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Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Ein Weg für Träumer

Es geht dem Ende entgegen.

Manchmal glaube ich, in der Ferne Genf zu sehen, was natürlich nicht sein kann. Es sind immerhin noch vier harte Etappen und viele Kilometer zu bewältigen, heute nach Etoy, einem kleinen Dorf im Landesinneren.

Aber was soll’s, auch die heutige Tour verspricht eine ganze Menge:

Ohne die geringste Steigung und dennoch mit wunderbarer Aussicht auf die Savoyer Alpen spaziert man vom Lausanner Hafen Ouchy auf einem breiten Uferweg ins alte Städtchen Morges mit seinem imposanten Schloss und dem ehemaligen Kriegshafen der Berner.

Tatsächliche Werte: Länge: 23.5 km, Aufstieg | Abstieg: 725 m | 650 m, Wanderzeit: 7 h 42 min

Es ist also tatsächlich eine recht lange Etappe geworden, aber meistens dem Ufer entlang, durch Wälder und Wiesen. So wie man sich’s vorstellt.

 

From Lausanne to Etoy

 

Das Leben am See

Während ich gemütlichen Schrittes dem See entlang laufe – bis Morges bleibt ja alles flach, keine Steigungen – beobachte ich das Leben am See. Es ist Sonntag, das Wetter fühlt sich zwar schlecht gelaunt an, aber die Seeufer sind bevölkert, Mamis und Papis mit Kinderwagen, alte Leute, die Hand in Hand am Uferweg flanieren, Jogger, Biker, Badende im See und im Pool, bloss kein einziger Wanderer. Aber zum ersten Mal überhaupt stellt sich eine merkwürdige Erkenntnis ein, unerwartet und überraschend.

Ich könnte mir vorstellen, hier zu leben.

Es ist nicht nur der See, das Lavaux, die milde Luft, die Atmosphäre, nein, es sind vor allem die Menschen, die mich mit Freundlichkeit und Herzlichkeit und Charme empfangen. Nicht dieses manchmal dumpfe, schwere, verschlossene Verhalten der Deutschschweizer, das auf ihre Abstammung hinweist. Bergler, Bauern, misstrauisch gegen alles Fremde, gegen alles von oben, gegen alles, was sie nicht kennen. Ein Menschenschlag, der Jahrhunderte lang das Überleben kannte und nichts anderes.

Ich will ihnen nichts vorwerfen, ich gehöre ja selbst dazu, aber wenn man sie besser kennt (was lange dauern kann), sind sie ganz angenehm (nicht immer).

Aber zurück zum Weg.

 

Boats at the shore of Lake Geneva

Deserted Pool, the clouds are guilty

Manchmal führt der Trail mitten durch eine öffentliche Badeanstalt, doch die Pools sind an diesem düsteren Tag leer, nur ein paar Unentwegte wagen den Sprung ins kalte Wasser.

Der Himmel ist mir (und all den anderen) heute nicht wohlwollend gesinnt, dunkle Wolken ziehen lautlos über das ebenso graue Wasser, doch nach den vergangenen Hitzetagen tut der Schatten und die angenehme Wärme gut.

Der Weg führt einmal mehr am Ufer entlang, der Lärm hinter mir verstummt, ich bin ganz allein, nur ein paar Ruderboote draussen im See versuchen offenbar die lokalen Rekorde zu brechen. Ein Mädchen, vorne sitzend, gibt den Ton an, die muskulösen Männer geben ihr Bestes.

 

Gray sky, gray water

Again alone along the shore

 

Allein auf weiter Flur

Ich bin allein unterwegs, wie meistens auf dieser Wanderung. Schätzungsweise 80-90 % der Zeit verbringe ich in meiner eigenen Blase, ungestört durch den Lärm der Welt, die Sinne offen und empfänglich für alles. Ich sehe, ich höre, ich rieche, ich fühle.

