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Nepal

Kathmandu – Der verfluchte letzte Tag

Man geht immer mit einem lachenden Auge und mit einem weinenden Auge.

(Sprichwort, Autor unbekannt)

 

Das bleiernde Ende

Wie soll manden letzten Tag verbringen?

Nochmals den irren, einem LSD-Trip ähnlichen Spaziergang durch diese verrückte Stadt machen?

Zum letzten Mal die Lungen mit Dreck und Abgasen füttern?

Im liebgewonnenen Restaurant zum letzten Mal Chicken Momos geniessen?

Im anderen den letzten wirklich guten Kaffee trinken und dabei eine Danish Roll essen?

Nochmals den Durbar Square umrunden und die wieder aufgebauten oder noch immer in Trümmer liegenden Tempel besichtigen?

Das infernalische Gewühl in Thamel beobachten, wissend, dass es das letze Mal sein wird?

Alles zusammen. Das ist der Plan.

Das alles gehört zum Abschied.

 

Thamel – der letzte Ritt auf dem Mustang

Dann also auf zum letzten Ritt auf dem wilden Ross, genannt Thamel. Es scheint mir, dass ich es zum ersten Mal geniesse, durch die schmalen Gassen zu gehen, alle paar Augenblicke beinahe über- oder umgefahren zu werden (was in Tat und Wahrheit nie passiert), von hundert Stimmen aufgefordert zu werden, dieses oder jenes Ding zu einem fabulösen Preis erstehen zu können. Und die sagenhaft schlechte Luft einzuatmen.

 

Ich habe es besiegt, dieses Monstrum.

Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man sich langsam kennt. Die gelangweilten Verkäufer nicken mir zu, obwohl sie wissen, dass ich nichts kaufen werde. Aber ein freundliches Lächeln ist noch immer der beste Türöffner für gegenseitiges Kennenlernen.

Die Dame in meinem Lieblingsrestaurant begrüsst mich nach der langen Abwesenheit mit einem Lächeln. „Welcome back!“, murmelt sie. Ich bin ganz gerührt. Ob es was mit meinen im Allgemeinen grosszügigen Tipps zu tun hat?

Anyway, es stellt sich tatsächlich so etwas wie ein heimatliches Gefühl ein. Und das ausgerechnet an meinem letzten Tag.

 

 

Durbar Square – Tempel und Ruinen

Beim zweiten Besuch zeigen sich die wahren Schäden, die das Erdbeben zurückgelassen hat. Einzelne Tempel erstrahlen zwar wieder in altem Glanz, andere liegen immer noch in Trümmern oder müssen abgestützt werden.

 

Temple at Durbar Square - this one has been restored
Tempel beim Durbar Square – dieser ist wieder restauriert worden
At first glance everything okay
Auf den ersten Blick alles okay
At most, a bit skewed ...
Höchstens ein bisschen schräg …
... or still in ruins
… oder immer noch in Trümmern

„There ain’t no such thing as a free lunch.“

Was mir zu denken gibt, sind die Tempel hinter riesigen Gerüsten, die offensichtlich durch chinesische Unterstützung wieder aufgebaut werden. Da kommt mir doch gleich der alte Spruch in den Sinn, der die Sache ziemlich genau beschreibt.

Aber lassen wir das.

 

Herzzerreissende Blicke

Die Plätze rings um den Square sind voller Touristen, und so sind da natürlich auch zahlreiche Verkaufsstände, die alles, was in Thamels Gassen angeboten wird, natürlich auch hier anbieten, allerdings zu viel höheren Preisen. Es scheint aber einige Verzweifllung zu herrschen, denn man wird als unschuldiger Fussgänger fast genötigt, zumindest einen Blick auf die Gegenstände zu werfen. Eine abschlägige Antwort verursacht einen herzzerreissenden Blick …

 

At first glance, an infinite number of wonderful objects, each one worth a souvenir
Auf den ersten Blick eine unendliche Anzahl wunderbarer Gegenstände, jeder ein Souvenir wert
At second glance, the same ...
Auf den zweiten Blick immer das gleiche …

Der Weg zurück ist langsam, nachdenklich.

Das war’s also wiedermal. Morgen früh wartet ein Taxi auf mich und meine schweren Rucksäcke, und kurze Zeit später das Flugzeug Richtung Katar. Ich verabschiede mich, im Geist fühlend wie einer der bemalten Götter, deren Gesichtsausdruck irgendwas zwischen Lachen und Weinen ausdrückt.

 

pagan god - laughing or crying?
Lacht er oder weint er?

 

24 Stunden später …

Ich sitze wieder mal am Flughafen in Doha, müde und gelangweilt, und muss trotzdem noch viele Stunden an diesem gottverlassenen Ort verbringen, bis endlich mein Weiterflug um 2 Uhr morgens startet. Bis dahin Netflix, Lesen, Dösen, Kaffee trinken und einen letzten Blick auf die Skyline von Doha im Abendlicht werfen.

