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Südamerika

La Paz – Paläste für die Toten

Ein Unterschied (einer der wenigen) zu La Paz von 1981 Ist leicht zu erkennen.

Es ist die Gondelbahn, die in mehreren Linien die wichtigsten Quartiere der Stadt verbindet.

 

Gondel hinauf nach El Alto

Ein paar Infos dazu: Im Sommer 2012 wurde vom bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales der Bau von drei Seilbahn-Linien angekündigt, die unter anderem die Stadt El Alto mit dem tiefergelegenen Regierungssitz La Paz verbinden sollen, um der vor allem in Stosszeiten akuten Verkehrsüberlastung entgegenzuwirken.

Kritiker bemängelten jedoch, dass diese im besten Fall nur etwa sechs Prozent (18.000 Personen/Stunde auf allen 3 Linien; 17 Stunden Betrieb/Tag) der täglichen Verkehrsleistung in La Paz aufnehmen können. Trotzdem wurde am 10. September 2012 ein Vertrag zwischen dem österreichischen Unternehmen Doppelmayr und der bolivianischen Regierung unterzeichnet.

 

Gondola Cableway

View from the cableway

desert of red houses

sometimes even some trees

Nach einer Bauzeit von weniger als 18 Monaten konnte am 30. Mai 2014 die erste der drei Linien mit einer Streckenlänge von 2664 Metern unter Anwesenheit von Staatspräsident Evo Morales eröffnet werden, die Kabinen sind täglich 17 Stunden an 360 Tagen im Jahr in Betrieb, und können bis zu 18.000 Personen pro Stunde transportieren.

Seit Dezember 2014 sind inzwischen alle drei Linien mit elf Stationen in Betrieb, bis zum Jahr 2019 soll das Netz um drei weitere Linien auf insgesamt zwanzig Kilometer und 23 Stationen erweitert und das Grossprojekt im Jahr 2020 mit weiteren zwei Linien abgeschlossen werden.

Wenn man die täglichen Stosszeiten in Betracht zieht, hat man nicht den Eindruck, dass die Gondelbahn einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrsberuhigung leistet. Wie auch immer, das muss ich mir ansehen. Der Preis ist mit umgerechnet etwa dreissig Rappen bezahlbar. Dafür erhält man Hin- und Rückfahrt auf einer der Linien. Es gibt ein paar Zwischenstationen, wo man aus- bzw. einsteigen kann.

 

Hinauf nach El Alto

Sobald man die Talstation betritt, glaubt man, in einer anderen Welt zu sein, in einer hochmodernen, technisch und organisatorisch auf dem letzten Stand befindlichen Welt.

Also so ziemlich das Gegenteil vom ’normalen‘ La Paz.

Die ‚Linea Roja‘ fährt hinauf nach El Alto, der Schwesterstadt, also wie bereits erwähnt der Ort, wo die weniger Betuchten wohnen. Sobald man in der Kabine sitzt, könnte es auch irgendeine Bahn in der Schweiz sein, fehlen nur die grünen (oder weissen) Hänge, die Tannen und die weidenden Kühe.

 

Up to El Alto
Rote hochmoderne Kabinen über Stadtwüste
Red houses on the hill
Ein rotes Dächermeer am Abhang
View down the valley
Der Blick hinunter ins Tal

 

El Alto – Heimat der armen Bevökerung

Eine Million roter Dächer gleitet langsam unter uns vorbei.

Oben angekommen, ist man auf über 4000 Metern, und es stimmt, die Kälte hat zugenommen. Mehr gibt es in Gottesnamen nicht zu El Alto zu sagen. Die Häuser machen einen ärmlichen Eindruck, offenbar ist El Alto tatsächlich die Heimat des ärmeren Teils der Bevölkerung.

Auf der Suche nach dem besten Aussichtspunkt auf die Stadt hinunter, gehe ich die lange Hauptstrasse entlang, wundere mich über winzige Hüttchen und die davor sitzenden Frauen, die alle daran sind, eine Art Grill anzuheizen.

Ich kann nur spekulieren. Es würde mich nicht wundern, wenn hier in absehbarer Zeit der Geruch von Gegrilltem um die Nase kräuselt. Auf das auf den Grills Brutzelnde kann ich allerdings verzichten.

