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Hippie Trail

Der Hippie Trail – Tote Schafe, tote Esel

So sind wir nun also tatsächlich wieder unterwegs.

Nach ein paar begeisterten Kilometern – wir fühlen uns wie neugeboren – verzieht sich die Begeisterung und macht Sorgenfalten Platz.

 

Zurück nach Täbris

Der Boss hat uns gewarnt, dass der Motor am Anfang etwas rucken könnte, aber dieses Rucken macht keinen guten Eindruck. Wir werden zwar nicht allzu fest, aber doch sanft durchgerüttelt, was für die weiteren Kilometern ein unerträglicher Zustand bedeuten würde.

Wir kehren also um, der Boss empfängt uns mit wenig Euphorie, doch er kriecht zähneknirschend nochmals unter den Wagen und wünscht uns dabei wahrscheinlich zum Teufel. Aber seine Kompetenz enttäuscht uns nicht, nach ein paar Minuten gibt er grünes Licht, und wir nehmen erneut Abschied, hoffentlich zum letzten Mal.

 

Durch ein fremdes grausames Land

Da wir sozusagen mit einem neuen Motor unterwegs sind, muss er zuerst eingefahren werden. Wir tuckern also mit gemütlichen 60 km pro Stunde durch dieses neue unbekannte Land.

Nicht, dass es sich fundamental von den wüstenartigen Gegenden in der Osttürkei unterscheiden würde, nein, es sieht gleich aus und doch wieder anders.

Es sind die gleichen verbrannten Hügel und Felder, in allen möglichen Gelb- und Braunschattierungen, manchmal ein paar magere Schafe und Kamele, die genüsslich an verdorrten Gräsern nagen.

Und trotzdem entsteht der merkwürdige Eindruck, dass sich diese Gegend nicht gegen uns verschworen hat wie in der Osttürkei, da ist keine Feindseligkeit zu spüren, keine Zurückweisung.

Was allerdings seltsam ist. Denn immer wieder fahren wir an Autowracks in allen Stufen der Zerstörung vorbei, wir weichen den Kadavern von überfahrenen Hunden aus, ein toter Esel liegt im Strassengraben. Eine zerfetzte, überfahrene Schafherde. Der schuldige Lastwagen liegt zertrümmert m Strassengraben.

Niemand kümmert sich darum.

Ein Schlachthaus.

Wieso fühlen wir uns trotzdem wohl? Ist es die Erleichterung über das Ende des Täbris-Abenteuers? Oder spüren wir einfach, dass wir weder willkommen noch unwillkommen sind? Das es dem Land schnurzegal ist, ob wir da sind oder nicht?

Seltsame Gedanken.

 

From Tabriz to Zandjan

 

Ein Dorf am Horizont

Der Erdoelboom scheint in den ärmeren Gegenden noch nicht angekommen zu sein.

Die seltenen Dörfer, manchmal direkt an der Strasse, andere fern am Horizont, ducken sich unter der erbarmungslosen Sonne. Vor den ärmlichen Lehmhäusern lehnen schattenhafte Gestalten, regungslos, apathisch. Frauen waschen ihre Wäsche am Bach, sie schauen nicht auf.

 

Northern Iran 2

Doch der Himmel ist weit und blau und kümmert sich nicht um die kümmerlichen Existenzen auf der Erde.

Wir fahren durch eine lebensfeindliche Gegend, manchmal für viele Kilometer nichts ausser Sand und Steine und Felsen, rötlich und braun und gelb und grau, in der Hitze glühend.

Und dann ist da diese allumfassende Stille, lediglich unterbrochen durch das Geräusch des Motors. Manchmal halten wir an, stellen den Motor ab, lauschen, man meint, ein Raunen zu vernehmen. Das Raunen der Wüste. Es ist kein Geräusch, es ist dessen Abwesenheit.

Viele Jahre später werde ich mich in Ladakh an das Raunen der Berge erinnern, auf dem Baby-Trek.

Eine Klimaanlage wäre schön, die Vorstellung einer kühlen Brise durch den geschlossenen Wagen ein Traum. Also denkt man an geöffnete Fenster, aber das ist keine gute Idee. Die Luft draussen glüht, niemand will sich einen Föhn auf höchster Stufe mitten ins Gesicht halten.

Anyway, wir werden von Tag zu Tag resistenter gegen die bösartigen Temperaturen, eine gute Übung für das, was im Osten auf uns wartet.

 

Stop in Zandschan

Nach ungefähr der Hälfte der Strecke bis Teheran erreichen wir, ziemlich ausgeglüht und müde von der langen Fahrt mit verminderter Geschwindigkeit, die Stadt Zandschan.

