Also dann Tag zwei in Asuncion, mal sehen, ob es neben den schönen Plätzen und den freundlichen Menschen auch noch andere Sehenswürdigkeiten gibt.
Alfredo Strössner – Diktator auf Lebenszeit
Wenn man die Stadt (und das Land) verstehen will, muss etwas blättern im Geschichtsbuch.
Auch wenn man nicht viel weiss über Paraguay, früher oder später taucht der Name Stroessner, Alfredo Stroessner, auf. Diktator auf Lebenszeit (dachte er). Sein Vater stammte aus irgendeinem Kaff in Bayern, von wo er Ende des 19. Jahrhunderts nach Paraguay auswanderte. Der junge Stroessner wurde dort 1912 geboren, ging zum Militär, wo er eine beeindruckende Karriere hinlegte, die er 1954 mit dem Putsch gegen den amtierenden Präsidenten krönte.
Anschliessend regierte er das Land sage und schreibe bis 1989, als er aus Amt und Würden gejagt wurde.
Die im Osten Paraguays gelegene Stadt Puerto Flor de Lis, die Stroessner zu Ehren in Puerto Presidente Stroessner umbenannt worden war, wurde 1989 in Ciudad del Este umbenannt. Asuncións Flughafen, der während seiner Diktatur nach ihm benannt war, wurde später in Aeropuerto Internacional Silvio Pettirossi umbenannt.
Stroessner erlag am 16. August 2006 im Alter von 93 Jahren einer Lungenentzündung als Folge einer Leistenbruch-Operation. Er wurde im August 2006 auf einem Friedhof im Süden der brasilianischen Hauptstadt Brasília beigesetzt.
Warum erzähle ich das alles? Dazu später.
Arme Leute und Modeketten
Zuerst aber Kaffee und Kuchen bei meinen Lieblingsdamen in ihrem kleinen Café, das zu dieser frühen Stunde noch reichlich verschlafen wirkt. Eingedeckt mit ein paar Empanadas für den kleinen Hunger zwischendurch mache ich mich also auf den Weg.
Die bleischwere Hitze des Mittags ist noch ein paar Stunden weg, der Weg zur Stadtmitte, bereits im geographischen Gedächtnis gespeichert, ist anders als beim ersten Mal ein reines Vergnügen. Aber natürlich findet man beim zweiten Mal neue Wege, entdeckt plötzlich in der Stadtmitte das eigentliche kommerzielle Zentrum, wo es von Shops und all den bekannten internationalen Modeketten wimmelt.
Trotz den heruntergekommenen Trottoirs vor den Eingängen verströmen die Gebäude auch hier etwas Mondänes. Allerdings nicht für alle, eigentlich für die wenigsten. Kaum jemand hat genügend Geld, um auch nur in die Nähe dieser Läden zu kommen.
Für die weniger vermögenden Leute sind die Strassenhändler da. Ihre Ware ist billig und einigermassen brauchbar.
Casas de Cambio
Ein paar Strassen weiter sind die Casas de Cambio, die ich bisher vergeblich gesucht habe.
Aber natürlich sind auch die ambulanten Geldwechsler zahlreich vertreten, die mich schon von weitem kommen sehen und sich wie eine Horde Fliegen auf den Kuhfladen stürzen. Ich bin aber bezüglich Geldwechseln auf der Strasse vorsichtig, bzw. ein gebranntes Kind. Auch wenn man jeden möglichen und unmöglichen Trick kennt, wird man in den meisten Fällen trotzdem über den Tisch gezogen.
Allerdings frage ich nach dem Kurs, checke ihn kurz in der entsprechenden App und oh Wunder – er ist gut, sogar besser als der im Internet angegebene Tageskurs. Einen Moment lang versucht ein kleines gieriges Teufelchen mich dazu zu überreden, den Handel abzuschliessen, doch da meldet sich ein rotes Lämpchen und hält mich davon ab.
In der nahegelegenen Casa de Cambio, wo alles mit rechten Dingen zu und her geht, verrechnet man mir ohne mit der Wimper zu zucken den gleichen Kurs. Erstaunlich! Normalerweise ist es umgekehrt.
Alfredo im Beton
Etwas später, ich bin schon beinahe vorbeigegangen, fällt mir das seltsame grüne Ding ins Auge, das fast unbemerkt am Rand eines kleinen Platzes steht. Heureka!
