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Ladakh/Rajasthan

Die Schönheit der Leere

Was ist das Berückende an den Bergen, an den leeren stillen einsamen Orten, wo der eigene Atem das einzige Geräusch ist?

Ist es der Blick ins Nichts? Oder die Schönheit des Nichts?

Die Berge sind nur noch eine Erinnerung, bereits fern, bereits unwirklich.

Der Blick am frühen Morgen, nach einer ohnmachtsähnlichen Nacht, geht instinktiv nach Norden, dorthin, wo sind uns verloren gegangen sind. Sie sind noch da, ebenso die Geister, die uns begleitet haben. Aber jetzt sind wir hier, im lärmigen Manali, etwas verloren und ratlos und auch etwas traurig. Ich bezweifle, dass ich sie noch einmal sehen werde. Und wenn ja, dann anders, nicht mehr mit der gleichen Hingabe. Wie alles, was beim zweiten oder dritten Mal anders erscheint.

Das ist der Grund, warum ich ungern an die gleichen Orte zurückkehre. Immer geht dabei etwas verloren.

Zurück in der Vorhölle

Frühstück im noch verschlafenen Städtchen, Banana-Pancake und heisser starker Black Coffee. Ich lehne mich zurück, schalte die Gedanken ab, bin einfach nur noch hier, während die TukTuks sich die steilen Gassen hinaufquälen, blaue Abgase und mörderischen Lärm hinter sich herziehend.

Ich spüre eine lange nicht mehr empfundene Melancholie. Es ist ja auch ein Abschied (nicht nur von Anja, die noch ein paar Tage hierbleiben wird), auch von Ladakh, von den Bergen, der Abgeschiedenheit, dem Indien in den Bergen, das so ganz anders ist. Denn jetzt bin ich zurück im wahren Indien, dem lärmigen, heissen, verrückten Indien. Dort, wo die Luft anders riecht als irgendwo auf der Welt. Dort, wo die Farben intensiver leuchten. Dort, wo der Motor lauter dröhnt.

Und immer, wenn ich in Indien bin, tauchen Bilder auf, zwar längst in einer unteren Schublade des Gedächtnisses versorgt, doch immer noch da, wartend, wieder hervorgeholt zu werden. Es ist die alte Liebe oder der alte Hass, alles meldet sich zurück, die Bilder, die Phantasien, die Illusionen.

Wherever you look, everything is smaller or bigger, but certainly different
Wo immer man hinschaut, ist alles kleiner oder grösser, aber sicher anders
Two worlds meeting
Zwei Welten begegnen sich

Ein Bus, der nicht kommt

Ich bin also zurück, hier in Manali noch in einer Art Ruhe vor dem Sturm, bevor dann spätestens in Delhi die wahre Vorhölle beginnt. Vorerst geht es aber darum, noch einmal tüchtig Luft zu holen, denn ab morgen ist diese ein seltenes Gut. Um drei mache ich mich auf den Weg zur Busstation, genaue Angaben über die Busnummer und Sitz auf meinem Ticket.

Eine Wiese irgendwo am Rand der Stadt dient als Busbahnhof.

Dieser Ausdruck ist etwas übertrieben, denn es handelt sich lediglich um eine wirre Anhäufung von Bussen, von TukTuks, Autos, Verkaufsständen und Restaurants und tausend Menschen, die irgendwas damit zu tun haben. Fragt sich nur was, denn nirgends ist jemand zu sehen, der das Ganze unter Kontrolle hat. Der mir sagen kann, warum ausgerechnet mein Bus nirgends zu sehen ist.

Bus station in Manali
Irgendwo hier müsste mein Bus sein (was er aber nicht ist)

Irgendjemand telefoniert dann auf meine Bitte hin doch mit irgendjemandem, um die Auskunft zu erhalten, dass der Bus verspätet ist. Ach so. Wäre ich nicht draufgekommen.

Die Busse fahren einer nach dem anderen ab, verschwinden in einer Wolke aus Dieselabgasen und Staub … und ich warte immer noch auf meinen Bus mit der Nummer 14387. Man erbarmt sich schliesslich meiner und steckt mich kurzentschlossen in einen anderen Bus. Ok, der ist zwar noch leer, aber ich weiss, dass er sich irgendwann irgendwo füllen wird. Das wird eine interessante, lange und mühselige Fahrt werden. Ich bin gespannt, auch wenn mich meine Erfahrungen gelehrt haben, dass schlechte Omen selten zu positiven Ergebnissen führen.

Drei ehrwürdige alte Sikhs

Wie befürchtet, füllt sich der Bus schnell.

In Manali, kurz nach der überfälligen Abfahrt, dachte ich noch voller Hoffnung auf einen nicht gar zu vollen Bus, aber eben, solche Erwartungen sind selten realistisch. Ich hänge am Fenster, beobachte das Licht, das warme farbige indische Licht, das sich ins Dunkel verkriecht.

Reise von Manali nach Delhi
Eine lange Reise von Manali nach Delhi

Nach vielen Stopps und dem Zusteigen weiterer Passagiere, wird es still im Bus. Die jungen Leute haben die Wolldecken über den Kopf gezogen, manchmal hört man ein leises Schnarchen. Friedvoll.