 

Something is going to be roasted, but what?
Irgendetwas wird hier in Kürze gebraten, aber was?

Aber die Aussicht auf die Stadt hinunter und die Umgebung ist atemberaubend. Am Horizont blinken weissgepuderte Gipfel, die hohen Berge sind nicht weit entfernt. Sie erinnern mich an meinen ersten Besuch in La Paz und die geistesgestörte Idee, ins nahegelegene Skigebiet zu fahren.

 

Up the mountain to ski
Lapislazuli-blaue Seen inmitten verlassener Einöde (very old, very bad picture)

Die Fahrt mit dem Jeep der entsprechenden Organisation ist lang und mühsam, führt aber entlang lapislazuli-blauen Seen inmitten braunen lebloser Wüste hinauf bis auf knapp 5000 Meter. Nach der Besteigung des Kilimandscharo also der zweithöchste Punkt, an dem ich je gewesen bin.

Und tatsächlich, schon von weitem ist das Dröhnen eines Dieselmotors zu hören, und dann, doch überrascht, hält der Jeep an einem schneebedeckten Abhang, auf dem doch tatsächlich ein Skilift in Betrieb ist.

Allerdings muss man alles vergessen, was man von einem normalen Skilift erwartet. Es gibt keine Sessel, keine Teller, keine Bügel, nur ein Stahlseil, das die mutigen Skifahrer den Hang hinaufzieht. Wie aber hält man sich am Seil fest? Nicht ganz einfach. Zusätzlich zu den Skis und Stöcken erhält man ein Seil, das anfänglich mit Unverständnis und Misstrauen betrachtet wird und eine Erklärung benötigt. Eigentlich ist es ganz einfach (so zumindest versichert man uns): man nimmt das Seil, wirft es über das Schleppseil, windet es so schnell es geht darum herum, bis es einigermassen hält und lässt sich aufwärts ziehen, wo man mit etwas Glück den umgekehrten Vorgang meistert.

Ich schaue mir das Ganze eine Weile an, sehe mit viel Spass zu, wie die mutigsten sich mit dem Aufwärtsziehen schwer tun. Immerhin scheint die Piste in Ordnung zu sein, doch ein mulmiges Gefühl hält mich davon ab, die höchste Skipiste auf der Welt selbst auszuprobieren. Ich habe wenig Lust, mit einem gebrochenen Bein in einem Spital in La Paz zu enden. Der Pfad zum obersten Punkt der Umgebung mit entsprechender Aussicht auf die verschneite Umgebung kompensiert ein wenig für das entgangene Skiabenteuer.

 

on top of the world
On top of the world

 

Die Linea Azul

Die ‚Linea Azul‘ führt weiter über El Alto hinaus. Ich bezahle also auch diesen Obolus von dreissig Rappen und lasse mich in luftiger Höhe über die Stadt tragen.

Aus der Höhe hat man eine wunderbare Sicht auf und vor allem auch in die Häuser, was zwar vielleicht etwas voyeuristisch ist, aber viel Spass macht. Es kann also durchaus sein, dass man einer Frau in der Küche beim Schälen der Kartoffeln zusieht und ihren verwunderten Blick mit einem höflichen Nicken beantwortet.

 

The El Azul Line in El Alto
Mit der Gondel über El Alto
Main Street in El Alto from above
El Altos Hauptstrasse von oben
The houses are near
Die Häuser sind zum Greifen nahe

Natürlich sind die meisten Häuser dem Wohlstandslevel der El Alto-Bewohner angepasst, also ärmlich, schmutzig (die Hinterhöfe!), die Zimmer klein, die durchaus vorhandenen Terrassen in den wenigsten Fällen benutzt. Es gibt vielleicht zwei oder drei Wohnungen, wo ich mir zu leben vorstellen könnte, allerdings geographisch etwa 10’000 Kilometer im Nordosten gelegen.

Aber sicher nicht in El Alto …

 

Der Friedhof – Paläste für die Toten

Auf dem Weg zurück in die Stadt steige ich an der Mittelstation aus. Der städtische Friedhof liegt in der Nähe am Abhang (in La Paz ist alles irgendwie Abhang) und da Friedhöfe eine seltsame Faszination ausüben, kann ich mir das nicht entgehen lassen.

