Die Nacht ist gut verlaufen, trotz den engen Verhältnissen auf 4000 Metern nicht die geringsten Symptome.
Das Frühstück inmitten tausend Leuten und einem furchtbaren Durcheinander ist, weil jeder was anderes am Kochen oder Zubereiten ist, ein kreatives Chaos. Gefällt mir aber gut.
Messe mit Feuerwerk
Die Abfahrt des Busses verzögert sich. Man gibt sich gelassen, setzt sich irgendwohin, überzeugt, dass es früher oder halt ein bisschen später sicher klappen wird. Man wünschte sich manchmal die stoische Ruhe der Einheimischen.
Bei den Plattformen, wo die Busse ein- und ausfahren, werden in grosser Eile Bänke aufgestellt, ein Tisch mit Blumen geschmückt, verschiedene Gegenstände bereitgestellt, die verdächtig nach etwas Religiösem aussehen.
Meine Frage an ein paar Damen, ob eine Hochzeit gefeiert wird, stösst auf lautes Gelächter. Anyway, kurze Zeit später werden ein paar Knaller wie am 1.August abgefeuert, eine Musikkapelle macht sich bereit, und da – der grosse Auftritt des Priesters.
Jetzt verstehe ich. Da wird doch tatsächlich eine Messe abgehalten. Aber der Grund für diesen seltsamen Ort beibt mir verborgen. Auf jeden Fall folgen die Messebesucher, zu hundert Prozent reinrassige Indios, der Messe mit grosser Ehrfurcht und Respekt. Man fühlt sich als Aussenstehender fast ein bisschen als Fremdkörper. Ein kleines weisses Schaf scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen, oder ist es einfach zufälligerweise anwesend?
Aber ich höre der Predigt zu, und bin beeindruckt, mit welch stimmigen Worten er der offensichtlichen Armut seiner Schäfchen etwas Gutes abzugewinnen weiss. Anderseits kennen wir das: Unglück im irdischen Leben, Belohnung im Jenseits.
Die Formel scheint immer noch zu funktionieren. Am Schluss der Messe hat die Musikkapelle ihren grossen Auftritt, der sich vor allem durch Lautstärke und Intensität als durch musikalische Qualität auszeichnet. Sie führt den Priester zu den Bussen und den Taxis, und alle werden gesegnet. Jetzt kann uns wirklich nichts mehr passieren, zumindest nicht auf der Fahrt nach Uyuni.
Abschied
Potosi verschwindet im feuchten Dunst, der seit dem gestrigen Regen über der Stadt liegt, ein letztes Winken zur Christusstatue hinaus. Ich kann nicht sagen, dass mir der Abschied schwerfällt. Und doch, ein schmerzliches Gefühl des Verlusts stellt sich ein, wie immer beim Abschiednehmen.
Man kommt irgendwo an, fühlt sich fremd und allein, doch mit jeder Stunde, mit jedem Schritt stellt sich etwas Vertrautes ein. Eine der Stärken des Gehirns ist die Fähigkeit, Muster zu erkennen, und sobald Übereinstimmungen zu früheren, gespeicherten Mustern gefunden werden, werden beruhigende Hormone ausgeschüttet. Das ist jeweils der Zeitpunkt, wo man sich wohl zu fühlen beginnt. Es kann ein Bier oder ein Kaffee in einem Restaurant sein, ein Hotelzimmer, das Geborgenheit bietet, oder auch nur der Anblick eines anderen Touristen.
Und doch, je mehr Vertrautheit sich eingestellt hat, desto grösser und melancholischer der Abschied. Auch von Potosi …
Fast wie in Ladakh
Die Fahrt erinnert mich zunehmend an Ladakh. Pendelnd zwischen 3500 und 4500 Metern führt eine ausgezeichnete Strasse (das hingegen erinnert weniger an Ladakh) Richtung Südwesten, also einmal mehr weg von der ursprünglich geplanten Strecke.
Anstatt mich langsam in Richtung Norden zu bewegen, machen wir also einen Ausflug nach Süden. Früher oder später werde ich es zwar bereuen, aber es gibt Orte, die man nur unter Androhung von Strafe links liegen lassen darf. Es ist vor allem die karge Landschaft, auch hier von unterschiedlicher geologischer Natur, die sich in allerhand farbenfrohen und bizarren Gesteinsstrukturen äussert, die bekannt vorkommt. Allerdings gibt es hier zumindest so etwas wie Gras, auch Steppengräser in wilden Büschen, Kakteen, Sträucher, selten niedrig wachsende Bäume.
Dazwischen die endlos scheinende Strasse, die in weiten Kehren gegen den Horizont führt.
