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Südostasien

Hanoi – Living in Chaos

Ist gar nicht Ordnung das Mass aller Dinge, sondern ihr Gegenteil?

Am Nachmittag fährt der Zug, gemäss eindringlicher Warnung der überaus freundlichen Receptionistin, pünktlich um 15.40 ab. Genug Zeit also, um mich von Hanoi, diesem wilden Tier, zu verabschieden. Einmal mehr stürze ich mich ins Gedränge, wundere ich mich über nicht stattfindende Kollisionen, begegne freundlichen, abweisenden, verwunderten, ausdruckslosen Blicken und Gesichtern – und fühle mich schon fast ein bisschen wie zuhause. Was natürlich bedeutet, dass mir der Abschied schwer fallen wird, aber ein bisschen Zeit bleibt ja noch.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell eine Verbindung zu einem Ort hergestellt wird. Es gibt immer ein Vorher – keine grossen Erwartungen, alles, was man weiss, ist über Jahre entstanden, vieles davon wenig den Tatsachen entsprechend – und ein Nachher. Auch dieses ist mit Vorsicht zu geniessen, auch hier spielen momentane Gefühle hinein, die von bestimmten Erlebnissen determiniert werden. Was also ist wahr? Gibt es überhaupt eine objektive Wahrheit über einen Ort? Oder ist alles – wie so vieles – das Ergebnis zufälliger Emotionen und vermeintlich rationalen Schlussfolgerungen?

Ich weiss es nicht, und je älter ich werde, umso weniger scheint es eine schlüssige Antwort darauf zu geben.

Klar im Fall von Hanoi ist nur, dass dieses Chaos etwas in mir berührt hat. Eine Art archaische Empfindung, dass nicht Ordnung das Mass aller Dinge ist, sondern ihr Gegenteil.

Darüber muss ich nachdenken …

 

Unbekannter
Keine Ahnung, wer das sein könnte

Blumen
Alles bereit für eine Hochzeit


Zähe alte Damen

Also ein weiteres Mal durch die Liet, die engste, verstopfteste, aber gleichzeitig auch aufregendste Strasse/Gasse Hanois. Hier ist das Gedränge am dichtesten, der Lärm am lautesten. Und mitten drin – von weitem sichtbar durch ihre spitzen, geflochtenen Rundhüte – die Damen mit der Stange über den Schultern, an beiden Ende mit schweren Lasten behängt. Sie sind die Ruhe selbst, meistens ein freundliches Lächeln im Gesicht, das in vielen Fällen zerknittert ist, vom Alter, vom schweren Leben, von der täglichen Arbeit, die für die meisten unserer jungen muskelbepackten Männer in den Fitness-Zentren eine massive Überforderung bedeuten würde.

Jaja, Hanois zähe alte Damen. Sie haben meine restlose Bewunderung, meinen ganzen Respekt!

 

Alte Ladies in Hanoi
Zähe alte Ladies in Hanoi

Bodybuilding Vietnam-Style
Bodybuilding Vietnam-Style

 

Das Ende des Abenteuers Hanoi

Und so endet das Abenteuer Hanoi. Es gibt zwar nochmals eine kurze Aufregung, als mein Zugticket nicht den allgemeinen Vorgaben entsprechen soll, doch nach einigem Hin und Her werde ich dann doch noch dem richtigen Wagen, dem richtigen Abteil zugewiesen.

 

Bahnhof in Hanoi
Bahnhof in Hanoi

 

Ruckelnd, zuckelnd, mit viel Krach und dem ohrenbetäubenden Zusammenprallen der Wagen setzt sich der Zug in Bewegung. Auf an die Wärme. Zumindest klimamässig kann es nur besser werden …

 

Nadège

Nadège – so heisst die hübsche Dame, die mit mir und einer anfangs unbekannten Anzahl Vietnamesen das Abteil teilen wird. Wir kommen schnell ins Gespräch, und obwohl sie aus Frankreich kommt und ich ihr anbiete, in Französisch zu parlieren (ja wirklich!), beharrt sie darauf, Englisch zu sprechen (ich werde ihr ewig dankbar sein).

Manchmal geschehen diese zufälligen und ganz und gar unvorhersehbaren Begegnungen, die lange nachhallen. Dies ist eine davon. Es ist dieses sonderbare Gefühl, dass man sich schon ewig kennt, eine unmittelbare sofortige Vertrautheit, die sich in kurzer Zeit einstellt. Das Gespräch, zwischen knapp Vier und dem späten Abend, beginnt mit den üblichen Reiseanekdoten, den Abenteuern, die man glaubt, erlebt zu haben und die in der Erinnerung immer haarsträubender und immer weniger wahr werden. Doch nach einiger Zeit – und das ist das Unübliche – kippt die Geschichte ins Persönliche. Plötzlich sitzt da nicht mehr eine der meist banalen Reisebegegnungen gegenüber, die man schnell wieder vergisst, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut.