Nichts besonderes würde man denken, doch ein Zitat aus Wikipedia zeigt etwas anderes:

In den letzten Tagen des Regimes Mohammad Reza Pahlavis legten die Händler des Basars von Zandschan aus Protest gegen das Ausbleiben versprochener Reformen den Betrieb des Basars für 45 Tage still.

Einmal mehr zeigt sich, dass kleine, vermeintlich unwichtige Dinge grosse Auswirkungen haben können.

Doch wer hätte im Herbst 1974 gedacht, dass das Schah-Regime in etwas mehr als vier Jahren wie ein klappriges Kartenhaus zusammenstürzen würde? Dass ein fundamentalistischer Ajatollah namens Ruhollah Chomeini auf den Trümmern des vorherigen Imperiums einen Gottesstaat fründen würde, die unter dem Namen Islamischer Gottesstaat bis heute existiert?

Historische Entwicklungen sind unvorhersehbar, unerklärlich und manchmal ziemlich verrückt.

 

Zandjan Iran
Von Mardetanha – Own work by upload, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6430133

Auf jeden Fall verbleibt die Stadt ohne nennenswerte Erinnerungen auf dem Weg in den Osten.

Oder doch wenigstens ein bisschen: beim Einkaufen lernen wir einen jungen Iraner namens Reza kennen. Wie könnte es anders sein – er ist an allem interessiert, was aus dem Westen kommt.

Und da stellt sich doch gleich die Frage, was nach der Revolution aus seinen Träumen geworden ist.

Zerbrochene Träume.

 

Passender Song zur Zeit:  Bachman Turner Overdrive – You ain’t seen nothing yet

Und hier geht die Reise weiter … endlich nach Teheran

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Ramadan und Hunger

Das Hotel „Ramsar“ an der Pahlevi Avenue mag zwar nach europäischen Standards billig erscheinen, doch wenn man Komfort, Dienstleistungen und alles andere, was ein gutes Hotel ausmacht, in die Beurteilung miteinbezieht, sieht die Sache etwas anders aus.

Kurz – unsere Unterkunft ist eine schmierige Absteige mit schmierigen Möbeln, schmierigen Hauseingängen und schmierigem Personal.

Perfekt, um unseren Zwangsurlaub zu verbringen. Manchmal ist es gut, wenn die eigenen Ansprüche nicht besonders hoch sind.

 

Täbris – Einstieg in den Orient

Der persische Alltag bietet auf den ersten Blick nicht viel Überraschendes. Der Verkehr rauscht wie bei uns auf breiten und gut angelegten Strassen vorbei. Überall geschäftiges Treiben, vor allem, wenn man die Hauptstrassen verlässt und sich in die dahinterliegenden Gassen wagt und auf einen Schlag in die Vergangenheit katapultiert wird.

Man glaubt, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. Könnte es das 18. oder 19. Jahrhundert in Europa sein? So stellen wir es uns vor: schmale Gassen, die scheinbar nirgends hinführen. In dunklen Hinterhöfen spielen dreckige Kinder, die uns gleichzeitig neugierig und misstrauisch beäugen. Ich vermute, dass uns dieser Eindruck noch öfters begegnen wird.

Und wieder einmal zitiere ich aus einem Machwerk, das Jahrzehnte später erstellt werden wird:

Als erstes führte sie Jaco die abschüssige Gasse hinab, die in jenes Viertel führte, das von seinen Bewohnern ironisch, jedoch durchaus treffend das Loch genannt wurde, ein Irrgarten, in dem der Unkundige nach kurzer Zeit jeglichen Sinn für die Orientierung verlor. Verwinkelte Gässchen führten mitten in ein undurchdringliches Labyrinth und über kurz oder lang verlor man sich in Hinterhöfen, Sackgassen und verwunschenen Plätzen. [Eine Schlange in der Dunkelheit]

Inmitten vollgestopfter Krämerläden, wo eine Menge undefinierbaren Krams angeboten wird, inmitten düsterer Handwerkerbuden, wo emsig gehämmert, gesägt, geschraubt wird, erwarten wir auch kleine Spelunken, wo die Handwerker ihre wohlverdiente Pause verbringen und bei einem Schwatz den neuesten Klatsch austauschen. Oder normale Restaurants oder Hotels, die notwendige Abrundung des Angebots.

Doch nichts dergleichen.

Man muss sich Mühe geben und sehr lange suchen, bis man eher zufällig ein entsprechendes Etablissement entdeckt, ganz verschämt in einer Ecke des Quartiers versteckt.

Aber es ist geschlossen. Es braucht etwas Zeit, bis wir den Grund verstehen.