Wären da nicht drei ehrwürdige alte Sikhs, Turbane auf dem Kopf, in weisse Gewänder und knallenge weisse Leggins gekleidet, die als allerletzte Passagiere eingestiegen sind. Sie sind ausserdem ziemlich korpulent, ihr BMI muss mindestens 30 oder einiges mehr betragen. Einer der drei, mit einem gigantischen Bart, zwängt sich mit Schnaufen und Ächzen auf den letzten noch verbliebenen leeren Sitz, nämlich den neben mir, während sich die beiden anderen auf die Nebensitze drängen.

Mein Nachbar würdigt mich keines Blickes, und so ergibt sich eine unausgesprochene gegenseitige verächtliche Abneigung. Was allerdings eine Ausnahme ist, denn eigentlich mag ich alte Inder, sie strahlen meistens eine besondere Würde aus. Diese drei seltsamen Männchen sind eine Ausnahme. Immer, wenn sich mein Sikh auf seinem Sitz bewegt, komme ich mir vor wie auf einer Wassermatratze, es schaukelt und federt und schwingt. Dafür brummelt er ungehalten irgendwas in seinen Bart, wenn ich aufstehen will und er seinen massigen Körper bewegen muss.

Tja, die drei sind wahrlich nicht das Salz der Erde …

Mir ist natürlich einigermassen bekannt, worum es bei der Sikh-Religion geht. Eine der heiligen Regeln besagt zum Beispiel, dass sich die Männer ihre Haare nicht schneiden dürfen. Das führt natürlich organisatorisch und ästhetisch zu gewissen Problemen, also versteckt man sie unter einem Turban. Aber jetzt kommt das Schöne: ich kann mir einen Grinser nicht verkneifen, als ich feststelle, dass unter dem überdimensionierten Turban meines Sikhs ein letztes mickriges Schwänzchen geblieben ist. Alles andere hat den Weg alles Vergänglichen genommen. Was mich beinahe versöhnt mit ihm …

Der Hauch einer kühlen Brise

Ich erwache aus meiner Bewusstlosigkeit, und tatsächlich, ein neuer Tag ist angebrochen.

Die Nacht vor dem Fenster ist jetzt, um halb zwei, nicht etwa dunkel und still, sondern von Hunderten von Lichtern durchbrochen. Wenn jemand einen Eindruck von der Dynamik des indischen Subkontinents gewinnen will, dann sollte er sich einfach mitten in der Nacht an eine beliebige Strasse stellen und schauen, welche Post da abgeht. Lastwagen kreuzen sich auf schmaler Strasse, man hupt wie üblich, was das Zeug hält, Kanten von Lastwagenseiten schrammen gelegentlich haarscharf an meinem Fenster vorbei.

Mein Sikh bleibt im Bus, ich steige wieder mal über ihn hinweg, sein böses Knurren verstärkt mein spöttisches Grinsen. Es ist warm, die mitternächtliche Wärme Indiens, die ich immer geliebt habe. Sie schlägt nicht mehr auf deiner Haut auf, sie ist versöhnlich geworden, der Hauch einer Brise löst Ekstase aus.

My bus in the Indian darkness, somewhere
Mein Bus in der indischen Dunkelheit, irgendwo

Eine falsche Frage

Erstaunlicherweise gehen die 14 Stunden Fahrt bis Delhi relativ zügig vorbei, auch wenn ich gestehen muss, dass mir für solche Abenteuer langsam die Lust fehlt.

Ich könnte es soviel einfacher haben, aber nein, es muss der verflixte Bus sein. Ausserdem bin ich wieder mal der einzige Ausländer, kein Mensch scheint ein verständliches Englisch zu sprechen, und der Zugbegleiter redet so schnell und so schlecht, dass ich kaum die Hälfte verstehe. Es schleicht sich auch das dumpfe Gefühl ein, dass man mich nicht mag, dass man alle Ausländer nicht mag. Vielleicht täusche ich mich, aber das folgende Kapitel zeigt einmal mehr, dass man seiner Intuition trauen sollte.

Ich kann mich erinnern, dass der Zugbegleiter das Kashmiri Gate erwähnt hat, also der Ort, wo ich aussteigen muss.

Beim ersten Halt – es ist heller Morgen geworden – glaube ich tatsächlich diesen Ausdruck zu hören, frage vorsichtshalber nach und versichere mich bei mehreren Passagieren, dass es sich im das besagte Gate handelt. Jeder nickt (und lacht wahrscheinlich hinter meinem Rücken), denn nachdem ich ausgestiegen bin und ein TukTuk oder Taxi suche, erkenne ich den Fehler. Ich befinde mich irgendwo ausserhalb Delhis, etwa 30 Kilometer, wie sich herausstellt, und das entsprechende Taxi kostet ziemlich genau das Doppelte als die ganze Busfahrt gekostet hat.

Wiedersehen mit Old Delhi

Nun, immerhin bringt er mich ins Hotel, wo mitten in Old Delhi ein reserviertes Zimmer auf mich wartet. Die Fahrt dahin, durch enge Gassen, vorbei an einer geschätzten halben Million Menschen und Hunden und Kühen, bringt mich in Windeseile mit dem in Kontakt, was ich unter Indien verstehe.

Und oh Wunder – plötzlich fühle ich mich ausgesprochen wohl. Seltsam, irgendwie fühlt es sich an, als wäre ich nach Hause gekommen.