Schon der Blick aus der Gondel eröffnet die Aussicht auf einige merkwürdige Gebäude, die nicht auf den ersten Blick identifizierbar sind. Doch der Guide klärt mich auf, es ist der berühmte städtische Friedhof.

 

It does not look like a cemetery, but it is
Sieht nicht aus wie ein Friedhof
The entrance to the cemetrey
Der Eingang zum Friedhof

Und wieder unterscheidet sich dieser Friedhof von allen bisher gesehenen. Er ist zusammen mit demjenigen von Buenos Aires einer der eindrücklichsten.

Er ist riesig, angelegt mit Strassen und Gassen, die namentlich bezeichnet sind, sodass man den Ausgang wieder findet (was mir natürlich nicht gelingt). Sie werden gesäumt von hohen dicken Mauern, an deren Vorderseiten Öffnungen von vielleicht 50x70x30 Zentimeter über- und nebeneinander eingelassen sind. Die Hinterseite der Öffnungen sind zugemauert, dahinter befinden sich die Särge.

 

Graveyard with houses and streets
Gleichzeitig morbid und grossartig

Davor jedoch finden sich wie bei uns die Namen und Daten der Verstorbenen, umgeben von frischen oder verwelkten Blumensträussen, von Bildern der Verstorbenen, von Inschriften, von Gegenständen, die den Verstorbenen gehörten und – einmal mehr äusserst irritierend – in beinahe jeder Graböffnung kleine Plastikblumen, die sich, wahrscheinlich batteriebetrieben, hin und her bewegen.

 

For every dead a small cage
Mit Liebe ausgestattete, winzige Grabstätten
full of love and grief
Trauer und Liebe
So much sadness behind flowers and pictures
Soviel Trauer hinter Blumen und Fotos

Man könnte stundenlang die teilweise kunst- und liebevoll gepflegten Grabhöhlen entlang gehen, die Inschriften lesen, die Wehmut und Trauer mitfühlen, die aus den seltsamen viereckigen Öffnungen sprechen …

 

Kilometerstand: 3991

Song zum Thema: The Yardbirds – Still I’m sad

Und hier geht der Trip weiter … nach Puno in Peru

 

Südamerika

La Paz – Atemlos

Der Bus hat sein Ziel La Paz sogar eine Stunde vor der geplanten Ankunft erreicht. Mit zwei Freunden, kurz vor der Abfahrt in Uyuni getroffen, suchen wir uns erstmal einen Ort, wo man einen Kaffee bekommt.

Es ist fünf Uhr morgens, stockdunkel, die Restaurants noch geschlossen, nur eine kleine Bar hat geöffnet. Eine resolute Dame schenkt Kaffee ein (ziemlich schrecklich, aber mit viel Zucker geniessbar) und überredet uns zu einem Stück Kuchen. Sobald wir bezahlt haben, werden wir zum Gehen aufgefordert, da schliesslich neue Kundschaft warten könnte. Was aber nicht der Fall ist.

Natürlich hat sie sich damit die falschen Kunden ausgesucht, denn wir lassen uns In aller Herrgottsfrühe nicht von Kaffee und Kuchen vertreiben. Ich würde sagen, eins zu null für die Schweiz.

 

Eine sehr kurze Taxifahrt

Müdigkeit und Unkenntnis der Strassen und Entfernungen führen immer wieder dazu, dass man von Taxifahrern übers Ohr gehauen wird.

Wie auch an diesem Morgen. Später erkenne ich, wie weit mein Hotel vom Busbahnhof entfernt liegt. Ich würde mal sagen, bei grosszügiger Schätzung etwa fünfhundert Meter. Der Taxifahrer nickt bei der Bekanntgabe der Adresse, macht ein paar grosszügige Zusatzschleifen und lädt mich für 20 Bolivianos vor dem Hotel ab.

Was kein schlechter Lohn für gerademal 5 Minuten Taxifahrt ist. Ladron …

 

The Adventurebrewhostel

Das ‚The Adventurebrewhostel“ wird im Internet in den höchsten Tönen gelobt. Ich habe mir ein Zimmer mit Bad reserviert und werde, obwohl noch früh am Morgen, in aller Freundlichkeit in Empfang genommen. Es ist ein typisches Backpacker El Dorado, mit allen notwendigen Ingredienzien wie Tischtennis, Musik aus boomenden Boxen, eine Bar mit einer Riesenauswahl an den angesagten Drinks. Und natürlich ist alles hochtechnifiziert, wobei dessen Nachteile schon bald empfindlich präsent werden.