Wenn ich mich nicht irre, steht in Folge 5 von „Damengambit“ der Satz, der dazu passt: „Die stärkste Person ist diejenige, die keine Angst hat, allein zu sein.“

By the way, eine der besten Netflix Serien ever. Unbedingt reinsehen. Hier meine absolute Lieblingsszene am Schluss, wenn sie nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft die alten Schachspieler in einem Moskauer Park trifft:

 

Hape Kerkeling hat auf dem Jakobsweg Erleuchtung gesucht oder zumindest ein paar Antworten zu drängenden Fragen. Ob er sie gefunden hat, weiss ich nicht, aber ich denke, dass dieser Aspekt einen wichtigen Anteil am Riesenerfolg seines Buchs gehabt hat.

Ich suche zwar keine Erleuchtung, sollte sich aber etwas in dieser Richtung einstellen, bin ich durchaus empfänglich dafür.

Die langen Stunden durch strömenden Regen, weit und breit kein lebendes Wesen ausser den gelegentlichen Kühen auf der Wiese, oder unter sengender Sonne, während sich ringsherum eine Welt voller Schönheit öffnet, verschaffen mir so etwas wie Erleuchtung. Schon heute, ein paar wenige Tage vor dem Ende, spüre ich Emotionen, die mir bewusst machen, dass mir etwas sehr Kostbares geschenkt worden ist.

Wenn ich von der Wanderung und meinen Erlebnissen berichte, ist die erste Frage meistens „Allein?“ Auf die Antwort folgt in den meisten Fällen ein verständnisloses „Aha“, begleitet von Fragezeichen, die sich hinter gerunzelten Stirnen verstecken.

Es sind nicht die gestellten Fragen, es sind die nicht gestellten.

 

Ein Weg für Träumer

Wie oft muss ich noch wiederholen, wie sehr mir diese Wege gefallen? Wie verbunden ich mich fühle mit allem, was mich umgibt?

Manchmal folgt der Weg wieder dem See, mit einem einzigen Satz könnte man ins Wasser springen, dann wieder zweigt er ab, Sträucher und dichtes Gebüsch neigt sich über den Weg. Einmal, zweimal, je nach Lust und Laune, setze ich mich irgendwo hin, meistens am Wasser, starre hinaus auf die hellblaue Fläche, folge den Bewegungen der Wolken, sie sind meine Freunde geworden.

 

Path along the Lake Geneva

... and a path across dense nature

Sometimes just looking out to the gray lake

And always water and trees and clouds

some steadfast rowers

Path along a tunnel of trees and bushes

And then again through a forest, dirty and wet

 

Morges

Nach knapp vier Stunden erreiche ich Morges, gemäss Führer das heutige Tagesziel.

Das Savoyer Städtchen mit seiner breiten Uferpromenade, dem von den Bernern angelegten Kriegshafen (1691-96 erbaut) und dem Schloss, das heute ein Militärmuseum beherbergt, hat einiges zu bieten.

Aber es ist immer das gleiche Problem auf dieser Wanderung: nicht genügend Zeit, um gelegentlich zu verweilen, dem permanenten Vorwärtsdrang für eine Weile Einhalt zu gebieten. Das trifft heute ganz besonders zu. Ich bin sicher, dass Morges einen Aufenthalt lohnen würde, aber eben ….

 

The cathedral of Morges

The ancient castle, today a military museum

Der Weg führt eine Weile durch grosszügig angelegte Parkanlagen, uralte Bäume stehen reglos in Reih und Glied, eine Armee stummer Soldaten, Baumspitzen, die wie Speere in den Himmel stechen.

 

Park near Morges

an army of old trees

Aber dann, für heute die letzten Kilometer dem See entlang. Nachher geht’s ins Landesinnere, wo ein Zimmer in Etoy auf mich wartet. Nochmal die Wege durch dichtes Gehölz, ganz nahe am Wasser, Bäume strecken sich den Wellen entgegen, man glaubt, dass sie sich nahe sein möchten.

