Mein Apple Restaurant verwöhnt mich mit Toast mit Butter und Konfitüre, dazu zwei Spiegeleier (Sunny-Side up) und Black Coffee. Man könnte sagen, dass der Tag so begonnen hat, wie es sein sollte.
Kommt dazu, dass es noch angenehm kühl ist, erst gegen Mittag steigt das Thermometer unaufhörlich bis über 30 Grad und stoppt erst bei einer Temperatur, die vom gemeinen Mitteleuropäer bereits mit dem Prädikat „unerträglich“ bezeichnet wird.
Mein erstes Nashorn
Der Hotelmanager bringt mich mit seinem Motorrad zum Startpunkt der angekündigten „Safari“ durch den Chitwan-Nationalpark . Ein dicht gedrängter Haufen Touristen hat sich mit ihren Guides um ein kleines Häuschen versammelt.
Während also die Dinge langsam und träge ihren Lauf nehmen, gehe ich ein paar Schritte dem Fluss entlang, winke einem jungen Mann auf einem schmalen Boot zu, und da – ich traue meinen Augen nicht – auf der anderen Seite des Flusses watet ein stattliches Nashorn im Ufergestrüpp, ungeachtet des Lärms von der anderen Seite. He, mein erstes frei lebendes Nashorn.
Im Normalfall sieht man sie bestenfalls im Zoo, wo sie träg geworden ihren langen langweiligen Tag verbringen, ohne sich um Schlafplatz, Nahrung oder Feinde kümmern zu müssen.
Das alte Problem mit den zoologischen Gärten. Tut man den Tieren wirklich etwas Gutes, oder dient es ausschliesslich der Neugier der Besucher?
Über den Fluss
Eine seltsam konfuse Art, Tickets zu verteilen. Es dauert eine Ewigkeit, bis der uniformierte junge Mann an seinem behelfsmässigen Pult alle Angaben geprüft hat. Erst wenn wirklich alles stimmt, wird der entsprechende Stempel auf die Tickets gedrückt. Man könnte schon beim Zusehen wahnsinnig werden.
Unser Guide ist ein Herr in den besten Jahren, kleingewachsen, drahtig. Der erste Eindruck überzeugt. Er führt uns zum Fluss hinunter, wo lange, schmale Boote die Touristen zum gegenüber liegenden Ufer bringen.
Man zwängt sich in den fragil aussehenden Kahn, für jeden Arsch steht ein niedriger Hocker bereit, und erst wenn mindestens zehn Personen in einer Reihe sitzen, stösst der Bootsführer ab. Es geht ganz langsam und vorsichtig los, man gleitet lautlos über das trübe Wasser, bis man nach ein paar Minuten am anderen Ufer ankommt.
Der Jeep, der Guide und wir
Der Jeep ist gross, bietet auf der offenen Ladefläche Platz für knapp zehn Personen, die Sitze sind einigermassen bequem, also beste Voraussetzungen für einen spannenden Nachmittag.
Wir sind einmal mehr eine zusammengewürfelte Truppe. Drei ältere englische Herrschaften, die sich vor allem als Vogelliebhaber outen, ein bayrisches Ehepaar, ein Inder oder Nepalese mit seinen zwei Söhnen, deren Interesse eher ihrem Smartphone als der Tierwelt gilt, eine hübsche junge Dame, die ich nirgendwo unterbringen kann, da sie kaum einmal den Mund öffnet, dazu der Guide und ich.
Über holprige Strassen hinein in den Dschungel
Man ist gespannt auf das, was da kommen möge, und so bohren sich von Anfang an zehn Augenpaare in das hüfthohe Grün in der Hoffnung auf tierische Überraschungen. Die lassen aber noch etwas auf sich warten. Es dauert eine Weile, bis sich der Jeep über die schlechten Strassen durch dichten Wald, dann wieder offenes Gelände, bis in die Region gekämpft hat, wo nun die versprochenen Viecher sichtbar werden sollten.
