Schiff, das sicher viele Male um die Welt gereist ist und dabei tadellos seinen Dienst erfüllt hat.

 

Gefährliche Unterwasser-Strömungen

Die Liegestühle sind belegt, die Sonnenanbeter lassen sich rösten, doch nur ein paar wenige wagen sich ins warme Wasser. Das hat auch seinen Grund. Hier gibt es zahlreiche fiese Strömungen, die, wenn ihre Klauen dich in ihrem Griff haben, nicht mehr loslassen. Und so kommt es jedes Jahr zu Todesfällen, wenn sich kreuzdumme Touristen oder unwissende einheimische Badegäste ins Meer hinaus wagen und es nicht mehr zurückschaffen.

Nun, für mich besteht garantiert keine Gefahr; ich, als wasserscheuer Bergler, habe nicht den geringsten Wunsch, mich ins Meer zu begeben.

 

Zwei Welten

Der Unterschied zwischen den zwei Welten, die auf diesem kurzen Abschnitt am Meer aufeinandertreffen, könnte nicht grösser sein. Hier die gelangweilten weisshäutigen, rotgebrannten Touristen auf ihren gemieteten Liegestühlen, da die Einheimischen, an ihren Fischernetzten hantierend, irgendwelchen Krimskrams verkaufend, die hungrigen Augen auf die Gegenwelt gerichtet.

 

Daily Life at the Beach
Alltagsleben am Strand

Die Zeit vergeht ruhig, fast unbemerkt. Am Strand die immer gleichen Fragen („100 Rupies, Cashewnuts, no business, please“). Immer wieder spannend zu sehen, welche Dynamik sich daraus ergibt. Falls sich denn überhaupt eine ergibt. Meistens erschöpft sich die Kommunikation in „Hello Mister, very cheap!“ und die entsprechende Antwort „How much?“

 

Hard work
Eine tägliche Mühsal

 

Deadend Street

Aber der langsame Spaziergang dem endlos langen Ufer entlang lässt Raum für Gedanken. Und während ich im morgenfeuchten Sand vor mich hintappse, läuft auf meinem iPod Deadend Street von den Kinks.

There’s a crack up in the ceiling,
And the kitchen sink is leaking.
Out of work and got no money,
A sunday joint of bread and honey.

What are we living for?
Two-roomed apartment on the second floor.
No money coming in,
The rent collectors knocking, trying to get in …

Ein Glücksmoment.

Aber auch die plötzliche Einsicht, dass die andere Welt auch bei uns existiert.

 

PS Song zum Thema: Kinks – Deadend Street

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Südindien

Goa – Sommer, Sonne, heisser Sand

Warum hat der Morgen in Indien eine andere Farbe?

Er ist grüner, brauner, roter als bei uns. Der verschlafene Blick aus dem Zugfenster eröffnet eine andere Welt. Irgendwo in der Ferne ein blau-weisses Glitzern. Das Meer. Dazwischen Wiesen in allen Farben von grün und gelb. Dann wieder verbrannter Boden, als wäre ein Flammenwerfer darüber gegangen.

Kleine Häuser, zerbrechlich aus der Ferne. Eine Strasse. Männer in weissen Gewändern auf alten Fahrrädern.

 

Tivim in Goa

Goa ist gross und lang, es ist schwer, die richtige Station zu erwischen. Mit Glück tippe ich genau richtig und steige in Tivim aus. Ein knatterndes TukTuk bringt mich nach Calangute.

Es wird eine entspannte Fahrt durch die Palmenwälder, die Wiesen und Sümpfe, vorbei an den farbigen Menschen, an Abwasserkanälen, deren Gestank in die Nase steigt, an ausgetrockneten Bächen, an Müll an den Strassenrändern, an Ständen und Läden und an auf dem Boden ausgebreiteten Teppichen mit allerhand Tand und Firlefanz.

Das ist Indien. So wie ich es zu kennen glaube.

Doch wie immer, wenn ich an einem Ort ankomme, wo ich schon mal gewesen bin, erstaunt mich die Erkenntnis, was ich alles vergessen habe.

Mein Blick schweift in die Ferne, ich versuche die Erinnerungen wachzurufen, an Dörfer, an Strassen, an Häuser, an Kirchen. Vergeblich. Dann wende ich micht den Gesichtern zu, vielleicht entdecke ich ein bekanntes, doch nein, sie sehen aus, wie alle anderen. Das seltsame Gefühl kommt auf, dass dies ein fremdes Land ist, dass alles nur Einbildung ist. Ich bin zum ersten Mal hier, denn Indien ist jedes Mal neu, und man sieht ein, dass man nicht hierher zurückkehren kann.