 

Even seen so many times - always an awesome view

Trees and water - they belong to each other

 

Le Boiron

Ein Bach, Le Boiron, führt nach dem Dorf Tolochenaz in den Wald hinein. Es geht nun gegen Norden, weg vom See, in Richtung von Etoy, dem heutigen Tagesziel. Dass der Weg dem Bach entlang „Sentier de la Truite“, Forellenbach, heisst, scheint selbsterklärend zu sein. Ich kann mir angesichts des schmutzig braunen Wassers allerdings nicht vorstellen, dass es hier noch viele Forellen gibt.

Aber der Weg ist traumhaft. Nur ganz wenige Wanderer, wohl eher Sonntagsspaziergänger, verirren sich in den Wald, man grüsst sich „Bonjour Monsieur“, „Bonjour Madame“ und geht seines Wegs.

Es ist feucht geworden, die nassen Bäume und Strächer zeugen von den Regengüssen der vergangenen Tage, der Weg ist zeitweise morastig und schwer zu begehen, aber das ist nichts Neues für mich.

Obwohl die bewohnten Gebiete wie auch die Autobahn nahe sind, fühlt man sich in einer anderen Welt. Die einzigen Geräusche sind das Murmeln des Baches, das leise Wiegen der Bäume im Wind, manchmal der sehnsüchtige Ruf eines einsamen Vogels im Geäst.

Manchmal wünschte ich mir, der Weg würde nie zu Ende gehen.

 

Le Boiron, a small brook in the forest

The bridge has lasted many years, one can see it

It is quiet, sometimes the lonely cry of a bird

The only sound far and wide - the gurgling of the water

 

Etoy – und ein geschlossenes Hotel

Nach ein paar Kilometern zweigt der eigentliche Panoramaweg wieder zurück zum See, doch für mich gilt eine alternative Route, die mich nach Etoy führen soll. Ich überquere die Autobahn – die lärmige Welt hat mich wieder – und folge dann einem endlos scheinenden Weg entlang Weizenfeldern und Treibhäusern.

Und tatsächlich, kurz vor Etoy fängt es an zu regnen, ich flüchte mich in den vermeintlichen Schutz eines Treibhauses, doch schon nach kurzer Zeit lässt der Regen nach, die paar Tropfen stören mich nicht.

 

I cross the Autobahn - back in civilisation

Etoy - greeted by house with ivy

Und dann bin ich da, in Etoy, einem kleinen unscheinbaren Dorf, das ich garantiert nicht besucht hätte, wenn ich andernorts ein Zimmer gefunden hätte.

Die Auberge Communale „Chez Yann“ sieht von weitem recht ansehnlich aus, allerdings auch sehr verlassen und geschlossen. Dass mir ausgerechnet das teuerste Hotel auf dem Weg einen sonntäglichen Streich spielt, finde ich nicht wirklich lustig.

Auf der anderen Strassenseite hat zumindest ein kleiner Laden geöffnet, die jungen Leute sind äusserst freundlich und zuvorkommend und helfen mir bei der Lösung dieses stupiden Problems. Nach einigen vergeblichen Anrufen beim Hotelmanager (der irgendwo ausserhalb wohnt), kriege ich den Kerl tatsächlich ans Telefon, bin wahrscheinlich etwas ruppig im Ton, aber immerhin verrät er mir das Geheimnis, wie sich das Tor zum Sesam öffnen lässt.

Also, ich habe ein Zimmer, es gibt eine heruntergekommene Dusche, die ich erst mal flicken muss, einen winzigen TV, wo ich später Fussball sehen möchte, und im ganzen Kaff kein Restaurant, wo ich mein weiss Gott hart verdientes Dinner essen könnte. Ich kaufe also im Laden ein und verziehe mich dann ziemlich schmollend auf mein Zimmer und schwöre, dass ich für einmal eine sehr negative Bewertung dieses unmöglichen Etablissements abgeben werde.