This is India
Das vergisst man nie, das ist Indien

Am frühen Nachmittag wage ich die ersten Schritte hinaus ins Spektakel, gehe langsam und mit offenen Augen und Ohren (und Nase, denn in Indien riecht es immer nach Irgendwas, was man lieber nicht wissen möchte) durch die Strassen, dem Connaught Place zu.

Der Platz mit erhabenen Fassaden und klassischen Säulen ist Dreh- und Angelpunkt von Neu-Delhi, also in einem großen Kontrast zum überfüllten Zentrum von Old-Delhi. Er ist für ein klassisches Einkaufszentrum sehr großzügig angelegt worden. Ähnlich dem parlamentarischen Hauptquartier südlich sind die Geschäfte und Büros in prächtigen Gebäuden mit Arkadengängen untergebracht. Der Connaught Place beherbergt ein immenses touristisches Angebot, eine große Anzahl von Hotels und Restaurants. (Wikipedia)

Was immer wieder verblüfft, sind die an sich völlig unwichtigen Details, die im Gedächtnis haften bleiben. Vom ersten Trip die Erinnerung an das schlechteste Cola meines Lebens, beim zweiten das scharfe Essen in einem der angesagten Restaurants mit später auftretenden Magenbeschwerden Johns (der keine scharfen Speisen verträgt).

Diesmal bin ich einfach nur überwältigt durch den ungeheuren Verkehr, die dichten Trauben von Menschen, die krassen Unterschiede zwischen den Ärmsten auf der Strasse und den teuer gekleideten Business People beim Connaught Place. Und das alles innerhalb weniger Meter. Das ist auch Indien …

Aber alles in allem – schön wieder hier zu sein!

 

PS Song zum Thema:  Hope Sandoval and the warm Inventions – Salt of the Sea

Und hier geht die Reise weiter … mit einem Abstecher ins Chaos von Old Delhi

 

Ladakh/Rajasthan

Leh-Manali Highway – Die Geister der Berge

Die Geister der Berge sind stumm geblieben.

Wir haben allerhand düstere Träume erwartet.

Es hätte uns nicht verwundert, wenn sich die Geister der Berge an den frechen Eindringlingen gerächt hätten. Mit Albträumen von tiefen Abgründen, von zerschmetterten Autos, von Beinhahe-Crashs, vom Fallen und Aufprallen.

Nichts dergleichen. Sie sind stumm geblieben.

Aber es ist ja noch nicht vorbei. Es warten weitere Abgründe, weitere Albtraumstrecken.

 

Der Rohtang La

Der Rohtang La, nur knapp 4000 Meter hoch, ist aber – wie sich zeigen wird – ebenso furchteinflössend wie die gestrigen Pässe. Er ist das erste Ziel nach der Abfahrt um Punkt acht Uhr. Wir erwarten eine gemütliche Fahrt, denn nach gestern kann uns eigentlich nichts mehr erschrecken. Wie man sich doch täuschen kann …

Wir befinden uns nicht mehr in der Region Jammu/Kaschmir, zu der auch Ladakh gehört, sondern im Bundesstaat Himachal Pradesh. Was aber nicht heissen will, dass nun alles besser ist, im Gegenteil! Auf der Passhöhe des Rohtang La befindet sich auch die Wetterscheide, dies bedeutet, dass sich hier der Monsun nach Lust und Laune austoben kann.

Schon auf dem Aufstieg, in endlosen Kehren wie immer, ändert sich die Umgebung von Kilometer zu Kilometer. Die lebensfeindliche Wüste ist verschwunden, plötzlich wachsen wieder Bäume, grosse, kraftstrotzende Bäume, und Büsche und Gras auf den Abhängen. Man glaubt, in einer anderen Welt gelandet zu sein, einer Welt, die plötzlich wieder Leben ermöglicht.

Alles scheint besser als gestern. Die Strasse ist wieder geterrt, viereckige Betonklötze sichern den Abgrund. Es geht zügig vorwärts. Wenn es so weiter geht, sind wir am Mittag in Manali.

So kann man sich irren …

Almost like in the Alps
Man hat schon fast den Eindruck einer Strasse in den Alpen

Weitere Abgründe

Natürlich dauert es nicht lange mit der schönen gesicherten Strasse. Nach einer halben Stunde sind wir dort, wo wir gestern aufgehört haben – bei engen, unbefestigten, staubigen Strassen mit viel Gegenverkehr. Wir haben beim Nachtessen über alles gesprochen, ausser über die gestrige Etappe. Wahrscheinlich versucht man instinktiv, die zahlreichen Schrecksekunden am Rande des Abgrunds zu verdrängen.

 

Construction sites
Es wird heftig gebaut

Auf jeden Fall sehen wir weiteren Abgründen entgegen, wie der Fahrer mit einem breiten Grinsen bekanntgibt. Wie bereits mehrfach gehört und gelesen, wird an der Strecke heftig gearbeitet. Baumaschinen erschweren die eh schon schwierigen Durchfahrten weiter, der Staub wird dichter, der Lärm lauter. Aber dann erkennen wir ein Tal, ein kleines Dorf, von oben ganz klein, noch im Schatten liegend.

Und dann ist bereits die erste Pause angesagt.

