Mein Hotel ist wegen Descanso, was wahrscheinlich Wirtesonntag bedeutet, geschlossen, also Frühstück in einer nahen Bar, zum ersten (und ganz sicher nicht zum letzten) Mal mit Tostada mit Mantequilla (oder eher ungeniessbarer Margarina) und Mermelada und einem Gran Café con Leche. Immerhin, etwas Süsses im Magen, fast schon wie zuhause.
Neben mir frühstückt der Spanier aus erster Herberge, wahrscheinlich treffe ich ihn zum letzten Mal, denn er will 34 km bis Monesterio durchwandern (ebenso wie Nina, wir werden sie wohl kaum wiedersehen).
Und schon wieder verirrt
Ich spüre einen inneren Drang, loszulegen, ein Phänomen, das mich von jetzt an begleiten wird (wie viele andere auch). Die Etappe ist kurz, also reine Entspannung nach der gestrigen Anstrengung. Das Dorf bleibt hinter mir zurück, es geht eine Weile aufwärts, dann wird der Weg eben. Ein sanfter Wind, kaum spürbar, liebkost mein Gesicht. Wo zum Teufel könnte es irgendwo besser sein als hier?
Es dauert aber gerade mal eine halbe Stunde, als ich ziemlich ratlos vor einem Gatter stehe und mich frage, wo die Wegweiser geblieben sind. Ein grinsender Autofahrer weist mich zurück zur richtigen Abzweigung. Auch der Morgen ist zum Denken da, Landolt!
Schweine und Ziegen und Pferde und ein Strauss
Es ist ein Weg zum Geniessen. Da ich wahrscheinlich eh wieder der letzte unterwegs bin, ist keine Eile geboten. Nun begleiten mich, so wie die nächsten paar hundert Kilometer, ausgedehnte Steineichenwälder, mitten drin, sozusagen als einziges Zeichen der Zivilisation, der Wanderweg.
Ein paar zierliche Wolken garnieren den tiefblauen Himmel, es ist sozusagen Kaiserwetter. Genau richtig für den Wanderer, der einmal mehr den Eindruck erhält, dass er genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.
Und inmitten der Steineichen grunzende Schweine, die Lieferanten für den berühmten Jamon Iberico Pata Negra. Sie geniessen ihr fröhliches Leben inmitten von Dreck und stinkenden Pfuhlen, ihr Schicksal, als einer der weltweit besten Schinken zu enden, ist ihnen Gottseidank unbekannt.
Der Pfad durch Wälder ist Genuss pur, es geht zügig auf und ab, manchmal kleine Tümpel, in denen sich nicht nur Schweine, sondern auch Pferde und Ziegen eine Portion Abkühlung von der Hitze holen. Aber da, sehr überraschend, ein Strauss. Er scheint nicht recht zu wissen, wie er dahin gekommen ist. Ein einsamer Strauss, man möchte ihn mitnehmen und nach Australien zurückbringen.
Natürlich verpasse ich ein weiteres Mal die Abzweigung, und ich stehe einmal mehr verständnislos vor einem Flüsschen, das so ganz und gar nicht zur Karte auf dem Handy passt.
Es gibt nun eine Reihe von Viehgattern, die ersten von ein paar hundert, die in den nächsten Tagen und Wochen zu öffnen und zu schliessen sind.
Ein paar Kilometer und Steigungen auf- und abwärts später taucht El Real de la Jara auf, ein Kirchturm glänz unter bedecktem Himmel und weit oben, tatsächlich, eine Burg.
El Real de la Jara
Aber dann bin ich tatsächlich da, das verschlafene Kaff begrüsst mich wieder mal ohne Menschen, ohne einen Laut – Siesta! Etwas, was mich immer wieder irritieren wird, denn es bedeutet, dass keine Bar, kein Restaurant, kein Laden geöffnet hat. Anyway, auf jeden Fall finde ich Carmens Hotel.
Jara bedeutet offenbar Zistrose. Das wären, leider im Konjunktiv, diese wunderbar duftenden Blumen entlang des Weges. Zu dieser Jahreszeit muss man sich den Duft vorstellen, was angesichts der nicht eben rosig duftenden Schweine eher schwierig ist.
Auf jeden Fall wurde, so werde ich im Travelguide kundig, der Ort Im 14. Jahrhundert von Christen erobert, und so erhielt El Real dann seine Burg. Ich bin zwar nicht unbedingt ein Liebhaber von alten Gemäuern, aber erstens ist der Nachmittag noch früh, und ich habe Zeit, viel Zeit.
Also steige ich den Weg zur Burg hinauf, bewundere die Gemäuer und stelle mir ihre sicher kriegerische Vergangenheit vor. Aber dann macht sich Durst bemerkbar, die tägliche Belohnung in Form eines Biers steht aus, aber es gibt tatsächlich eine offene Bar, wo ich, nicht überraschend, Frank und Lin treffe.
Der Abend wird im gleichen Restaurant gefeiert, alle sind anwesend, das Essen ist köstlich, die Stimmung perfekt, der Höhepunkt ist Franks überraschendes Talent zum Gesang einer offenbar spanischen Romanze, und noch überraschender sein Malkasten, mit dem er schon mal mit Lin chinesische Zeichen übt.