Man muss es jedes Mal neu erleben. Vielleicht auch jedes Mal neu über sich ergehen lassen.

Oder ist das bloss eine dumme Ausrede für mein schlechtes Gedächtnis? Ich habe das Gefühl, dass mir etwas abhanden gekommen ist, vielleicht die Fähigkeit, mich zu erinnern. Dabei bin ich immer stolz darauf gewesen, mich auch an die bedeutungslosesten Ereignisse und Orte zu erinnern.

Auch das ist Indien. Es schenkt viel und nimmt einiges.

 

Calangute Beach – Kühler Sand unter blossen Füssen

Der Weg zum Meer hinunter ist ein erstes Highlight. Ich rieche das süssliche Aroma der blühenden roten Gebüsche am Wegrand (Bougainvilleas?). Spüre die vom Sand aufsteigende Hitze, die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht. Höre das ferne Kreischen der Möven. Sehe den blauen Himmel, die verdorrten Hügel, die Palmen und Gräser.

So muss ein Tag sein.

Das Gefühl des kühlen Sands unter meinen blossen Füssen. Ich stehe einen Augenblick still, geniesse die zarte Berührung, doch nur bis zur Stelle, wo der Schatten dem hellen Morgenlicht weicht. Von einem Augenblick zum anderen ist der Sand mit Hitze aufgeladen, erschreckt mache ich einen Satz zur Seite, bis ich meine Flip-Flops finde und erleichtert aufatme.

The path to the beach at Calangute

Jetzt ist es da, das Feeling, auf das ich mich gefreut habe. Es gibt überall blauen Himmel und roten Sand auf dem Weg zum Strand. Wo man von weitem das Bellen der Wellen hört, die ans Ufer klatschen. Und blühende Sträucher.

Aber irgendwas ist hier anders. Keine Ahnung, was es ist. Vielleicht steckt es im Kopf, vielleicht ist es das Zusammenwirken der Sinne. Man muss es erlebt haben.

Das Schild am Wegrand zeigt mir den Weg zu den zahllosen Shacks am Strand.

Välkomna! Dipl. Kock!

Da kann eigentlich nichts schiefgehen.

Ein paar Minuten später sitze ich im Schatten, das Meer, blau und wild in Wurfentfernung, das Plätschern der Wellen am Ohr. Eine Tasse Kaffee, ein Ananassaft, ein Banana Pancake vor mir auf dem Tisch.

Mehr braucht es nicht …

 

Calangute beach - Food
Mehr braucht es wirklich nicht

 

Ich sitze einfach da. Ich bin froh, da zu sein. Am richtigen Ort. So ist es jetzt, in diesem Moment, am Strand von Calangute, die Füsse im Sand, der Blick auf dem Meer, das unter dem diffusen grauen Himmel schwimmt. Es sieht gleich aus wie immer, und trotzdem ist alles anders.

Langsam stellt sich ein Zustand der Stille ein. Vielleicht ist es die Umgebung, die das alte Denken verlangsamt und das neue beschleunigt. Der lange Blick aufs Meer hinaus wird immer weniger unterbrochen durch all das, was man tun sollte und tun könnte. Der rationale Geist verstummt, lässt anderes zu Wort kommen, bringt Verschüttetes ans Tageslicht.

Während ich so dasitze, nichtsdenkend, nichtstuend, sozusagen als Buddha am Strand von Goa, tauchen aus der Tiefe der Erinnerung merkwürdige, kaum fassbare Szenen früherer Ereignisse auf.

Eine Zehntelsekunde oder weniger. Und für einen winzigen Moment lang erscheint etwas Bekanntes auf, ein warmes Gefühl des Wiedererkennens. Aber es kann nicht festgehalten werden. Es verschwindet im gleichen Moment, an dem man es fassen will. Es kann eine Melodie sein, eine Erinnerung, ein Geruch, ein Bild, und für einen Schnipsel Zeit ist alles da, was den damaligen Augenblick ausgemacht hat.

Ein Fahrrad auf einem schmalen Pfad. Das Gefühl unendlicher Freiheit. Wie es damals war. Vor langer Zeit. Ein Gesicht. Wie aus einem Traum. Ein Sekundengesicht. Dann ist es weg. Und ich weiss nicht mal, wer es gewesen sein könnte.