 

Gault-Millau und Gespräche über Gott und die Welt

Unser Gault-Millau Menü, bestehend aus Thon-Sandwich mit Pommes Frites und Ketchup, einer Vanille-Schnecke, die wir uns brüderlich-schwesterlich teilen, und Bananen zum Dessert, ist – obwohl sehr frugal – der kulinarische Höhepunkt des Abends, und das intensive Gespräch über Gott und die Welt, das unabwendbare Älterwerden und die Trauer, die damit einher geht, und ganz versteckt, aber zwischen den Zeilen spürbar, ihre Einsamkeit, wird unterbrochen, doch nicht für lange. Manchmal wenden wir uns ab, fast etwas beschämt, und wir verstehen wieder ein bisschen mehr von der Welt und wie sie funktioniert …

Aber lassen wir das …

 

PS Song zum Thema:  The Sonics – Livin‘ in Chaos

Für Hué, die alte Königsstadt, hier klicken …

 

Südostasien

Hanoi – Good Morning Vietnam

Die Umgebung, die sich dem verschlafenen Blick aus dem Fenster zeigt, könnte nicht unterschiedlicher sein. Gestern Vogelgezwitscher, Sonnenschein und die Aussicht auf einen heissen Tag, heute ein grauer vernebelter Morgen. Hupen, Gedröhn, ganz klar die Kakophonie einer grossen Stadt.

Es ist Mitte Februar, ich bin in Hanoi und in der Kälte gelandet. Dann also mit Adrian Cronauer aka Robin Williams: Gooooood Morning Vietnam!

 

Zurück im Vietnamkrieg

Dabei war der Flug kurz, keine 50 Minuten, doch er hat genügt, um mich vom Paradies in die erste Ebene der Unterwelt zu bringen. Ein ziemlich altes, propellergetriebenes Flugzeug. Sind das rostige Stellen auf den Flügeln, oder stelle ich mir nur das Schlimmste vor? Es erwartet einen gemischten Haufen von Reisenden, und ein gemischter Haufen ist es in der Tat.

So stelle ich mir die Passagiere in einer dieser Maschinen vor, die die amerikanischen Soldaten von einem Krieg zum nächsten führten. Die Männer neben mir scheinen die letzten Überlebenden dieses längst vergessenen Krieges zu sein: Amerikaner, Briten, andere undefinierbare Nationalitäten. In jedem Fall sehen sie aus wie Söldner: abgehärtet, gemein, dunkel, hart. „The Expendables“ kommt mir in den Sinn.

Das sind die Flugzeuge oder Airlines, vor denen man gewarnt wird. Dass sie gefährlich sind. In der Statistik der Flugunfälle an vorderer Stelle sind.

Was soll’s.

 

Hanoi by Night

Eine endlos lange Fahrt – erstaunlicherweise viel länger als der Flug – bringt mich mit horrendem Tempo  über eine nicht enden wollende Autobahn. Sie führt in schnurgerader Richtung nach Hanoi.

Es gibt einige Augenblicke, da ist einfach nur Luft anhalten geboten. Doch ich überlebe und gelange schliesslich in ein sehr respektables Hotel mit allem, was das Herz begehrt. Grosser Flatbild-TV, riesiges Badezimmer, Frühstück inklusive,, ein Bett in der Breite einer Turnhalle.

Inzwischen ist es zehn Uhr abends, und mein Magen ist leer wie der einer toten Kuh. Also suche ich ein Restaurant, aber überraschenderweise scheinen die Vietnamesen zu dieser Nachtzeit zu schlafen, denn ich finde nur geschlossene Türen. Keine andere Lösung als ohne Abendessen ins Bett zu gehen, was auch bedeutet, wie ein Hund zu schlafen. Übrigens ist es im Raum so kalt, dass ich froh bin, dass es eine Heizung gibt.

Heißes Südostasien? Das muss ein Witz sein.

 

Orientierungslos mit Stadtplan

Wie schon erwähnt, Orientierung ist definitiv nicht meine Stärke, aber ich ziehe frischen Mutes los, den Stadtplan in der Hand, und weiss bereits nach 5 Minuten nicht mehr, wo ich bin. Doch die Strassen sind gut beschriftet, und so findet sich auch ein blindes Huhn wie ich zurecht.

Alles andere ist schlicht unbeschreiblich, ich versuche es trotzdem.