Man sieht – unsere Wanderkombination könnte nicht besser sein. Wein, Weib und Gesang! Mehr braucht es nicht.
Von Real de la Jara nach Monesterio
Eigentlich möchte man das liebliche Kaff gar nicht verlassen, es strahlt etwas aus, was uns in den nächsten Wochen noch öfters begegnen wird. Eine gelassene Ruhe, abseits der unruhigen Welt, hier geht das Leben seinen ewigen gemächlichen Gang.
Ich bin früh unterwegs, was natürlich relativ ist, denn wirkliche Wanderer oder Pilger machen sich viel früher auf den Weg.
Schon kurz nach dem Ortsende weisen Tafeln darauf hin, wo wir uns befinden und was uns im folgenden blüht. Da sich aber der Himmel wieder in Sonntagskleidung geworfen hat, ist mir das ziemlich schnuppe.
Das gestrige Wetter wird heute morgen noch übertroffen. So scheint es zu sein, wenn echte Engel, wie wir es sind, reisen oder wandern. Der Himmel ist so blau wie er nur sein kann, nicht mal das kleinste Wölklein stellt die zur Schau gestellte Pracht in Frage.
Das Castillo de los Torres
Es dauert nicht lange auf dem wunderbaren Weg, als im Morgenlicht die Ruinen einer Burg auftauchen. Es handelt sich um das Castillo de los Torres, ein wahres Prachtstück. Es wurde Ende des 14. Jahrhunderts erbaut, aber ein großer Teil der Mauern und Türme ist noch erhalten.
Und wichtig – genau hier verläuft die Grenze zwischen Andalusien und der Extremadura. Und wir werden sie in der ganzen Länge durchqueren.
Nicht dass man den Unterschied gleich merken würde – es ist genauso heiss wie gestern, die Wege sind schattig oder sonnenverbrannt oder geradeaus oder kurvig – nichts Neues unter der Sonne.
Auch ein Maler könnte sich die bereitgestellte Show in seinen besten Träumen nicht schöner vorstellen. Gemäuer vor tiefblauem Himmel, beleuchtet von einer sanften Morgensonne. Man könnte sagen, dass der Regisseur dieses Spektakels den richtigen Moment getroffen hat.
Grunzende Schweine, Kühe aus dem Bilderbuch
Warum haben Kühe beim Sonnenaufgang eine andere Aura, so als gehörten sie dazu, zu diesem alltäglichen Wunder. Man hat sie tausendmal gesehen, und doch sind diese Bilder anders, als stammten sie aus einem Bilderbuch. Einfach schön.
Was man nun durchquert, sind die sogeannten Dehesas, diese aus Stein- und Korkeichenwäldern bestehende, für die Extremadura typische Landschaftsform. Die Bäume schützen den Boden vor Erosion, und die Weidetiere finden ersehnten Schatten. Die Dehesas sind nicht natürlich entstanden sondern eine Landschaftsform, die seit 4.000 Jahren von Menschen gestaltet wird.
Und der Weg ist perfekt, ich komme erstaunlich schnell vorwärts, dazu passt ein beinahe perfektes Feeling. Man fühlt sich unangemessen belohnt.
Monesterio ist offenbar die Hauptstadt des Jamon Iberico (es gibt sogar ein Schinken-Museum). Ackerbau in der Extremadura ist aufgrund der klimatischen Verhältnisse schlecht, also ist die Zucht von Tieren und der Verzehr von Fleisch, das sozusagen das tägliche Brot der Bewohner darstellt, damit zu erklären.
Kurz vor der Stadt treffe ich mein Wandergrüppchen, Lin, Frank, Soraya. Wir erreichen den Ort, und während sie die übliche Herberge aufsuchen, betrete ich mein reserviertes Hotel.
Auf der Suche nach einem Bier
Ein bisher unbekanntes Phänomen – ein unhöflicher abweisender Hotelier, der mich offenbar als Störung seiner Nachmittagsruhe beurteilt und mir mehr oder weniger abweisend den Weg zum Zimmer weist, das zwar okay ist, aber kein Wlan besitzt. Ich bin nicht überrascht, passt doch bestens.
Dann beginnt ein endloses Warten auf ein Bier, doch auch intensives Suchen im ganzen Ort bringt keinen Erfolg, also setze ich mich etwas verärgert auf eine Sitzbank (von denen es zahlreiche gibt, wahrscheinlich für alle Durstigen gedacht, die auf ein Bier warten).
Auch die Läden sind geschlossen, und da mein Proviant gähnend leer gegessen ist, kommt zum Bierdurst auch noch eine Unterzuckerung dazu, die den verdrossenen Mann auf der Sitzbank nicht eben friedlicher macht. Doch vielleicht habe ich Glück, denn da fährt doch tatsächlich ein alter Mann im Rollstuhl an mir vorbei, und ich spreche ihn an, frage nach einem offenen Laden. Er nickt, weist mich an, ihm zu folgen und fährt voraus, gaaaaanz langsam, um mich zu einem Laden zu führen, der erwartungsgemäss geschlossen ist.