 

Ramadan

Natürlich, der Ramadan. Die jährliche Fastenzeit der Moslems, dieses Jahr vom 17. September bis zum 16. Oktober. Während des Tages, d.h. zu Beginn des Fastens am frühen Morgen bis zum Abend, ist Essen, Trinken und Rauchen untersagt. Dementsprechend sind auch alle Restaurants geschlossen. Upps – das hätten wir eigentlich wissen müssen.

Ich verweise auf einen Beitrag, der einen anderen Tag im Ramadan beschreibt.

Das bedeutet konkret, dass wir in unserem inzwischen sehr lädiert aussehenden VW Bus inmitten ausgehöhlter Autowracks kochen und essen müssen. Es riecht nach altem Schmieroel, nach verbranntem Gummi, nach Staub und Dreck und allerhand Undefinierbarem.

Andererseits bietet es die Gelegenheit, den fleissigen Arbeitern zuzusehen bei ihrer täglichen Mühsal. Man muss sich vorstellen, dass es noch keine Werkzeuge, keine Apparate, keine elektronischen Hilfsmittel gibt, wie sie heute gang und gäbe sind. Alles muss manuell erledigt werden, alles ist Handarbeit.

Immerhin ergibt sich damit die Gelegenheit, die Reparatur unseres Motors zu beobachten. Der Boss zeigt uns die lädierten Pleuellager, die beschädigte Kurbelwelle, aber ausser einem zustimmenden Nicken kann ich nicht viel beitragen. Wir können nur hoffen, dass die Kerle ihr Handwerk verstehen. Schade ist einzig, dass wir uns nicht unterhalten können. Englisch gehört definitiv nicht zu ihren kommunikativen Angebot.

Allerdings, angesichts der momentan unsicheren Situation mit unserem VW Bus und der möglichen Konsequenzen, falls die Reparatur schief gehen sollte, diskutieren wir einen Plan B. Wir denken über die Weiterreise mit öffentlichen Verkehrsmittel nach, Busse, Züge, vielleicht eine Mitfahrgelegenheit auf einem Lastwagen. Irgendetwas wird sich schon ergeben.

Alles noch sehr diffus, aber mit einer gewissen beunruhigenden Wahrscheinlichkeit.

 

Freitag – oder doch eher Sonntag?

Wie bereits erwähnt, manchmal übersieht man etwas oder vergisst es oder ist einfach zu blöd, um zu realisieren, was es bedeutet. Auf jeden Fall ist für uns heute Freitag, was in der westlichen Welt normal ist, allerdings, was wir sehr schnell feststellen, nicht in der islamischen Welt.

Hier ist nämlich nicht Freitag sondern Sonntag.

Die Restaurants sind geschlossen.

Die Läden sind geschlossen.

Der Zugang zur Autoreparaturwerkstätte und damit zu unserem Bus ist verschlossen.

Alles in allem – wir sitzen sozusagen auf der Strasse.

Ausser einem ziemlich harten Stück Brot und ungefähr einem Kilo Haselnüsse aus der Türkei haben wir nichts zu essen.

Aber wenigstens ist das Wetter so, wie wir es wünschen. Blau und heiss mit einem Touch Feuchtigkeit. Der Schweiss rinnt ungewollt von der Stirn, während wir Haselnüsse kauend durch die Strassen und Gassen unserer temporären Heimat flanieren.

Eigentlich ganz in Ordnung, wenn nicht das Geräusch unserer knurrenden Mägen den Kontrapunkt zum allgemeinen Wohlgefühl legen würde.

 

Tabriz - nice place but no food  Teeth in Täbriz

Die Stadt entspricht der Vorstellung, die man von einer Stadt im Orient hat, aber dann doch wieder nicht. Es gibt eine Reihe von Universitäten, natürlich Moscheen, Paläste, Museen, Basare, Kirchen und Pärke. Wenn nicht der Grund für unseren Aufenthalt ein besonderer wäre, könnte man sich vorstellen, ein paar Tage entspannten Urlaubs zu verbringen.

Und manchmal stolpert man über besonders erwähnenswerte Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel obenstehende Gebisse, ausgestellt in einem Schaukasten, damit man sich schon mal ein Bild über die zukünftigen Kauwerkzeuge machen kann.

Es ist alles da, auch die zumeist wilden Katzen, ganz grosse Überlebenskünstler im rauen Umfeld. Irgendwie gibt es immer irgendwo einen Happen zu finden.

 

Wild cats in tabriz

 

Ein böses Erwachen

Der Abend verläuft ruhig, sieht man vom immer noch protestierenden Geräusch unserer Verdauungssysteme ab. Wir lesen bis zur Bewusstlosigkeit alte Krimihefte, die eine gnädige Seele im Hotel liegen gelassen hat, bis uns schliesslich die Augen zufallen.

Ein sehr seltsamer Tag.