 

Survival of the Fittest

Um dem geneigten Leser ein Bild  dessen abzugeben, was sich auf den engen Gassen abspielt, stelle man sich einfach Trottoirs vor. Sie sind vollgestellt mit Motorrädern, Fahrrädern, Autos und Tischen bzw. Stühlen, worauf sich, eng nebeneinander gekuschelt, Menschen über ihre Teller beugen.

Es gibt also absolut keinen Platz für Fussgänger, und so muss man sich den Weg über die Strasse suchen. Diese wird aber von hunderten von Rollern, Autos, Rischkas und anderen Fussgängern streitig gemacht. Das ist Darwin, Survival of the Fittest. Alle anderen flüchten zurück in ihre Hotels und buchen sofort den Weiterflug in ruhigere Gefilde.

 

Sidewalks in Hanoi
kein Platz für Fussgänger

Mir gefällt’s. Nicht dass ich nicht alle paar Sekunden mein Überleben mit einem Hechtsprung auf die Seite sichern muss, oh nein. Aber man gewöhnt sich sehr schnell an den Lärm, das ständige schrille Hupen von allen Seiten, die dichten Trauben von beweglichen Objekten, die alle nur das eine Ziel haben, irgendwie vorwärts zu kommen.

 

Ein sonderbarer Tanz

Was aber noch lange nicht heisst, in die gleiche Richtung, abermals oh nein, denn an den Kreuzungen entbrennt nun wirklich die Schlacht bei Waterloo. Alle versuchen, meistens sogar mit Erfolg, entgegen der Absicht aller anderen, über die Kreuzung zu gelangen, dabei wilde Schlenker nach links, nach rechts, zu vollführen, und das wirklich Verrückte ist, dass es gelingt. Ein sonderbarer wilder und trotzdem eleganter Tanz, ein Ritual, das sich an tausend Ecken und Kreuzungen tagtäglich abspielt, und Millionen von Teilnehmer sind Teil des Spiels.

 

 

Eine ruhige Oase

Irgendwann, tausende von herzzerreißenden Momenten später, ein See. Eine ruhige Oase inmitten der lärmenden Puffs. Ich atme tief durch und setze mich auf eine der Bänke am Ufer, aber es ist ziemlich kalt. Leicht zitternd, aber mit dem Gefühl, okay zu sein, schaue ich auf das graue Wasser.

Laut dem Führer gibt es tausend Geschichten über diesen See, eine davon über eine riesige Schildkröte, ein wahres Monster eines Tieres (dessen verstorbener Verwandter in einem Museum auf einer kleinen Insel im See einbalsamiert liegt). Vor einigen Jahren wurde er aus dem See gefischt, um die Auswirkungen des kontaminierten Wassers zu behandeln (der See ist zwar ein einziger Kanal). Nun denn, viel Glück, alter Freund!

 

A lonely island on the lake
Eine einsame graue Insel im See

The entrance to the museum
Der Eingang zum Schildkröten Museum

A sanctuary for a sacred turtle
Ein Heiligtum für eine heilige Schildkröte

 

Gebratene Nudeln

Es gibt so viel zu sehen, so viel zu verstehen, während man durch dunkle und überfüllte Gassen schlendert, entlang bunter Stände und winziger Suppenküchen, Werkstätten und Restaurants und allerlei Räumlichkeiten und Geschäfte. In einem der wirklich kleinen Restaurants (wie im Lonely Planet erwähnt) setze ich mich hin und bestelle gebratene Nudeln, die sich als überwältigendes Erlebnis erweisen. Nudeln mit einem großen Ausrufezeichen! Die hübschen jungen Mädchen, die die ganze Zeit kichern, freuen sich über meine Komplimente und so bekomme ich das erste Foto von mir selbst und zeige mir brutal, dass die Mütze, die fünf Minuten zuvor gekauft wurde, viel zu klein für meinen großen Kopf ist.

Es gibt auch eine Kirche, eine riesige und alte, die das Kolonialerbe mit französischem Ursprung widerspiegelt. Die Tür ist geschlossen, also umkreise ich sie und bewundere die immer noch beeindruckenden Mauern, während sich fromme Menschen, meist in Sonntagskleidern, an der Treppe versammeln, Fotos machen und Spaß haben.

 

Gray, threatening, gloomy - a church in Hanoi
Grau, bedrohlich, düster – eine Kirche in Hanoi

Ich habe auch eine gute Zeit wie die meisten Leute auch. Obwohl es eiskalt ist, sitzen sie auf winzigen Stühlen, tragen dicke Mäntel und Wollmützen und genießen das Essen und Lachen und Plaudern. Es erinnert mich an Jing Hong und ich wünschte plötzlich, ich wäre einer von ihnen …

 

Breakfast in Hanoi
Frühstück in Hanoi

 

PS Film zum Thema: Robin Williams – Good Morning Vietnam (best Scenes)

Und hier geht die Reise weiter …