 

Break im Nirgendwo

Erstaunlich, wie sich an den unwirtlichsten Orten eine winzige Art Dorf errichten lässt. Ein paar Hütten, ein Kiosk (oder müsste man es gerechterweise auch als Restaurant bezeichnen?), ein paar billige Plastikstühle und einige Tische, fertig ist der Lastwagen-Stopp. Tatsächlich sind die meisten der hier einen Aufenthalt einlegenden Vehikel Lastwagen, in mehr oder weniger heruntergekommenem Zustand. Man darf sie nicht zu sehr begutachten, denn angesichts der rostenden Komponenten wird es einem Angst und Bange. Das sind die Verkehrsteilnehmer, die uns entgegenkommen. Man darf nicht dran denken …

 
A few huts, a few restaurants - and some donkeys
Ein paar Hütten, ein paar Restaurants – und eine Eselkolonne
Kamring Dhaba - whatever that means
Kamring Dhaba – was immer das heissen mag

Relaxed

Anja has the choice - ommlet or thukpa
Anja hat die Wahl – Ommlet oder doch Thukpa
Lots of trucks on the way across the passes
Jede Menge Lastwagen auf dem Weg über den Highway

Vorbei mit der Ruhe

Am Himmel versammelt sich ein Gebräu aus düsteren Wolken, wie bereits erwähnt, ist der Monsun der allgegenwärtige Wettermeister. Es kann gut sein, dass es in einer halben Stunde regnet wie aus Kübeln. Das wäre dann für unsere Reise sozusagen der Supergau, die ganz und gar nicht willkommene Kirsche auf der Torte.

Denn der Regen macht den Pass beidseitig beinahe unpassierbar. Schwerste Niederschläge verwandeln die Bäche in reissenden Muren, die die mühsame Wiederherstellung zu einer fahrbaren Strasse wieder zunichtemachen. Gab es gestern immer wieder echt schlimme Teilstücke, wo das Fahren zum Hexenwerk wird, so ist dies heute der Normalzustand. Wir mühen uns die Strasse hinauf, die keine Strasse ist, sondern ein ausgewaschenes Bachbett, wir umfahren tiefste Löcher, dass wir an die Decke katapultiert werden, wir folgen Lastwagen, die soviel Staub aufwirbeln, dass die Welt erblindet.

As long as no one approaches, everything is okay
Solange niemand entgegenkommt, ist alles okay
It doesn't get any better ...
Es wird nicht besser …

 

Und dazwischen ein paar Yaks

Und dann wie aus dem Nichts – eine grüne Wiese, darauf friedlich weidend ein paar Yaks. Weissbehaart, schwarz oder beides zugleich. Ihnen scheint weder das Wetter noch irgendwas etwas auszumachen. Ihr dickes Fell schützt sie vor allen unliebsamen Überraschungen des Klimas in diesen Breitengraden.

 

White, black, white/black yaks in search of food
Weisse, schwarze, weissschwarze Yaks auf der Suche nach Futter
 

Aber wir sind noch nicht durch

Und der Gegenverkehr ist immer noch teuflisch: alle paar Meter kommt uns etwas entgegen, ein völlig überladener, im Schritttempo fahrender Truck, dessen über das Lenkrad gebeugten Fahrer man nur als schattenhaftes Wesen erkennen kann, eine Kolonne (indischer) Töfffahrer auf ihren Royal Enfields (übrigens fahren alle, wirklich alle Inder, auch in Ladakh, ausschliesslich Royal Enfields; das ist die Töff-Marke, die von den Engländern her stammt, aber von einer indischen Firma übernommen wurde), oder ein nervöser PKW-Fahrer, der kurz vor dem Herzinfarkt steht. Heute ist nämlich Sonntag, da machen sich die ganz wagemutigen Inder auf, ihren Familienangehörigen zu zeigen, was sie für exzellente Fahrer sind. Autsch! Das kann böse ins Auge gehen …

Anyway, wir erreichen die Passhöhe, erkennen tausende von (indischen) Touristen, die hier Halt machen und – oh Wunder! – Selfies schiessen.

Rohtang La - Here we have come up
Hier sind wir heraufgefahren
Or do we have to go down here??
Oder müssen wir hier hinunter??

Auch die Fahrt hinunter ist kein Honiglecken. Staub und gefährliche Abschnitte bleiben uns erhalten. Manchmal sieht man kaum die Hand vor den Augen. Aber es wird gebaut, Arbeiter sind daran, die Strasse den Fluss entlang zu verbreitern (was abgesichts der Topographie mehr als angebracht ist).

Manali in Sicht

Doch das Tal öffnet sich unversehens, in der Ferne erkennt man die Ausläufer der Berge. Manali ist nicht mehr weit. Die Fahrt hinunter ins Tal dauert länger als angenommen, doch wir nähern uns Meter um Meter unserem Ziel, Manali, und schliesslich, wir umarmen uns in Gedanken, haben wir das Abenteuer überlebt. Nervlich etwas angeschlagen, aber sonst guter Dinge und trotzdem wir nur Passagiere waren, ein bisschen stolz über das Geschaffte.

Und eine weitere halbe Stunde später kommen die ersten Häuser in Sicht, die Dächer rot und grün und blau.

Man atmet unwillkürlich auf und dankt dem Himmel oder den Göttern oder wem auch immer für die überstandene Fahrt. Der Fahrer scheint das hörbare Aufatmen mitbekommen zu haben, auf jeden Fall zieht wieder mal sein berüchtigtes Grinsen um die Mundwinkel.