Wir sind natürlich nicht die einzigen, sondern eher Teil einer langen Kolonne von identischen Jeeps, alle vollgestopft mit aufgeregten Besuchern. Manchmal kommt es zu einem Stau, dann muss man geduldig warten, bis sich der Verkehr beruhigt hat.
Wo sind die Tiere?
Es ist heiss, eine der beiden englischen Damen flüchtet sich zwecks Schatten mit hochrotem Kopf in die Fahrerkabine, während der Bayer seine GoPro verliert und der Jeep zurückfahren muss. Es erinnert mich an Slapstick-Einlagen, Monty Python hätten es nicht besser machen können. Ich unterhalte mich prächtig, denn auch ohne Tiere ist die Fahrt äusserst unterhaltsam.
Nur der Guide verhält sich seltsam zurückhaltend. Eigentlich würde man erwarten, dass er uns Informationen vermittelt, auch solche, die nicht nur mit den vorläufig unsichtbaren Tieren zu tun haben. Über die Geschichte des Nationalparks, über die Probleme, über die Bewachung, über alles, was zu einem derart weltbekannten Park zu sagen wäre. Na ja, vielleicht erwartet man zuviel. Auf jeden Fall kommt nichts, und wie sich im Verlauf des Nachmittags herausstellen wird, wird es so bleiben.
Aber wo sind sie, die Tiere? Man hat uns doch jede Menge Nashörner, Tiger, Bären, Affen und Vögel versprochen. Dass die Wahrscheinlichkeit, einen Tiger oder einen Bären zu sichten, verschwindend klein ist, scheint klar zu sein. Nicht mal ein Bär mit einem IQ von Null würde sich ausgerechnet am hellen Nachmittag einer Kolonne von Jeeps mit ein paar kuriosen Touristen zeigen, von Tigern ganz zu schweigen.
Wenn ich mir die Gesichter meiner Mitreisenden ansehe, ihre langsam aufsteigende Ungeduld, ihre Enttäuschung, wenn sich ein vermeintliches Nashorn mal wieder als verrottender Baumstumpf entpuppt, dann kann ich mir ein boshaftes Grinsen nicht verkneifen.
Doch noch Nashörner
Ich stelle mich in Gedanken bereits darauf ein, den Tag als gemütliche, etwas teure Fahrt durch den Dschungel zu deklarieren, da taucht unweit der Strasse ein Tümpel auf, und darin – man glaubt es kaum – tummeln sich tatsächlich zwei echte lebende Nashörner.
Nun kommen Smartphones, Kameras, Film- und Videorecorder und GoPros zum Einsatz, alles, was der moderne Tourist an Technologie mitträgt, es wird geknippst und gefilmt und oh! und ah!, bis die beiden Dickhäuter, offenbar intelligenter als ihre menschlichen Beobachter, ihren Auftritt beenden und im Dickicht verschwinden.
Ein Kingfisher und ein Nashorn-Methusalem
Manchmal müsste man eine bessere Kamera und etwas mehr Talent zum Fotographieren haben. Dann würde ich wunderbare Bilder eines Kingfishers (bei uns Eisvogel) zeigen können, die ich nun in Ermangelung eigener Fotos im Internet suche. Sie sind meine absoluten Lieblingsvögel, und offenbar gibt es hier im Nationalpark sehr viele davon. Aber sie sind so klein und so wendig, dass man sie kaum vor die Kamera bekommt.
Irgendwo auf einer Wiese, ganz in der Nähe der Strasse, weidet ein Nashorn, ein ziemlicher Brocken, aber aufgrund seines Aussehens mit Sicherheit ein älteres Exemplar. Es lässt sich nicht stören, auch durch die Stimmen und die Motorgeräusche nicht, und frisst sich gemütlich durch das hohe Gras.
Ein aussergewöhlicher Anblick.