 

Song zum Thema:  Bishop Briggs – The Way I do

Und hier geht die Reise weiter … nach Gland am Genfersee

 

Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Das Lavaux als Höhepunkt

Es würde mich nicht wundern, wenn die heutige Etappe die schönste der ganzen Wanderung wird.

Es ist acht Uhr morgens, der Himmel ist so blau, wie er sein sollte, der See kräuselt sich im Morgenwind, was kann man von einem gewöhnlichen Samstag mehr erwarten. Das abendliche Tief ist durch viele Stunden tiefen Schlafes verschwunden. Und vor allem – der Weg durch das Lavaux ist ein besonderer Leckerbissen.

 

Just water and clouds and mountains

 

La Place du Marché

Nun, das Frühstück muss ich mir wieder mal auswärts organisieren, aber der grosse Platz direkt vor meinem Hotel, la Place du Marché, bietet nicht nur zahlreiche Restaurants und Cafés, nein, heute Samstag ist Markttag, der Platz ist voll belegt mit unzähligen Ständen, die alles, was das Herz begehrt und dem Gaumen mundet, anbieten.

Während ich durch die Stände gehe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Solche Märkte würde ich mir auch in der Deutschschweiz wünschen. Wo die wunderbaren Düfte in der Luft schweben, wo sich die Leute treffen, schwatzen, einkaufen, fröhlich sind.

Anyway, ich kann mich kaum zurückhalten, muss aber gleichzeitig aufpassen, dass ich meinen Rucksack nicht überlade, denn heute steht eine zwar grossartige, gleichzeitig aber auch sehr lange Etappe vor mir. Ich begnüge mich also lediglich mit frisch duftendem Brot und einigen süssen Verführungen, die aussehen wie Schnecken, aber noch viel besser munden.

Doch bevor ich losziehe, setze ich mich in das nächste Café, bestelle Kaffee und eine wunderbar duftende Brioche und lasse das Leben ringsherum auf mich wirken. Es ist schwierig, sich loszureissen. Man möchte bleiben, den Tag auf diesem Stuhl verbringen, dazwischen vielleicht ein Schwatz mit irgendwelchen Leuten, etwas essen, etwas trinken und einfach das Gefühl spüren, am richtigen Ort zu sein.

 

La place du marché

Wie erwähnt, die heutige Etappe verspricht eine ganze Menge.

Eine Genusswanderung durch die steilen Rebberge des Lavaux, die seit 2007 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. Unterwegs trifft man auf die uralten Winzerdörfer St-Saphorin, Rivaz, Epesses und die schmucken Städtchen Cully und Lutry am Lac Léman.

 

From Vevey to Lausanne

 

Das Lavaux – eine weltberühmte Schönheit

Bevor es richtig losgeht, ein paar Worte zu dem, was mich heute erwartet.

Mit über 800 Hektaren Rebfläche sind die Weinberg-Terrassen des UNESCO-Welterbes Lavaux das grösste zusammenhängende Weinbaugebiet der Schweiz und bietet Terrasse für Terrasse beste Aussichten. Terrassierte Weinberge, unten der Lac Léman, hinten die verschneiten Berge – man braucht etwas Zeit, um diese Landschaft richtig zu geniessen! (Copyright MySwitzerland.com).

 

The Lavaux - UNESCO World Heritage

Der Weg folgt anfänglich dem Ufer, der Lärm der Stadt bleibt hinter mir zurück, es wird ruhig, nur noch das Plätschern der Wellen, die leise ans Ufer klatschen, begleitet meine Schritte. Etwas später überquert man den Fluss La Veveyse, der sich hier in den See entleert, nicht eben so sauber, wie man sich das von einem Gewässer vorstellt.