 

The Adventurebrewhotel
The Adventurebrewhotel

 

Allerdings ist noch lange nicht Check-out-Time, deswegen werde ich wohl noch ein paar Stunden in der Lounge herumlümmeln müssen. Eine junge Dame aus Los Angeles leistet mir dabei Gesellschaft, bringt mir ihre Pläne fürs weitere Leben näher. Spannend! Sie will in nächster Zeit nach New York ziehen und dort als ausgebildete Ingeneurin bei einem Startup-Unternehmen anheuern. „And becoming a Billionaire like the guy from Snapchat?“

Sie lacht. Klar. Warum nicht.

 

Ein technisches Rätsel

Ein technisches Mysterium hält mich anschliessend noch eine Weile wach.

Es scheint, dass mein iPhone das einzige Gerät weit und breit ist, das sich standhaft weigert, mit dem WIFI Kontakt aufzunehmen. Mit dem iPad kein Problem, aber das iPhone gibt mir Saures. Der Typ an der Reception rät mir, es im angrenzenden Schwesterhostel zu versuchen. Stimmt, dort klappt’s. Allerdings bedeutet dies, dass ich für alles, was ich nicht via iPad erhalte, ein paar Meter nach draussen gehen muss?

Na wunderbar. Egal, kurz nach neun ist mein Zimmer bezugsbereit, und das allererste, was ich mache, ist mich ein paar Stündchen aufs Ohr zu legen. Wie gesagt, die Sitze im Bus sind bequem, aber von einem geordneten Schlaf kann nicht gesprochen werden.

 

Wiedersehen mit einem alten Freund

Es sind soviele Jahre seit meinem letzten Besuch in La Paz vergangen, dass ich wenig bis gar keine Erinnerungen daran habe. Aber ich erinnere mich, dass mir die Stadt schon damals ans Herz gewachsen war.

Wahrscheinlich hat sich eh alles verändert.

Die Stadt ist massiv gewachsen, ist die Hügel hinauf gekrochen, und einmal mehr muss ich die unglückliche Metapher anwenden, dass sich die Stadt wie ein Krebsgeschwür ausbreitet. Was auffällt, sind die Millionen von Menschen, die zahlreichen Kinder und Jugendlichen, aber leider auch die dröhnenden rauchenden hupenden Wagenkolonnen, die sich den ganzen Tag den Platz streitig machen. Der Verkehr hat massiv zugenommen, die Strassen jedoch sind gleich geblieben.

Die Stadt liegt ja in einem Talkessel, also ist der Platz für allfällige Verbesserungen der Infrastruktur beschränkt.

Doch unweit der Verkehrsachsen stösst man schnell auf die schönen Plätze der Stadt, wo sich das Leben noch etwas friedlicher abspielt, wo Strassenmusikanten spielen, Grossmütter ihre Enkel hüten, man die Kathdrale bewundert oder es sich einfach gut gehen lässt.

 

central plaza in La Paz
Einer der ruhigen Plätze
Children and pigeons
Kinder und Tauben
looks impressive
Sieht nach wichtigem Amtsitz aus

Ich schlendere mit einem Gefühl des Wohlbehagens durch die Nebenstrassen, merke aber schnell, dass wir auf fast 4000 Metern Höhe liegen. Der Schritt wird zwangsläufig langsamer, ich setze mich da und dort auf eine Parkbank, beobachte das Treiben und spüre den Atem der Stadt.

 

La Paz – die vermeintliche Hauptstadt

Die Stadt liegt auf etwa 3600 m in dem rund 400 Meter tiefen Canyon des Río Chokeyapu, der in die umgebende Hochebene des Altiplano eingeschnitten ist und sich zu einem Talkessel mit einem geschützten und angenehmen Klima weitet.

Auf der Hochebene westlich von La Paz ist die Stadt El Alto entstanden, die inzwischen mit 848.840 Einwohnern (Volkszählung 2012) größer als La Paz ist; dort befindet sich auch der internationale Flughafen La Paz-El Alto.