Gelegentlich streift der Blick Ruinen eines Dorfes, von Häusern, doch ob sie noch bewohnt sind, lässt sich nicht beantworten. Niemand ist zu sehen, auch keine Tiere, keine kläffenden Hunde, die dem Bus folgen. Die Häuser stehen einfach da, inmitten einer kalten und abweisenden Gegend, umgeben von lauter Nichts. Und doch muss hier irgendwann irgendjemand gewohnt haben.
Man sucht nach Möglichkeiten, nach Überlebenschancen und findet keine.
Und wieder einmal ein Formel-1 Rennen
Der Chauffeur, ein sehr junger Mann, ist wieder mal einer, der sich als Lewis Hamilton fühlt und seine Fahrkünste vor allem durch überhöhtes Tempo zeigen will.
Wir knallen also wie die Wilden durch die unzähligen Kurven, entlang tiefer Schluchten, und nur, wenn die Steigungen extrem werden, wird das Tempo gefälliger. Die schwarzen Wolken am Horizont kommen schnell näher, und es beginnt wieder zu regnen, was aber dem Geschwindigkeitsrausch unseres Hamilton 2.0 keinen Abbruch tut.
Die Ebene der Lamas
Auf einer Hochebene, grüner als andernorts, mit kleinen Bächen und Tümpeln, weiden Lamas.
Viele Kilometer lang zieht sich das Grasland, und überall strecken die Tiere ihre Köpfe ins Gras. Es müssen hunderte, tausende sein. Manchmal treibt sie erst das ungeduldige Hupen des Chauffeurs von der Strasse runter. Es ist ein Anblick, der bei uns Seltenheitswert besitzt. Sie sind zwar immer häufiger auch in der Schweiz anzutreffen, doch natürlich nicht in dieser Zahl und als wilde Herden.
Ich liebe diese Tiere (das Spucken mal ausgenommen), ihr anmutiges Wesen, ihre Schönheit, ihre Anspruchslosigkeit. Genau die Art Tiere, in die man sich auf den ersten Blick verliebt. Doch das Leben hier auf dieser Höhe auf dem Altiplano ist hart und auch für diese Wesen ein permanenter Kampf ums Überleben. Man wünscht ihnen alles Gute.
Dann geschieht irgendwie das Unvermeidliche (so denkt man nachher): es gibt einen heftigen Knall, der Bus wird einen Augenblick durchgeschüttelt.
Das, was geschehen ist, scheint klar zu sein. Einen Augenblick lang werde ich so wütend, dass ich lauthals auf Schweizerdeutsch durch den Wagen fluche. Es könnte natürlich möglich sein, dass das Lama von der Seite direkt in den Bus gelaufen ist, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Chauffeur einfach keine Lust hatte zu bremsen, ist gross, und allein der Gedanke daran treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Verdammt!
Später wird die Landschaft brauner, gelber, rötlicher. Hügel und schneebedeckte Berge stechen aus den flachen Ebenen heraus. Doch die dräuenden Wolken werden dunkler, ein Sturm zieht auf. Ich hoffe, er erwischt uns noch im Bus, das Schönste, was ich mir auf langen Busfahrten vorstellen kann.
Uyuni
Der Rest der Reise vergeht in dumpfem Schweigen, das erst etwas aufgehellt wird, als in der Ferne die Häuser von Uyuni auftauchen.
Es ist eine Kleinstadt von knapp 18’000 Einwohnern, mitten in einer Hochebene gelegen. Ihre einzige Bedeutung verdankt sie dem nahe gelegenen grössten Salzsee der Welt, dem Salar de Uyuni. Ich bin hier 1981 durchgefahren, als es noch einen Zug zwischen der Atacama-Wüste in Chile und La Paz gab. Ein Abenteuer, das ich bereits andernorts beschrieben habe.
Das Städtchen selbst gleicht in nichts den bisherigen Orten. Die Strassen sind breit, staubig und grösstenteils leer. Also keine brummenden Autokolonnen vor Rotlichtern (auch diese gibt es hier, und alle Autofahrer halten sich daran, auch wenn kein anderes Vehikel weit und breit zu sehen ist).
Und noch etwas fällt auf: es ist ein Backpacker-Paradies. So viele junge Touristen habe ich zusammengezählt nicht gesehen. Sie sind alle nur mit dem Ziel gekommen, den einzigartigen Salzsee zu besuchen. So wie ich. Aber das dann morgen …
Kilometerstand: 3350
Song zum Thema: Grains of Sand – Going away Baby
Und hier geht die Reise weiter … zum Salzsee von Uyuni