 

The wine terraces greet from afar

Doch dann zweigt der Weg nochmals in die Stadt ab, ich komme an einem stattlichen Gebäude vorbei, Nestlé, wie es scheint, der Nahrungsmittel Gigant, der hier seinen Hauptsitz hat. Es dauert eine Weile und ein paar Kilometer, bis die Eisenbahn unterquert, zahlreiche Strassen überquert und endlich das offene Land erreicht wird. Doch dann, endlich, fängt es an.

Man glaubt, in einer anderen Welt angekommen zu sein.

 

Durch die Weinbauterrassen

Obwohl die Wege durch die Anbaugebiete durchwegs asphaltiert sind, ist das Gehen ein einziges Vergnügen. Wie könnte es auch anders sein: die Luft ist warm und frisch, der Wind eine zärtliche Umarmung, das Auge trunken durch all die Anblicke rechts und links des Weges.

Man hat den Eindruck, in etwas Vollkommenes geraten zu sein, etwas, was es gar nicht geben kann, denn alles Menschliche ist unvollkommen, wie Fernando Pessoa behauptet.

Ich habe Mühe, alles aufzuzählen, was einfach da ist, als wäre es das Normalste dieser Welt.

Es sind nicht nur die blühenden grünen Terrassen, wo man jetzt schon die reifenden Trauben hängen sehen kann, es ist – besonders heute, als Geschenk an mich und alle anderen Spaziergänger und Wanderer mit dem gleichen Ziel – auch der See, dessen Wellen sanft schaukeln, es ist der Himmel, beinahe wolkenlos, es sind die Berge am anderen Ufer, behängt mit Schleiern aus Wolken, es sind die kleinen Türmchen, die aus stattlichen Häusern ragen, die Dörfer, die alle paar Kilometer zum Trank (am liebsten natürlich zu einem Schluck Chasselas, dem hiesigen Wein) laden …

Wie soll ich morgen die Wanderung fortsetzen, wenn das Schöne bereits vorbei ist?

 

Path through the vineyards

view from the vineyard to the lake

 

Weit weg von allem

Manchmal setze ich mich auf eine Steinmauer, knabbere an meinem süssen Teil, dessen Name ich leider nicht weiss, wieder einmal vollkommen bei mir. Wie könnte man auch anders. Wenn jemand inmitten dieser Schönheit seinen Problemen nachgrübelt, hat er tatsächlich ein Problem.

 

Mountains on the other side of the lake

Sometimes just a boat and the lake and nothing else

Also in Kürze, ich komme aus dem andächtigen Staunen nicht heraus, lediglich einen Augenblick lang, wenn mich das Geräusch der Autobahn, die oberhalb des Lavaux durchführt, aus meinen Träumereien holt.

 

Verkaufsstände und Wein, viel Wein

Alle paar Kilometer laden winzige Verkaufsstände, nicht mehr als ein Tisch und eine kleine gedeckte Hütte, zum Kauf des hiesigen Weins ein. Wie bereits erwähnt, der Chasselas ist hier die wichtigste Sorte, die seit Jahrhunderten angebaut wird. Der Wein hat immer noch seine Fans, hat aber in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren.

Nun, ich würde mich gern zu einem Schluck einladen, allerdings ist der Weg bis Lausanne noch sehr weit. Ob ein halbnüchterner Wanderer noch genug Durchhaltevermögen besitzen würde, wage ich zu bezweifeln, deshalb lasse ich es schweren Herzens sein.

 

The sky fits the picture

when there's no vineyard, then it's blooming flowers everywhere

Houses and trees and ships

Ganz oben auf einem Hügel – man bewegt sich ja permanent auf und ab, ist manchmal in Seenähe, dann wieder ganz auf den oberen Hügeln – befindet sich ein Aussichtspunkt, auf dem ich liebend gern meine Siesta abhalten würde. Aber alle Sitzplätze sind belegt, auch kein Wunder bei diesem prächtigen Wetter. Ganze Heerscharen von Spaziergängern und Wanderern und Bikern sind unterwegs, machen sich gegenseitig den Platz streitig, aber alles geht in gutmütigem Chaos vor sich.