Bei Wikipedia gibt’s ja alle schmutzigen Details zu Alfredo in voller Länge nachzulesen, was mich interessiert ist ein kleines Detail nach seiner Entmachtung. Ein paar Jahre nach seiner Flucht nach Brasilien, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte, wurde die riesige Statue vom Sockel geholt und in Stücke gehauen.
Und jetzt kommt’s: die Überreste wurden in einen Betonblock gegossen, der an einem kleinen Platz aufgestellt ist, wo jeder Vorbeigehende einen höhnischen (oder bedauernden, je nach politischer Ausrichtung) Blick darauf werfen kann.
Da ist also Alfredo oder das, was von ihm übrig geblieben ist. Tatsächlich schauen zwei Hände aus dem Beton, daneben das Gesicht, und ganz klar, es zeigt nicht ganz überraschend einen etwas wunderlichen Ausdruck, irgendwie bemitleidenswert, als würde er eben mit Entsetzen feststellen, was mit ihm geschehen ist.
Welch ausserordentlich kreative Weise, sich eines verhassten Diktators zu entledigen, indem man ihn einfach lächerlich macht. Die einzig wirklich funktionierende Methode, die für manch anderen Diktator (oder ähnlichen Gesellen) ein adäquater Weg wäre, ihn für alle Ewigkeit zu vergessen.
Die Toten und die Verschwundenen
In einem kleinen Park stosse ich auf seltsame Kreuze, deren Sinn mir im ersten Moment entgeht. Doch dann wird schnell klar, dass es sich um Kreuze und Tafeln zu Ehren der unzähligen Ermordeten und Verschwundenen handelt. Leider häufiges Phänomen auf diesem blutigen Kontinent.
„Verschwunden im Januar 1977, identifiziert 2016“. Hunderte dieser Kreuze und Gedenktafeln sind Zeuge unsäglicher Verbrechen, die im Namen des Alfredo Strössner und seiner Entourage verübt wurden. Sie erinnern an Argentinien oder Chile, wo ähnliche Verbrechen mit dem gleichen politischen HIntergrund Jahre später ans Tageslicht kamen. In diesen Momenten fragt man sich, wie der Mensch eigentlich tickt, und ob die Frage, ob die menschliche Spezies besser verschwinden würde, nicht doch berechtigt ist.
Verrostende Überbleibsel einer vergangenen Zeit
Der Weg führt mich weiter dem Rio Paraguay entgegen, wo der Eindruck entsteht, dass hier die Zeit stillgestanden ist. Riesige Kräne, ihre Arme weit ausgestreckt, befinden sich in einem Stadium zunehmenden Verfalls. Es sieht aus, als wären sie seit Jahren nicht mehr benutzt worden.
Der Grund ist mir schleierhaft, auch wenn klar ist, dass die oekonomischen Probleme des Landes auch hier ihren Niederschlag finden.
Aber das Regierungsgebäude muss glänzen
Es ist so, wie überall. Auch wenn die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Bildung den Bach runter geht – die offizielle Vertretung des Staates in Form protziger Gebäude muss glänzen. So ist es auch hier. Das Regierungsgebäude ist pompös, gepflegt, von starker Ausstrahlung. Ebenso die Wolkenkratzer im wirtschaftlichen Zentrum der Stadt, wo Armut keinen Platz hat.
Die Jugendlichen und die Polizei
Unweit des Regierungsviertel liegt ein Park, wo sich ein Trupp Junge versammelt haben, bewacht von einem zahlenmässig beinahe ebenbürtigen Trupp Polizisten. Ein überall feststellbares Phänomen. Militär und Polizisten. Es gibt sie überall, an allen Ecken und Enden.
Der positive Effekt ist, dass Asuncion eine der sichersten Städte Südamerikas ist, auf der anderen Seite ist die Erkenntnis nicht weit, das der gute Alfredo einfach durch einen anderen Alfredo ersetzt worden ist.
Das Ende
Und so geht mein Besuch in Asuncion, sprich Paraguay, zu Ende. Es gäbe noch viel zu erzählen, doch vieles davon ist deprimierend und traurig.
Morgen früh fliege ich nach Santa Cruz de la Sierra, und einmal mehr nehme ich Abschied, zwar mit gemischten Gefühlen, aber unter dem Strich doch positiven Erkenntnissen, allerdings nicht dem poltischen System, sondern ausschliesslich den freundlichen Bewohnern dieser seltsamen kleinen Stadt geschuldet …
Kilometerstand: 2434
Song zum Thema: The Beatles – Revolution
Und hier geht die Reise weiter … nach Bolivien