Wunderbar und traurig zugleich, denn man hat das Gefühl, um etwas Wichtiges betrogen zu werden.

Ich frage mich, was ich tun soll. Bleibe ich hier sitzen, bis die Dunkelheit hereinbricht? Eigentlich will ich gar nichts. Nur sitzen und staunen. Über die Welt, die aus dieser Perspektive so wunderbar aussieht. Ist es das, was man sucht, wenn man wegfährt? Oder bin ich immer noch am gleichen Ort, zuhause, und die Welt dreht sich um mich herum? Vielleicht ist ja tatsächlich alles nur eine Vision. Die Vortäuschung falscher Tatsachen. Vielleicht leben wir in der Matrix. Alles nur Einbildung.

 

Und schon ist die Realität wieder da

Und während ich noch verloren bin in seltsamen Gedanken, holt mich die Realität wieder ein. Keine  Matrix. Keine Einbildung. Keine Vision.

Das hier ist auch eine Wirklichkeit. Sie ist weniger schön als das blaue Meer und das Rauschen des Meeres.

Da ist diese alte Frau mit dem Baby auf dem Arm. Unbestimmbares Alter, vielleicht 60, vielleicht erst 40. Eine winzige, verschrumpelte Frau, zart im Körperbau, mit bittenden klaren Augen. Ich drücke ihr, wie immer in diesen Augenblicken voller Scham, eine 10-Rupie-Note in die Hand und weiche ihrem Blick aus.

Auch das gehört zu diesem Tag.

Und zu unserer Welt …

 

PS Song zum Thema: Baggersee – Der moderne Mann

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Südindien

Mumbai – Tor zu einer fremden Welt

Irgendwann durchstossen wir die dichte Wolkendecke, und zum ersten Mal blinkt die Sonne auf. So bleibt es bis in den nahen Osten, wo sich die Wolken auflösen und den Blick auf eine öde Wüste mit merkwürdigen kreisrunden Schatten öffnen. Ich kann mir nicht erklären, was es ist, aber es sieht schön aus.

Der Vollmond verspricht mir Gutes. Ein Omen für die nächsten Wochen, so hoffe ich. Dann wird der Himmel farbiger, gelber, die Sonne verschwindet am andern Ende des Horizonts und hinterlässt eine warme Spur aus Licht und Farben, bis sich auch diese auflösen und Dunkelheit sich breit macht.

 

Full Moon
Vollmond

Irgendwann, noch immer über dem endlosen schwarzen Meer, tauchen am Horizont erste Lichter auf, sie werden zu einer gleissenden, über dem Ozean schwebenden Lichterkette, dann tauchen wir ein in den brennenden Himmel über Mumbai.

 

Touchdown

Alles geht seinen gewohnten Gang, schnell und effizient, und schon nach kurzer Zeit schlendere ich an den Beamten vorbei zum Ausgang, wo Hunderte von Tafeln und Zetteln in die Höhe gehalten werden.

Man muss die Schlange langsam abgehen, denn sonst übersieht man womöglich die eigene Tafel, aber da ist sie, Rodolf Landult, und ein junger smarter Inder lächelt mich erleichtert an, begrüsst mich in Indien und führt mich zum Ausgang, wo er kurz ins Handy spricht, um das Taxi heranzuholen.

Ich ziehe die warme aromatische indische Luft in vollen Zügen ein und bade im unvergleichlichen Laut- und Lärmgewitter, dass sich um mich herum entlädt.

 

Überwältigt

Der Blick durchs Fenster berauscht. Überall Millionen von Menschen, auf der Strasse, auf den Trottoirs, an den Fenstern. Ein endloses Gewirr, ein auf den ersten Blick erschreckendes Chaos, aber es funktioniert. Ich sitze reglos im Taxi, ein Besucher von einem anderen Stern, einmal mehr überwältigt, glücklich.

Und so bin ich in Mumbai – zurück in der verrücktesten Stadt eines ziemlich verrückten Landes.

 

Train in Mumbay

Es ist ein kleines Hotel, zu dem mich das Taxi nach kurzer Fahrt führt, in einer schmutzigen Nebengasse gelegen und einen Moment lang bin ich im Zweifel, ob ich am richtigen Ort gelandet bin. Aber es hat alles seine Richtigkeit, ich greife zum ersten Mal zwecks Tippverteilung in die Tasche, verwechsle ebenfalls zum ersten Mal einige Münzen und ernte gelassenes Lachen. Dann bin ich im Zimmer, die AC dröhnt, der Kopf dröhnt, es ist alles so, wie erwartet und trotzdem anders.