 

Schiffe und Autos und Häuser und reiche Leute

Manchmal, etwas überraschend und einen Augenblick lang ärgerlich, biegt plötzlich ein Auto um die Ecke, obwohl man meint, auf Wanderwegen zu sein. Aber eben, inmitten der Anbaugebiete befinden sich Häuser, eher Villen, die hier schon seit Urzeiten stehen und nun an die Enkel mit ihren teuren SUVs vererbt worden sind. Hinter getönten Scheiben sitzen attraktive Damen oder ihre ebenso attraktiven Männer und auf den hinteren Sitzen die nächste Generation an attraktiven reichen Leuten.

Tja, so ist die Welt. Man wundert sich etwas, und geht seines Weges. Alles andere wäre Vergeudung wunderbarer Momente.

 

Boats and rich people

A house in the midst of paradise

Houses like fortresses in the middle of the vineyards

 

Dörfer, doch Restaurants sind rar

Alle paar Kilometer wird man von einem Dorf empfangen, manchmal direkt am See, dann wieder auf den Hügeln. Ich bin durstig, verlange nach einem starken Kaffee oder  irgendwas, aber die Etablissements wie beispielsweise in Rivaz oder Chexbres sind alle geschlossen.

Das verstehe ich überhaupt nicht, das Welschland hat doch eigentlich den Ruf, sehr kundenfreundlich und dem Trank zugetan zu sein. Aber sei’s drum, ich gehe weiter, das Leben ist auch ohne Kaffee erträglich, vor allem heute. Ich folge dem Chemin du Dezaley, das ist mal ein Wein, dem ich durchaus zugeneigt bin, vor allem zu einem Fondue.

 

St. Saphorin - the village with another famous wine
St. Saphorin – Dorf mit berühmtem Namen

St. Saphorin - old and famous

 

Am Ufer entlang

Nach Epesses (wieder ein Dorf mit einem berühmten Namen) zweigt der Weg zum See hinunter, ich verlasse für den Moment die Weinberge und folge dem Uferweg, mal eine willkommene Abwechslung nach all den Weinreben rechts und links, die nur das Verlangen nach etwas anderem als Hahnenwasser anstacheln.

Schattige Alleen säumen den Wanderweg, die Mittagshitze verzieht sich unter den Bäumen. Manchmal trifft man unerwartet auf knapp bekleidete Leute, die am Ufer sonnenbaden oder sich im Wasser tummeln.

Ein seltsames Zusammentreffen zweier Welten, die in diesem Moment nicht unterschiedlicher sein könnten. Man wirft mir ein paar Blicke zu, man fragt sich wohl, was der komische Wanderer ausgerechnet an diesen Gestaden zu suchen hat.

 

The path along the lake ...

... through shady alleys ....

... and along blooming bushes and meadows

Aber dann, endlich, ein Restaurant, direkt am See gelegen, sehr voll, ein Gemisch verschiedener Stimmen, Gelächter, Kinder, Babies. Ich lasse mich von der Atmosphäre der Umgebung einlullen, nippe an meinem Kaffee, zurückgelehnt, einfach nur zufrieden, hier zu sein.

 

Restaurant at the lake - a very welcome place

Anschliessend folgt der Weg wieder dem See, die Berge auf der französischen Seite scheinen näher gekommen zu sein, vielleicht eine Illusion, ein trompe l’oeil, wie man hier sagen würde. Segelboote lassen sich vom leichten Wind treiben, aber auch kein Wind wäre nicht ein Weltuntergang.

 

Just water and clouds and sky and a few boats

 

Alte Bäume

Dann plötzlich ein Dorf, Cully, ganz unerwartet, auch wenn mich die Karte längst darauf hingewiesen hat, ein prächtiger Platz direkt am Ufer, Bänke und vor allem ein paar Bäume, die viel zu erzählen hätten, wenn sie denn wollten.