Eine seltsame Nacht.

Sie dauert allerdings nicht sehr lange. Mindestens in meinem Fall nicht.

Die vielen frischen Haselnüsse, an sich eine Quelle vieler gesunder Fette, tun mitten in der Nacht ihre Wirkung. Viel Zeit habe ich nicht, um fluchtartig die Toilette aufzusuchen, die sich irgendwo auf einem anderen Stockwerk befindet. Die Nacht, bis jetzt still und leise, wird durch seltsame Geräusche aufgeschreckt. Man könnte meinen, dass irgendwo ein kleineres Erdbeben stattfindet. Allerdings sind es nur meine Eingeweide, die sich des überflüssigen Fetts entledigen.

Das Frühstück allerdings ist nach der 24-stündigen Fastenzeit eine Offenbarung. Nicht dass es ein besonders gutes gewesen wäre, nein, nicht in diesem Etablissement, aber wir hätten wahrscheinlich auch Dinge gegessen, vor denen es uns üblicherweise grausen würde.

Und so beginnt ein weiterer Tag auf unserem erzwungenen Aufenthalt.

 

Passender Song zur Zeit:  Steve Miller Band – The Joker

Und hier geht die Reise weiter … aber nicht sehr weit

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Endgültig am Arsch

Wir sind uns bezüglich Strassen nun einiges gewohnt, also kann uns nichts mehr erschüttern.

Keine Ahnung, was wir diesbezüglich vom Iran erwartet haben, aber ganz sicher nicht diese wunderbaren Highways, die uns nun Richtung Süden führen. Strassen ohne Löcher, ohne Querrinnen, ohne Kies und Steine. Einfach wunderbar perfekte Strassen, auf denen man wie auf Daunen fährt. Also beinahe europäischer Standard.

Wir verabschieden uns von unserer freundlichen Bedienung bei der Highway Police, die sich mit feuchten Augen verabschieden. Dabei dürfte Monika eine Rolle gespielt haben.

Nun also Täbris, die erste grössere Stadt im Iran, das heutige Tagesziel.

Allerdings stellt sich heraus, dass wir am Ende dieser Fahrt, zwar insgeheim befürchtet, aber überraschend im Ausmass, endgültig am Arsch sind.

 

From Dogubeazit to Tabriz
Von der Grenze nach Täbris

 

Der Motor will nicht mehr

Nun, so ganz überrascht uns das Unheil nicht, wir haben es kommen gesehen. Der Motor, der die letzten Tage trotz Tahir Pass seinen Dienst getan hat, scheint nun endgültig genug zu haben.

Er gibt heute Geräusche von sich, die alles andere als ermutigend klingen (und die uns sehr bekannt vorkommen).

Irgendwie schaffen wir es in Richtung Täbris, doch kurz vor der Stadt wird das Geräusch zu einer konstanten Erinnerung daran, dass Glauben und Hoffnung nicht mehr funktionieren. Natürlich hat sich die Oelkontrolllampe immer mal wieder gemeldet, und der Oelverbrauch ist tatsächlich von Tag zu Tag grösser geworden. Könnte da was kaputt gegangen sein?

Vielleicht haben wir unser Glück überstrapaziert. Die Vorstellung, irgendwo in den Bergen des Tahir mit kaputtem Motor gestrandet zu sein, verursacht im Nachhinein kalte Schauer. Aber es scheint, dass wir trotz allem wieder mal Glück im Unglück gehabt haben.

Irgendwie erreichen wir mit knatterndem Motor unsere Destination und suchen erst mal den Campingplatz, den wir nach einigen Umwegen auch finden. Die Stadt ist zu dieser Zeit noch nicht so gross wie heute, aber verrirren kann man sich trotzdem.

 

Tabriz today
Das heutige Täbris – eine Mega-City

 

Die schockierende Erkenntnis

Ein Einheimischer auf dem Campingplatz, dessen englischer Wortschatz sich zur Hauptsache aus „okay“ beschränkt, führt uns zu einer Autogarage in der Nähe. Eigentlich wollen wir in erster Linie den Anlasser reparieren lassen, das hat uns zwar ein paar lustige Begegnungen ermöglicht, manchmal aber auch zu Fluchen und Beschimpfungen meinerseits geführt. Falls man im Vorbeigehen auch noch das Geräusch im Motor erklären bzw. lösen kann, soll es uns recht sein.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: obwohl längst klar sein müsste, dass der Motor in sehr schlechtem Zustand ist, suchen wir eine Reparaturwerktstätte auf, um den Anlasser zu reparieren. Ist es also ein Wunder, dass die Leute sich fragen, wie wir Idioten es jemals nach Indien und wieder zurück schaffen sollen?