Von Monesterio nach Fuente de Cantos
Bei der Suche nach einer geöffneten Bar ist es zwar noch stockdunkel, aber ich werde tatsächlich fündig. Ein paar noch ziemlich verschlafene Gesichter beugen sich über die Bar, was sie nicht hindert, lautstark die neuesten Gerüchte oder was immer man um diese Zeit diskutiert, auszutauschen.
Man macht mir als Fremden bereitwillig Platz im illustren Kreis, sodass ich doch tatsächlich meine ersten ersehnten Churros zum Kaffee erhalte.
Man würde meinen, dass an einem solchen Tag nichts mehr schief gehen kann.
Ein Prolog in Orange
Auch beim Start löst sich die Dunkelheit nur ungern auf. Man muss also die richtige Abzweigung erwischen, anschliessend folgt der Weg lange auf einem Naturweg zwischen Mauern hindurch.
Der Sonnenaufgang ist, wie schon gestern festgestellt, fest in den Händen der Kühe, die sich, wenig überwältigt durch das tägliche Wunder, ihrer mampfenden Beschäftigung unter den Bäumen widmen. Dabei hat sich die Sonne wieder einmal alle Mühe gemacht, sprenkelt anfänglich, sozusagen als Prolog, die Wolken mit einem orangen Mantel.
Ein ferner Traum
Der Weg windet sich nun auf und ab, aber ich fühle mich gut und komme schnell vorwärts. Ich wandere durch eine paradiesische Landschaft, allerdings darf man keine Aversion gegen öde, verlassene, verbrannte Gegenden haben, sonst verschwindet das paradiesische Gefühl sehr schnell. Man darf sich aber dieselbe Gegend im Frühjahr vorstellen, grün, fruchtbar, duftend.
In der Ferne ist Fuentas de Cantos zu erkennen, bis dahin noch viele Kilometer. Die Etappe von Monesterio nach Fuente ist wieder einmal eine, wo man glaubt, schon sehr nahe zu sein, doch die Stadt ist eine Fata Morgana, eine Chimäre, ganz klar zum Ärger und zur Frustration der Wanderer konzipiert, die sich noch und noch verschaukelt vorkommen.
Eine Schaf-Stampede
Dann wie vom Travelguide angekündigt, ein Bach namens Arroyo de las Cañadas, genau richtig für die Mittagsrast mit Brot und Jamon. Und da kommen auch schon Frank und Soraya. Lin scheint mehr Probleme mit ihren Blasen zu haben als befürchtet.
Eigentlich kennt man den Begriff „Stampede“ aus alten Western. Mit John Wayne oder Charles Bronson oder Gary Cooper.
Von einer Stampede mit Schafen ist wenig bekannt, doch genau das ist es, was uns kurze Zeit später zum Staunen bringt. Am Anfang ist nur entferntes Blöken zu hören, dann tauchen, noch weit weg, ein paar Schafnasen auf, doch sie sind nur die Vorhut zu ungefähr 1500 Schafen (wie uns der Hirt verrät). Eine Lawine aus braun-weiss verdreckten Schafen bringt die Welt zum zittern. Sie eilen an uns vorbei, wir verstehen das eigene Wort nicht mehr, und machen sich über das Flüsschen her. Wahnsinn!
Und da nun auch Lin eintrifft, allerdings mit Fussproblemen, gehen wir gemeinsam weiter.
Ein Gewitter und nasse Wäsche
Es fehlen zwar nur noch gut 7 km bis Fuente de Cantos, doch unser gemeinsames Geschnatter lässt sämtliche Konzentration auf den Weg vergessen. Wir verfehlen also irgendwo eine Abzweigung und müssen trotz Lins Schmerzen die letzten Kilometer der Strasse entlang gehen.
Die Stadt ist viel grösser als erwartet, was umgekehrt auf unser Hotel, das eher eine Herberge ist, zutrifft. Die Zimmer sind klein und unterste Schublade, aber was soll’s. Frank und ich teilen uns ein Zimmer, wir waschen im Lavabo unsere Wäsche und hängen sie auf der Terrasse auf, was sich später als grossen Fehler entpuppen wird.
Der Himmel hat sich zwar verdüstert, wir nehmen ungerührt einen Apero in Restaurant, doch dann schlägt das Wetter zu und zeigt, wozu es auch in hitzegewohnter Extremadura fähig ist. Natürlich denken wir an unsere Wäsche, aber erstmal essen im Baobab, wir geniessen Tapas und geben auf unsere Wäsche einen feuchten Kehricht.
Nicht ganz überraschend finden wir unsere Wäsche am Boden verstreut, vollkommen nass und schmutzig.
Doch Frank hat vorgesorgt mit Wäscheleine und Klammern, also hängen wir halt unsere Wäsche im Zimmer auf. Ein Anblick für die Götter!
Das einzige, was unseren Schlaf stört, sind die Wetteraussichten für den nächsten Tag.
Passender Song: Wet Wet Wet – Love is all around
Und hier geht der Camino weiter – von Fuente de Cantos nach Merida