 

Somewhere down there lies Manali
Irgendwo da unten liegt Manali
The first houses with colored roofs
Die ersten Häuser mit farbigen Dächern

Manali

Manali, Old Manali um genau zu sein, entpuppt sich wider Erwarten als unbekanntes Traveller-Mekka erster Ordnung, ein bisschen an andere Aussteigerorte wir Pai in Thailand erinnernd. Ein Guesthouse neben dem anderen, tausend Restaurants und Kaffees, Agenturen, Wechselstuben, Souvenirshops … TukuTuks dröhnen die steilen und engen Strassen hinauf und hinunter, ein ohrenbetäubender Krach, der bis lange nach Mitternacht andauert. Immer das gleiche: am Anfang überraschend und gerne akzeptiert, nach kurzer Zeit nervtötend und langweilig.

Das Zimmer aber ist prächtig, der Boss organisiert mir in Windeseile ein Busbillett für morgen Abend, und einem verdienten, entspannten Abend in perfekter Begleitung namens Anja steht absolut nichts im Wege. Kaffee trinken, dem Treiben auf der Strasse zusehen, Nachtessen, zum ersten Mal Bier trinken (in der Höhe Ladakhs eher nicht angesagt) und reden, reden, reden … Bis das Licht ausfällt und eine ganze Stadt in absoluter Dunkelheit versinkt.

Time to sleep.

 

PS Song zum Thema:  Emily Browning – Sweet Dreams are made of this

Und hier geht die Reise weiter – im Nachtbus nach Delhi

 

Ladakh/Rajasthan

Leh-Manali Highway – Zaghafte Blicke in gähnende Abgründe

Schon gehört von der berüchtigsten und gefährlichsten Strasse der Welt, dem „Camino de la Muerte“ oder übersetzt der „Strasse des Todes“?

Sie befindet sich in Bolivien, ist gut 80 Kilometer lang und wird als gefährlichste Strasse der Welt bezeichnet.

Ein Unglück vom 24. Juli 1983, bei dem ein Bus ins Schleudern geriet, in eine Schlucht stürzte und die 100 Insassen in den Tod riss, gilt als Boliviens schlimmster Verkehrsunfall. Einer Schätzung zufolge verunglückten bis 2007 pro Monat zwei Fahrzeuge und es starben jährlich 200 bis 300 Reisende auf der Strecke. Zahlreiche Kreuze am Straßenrand markieren die Unfallstellen. Im Jahr 1995 wurde die Yungas-Straße von der Interamerikanischen Entwicklungsbank zur „gefährlichsten Straße der Welt“ ernannt. Seit den 1990er Jahren ist die Yungas-Straße aber gerade deswegen ein beliebtes Touristenziel. Vor allem Mountainbiker schätzen sie als Route zum Downhill-Biking. (Copyright Wikipedia).

Die Bilder sehen wahrhaft furchterregend aus. Und trotzdem scheint er für eine gewisse Art Mensch eine unüberwindbare Anziehungskraft zu besitzen.

 

Manchmal macht man die merkwürdigsten Dinge

Alles, was man über den Camino de la Muerte sagen kann, gilt auch für den Manali-Leh Highway in Nordindien. Er hat den zweifelhaften Ruf, beinahe eben so gefährlich zu sein.

Die jährlichen Opferzahlen beweisen diese Behauptung.

Der Highway ist 485 Kilometer lang quer über die Ketten des Himalaya. Früher bewegten sich Karawanen in wochenlangen Märschen zwischen Indien und Ladakh, heute bewältigen Privatfahrzeuge, Busse und Taxis diese Strecke. Man muss dafür mindestens zwei Tage einrechnen.

 

crazy trip over multiple passes over 5000 meters
Eine wilde Fahrt über mehrere Pässe über 5000 Meter

 

Immerhin gibt es in seinem Fall eine Erklärung. Der Highway ist während der Sommermonate, d.h. zwischen April/Mai (falls der Schnee geschmolzen ist) und September (falls kein früher Wintereinbruch zu beklagen ist) die einzige Strassenverbindung zwischen Ladakh und Nordindien. In den übrigen Monaten ist Ladakh ausschliesslich über die Luft zu erreichen. Es wundert also nicht, dass sehr viele Einheimische den viel billigeren Weg über den Highway nehmen als der für die meisten unerschwingliche Flug.

Allerdings gilt dies nicht für die Touristen. Die meisten ziehen den schnelleren und sichereren Flug vor und verzichten auf das Risiko der gefährlichen Strasse.

Aber nicht alle.

Ein paar finden, dass der Highway genau das Richtige sind, um den Adrenalinspiegel wieder mal auf eine höhere Stufe zu jagen.

Zu diesen gehöre auch ich.

Eine angemessene Weise, mich von Ladakh zu verabschieden …

Koste es, was es wolle …

Warum tut man sich das an?

Keine Ahnung.

 

Eine erste Überraschung

Die Familie, in deren Hotel ich die letzten Tage verbracht habe, lädt mich zum Abschied zum gemeinsamen Frühstück ein. Wie immer ein zwiespältiges Vergnügen, weil die sprachlichen Barrieren einfach zu gross sind. Und so sitzen wir im halbdunklen Esszimmer, lächeln uns an oder nicken (in meinem Fall) anerkennend, auch wenn die angebotenen Speisen zwar gut gemeint sind, aber halt wie oft ganz und gar nicht dem Geschmack des verwöhnten Westlers entsprechen. Was aber völlig unwichtig ist, denn es zählt nur die Geste, und die ist einfach bezaubernd.