Der eine, ich tippe auf ein Ahorn, wurde 1798 gepflanzt, der andere, dessen Identität ich nicht herausfinde, genau hundert Jahre später.

Die beiden Methusalems strömen trotz ihres fortgeschrittenen Alters unerschütterliche Kraft und Würde aus. Man stelle sich vor, 1798, eigentlich noch mitten in der französischen Revolution, Europa ist im Umbruch begriffen, alles verändert sich, auch die Schweiz.

Und unbeachtet von all den politischen und gesellschaftlichen Wirren wird am Ufer des Genfersees ein Ahornbaum geplanzt, und jetzt, 223 Jahre später, steht der Baum immer noch in all seiner Pracht, während sich die Welt in irrem Tempo weitergedreht hat.

Verrückt und gleichzeitig sehr beruhigend. Es gibt Dinge, die geschehen jenseits von allem.

 

A very old tree, planted in 1798

... and another old tree, planted 1898

 

Die Weinberge zum letzten Mal

Der Weg führt durchs Dorf, dann zweigt er erneut ab in die Weinberge, nochmaliges Vergnügen, doch es sind nun definitiv die letzten Kilometer, bevor es dann endgültig zurück zum See geht.

Bisweilen fühle ich mich, ich weiss nicht warum, von einem Gefühl des Nichtdazugehörens berührt. Ich bin ein Fremder, jemand, der kurz da ist und gleich wieder verschwindet. Man bietet mir Schönheit, ein Geschenk an den Fremden, der geniesst, staunt und nach kurzer Zeit wieder loslassen muss.

Ich weiss nicht, warum diese Gefühle entstehen, ausgerechnet an einem Tag, der so voll von allem ist. Vielleicht ist es die Ahnung des Verlusts, der sich immer dann einstellt, wenn etwas da ist, das zum Verschwinden oder Vergessen verdammt ist.

Seltsame Gedanken. Ich verstehe sie selbst nicht.

 

Last kilometers at the vineyards

The day's destination afar

But still the beauty of everything

 

Zugängliche Ufer

Wenn ich an den Zürichsee denke, an all die Abschnitte, die als privat deklariert und somit für das gemeine Publikum unzugänglich sind, dann fühle ich mich hier in einer anderen Welt. Ich habe keinen einzigen Meter gesehen, der für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Das sollte sich unsere bürgerliche Mehrheit mal zu Herzen nehmen.

 

Narrow path along the lake

Some quite strange detours

 

Das Ziel kommt näher

Die Dörfer werden dichter, beinahe nicht mehr voneinander unterscheidbar, Lausanne, das heutige Tagesziel ist nahe. Ich geniesse ein letztes Mal die Sicht auf den See, blicke den sich langsam entfernenden Schiffen hinterher, und bin trotzdem froh, dass es nicht mehr weit geht.

 

The last meters to Lausanne

My friends, some ducks, irritated by young blokes

Aber dann, ich atme durch, Lausanne, zuerst Lutry, dann Pully und schliesslich Ouchy, wo die heutige Etappe endet.

 

Lausanne - finally

Allerdings ist mein Weg  noch nicht ganz beendet, denn mein Hotel liegt doch noch einige Distanz entfernt. Nach einigem Hin und Her entschliesse ich mich, den Weg zum Hotel zu Fuss zu gehen, eine ziemlich idiotische Entscheidung. Was ich nämlich nicht beachtet habe, ist die Tatsache, dass Lausanne an einem Hügel liegt, ergo muss ich den weiten Weg, notabene nach über 8 Stunden, den Hang hinauf gehen. Ich könnte mich verfluchen, aber so ist es nun mal.

Keuchend und ziemlich am Ende meiner Kräfte erreiche ich schliesslich das Hotel Ibis, checke ein, dusche, suche ein Restaurant und lehne mich vor einem Teller Pasta zurück, müde und zufrieden und sehr sehr glücklich …

 

Song zum Thema: Ladytron – Beauty

Und hier geht die Reise weiter … nach Etoy