Ein wunderbares letztes Bild dieser wunderbaren, unvergesslichen Reise …

 

Night falls over Doha
Die Nacht fällt über Doha

Das ist nicht das Ende …

Natürlich nicht. Es ist schlimmstenfalls das Ende dieser einen Reise. Es geht weiter, immer weiter. So viele weisse Flecken auf der Landkarte. Und so viele erkundigt (Asien und Amerika). Nach all den wunderbaren Erlebnissen in Burma, in Südostasien, Südamerika, Ladakh und Rajasthan, Indien, Laos … ist der Reisevirus immer noch aktiv. Er soll so bleiben …

Neue Ideen melden sich … Die Fahrt mit der Transsibirischen Bahn nach Peking. Der alternative Jakobsweg von Sevilla nach Santiago de Compostela. Namibia. Japan …

Die Welt ist gross …

 

PS Song zum Thema:  Red Hot Chili Peppers – Goodbye Angels

Und hier endet die Reise … mit ein paar Büchern, die ich nach Nepal mitgenommen habe

Und hier fängt eine weitere Reise an, unerwartet, etwas ganz anderes …

 

Nepal

Kathmandu – Wenn Mutter Erde zurückschlägt

Den verschlafenen Augen des Reisenden öffnet sich der Blick auf die weit unten im Dunst liegende Ebenen Nordindiens.

Eine vertrocknete, braune Welt im gleissenden Licht der Morgensonne, und da, wie ein glitzernder Gruss – eine sich durch die Ebene wälzende Schlange – der Ganges. Die Karte auf dem Monitor zeigt an, Patna 78 Kilometer. Erinnerungen werden wach. An die Überquerung des Ganges. Den ersten Regen nach Monaten. Das Leck im Dach des VW-Busses. Lange her …

Eine halbe Stunde später tauchen ganz im Norden, kaum erkennbar durch die Wolken, ein paar spitze Türme auf. Der Himalaya. Oder das wenige, das erkennbar ist, denn im nächsten Augenblick werden sie durch die Wolken verschluckt.

Es dauert unendlich lange, bis wir die weisse Decke durchbrechen und unmittelbar über dem Kathmandutal die ersten Häuser und Strassen erkennen können. Eine verschachtelte Welt aus tausenden von Strassen und Gassen und Gebäuden, verschleiert durch einen seltsamen Dunst über dem Tal.

 

View to Kathmandu
Ein erster Blick auf Kathmandu, grau und irgendwie schmutzig

Das Wetter ist mittelprächtig, aber immerhin über 20 Grad warm, so der Flugcaptain bei seiner Verabschiedung. Ich sage Goodbye zu meinem Sitznachbarn aus New York, er will den Anapurnatrek machen. Don’t get lost in the Himalayas, my friend!

Dann Touchdown, alles sieht aus wie früher. Man steigt aus dem Flugzeug die Treppe hinunter, erkennt das Flughafengebäude, zieht die noch frische Morgenluft in die Lungen und atmet erst mal durch.

 

Taxi gesucht

Etwas verwirrend das Prozedere am Zoll. Man steht an, merkt gerade noch rechtzeitig, dass man zuerst am entsprechenden Schalter die Visagebühr bezahlen muss, aber dann geht alles schnell. Geld wechseln, man erhält viele viele Rupien, stopft sie in die Tasche, macht sich auf den Weg zu den Taxis, sucht vergeblich nach dem Schild mit der Aufschrift „Hotel Yambu“ und ärgert sich schon mal ein bisschen, dass man mich offenbar vergessen hat. Auch nicht erstaunlich bei einer Verspätung von mehr als einer Stunde.

Schliesslich findet sich doch noch jemand, der mich für 10 Dollars in die Stadt fahren will, also für den Betrag, den mir das Hotel gemeldet hat. Erst viel später erfahre ich, dass man normalerweise gerade mal die Hälfte zu bezahlen hat.

Die Fahrt vom Flughafen in die Stadt gibt schon mal einen ersten Eindruck von der Verkehrssituation. Wir sind eigentlich mehr gestanden als gefahren, sozusagen von einem Stau zum anderen.

Das Hotel „Yambu“ ist okay, ich bin mitten in Thamel gelandet, der Altstadt, das ist dort, wo die Post abgeht. Die Aussicht auf die Stadt bestätigt meinen ersten Eindruck: der Himmel hat sich bedeckt, es ist kühler als erwartet, und vor allem: der Dunst über dem Tal ist menschengemacht. Schlicht Smog. Er wird mich die nächsten Tage begleiten und für den einen oder anderen Husten verantwortlich sein.

 

Clouds over Kathmandu

Das Erdbeben

Am 25. April 2015 hinterliess ein verheerendes Erdbeben Zerstörung und Tod. Die Hauptstadt Kathmandu sowie einzelne Bergtäler wie z.B. das Langtang-Valley wurden besonders betroffen.

Wie sieht’s heute aus?

Auf den ersten Blick – eine Beruhigung. Es sieht besser aus, als erwartet, obwohl man weiss, dass das Erdbeben am 25. April 2015 grosse Verwüstungen,vor allem an den Tempeln, angerichtet hat.