Kurze Zeit später treffe ich schwer beladen am Treffpunkt ein. Überraschung: der Fotograph, der den Trip initiiert hat (und klarmachte, dass er ausnahmslos neben dem Fahrer sitzen würde), hat abgesagt. An seiner Stelle wartet eine verwandte Seele, Anja aus der Lüneburgerheide, und ich bin also nicht der einzige Spinner an diesem erinnerungswürdigen Tag.

Wir haben also zwei Tage lang einen Fahrer mit perfekt ausgestattetem Wagen für uns allein, wir können den Platz nach Herzenslust tauschen, an allen Stellen anhalten, wo es uns beliebt.

 

Es beginnt ganz zahm

Um Punkt acht fahren wir los, anfänglich dem Industal Richtung Osten entlang, werfen einen letzten Blick auf den Wagenpark und die riesigen Zelte in Hemis (siehe Thiksey) und biegen dann endgültig in ein Seitental ein, das uns zum ersten Pass im Norden, mit 5350 Metern dem höchsten von allen, dem Taglang La, bringen wird.

Es ist sieben Uhr morgens, in der Ferne grüssen einige der höchsten Berge im sanften Morgenlicht, irgendwo dazwischen führt die Strasse durch.

 

mountains in morning light
Aus der Ferne ganz freundlich und zahm

 

Die Strasse ist geteert und in erstaunlich gutem Zustand, eine Tatsache, an die wir uns später noch viele Male schmerzlich erinnern werden. Wenn es so weiter geht, sind wir wohl einer Illusion unterlegen. Bisher eher enttäuschend, was Gefährlichkeit und Adrenalinspiegel betrifft, aber wir ahnen, dass es in Kürze ganz anders sein wird.

 

so far good road
Noch ist die Strasse in guten Zustand

 

Rote Felswände säumen unseren Weg, laut sprudelnde Bäche führen eiskaltes Wasser, gespiesen von den noch vorhandenen Gletschern. Dann wieder öffnet sich das Tal, Bäume und karge Wiesen, dann und wann weiss getünchte Stupas, die allein und verlassen am anderen Berghang stehen.

 

Red rocks along the road
Rote Felsen entlang des Tals

 

lonely Stupas
Dann und wann ein Bach, am anderen Berghang drei einsame Stupas

 

Die Strasse folgt immer weiter in zahllosen Kurven dem bläulich-kalten Fluss. Wie eine künstliche, kitschige Kulisse in einem schlechten Theaterstück wachsen um den Fluss herum die verrücktesten Felsformationen in den Himmel, meistens gelbbraun wüstenartig, dann wieder grünlich oder beinahe schwarz, wechselnde Strukturen, von schartig-scharfen Kanten durchzogen, abgerundete Hügel mit tief eingegrabenen Rissen durchzogen, die oberen glitzernd in der Sonne, die im Schatten unheilvoll dunkel.

 

Dem Himmel entgegen

Ein einziges atemberaubendes Schauspiel für die Augen. Man glaubt, man hätte nach den Trecks und Ausflügen alle Variationen von Formen und Farben gesehen, doch das, was sich im Vorbeifahren zeigt, ist immer wieder neu, immer wieder überraschend. Ausser bewundernden „Ahs“ und „Ohs“ und „Wows“ ist es still geworden im Wagen. Der Fahrer kann sich ein gelegentliches Grinsen nicht verkneifen. Nach seinen Berechnungen hat er in diesem Jahr bereits sechzehnmal Touristen über die Strecke geführt. Wir sind Nummer siebzehn.

Eine Glückszahl, so hoffen wir.

 

Colours and structures
Alle Farben und Formen

 

Der erste Höhepunkt – Der Taglang La

Nach dem Khardung La (siehe dort) erscheinen uns die 5350 Meter (oder doch eher 5260?) auf der Passhöhe des Taglang La nicht mehr besonders aufregend (man wird ja schnell überheblich), doch der Rundblick ist einmal mehr überwältigend. Es ist der höchste der vier Pässe, die es zu überqueren gilt, und wird als der dritthöchste befahrbare Pass der Welt deklariert (ob das zutrifft, ist zweifelhaft; die Inder möchten es gern so haben).

Mit der Höhe hat auch die Kälte zugenommen, eine scharfe Brise lässt die hunderten von Gebetsfahnen flattern. Die Taglang La Passhöhe ist eine ziemlich windige und kalte Gegend. Sie ist mit dem kleinen Gebäude mitten drin ein von weitem kaum wahrnehmbarer Farbtupfer inmitten gleichförmiger Einöde. Das einzige Anzeichen, dass es, wenn auch sehr begrenzt, so etwas wie Leben gibt.

Ein paar wenige Einheimische machen ein paar Selfies (welche Überraschung), werfen einen kurzen, eher gelangweilten Blick in die Umgebung und flüchten sich in das warme Auto. Es wundert mich immer wieder, und der Weg zum Kulturpessimismus ist nicht mehr weit. Aber wir reden hier von Symptomen, Krankheitssymptomen unserer Zeit. Da stellt die Selfie-Manie ein vergleichsweise kleines Problem dar.