Ich bin angekommen.

 

Zärtliche Musik in der Luft

Ich fühle mich aber zum ersten Mal seit Wochen wirklich wohl, beinahe ausgeruht, obwohl der Schlaf in diesem merkwürdigen kleinen Hotel in Flughafennähe kurz und unruhig war.

Aber sogar durch den infernalischen Lärm der AirCon und durch die Ohrenstöpsel hindurch ist das Läuten des iPhones an mein offenbar aufmerksames Ohr gedrungen und hat mich aus dem Schlaf geholt. Das Erwachen kam mir vor wie das Auftauchen aus tiefem schlammigem Wasser.

 

Street in Mumbay

Schwebend in der Luft eine zärtliche Stimme, Musik, ein indischer Schlager. Wahrscheinlich von Liebe, Verlassenwerden, Hingabe, ewigen Schwüren. Ich sitze beim Frühstück. Vor mir eine leere Kaffeetasse, ein Teller, eine Flasche Mineral. Kellner schweben durch den Raum, leise, sanft in ihren Schritten.

 

Elephanta

Nach dem Frühstück hinaus in das Monster namens Mumbai, der Hölle für viele, dem Himmel für wenige. Ich bin auf Erkundigung beim Indian Gate, die ersten Momente intensiven Wärmegefühls. So habe ich mir das vorgestellt, als Indien noch ein ferner Traum war. So wie viele andere Träume, die sich manchmal verwirklichen lassen, manchmal nicht.

Treiben lassen, langsam angehen, keine Hektik. Zeit ist kein Problem, der Zug fährt erst heute Abend um elf. Kurz entschlossen das Boot nach Elephanta besteigen. Ein schöner, leiser Beginn. Stündige Fahrt auf einem Kahn, vorbei an der Stadt im Hintergrund, die einfach immer da ist, vorüber gleitet, kein Ende hat.

 

Mumbai - seen from the sea
Mumbais farbige Kulisse

Aussteigen auf der Insel, ein langer Weg in der Hitze, empor zu den berühmten Höhlen. Touristen tuckern in einem winzigen Spielzeugzug an mir vorbei. Schöne Frauen mit sanften Stimmen sitzen vor Bananen, Mandarinen, Süssigkeiten. Ich kaufe Nüsse in so einer Art Nougat und lasse mich langsam durch die dichter werdenden Horden von Menschen treiben.

 

Ein kleiner schwarzer Hund

Irgendwo muss ich Eintritt bezahlen, wahrscheinlich viel zuviel, denn es wird mir eine Führerin zugewiesen, die sofort mit einem ermüdenden Palaver beginnt. Ich werde durch die Höhlen geleitet, lasse mir die Götter und ihre seltsamen Schicksale erklären, ärgere mich über die gewalttätigen Portugiesen, die vor Jahrhunderten viel Schaden angerichtet haben. Dann mache ich mich selbstständig und gehe den Wegen entlang weiter.

 

Entrance to the caves in Elephanta
Eingang zu den Höhlen von Elephanta
Black Dog
Ein kleiner Hund begleitet mich auf der Tour

Ein kleiner schwarzer Hund begleitet mich ein Stück. Er sieht nicht so stark aus wie er sein muss um zu überleben, aber sein Blick zeigt, dass er bereit ist.

Dann Rückfahrt in die Stadt. Einsames, aber glückliches Spazieren durch die Strassen. Ein Drink und etwas Kleines zum Essen in einer der im Führer erwähnten Kneipen. Die Müdigkeit kehrt zurück, doch jetzt ist es eine entspannte Müdigkeit. Es wird dunkel, die Nacht legt sich auf die Stadt, doch alles bleibt laut und hektisch.

Gegen neun hole ich mein Gepäck und lasse mich zum Bahnhof chauffieren. Langes Warten im und ausserhalb des Wartsaals. Bilder schlafender müder Menschen, die sich der Länge nach auf dem Boden ausstrecken. Sie haben etwas Vertrauensvolles, vielleicht weil sie nichts zu verlieren haben.

Der Zug kommt pünktlich. Ein schönes Abteil, schnell bevölkert von einem jungen Australierpaar, Sam und Keila, und drei jungen Oestereichern. Reden, diskutieren, lachen. Wunderbar. Ich schlafe auf dem eigenartigen Bett schnell ein. Draussen rast knatternd und dröhnend Indien vorbei …

 

PS Song zum Thema: Led Zeppelin – Black Dog

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