Der Höhenunterschied zwischen den weiter talabwärts gelegenen südlichen Stadtteilen mit vielen Villen und dem Stadtrand am oberen Ende des Talkessels beträgt knapp 1000 m, was bei der Abfahrt von El Alto hinunter nach La Paz zu einem der spektakulärsten Ausblicke Boliviens führt.

Zwischen der Höhenlage der Wohnviertel und dem sozialen Status ihrer Bewohner existiert eine eindeutige Beziehung: je höher die Lage, desto ärmer die Bewohner. Bei einer durchschnittlichen Abnahme der Temperatur um 0,6 °C je 100 m liegt die Differenz zwischen den tiefsten und den höchsten Wohnlagen bei immerhin 6 °C im Jahresmittel; auch die Höhenkrankheit stellt für Auswärtige in den oberen Vierteln ein größeres Problem dar.

 

Atemlos

Das sind nicht nur statistische Angaben, sie lassen sich auch gut am eigenen Leib erforschen. In der Zwischenzeit müsste ich mich eigentlich an die Höhe gewöhnt haben, doch die Strassen in dieser Stadt sind nie eben, irgendwie ist man dauern entweder im Abstieg oder Aufstieg begriffen, was zu einem dauernden Gekeuche führt. Kommt die Kälte dazu und gegen Abend auch der Regen, die das Ganze zu einem zwiespältigen Erlebnis machen.

Sidestreets of La Paz
Irgendwo geht es immer auf- oder abwärts

Auf jeden Fall bin ich am Abend froh um den Elektro-Ofen, der schon bald eine herrliche Wärme verbreitet und mir den Abend in meinem Zimmer zu einer Wohltat macht …

 

Kilometerstand: 3991

Song zum Thema:  Chase & Status – Breathing

Und hier geht der Trip weiter …

 

Südamerika

Von Uyuni nach La Paz – Lautlos durch die Nacht

Ein Dorf taucht einen Augenblick auf, in mattes Mondlicht getaucht.

Kein einziges Licht brennt in der Versammlung dunkler Häuser und toter Gassen. Das Dorf bleibt hinter uns zurück, wir eilen weiter, schnell, schnell, nur das monotone Summen des Motors im Ohr, dem unsichtbaren Horizont zu, der Vollmond als stummer Wächter über uns.

 

Der müde Geist träumt

Der müde Geist stellt sich lautlose Bewegung vor, mehr ein Gleiten oder Schweben, wie auf Flügeln, entlang den einsamen Ebenen, wo die Silhouetten einzelner Bäume im Licht des Monds schimmern. Er sieht keine Bäume, sondern eine Armee stummer, toter Soldaten, in Reih und Glied stehend, reglos, die Baumspitzen wie Speere in den Himmel stechend.

Er hört nächtliche Geräusche wispern, er spürt den Wind, der sanft über das Gesicht streicht …

Vielleicht ist es die Müdigkeit, der Moment vor dem Einschlafen, das einlullende Geräusch des Motors, die leisen Bewegungen der Mitreisenden im Schlaf, die solche Gedanken schaffen. Uyuni liegt längst hinter uns, es ist still geworden im Bus.

Langsam kriecht die Kälte vom Boden her die Beine hinauf, man ist froh um die Wolldecke und kuschelt sich ein. Ein wunderbar wohliges Gefühl der Geborgenheit umgibt einen wie eine zusätzliche warme Decke.

Aber es liegt eine lange Nacht und über 550 Kilometer vor uns. Ich habe einen Einzelsitz zugewiesen bekommen, eine Cama, wie es hier heisst, also eine sehr bequeme Möglichkeit, die Fahrt hinter sich zu bringen. Mein blödes Knie findet aber nach wie vor, dass es keine Position gibt, in der es sich wirklich wohlfühlt, also hin und her und wieder zurück und Beine strecken und wieder beugen …

Irgendwann schläft man trotz allem ein.

 

Ein langweiliges Backpacker Kaff

Es ist ein langer Tag gewesen in Uyuni.

Eigentlich hasse ich diese Tage, wo man um elf auschecken muss, der Bus aber erst um acht Uhr abends abfährt. Es gibt Orte, wo man sich trotzdem bestens unterhalten kann, in Sucre zum Beispiel, wo es in einem Tag tausend neue Orte zu entdecken gibt.