Anyway, die Werkstätte entpuppt sich als Hinterhof, umgeben von einer hohen Mauer, vollgestopft mit allen möglichen Vehikeln und Autowracks. Der erste Eindruck ist nicht sehr ermutigend, unsere Vorstellung eines seriösen, professionellen Anbieters von Reparaturleistungen sieht etwas anders aus.

Allerdings haben wir keine Wahl.

Immerhin scheinen die Leute etwas von ihrem Metier zu verstehen, auch wenn dies nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Wir stehen mit etwas belämmertem Gesichtsausdruck herum, versuchen zu verstehen, was vor sich geht, während wir von den Männern mit Neugier und Spott beobachtet werden. Das ist nun bereits das dritte Mal nach Italien und Griechenland, dass wir uns wie die letzten Vollpfosten vorkommen. Was natürlich zutrifft.

Der Boss kümmert sich persönlich um seine ausländischen Gäste. Der Wagen wird über eine Grube gefahren, von wo man Zugriff auf den Boden hat (moderne Lifte gibt es hier nicht). Der Anlasser ist schnell repariert, doch dann, als der Boss den Motor startet, verzieht sich seine Miene. Irgendetwas – das Geräusch? Taktaktak – scheint ihn zu irritieren. Nach mehrmaligem Wiederanlauf des Motors, schüttelt er den Kopf.

„No good?“, frage ich. „No good!“ bestätigt er. „Motor nix good!“ Diese wenigen Worte beinhalten ungefähr seine Englischkenntnisse, aber wir verstehen ihn nur zu gut.

 

Alles kaputt

Natürlich bedarf es einer vertieften Erklärung, warum der Motor nix good ist und was man nun unternehmen muss. Der Boss führt uns zu einer nahegelegenen Schule für Automechaniker. Die beiden Chefs sind in Deutschland ausgebildet worden und sprechen deutsch.

Sie überbringen uns nun die schreckliche Nachricht. Durch den permanenten Oelverlusts sind die Pleuellager kaputt gegangen, eventuell auch die Kurbelwelle und möglicherweise noch anderes mehr. Man teilt uns schonend bei (wahrscheinlich um das Schlechte mit etwas Gutem zu versüssen), dass es ein Wunder ist, dass wir mit diesem defekten Motor so weit gekommen sind.

connecting rod bearing
Von Benutzer:Thomas Ihle – Eigenes Werk (Originaltext: Eigene Aufnahme), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8336792

Die nächsten Fragen sind klar. Was kostet der Spass und wie lange wird es dauern, bis wir weiterfahren können.

Beide Antworten sind nicht wirklich erbauend. Kosten über den Daumen gepeilt etwa 20’000 bis 30’000 Rials, also umgerechnet 1’000 bis 1’200 Franken. Dauer der Reparatur noch nicht abzuschätzen, aber wir sollten schon mal mit 4-5 Tagen rechnen.

Nachdem sich der Schock etwas gelegt hat und unsere blassen Gesichter wieder ihre normale Farbe zurückerhalten haben, parkieren wir unseren Wagen im besagten HInterhof. Eine halbe Stunde später liegt der Motor im Staub. In diesem Moment sind wir überzeugt, dass dieser Wagen kaum je indischen Boden befahren wird.

Car without engine

Aber was soll’s, jetzt kommt unsere besondere Fähigkeit zum Tragen, dass wir uns blitzschnell auf eine neue Situation einstellen können (was mir im übrigen im späteren Leben immer wieder unverhoffte Vorteile eingebracht hat). Wir richten uns also auf ein paar Tage Zwangsurlaub ein und suchen zu diesem Zweck zuerst mal ein geeignetes Hotel.

Und by the way, erst am anderen Tag wird klar, dass wir einen, zwei Fehler gemacht haben, deren fatale Konsequenzen wir in den nächsten Tagen schmerzhaft zu spüren bekommen. Aber was soll’s, im Moment sind wir ganz zufrieden, geniessen die Stadt und den Abend.

 

Passender Song zur Zeit:  Genesis – Carpet Crawlers

Und hier geht der Trip weiter … gestrandet in Täbris

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Staub und Dreck und Mühsal

Es hat uns trotz Respekt vor den Distanzen schon zweimal erwischt. Zweimal in der Dunkelheit auf osttürkischen Strassen – kein Vergnügen!

Das soll nun definitiv der Vergangenheit angehören. Wir starten also noch früher, ohne grosse Begeisterung zwar, aber bis Erzurum sind wieder über 400 Kilometer zu fahren. Und was uns dabei erwartet, ist wie jeden Tag nicht vorhersehbar. Aber wir sind wie immer zuversichtlich.