 

Top on Tanglang La
Die Tanglang La Passhöhe – ein kalter farbiger Ort inmitten von nichts

 

high altitude
The second highest Pass of the world – so wird behauptet

 

our driver
Unser Fahrer – zum siebzehnten Mal hier
 

Der gemalte knallblaue Himmel

Die Gipfel des Karakorums und des Himalayas stechen wie bösartige kleine Zacken in den wie mit Pinsel gemalten knallblauen Himmel hinein. Der Blick nach Westen zeigt die Berge Pakistans, im Norden liegt China und der Tibet, im Süden Indien. Ein Eindruck von Einöde, Einsamkeit, Verlassenheit stellt sich ein, wären da nicht Störungen, kaum sichtbare Pfade und Strassen, die die Makellosigkeit zerschneiden.

 

road cuts through desert
Die Strasse schneidet durch die Einöde

 

mountains all around
Bösartige Zacken im wolkenbedeckten Himmel

 

Die Moore-Ebene – Ruhe vor dem Sturm

Es hat auch auf dem Aufstieg zum Taglang La einige Stellen gegeben, die – hätte es mehr Gegenverkehr gehabt – zu mehr oder weniger bösartigen Ausweichmanövern geführt hätte. Da aber der Samstagverkehr ein sehr bescheidenes Ausmass hat – kaum Lastwagen, vor allem nicht viele Militärfahrzeuge -, gelangen wir bereits zur Überzeugung, dass es mit der Gefährlichkeit dieser Strecke nicht besonders viel auf sich hat. Weit gefehlt! Denn jetzt, nachdem wir dem Pass auf der anderen Seite ins Tal hinunter gefolgt sind, wird es erst so richtig anfangen.

Aber vorerst ist noch Entwarnung angesagt. Die Strasse ist nach wie vor tipptopp, führt langen Tälern entlang, Schafherden grasen, obwohl kaum etwas Essbares zu sehen ist.

 

sheep grazing
Schafe suchen nach Essbarem

 

Doch vorerst gilt es, die Moore Ebene zu durchqueren. 35 Kilometer fährt man auf einer schnurgeraden, flachen Strecke, nicht viel anders als auf einer gewöhnlichen Autobahn irgendwo. Man vermutet, dass die Ebene ein ausgetrockneter See ist. Es ist, wie uns der Fahrer prophezeit, die letzte Ruhe vor dem Sturm. Er schlägt vor, die gemütliche Fahrt der Ebene entlang zu geniessen, denn in absehbarer Zeit werden wir uns mit Wehmut an die asphaltierte Strasse erinnern. Er lacht dazu ein ziemlich gemeines Lachen.

Dieses Lachen vergeht ihm kurz darauf, denn wir haben im Nirgendwo tatsächlich eine Panne. Die Strasse ist immer noch in guten Zustand, da fragt man sich doch, wie die Reifen die kommenden Kilometer überstehen sollen. Wir werden sehen …

 

breakdown in no man's land
Panne in No Man’s Land

 

 

perfect road - still
Aber die Strasse ist immer noch perfekt

 

35 kilometer long plain
Eine 35 Kilometer lange Ebene

 

dead landscape
Still und sehr tot

 

Und dann plötzlich Tiere, weit draussen, kaum erkennbar. Könnten es Takine sein? Obwohl sie eine rinderartige Gestalt haben, gehören sie zu den Ziegenartigen. Sehr selten, sehr bedroht. Wie viele andere Tierarten wohl kaum in der Lage, die kommenden Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, zu überleben.

Wir sehen ihnen lange nach …

 

Takine?
Takine – oder vielleicht was völlig anderes

 

Die Gegend wird rauer, ein Fluss hat einen tiefen Einschnitt in die Ebene gegraben. Die Bilder werden immer surrealer, da scheint ein Maler die ganze Palette verrückter Farben auf einem einzigen Gemälde versammelt zu haben.

Unten der Fluss, dessen graublaue Oberfläche daran zweifeln lässt, ob er Wasser führt. An seinen Ufern schattige Abhänge, gespickt mit dunkelbraunen Zacken, wie Zähne in einer grimmigen Fratze. Und ganz oben, schon beinahe im Himmel, die Bergspitzen, gekrönt von Wolkenschwaden, langsam und stetig darüber gleitend.

 

crazy painting by a crazy artist
Ein Gemälde, das sich ein verrückter Maler ausgedacht haben muss

 

River valley and plain
Unten das Flusstal, wie mit einem Messer abgeschnitten von der Ebene

 

hard and soft rock layers
Alte härtere Gesteine dringen durch die weicheren Schichten

 

 

Zwischenhalt

Bevor es richtig losgeht, so der Fahrer, ein letzter Zwischenhalt. Das Gelände ist einigermassen eben, und so genau richtig für ein paar niedrige Gebäude, ein paar Zelte, Stühle und Tische an der Sonne, genau richtig für eine Stärkung. Der Fried Rice schmeckt angesichts der bescheidenen Infrastruktur richtig gut. Es könnte allerdings auch sein, dass man in der Zwischenzeit so ziemlich alles gut findet.

 

Huts and restaurants
Ein paar Hütten, ein paar Zelte und Restaurants

 

quite inviting
Sehr einladend, genau richtig für einen Zwischenhalt

 

 

Fried Rice
Fried Rice als Höhepunkt des Tages

 

relaxed mood
Wie man sieht, ist die Stimmung noch entspannt

 

Und dann sind sie da, die gähnenden Abgründe

Aber dann geht’s weiter, und bereits nach ein paar Kurven wird’s so richtig ungemütlich.

Habe ich beim Khardung La was von „nichts für schwache Nerven“ erzählt? Lachhaft!