Nicht in Uyuni. Im Grunde ist es ein ödes, langweiliges Dorf am sprichwörtlichen Arsch der Welt, dem lediglich der nahegelegene Salzsee und der Railway Friedhof eine gewisse Bedeutung verschaffen. Es gibt wenige Sehenswürdigkeiten, wenn man von Sehenswürdigkeiten überhaupt sprechen kann.

 

Uyuni Uyuni 2 Uyuni 3 Uyuni 4

Ich mäandere gelangweilt durch die Gassen, auf der Suche nach Irgendwas, und stosse tatsächlich auf ein Highlight seltener Kunstlosigkeit. Es handelt sich um ein Denkmal für irgendwelche Kriegshelden, natürlich in kriegerischer Pose, aber hergestellt aus hellgrünem Material.

Ein hellgrünes Denkmal? Da fehlen mir die Worte.

 

Green Monument

 

Später lande ich auf dem verlassenen Bahnhof, dessen letzte Besucher wohl einige der verrostenden Züge auf dem Friedhof gewesen sein könnten. Die Leere ist erschreckend und traurig. Sind das weitere Zeugen eines unausweichlichen Niedergangs? Was bleibt ist die Hoffnung, dass der Salzsee noch ein paar Jahre nicht austrocknet (was angesichts des Klimawandels nicht ausgeschlossen werden kann)

 

deserted railway station in Uyuni deserted railway station in Uyuni 2

Einer der letzten Eisenbahnwagons hat einen besonderen Platz erhalten, was das Ganze eher noch schlimmer macht. Man stellt sich die Vergangenheit vor, das Gewusel auf dem Bahnhof, die wunderbaren Geräusche der einfahrenden Züge. Mir als grosser Eisenbahn-Afficionado bricht beinahe das Herz.

Die Geschichte der Eisenbahn in Südamerika ist eine besondere Tragödie. Waren noch vor wenigen Jahren hunderte, tausende Kilometer Schienennetz in Betrieb, sind es heute nur noch ein paar jämmerliche Strecken. Dafür verkehren nun Busse auf allen Strecken, die Bahnhöfe sind grösser als Flughäfen. Ein Jammer und eine Schande, wenn man an die Zukunft des Klimas denkt, das auch in Südamerika die ersten bösen Spuren hinterlässt.

 

old train carriage in Uyuni

 

Die Indio Frauen – würdevoll und liebenswert

Beim Streunen durch die Gassen stösst man irgendwann auf die einheimischen Indio Damen. Sie sind ein Augenschmaus nach all den öden Plätzen und noch öderen Sehenswürdigkeiten. Ihre Kleider sind sehr speziell, alles andere als unsere Vorstellung von Mode. Aber trotzdem oder eben deswegen einer Bewunderung würdig. Mir gefallen vor allem ihre Hüte und die Strümpfe unter den ausladenden Röcken. Wunderbar …

 

Alley in UyuniIndio Women in Uyuni Indio Women in Uyuni 2Indio Women in Uyuni 3

 

Massentourismus

Es handelt sich wie erwähnt um ein typisches Backpacker-Dorf.

Wenn diese Spezies in grosser Zahl am selben Ort auftaucht, wird es, genauso wie beim Massentourismus (der sich etwas später einstellt), schnell mühsam. Es gibt wie überall auf der Welt tausend Traveller-Treffs, alle mit dem gleichen Angebot an 0815-Gerichten wie Pizza, Falaffel, Sandwich und Co.

Das Essen ist grundsätzlich schlecht, die Bedienung unfreundlich (auch in Ländern, wo Freundlichkeit und Respekt zum Nationalcharakter gehören), und wenn es einen Ort gibt, wo man sich einen verdorbenen Magen holen kann, dann hier.

Die Hostels sind überteuert, in einem schlechten Zustand und das Personal kümmert sich einen Dreck um seine Gäste (gilt auch für die Hotels, wie ich aus eigener schmerzvoller Erfahrung sagen darf). Es kommen ja eh immer wieder neue Touristen, also warum sich Mühe geben.

Das ist – oder besser gesagt war – Uyuni. In einem Meer von wunderbaren Erfahrungen der giftige, auf dem Wasser schwimmende Oelfleck …

 

Kilometerstand: unbekannt

Song zum Thema:  Freur – Riders in the Night

Und hier geht der Trip weiter … in La Paz