Nicht ganz überraschend sind wir trotzdem wieder die letzten. Alte Leute erwachen bekanntlich früher, also ist nichts mehr zu sehen von den älteren Herrschaften.

Wir sind nun tief in der Osttürkei, einer armen, vernachlässigten Gegend, die so gar nichts zu tun hat mit dem Glanz Istanbuls. Was interessiert dort die reichen Leute wie es ihren Landsleuten im wilden Osten geht, einer Gegend, in die sie keinen Fuss setzen würden. Ausser wenn sie zur Armee eingezogen werden und dort einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren müssen.

From Sivas to Erzurum

Harte Gesichter

Die Armut ist sichtbar und spürbar. Die Leute machen einen ärmlichen Eindruck, die Gesichter sind hart, der Ausdruck darin abweisend.

Es wird nicht mehr um eine Zigarette gebettelt, sondern mit grimmigem Gesichtsausdruck danach gefordert. Da ist Misstrauen, Abneigung, mühsam unterdrückte Wut. Wer kann es ihnen verdenken. Wir kommen aus dem Paradies, mit Geld wie Heu, mit seltsamen, unverständlichen Reisezielen, während die Menschen hier tagtäglich um ihre Existenz kämpfen.

Wir fahren als Fremde durch ihr Land, ohne viel über sie, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Traditionen zu wissen. Vielleicht kommen sie sich vor wie Tiere im Zoo; man sieht ihnen zu, man spottet vielleicht über sie, man fühlt sich so wunderbar erhaben. Ist es einfach Arroganz oder – wie meistens – simple Ignoranz? Manchmal fühlt man sich nicht sehr wohl bei diesen Gedanken.

Immerhin sind noch keine Steine geflogen. Und das mühsam konstruierte Schutzgitter vor dem Frontfenster bleibt festgebunden auf dem Dach.

On the road in Eastern Turkey

Aber leider ist man nicht immer in der Lage, unterschiedliche Kulturen mit Gelassenheit zu ertragen.

Auch kein Wunder, denn jedesmal, wenn ich einkaufen gehe und Monika im Bus wartet, wird sie belästigt. Mit Worten, mit Gesten, mit Grimassen. Offenbar ein Reflex der türkischen Machos, die dem Anblick einer weissen Frau nichts entgegenzusetzen haben als unverholene Abwertung.

Da ist keine Freundlichkeit mehr da, wie sie im Westen des Landes noch sprichwörtlich ist. Die Welt ist irgendwie finster geworden, als wäre sie ein Spiegelbild der Umgebung, wo wenig Leben spriesst, wo Mensch und Tier und Pflanze einen endlosen Kampf ums Überleben kämpft. Der Mann im Laden bedient mich, ohne Freude und Interesse, aber immerhin mit einem schwachen Lächeln, als er vom Fremden das Word Ekmek (Brot) hört. Eines der wenigen Worte, die wir gelernt haben.

Tja, da müssen wir durch (und wenn alles läuft wie geplant, werden wir das Vergnügen auf der Rückreise noch einmal haben).

Noch etwas apropos Abneigung: unser geliebter Bus hat sich eine neue Schikane ausgedacht. Nun funktioniert auch der Anlasser nicht mehr. Also wie vor zwei Jahren parkieren an einer abfallenden Strasse oder, falls es geht, lassen wir den Motor laufen. Oder lassen uns von hilfsbereiten Seelen anstossen.

Morgengymnastik

Es ist zwar kaum zu glauben, aber wir erreichen das Tagesziel Erzurum tatsächlich bei Tageslicht. Das heutige Mocamp ist ein ebenes trockenes Stück Land, von einer Mauer umgeben, mit Dusche und WC, und weiter nicht viel. Wäre etwas gewöhnungsbedürftig, wenn Zustände solcher Art nicht bereits zum Alltag geworden wären.

Also schlafen wir den Schlaf der Gerechten, nehmen schwach wahr, dass in der Nacht weitere Autos ankommen. Irgendwie beruhigend.

Der Morgen allerdings verschafft uns eine willkommene Abwechslung.

Während wir gemütlich frühstücken,  stellt sich eine Gruppe skandinavischer Tramper, die in der Nacht mit einem Reisebus angekommen sind, in einer Reihe auf, um Morgengymnastik zu betreiben. Und zwar in allen Schikanen. Da wird gekeucht und gestöhnt, da werden Muskeln und Sehnen gestreckt, da werden eingeschlafene Körper zum Leben erweckt.

Es wäre auch für uns nach all den mühsamen Kilometern eine Wohltat (und eine Aufforderung), wenn das Ganze nicht so lustig und irgendwie seltsam aussehen würde. Also lassen wir das und vertrauen auf „Mens sana in Corpore sano“.