Das war die Übertreibung des Jahrhunderts. Denn jetzt wird die Strasse wirklich schlecht, jetzt fängt plötzlich ein irrer Gegenverkehr an, jetzt wird man von breiten Lastwagen an den äussersten Rand der Strasse gedrängt, und jetzt, ja jetzt, beginnen die Blicke in den Schlund, in den Abyss, in den gähnenden Abgrund.

 

Road on opposite slope
Die Strasse – kaum erkennbar am gegenüberliegenden Hang

 

dense traffic
Die Strasse wird schlechter, der Verkehr dichter

 

is it still a road?
Ist das noch eine Strasse?

 

 

Der Lachalung Pass

Während der Fahrer mit stoischer Ruhe sein Gefährt über Stock und Stein lenkt, die Hand lässig am Steuerrad, als ob es nichts Besonderes wäre, im Millimeterbereich zu navigieren, sind wir beiden ziemlich still geworden. Was will man auch sagen, wenn ein paar Zentimeter ausserhalb des Seitenfensters ein hunderte Meter tiefer Abgrund droht, wo es zwischen uns und dem Nichts nicht eine einzige Abschrankung gibt, keine Mauer, keine Sicherheitsplanken, nur ein bisschen staubige heisse Luft?

Wir erreichen die nächste Passhöhe, den Lachalung Pass (oder heisst er Lachung La?). Wieder über 5000 Meter über Meer, aber das ist schon bald normal. Ein trauriger Anblick – die Gebetsfahnen flattern nicht wie gewohnt im Wind, sie liegen auf einem Haufen, wie Müll, entsorgt. Irgendwie unverständlich, wenn man an die tiefe Reliogiosität der Ladakhis denkt.

 

Lachung La Passhöhe
Lachung La Passhöhe

 

An den guten Stellen, d.h. dort, wo die Strasse besser, vielleicht sogar breiter ist, atmet man tief durch, im Bewusstsein, dass es nur eine kurze Verschnaufpause ist, bevor um die nächste Kurve der nächste Magendreher auftaucht.

 

Abyss
Abgründe, in die man besser nicht sieht

 

Die Beklemmung ist verständlich, denn mehrere Male entdeckt man am Grund die zerschellten Überreste von Trucks, aber auch von kleineren Fahrzeugen, so wie wir eines haben. Die Bedrohung ist permanent da, auch wenn man nach einer Weile glaubt, man habe sich daran gewöhnt. Das ist eine Illusion, denn jede noch so kleine Unaufmerksamkeit des Fahrers (oder des entgegenkommenden Chauffeurs) kann eine Katastrophe und das Ende bedeuten. Die ganze Zeit ist man sich der Gefahr bewusst, spürt das Adrenalin, das durch die Adern strömt, den Ausnahmezustand, diese Grauzone zwischen Hoffnung und Wirklichkeit.

 

nd now and then a river deep down
Und dann und wann ein Fluss in der Tiefe

 

Aber deswegen bin ich schliesslich hergekommen. Man bewegt sich in einem Grenzbereich, möglicherweise mit leicht pathologischen Zügen, aber dieses Gefühl des potentiellen Disasters zu spüren, ist purer Wahnsinn!

 

 

Dazwischen – ganz normal – Hunger, Durst, ein Lunch-Stopp im Nirgendwo, wo die Pässe zum x-ten Mal kontrolliert werden. Der Kaffee ist gelinde gesagt grauenhaft, oder nein, es dürfte sich um den schlechtesten Kaffee aller Zeiten handeln. Ist aber völlig egal. Wir sitzen an der Sonne auf wackligen Stühlen, lassen das Gehupe und Gedränge an uns vorbeiziehen, atmen tief durch und fühlen uns einfach grossartig. Wir haben etwa die Hälfte geschafft, haben überlebt, spüren den Puls nach der Nervenanstrengung, und sind der festen Überzeugung, dass das Schlimmste geschafft ist.

Denkste!

 

 

Es ist nun später Nachmittag, hunderte, tausende von Kurven,  gefährliche Ausweichmanöver, das Durchqueren von reissendem Wasser, das über die Strasse fliesst, hinter uns, ein neuer Pass, der vierte und letzte für heute, und es wird der schlimmste von allen sein.

Während unser Fahrzeug knallhart am Rand der Strasse entlang tänzelt, dass man zu atmen vergisst, hört man nur noch schnelles Atmen. Ich versuche, keinen Pieps von mir zu geben, doch auch ich merke, wie der Atem stockt, wie einen Moment lang die Frage auftaucht, was ich hier eigentlich mache. Doch dieser kurze Moment der Klarheit geht schnell vorüber, denn da nähert sich die nächste Kurve, der nächste riesenhafte Schatten eines völlig überladenen Lastwagens taucht vor uns auf, wir schätzen die verbleibende Lücke, grad mal ein paar geknickte Zentimeter mehr als unser Wagen breit ist …

 

Jispa – das Tagesziel

Und dann nähern wir  uns Jispa, es ist dunkel, wir haben für zweihundert Kilometer 11 Stunden gebraucht. Nicht schlecht, würde ich mal sagen, aber morgen geht das Unternehmen weiter, Teil 2 des Abenteuers, genannt Manali-Leh-Highway …

 

 

PS Song zum Tag: Stone the Crows – Danger Zone

Und hier geht der Trip auf dem Manali-Leh Highway weiter …