Aber der erste Eindruck täuscht. Wenn man genauer hinsieht, den Blick hinter die hochgezogenen Gerüste und Vorhänge wagt, dann erst werden die Schäden sichtbar. Eingestürzte Gebäude, in sich zusammengebrochene Mauern. Tempel, die mühsam wieder rekonstruiert werden müssen. Risse in Hausmauern, eingestürzte Dächer, notdürftig mit Planen bedeckt.

Es wird Jahre dauern, bis alles wieder so ist wie vor der Katastrophe.

 

Nicht mehr wiederzuerkennen

Wie hat sich die Stadt seit dem letzten Besuch 1990 verändert? Ich erinnere mich an lange gemütliche Velofahrten durch zwar belebte, aber nicht verstopfte Strassen und Gassen. Heute – undenkbar! Der Verkehr hat ein Ausmass angenommen, dass nur schon der Gedanke an Velofahren ein Witz wäre.

Die Strassen in Thamel, der belebten Altstadt, sind derart verstopft, dass man als Fussgänger permanent der Gefahr ausgesetzt ist, über den Haufen gefahren zu werden. Es gibt allein in Kathmandu über eine Million Motorräder, und sie alle suchen hupend einen Weg durch das Chaos. Doch niemand scheint sich daran zu stören, es ist Alltag. Niemand beschwert sich, nirgends ist Fluchen oder Schimpfen zu hören. Man hat sich daran gewöhnt.

 

Friendly war on the streets Hustle and Bustle in Thamel

Es erinnert ein bisschen an Hanoi, und auch das Gefühl dabei ist ähnlich. Man befindet sich im Rachen eines Monsters. Es stinkt nach Auspuffgasen und allerhand anderem, es dröhnt und hupt und kracht aus allen Rohren.

 

Eine einzige Umweltkatastrophe

Die Luft allerdings ist eine Zumutung. Eine einzige Katastrophe für Bronchen und Lungen. Viele Einwohner leiden unter Atemwegsbeschwerden, tausende sterben an Lungenkrebs. Vielleicht schlimmer als Delhi, und das will was heissen.

Man schätzt die Einwohnerzahl im Kathmandu-Tal auf über 7 Millionen, und es werden wahrscheinlich täglich mehr. Schon nach kurzer Zeit spürt man ein Kratzen im Hals. Es wird nicht besser werden.

 

Thamel

Und so bin ich nun hier, auf einem langsamen, müden Spaziergang in Richtung des Durbar Square, mühe mich durch Menschen und Motorräder und hupende Autos und Pickups und Hunde und Velorikschas. Die Beine sind etwas schwer nach der durchwachten Nacht, aber es gilt durchzuhalten bis am Abend, um sich möglichst schnell an die Zeitdifferenz zu gewöhnen.

 

One of the least damaged temples One big mess

Beim Durbar Square, wo die Auswirkungen des Erdbebens sichtbar sind (einige Museen sind immer noch geschlossen), setze ich mich auf ein Mäuerchen, bis ich von einer resoluten Dame in Uniform darauf aufmerksam gemacht werde, dass man hier Eintrittsgeld zu bezahlen hat. Na gut, ich verziehe mich ein paar Meter nach rechts, und tatsächlich, hier kostet es nichts. Ich bin viel zu müde, um den Platz gebührend zu besuchen, also mache ich mich auf den Weg zurück.

 

Jimi Hendrix

Der knurrende Magen erinnert mich daran, dass seit dem Frühstück im Flugzeug, immerhin vor etwas mehr als zehn Stunden, keine Zufuhr an Kalorien mehr stattgefunden hat. Merkwürdigerweise scheint es ausgerechnet hier, an dieser von Touristen wimmelnden Stelle, keine Restaurants zu geben, also gehe ich den Weg Richtung Thamel zurück, fühle mich langsam genauso alt wie ich bin, bis irgendwo das Schild eines Restaurants auftaucht, das nicht nur Essen, sondern auch Rockmusik im Angebot hat.

Das sollte eigentlich genügen, um meine müden Geister und Knochen wieder auf Vordermann zu bringen. Und tatsächlich, das Essen ist gut, aber von Rockmusik ist nichts zu hören. Immerhin kleben an den Wänden Posters von Jimi Handrix und AC/DC und Mötley Crüe.

Überraschenderweise finde ich im Getümmel sogar den Weg zurück zu meinem Yambu Hotel und bin fast ein bisschen stolz darauf.

Die Frage ist, wie überlebt man einen Abend, der ausschliesslich dem Durchhalten bis zur geplanten Schlafenszeit gewidmet ist? Einmal mehr schaffe ich es nicht, den Fernseher in Gang zu bringen, also widme ich mich auf dem iPad via Netflix einem Action-Knaller, während die Augen alle paar Minuten zufallen. Irgendwann ergebe ich mich und verziehe mich unter die Decke.

Es ist erstaunlich kalt.

 

PS Song zum Thema:  Gun Club – Mother of Earth

Und hier geht’s weiter …