Die Gymnastik hat auch Vorteile – die kampfgewohnten Skandinavier prügeln sich fast darum, unseren Bus anzustossen (nun eine tägliche Mühe, wir werden im Iran etwas unternehmen müssen).

Dieser elende Tahir-Pass

Wir haben es gewusst, wir sind gewarnt worden, alle Omen haben darauf hingezeigt. Interessiert uns das irgendwie? Natürlich nicht.

Es ist die Rede vom Tahir-Pass, den es heute auf dem Weg an die Grenze zu überqueren gilt. Die ersten 200 Kilometer sind ganz in Ordnung, eine asphaltierte Strasse führt in Richtung Nordosten, nach Dogubeyazit, dem letzten Ort auf türkischem Boden.

From Erzurum to Dogubeyazit
Dies ist die neue Route; die alte Strasse über den Tahir führt weiter nördlich durch (siehe unten)

Diese Karte (ich danke dem Ersteller) zeigt die ungefähre Route. Weiter südlich führt die neue Strasse durch.

Ich zitiere aus dem Beitrag (https://www.dangerousroads.org/europe/turkey/7771-tahir-gecidi.html):

Der Tahir-Pass ist ein hoher Gebirgspass auf einer Höhe von 2.496 m über dem Meeresspiegel in der Provinz Ağrı im Osten der Türkei.

Die Straße zum Gipfel ist nicht asphaltiert und sehr steil, mit einigen engen Abschnitten. Im Winter ist die Straße ein Alptraum für die Lastwagenfahrer auf dem Weg in den Iran. Lawinen, starke Schneefälle und Erdrutsche können jederzeit auftreten und sind wegen der häufigen Eisflächen extrem gefährlich.

Vier Monate im Jahr ist die Straße fast unpassierbar. Auf den steilen, eisbedeckten Straßen rutschen Lastwagen selbst im Stand. Die berüchtigte unbefestigte Straße zum Gipfel ist eigentlich eine Militärstraße auf der alten Seidenstraße zwischen Erzurum und Agri.

Staub und Dreck und Mühsal

Die obige Beschreibung bringt es auf den Punkt. Denn nun ist es vorbei mit dem geruhsamen Vorwärtskommen.

Kurz  bevor die Steigung zum Tahir beginnt, endet die geteerte Strasse. Was nun folgt ist die erste Stufe der Vorhölle: Querrinnen, Steine, Sand, Staub und Staub und nochmals Staub. Er knirscht zwischen den Zähnen, er legt sich auf alles, trotz geschlossenen Fenstern. Eine dicke Schicht Staub oder Sand oder wie immer man diese Variante verpulverten Gesteins nennen möchte. Und die Sicht wird immer schlechter, schlimmer als bei den nächtlichen Fahrten in Richtung Osttürkei.

Tahir Pass old 1 Tahir Pass old 2

Immer steiler werdende Kehren führen hinauf zur Passhöhe. Die türkischen Lastwagen machen sich einen Spass daraus, mit Vollgas an uns vorbeizupreschen und uns jedes Mal erneut mit einer undurchdringlichen Wolke aus Staub zu verhüllen, die kaum noch mehr als ein, zwei Meter Sicht erlaubt.

Und so sieht der Pass heute aus. Mehr oder weniger ein kies- und steinbedeckter Weg, den man sich nicht mehr als wichtigste Strecke in Richtung der iranischen Grenze vorstellen kann.

Tahir Pass very old 1 Tahir Pass very old 2

Und hier sind einige Youtube Videos, die die Situation in den 70-er Jahren und die modernere Route ziemlich exakt zu beschreiben vermögen.

Der Ararat und die Arche Noah

Auf 2500 Metern haben wir die Passhöhe erreicht, wir atmen durch, doch das Knirschen des Sandes zwischen den Zähnen bleibt. Immerhin geht es nun bergab, und nun wird auch die Strasse wieder besser.

Allerdings haben wir uns mit dem Benzinverbrauch verrechnet, etwa 50 Kilometer vor der Grenze nähert sich die Benzinanzeige beunruhigend dem letzten Strich. An sich kein Problem, doch nicht nur das Benzin sondern auch unsere türkischen Devisen sind auf ein Minimum geschrumpft.

Und nun, um der Sache so richtig Dampf zu machen, wird nun auch die Strasse wieder schlechter. Die tiefen Schlaglöcher quer über der Strasse zwingen zu seltsamen Slalomfahrten, und so nähern wir uns sehr langsam aber stetig Dogubeyazit, dem letzten Ort auf türkischem Boden. Dort tanken wir mit dem letzten türkischen Geld ein paar Liter Benzin, um wenigstens an die Grenze zu kommen. Natürlich mit laufendem Motor, denn der Mann an der Tankstelle macht nicht den Eindruck, dass er uns helfen würde, unser Vehikel in Gang zu bringen.

Aber, als das Highlight des Tages, die letzten Meter bis zur Grenze passieren wir den Ararat, den höchsten Berg in der Gegend, über 5000 Meter hoch, und wo sich, nach Ansicht vieler Experten, die Überreste der Arche Noah befinden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie das biblische Phantom ausgerechnet an diesem Berg gestrandet sein soll. Aber wie man weiss, sind die Wege Gottes unergründlich …

Mount Ararat and Noah's Ark

Ein Tor zwischen zwei Welten

Die Grenzstation zwischen der Türkei und dem Iran liegt mitten in der Wüste, ringsherum nur brauner Sand und Steine und ein paar spärliche, von der Sonne verbrannte Gräser. Eine Gegend, die zu schleuniger Weiterfahrt auffordert. Man erkennt sie von weitem, denn eine kilometerlange Schlange von Lastwagen steht reglos in der weiten Oede, darauf wartend, irgendwann das Tor zur Glückseligkeit durchfahren zu dürfen. Wir sind aber sozusagen bevorzugte Kunden, dürfen die Kolonne überholen und uns ganz vorne hinstellen.

Dogubeyazit today
Das heutige Dogubeyazit

Die Station selbst ist ein Unikum der besonderen Art. Man erreicht sie von der türkischen Seite her durch ein grosses Tor und befindet sich anschliessend in einem Innenhof, der genau in der Mitte durch eine Mauer getrennt ist. Diese Mauer ist nichts anderes als die Grenze zwischen zwei grossen, mächtigen Staaten mit langer wechselvoller Vergangenheit.

Und während wir in beinahe feierlicher Stimmung die seltsame Atmosphäre einatmen, werden wir aufgefordert, den Wagen im türkischen Teil des Hofs zu parkieren und die aufwendigen und zeitraubenden Zollformalitäten zu erledigen.

Sobald dies erledigt ist (was etwas dauert), also man alle benötigten Stempel hat und sämtliche Formulare ausgefüllt sind, steigt man in den Wagen und lässt sich unter viel Lachen und Spotten anstossen. Erst jetzt ist man, natürlich unter Vorweisung der Papiere, berechtigt, auf den persischen Teil des Hofes zu fahren (viele Jahre später stehe ich im Niemandsland zwischen Argentinien und Uruguay und erinnere mich wehmütig an eine lang zurückliegende Episode an der türkisch-iranischen Grenze).

Passport Stamps

Und natürlich fängt im persischen Hof alles wieder von vorne an. Man parkiert also den Wagen ein zweites Mal, man füllt weitere Formulare aus, um anschliessend stundenlang an irgendwelchen Schaltern mit zahllosen weiteren Leuten Schlange zu stehen. Immerhin ergibt sich damit die Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu knüpfen, und he, es scheint, dass sich die halbe Welt auf dem Weg nach Indien befindet. Na ja, vielleicht ein bisschen übertrieben, aber nur ein bisschen …

Highway Police

Aber irgendwann, nach Stunden, ist man durch.

Einige Seiten in den Pässen sind nun gefüllt mit unleserlichen Eintragungen und Stempeln und Marken und Unterschriften. Das Portemonnaie voller neuer Noten und Münzen. Und auch das Carnet de Passage, das notwendige Formular zur Identifikation des Fahrzeugs, ist nach einigen Problemen mit der Eintragung im falschen Pass doch noch abgestempelt worden. Na ja, wie sollte der arme Mann auch verstehen, dass in unseren Breitengraden ein Fahrzeug auch auf den Namen der Frau eingetragen werden kann. Auf den Namen einer Frau? Unvorstellbar …

Aber die Beamten sind herzlich und freundlich und jung und flott gekleidet. Und nehmen sich natürlich sehr wichtig.

Natürlich hat das Grenzabenteuer viele Stunden gekostet, und so ist es, nicht ganz überraschend, stockdunkel, als wir endlich zurück auf der Strasse sind und ein Plätzchen zum Übernachten suchen. Offenbar sind im Iran die Stationen der Highway Police dazu besonders gut geeignet.

Die erste befindet sich schon kurz nach der Grenze, ein Geheimtipp der Indienfahrer. Und tatsächlich, wir werden sehr freundlich empfangen und sogar mit einem Tee bedient. Nach den eher düsteren Erfahrungen in der Osttürkei eine willkommene Abwechslung. Auf jeden Fall schlafen wir fest und tief und fühlen uns im neuen Land ausgesprochen wohl …

Passender Song zur Zeit: Bob Marley – No Woman no cry

Und hier geht der Trip weiter … nach Täbris im Iran und einigen besonderen Problemen