Stopp bei den Krokodilen
Alle Jeeps halten am gleichen Ort, offenbar einem Zentrum für die Aufzucht von Krokodilen. Und tatsächlich, in grossen Becken werden unterschiedliche Generationen aufgezogen, von ganz winzig bis fast ausgewachsen. Da der Guide auch dazu nichts zu sagen hat, bleibt nichts anderes übrig, als mich später schlau zu machen.
Der Rückweg mit Affen und Vögeln … und Vögeln … und Vögeln …
Der Grund, warum wir bei jedem Schwanz, der auch nur annäherungsweise wie ein Vogel aussieht, liegt bei den drei Birdwatchers aus Brexit-Land. Offenbar kennt sie der Guide persönlich und wacht nun darüber, dass ja kein einziges Federvieh vergessen wird. Wir, die wir nicht über die notwendigen Utensilien verfügen, haben keine Ahnung, wovon die mit starken Feldstechern operierenden Ornithologen sprechen, wenn sie aufgeregt in eine Richtung zeigen, wo sich eben ein kaum sichtbarer Schatten im Geäst eines Baumes bewegt hat.
Offenbar soll es sich um Fasane, Pfauen (die sehen sogar wir), Kuckuck und Spechte handeln. Die anderen Vögel sind mir hingegen so unbekannt, dass ich nicht mal den deutschen Ausdruck dafür google.
Immerhin, einen Vogel sehen alle, auch diejenigen ohne Fernglas – einen Weisskopf-Adler. Ein wunderschöner, stolzer Raubvogel, der uns nicht nur mit Desinteresse sondern Verachtung straft. Recht hat er.
Aber immerhin wird auch der Rest der Truppe gelegentlich unterhalten, sei es durch wunderbar gesprenkelte Rehe, die sich erst mit langen Sprüngen aus dem Staub machen, als sie unser ansichtig werden.
Oder ein Langur, ebenso niedlich wie im Langtang, wenn auch bei massiv weniger frostigen Temperaturen. Sind es wirklich die gleichen Affen?
Für einmal erfüllt auch der Guide seine Aufgaben und deutet auf ein kleines, flinkes Tier, das erst flüchtet, als wir uns ihm bedrohlich nahe kommen.
Ein Mungo!
Und da – weitere Nashörner, Affen, sogar ein Wildschwein macht sich mit einem empörten Grunzen aus dem Staub.
Ein Gewitter im Anzug
Langsam nähern wir uns dem Ende der Tour, beim Krokodilcamp war ja der Umkehrpunkt, nun fahren wir seit geraumer Zeit denselben Weg zurück.
Der Himmel bezieht sich ebenso mit dunklen Wolken wie das Gesicht des bayrischen Herrn, der sich angesichts des drohenden Gewitters Sorgen um seine wahrscheinlich sündhaft teure Ausrüstung macht.
Es würde auch mir nicht gefallen. Vor allem auch deshalb, weil meine gesamte restliche Wäsche in der Laundry ist, und ich deshalb mit nassen Kleidern bis am Abend ausharren müsste.
Was aber unsere Vogelfreunde nicht im Geringsten zu stören scheint, trotz baldigem Hereinbrechen des Himmels über unseren Köpfen, gibt es immer noch einen Vogel zu entdecken („oh even a new bird for me“). Der Rest der Truppe ergibt sich apathisch dem Schicksal, obwohl man gelegentlich ein leises Stöhnen zu hören glaubt.
Am Ziel
Aber wir haben Glück, die ersten Tropfen fallen erst beim Warten auf die erneute Überfahrt über den Fluss. Die Bayern sind wie ich etwas ungehalten über die mangelnde Unterstützung durch den Guide. Aber was soll’s, es ist Abend geworden, man ist etwas müde (vom ergebnislos-ins-Gebüsch-starren?) und ist froh, das „Abenteuer“ überstanden zu haben.
Wir haben ein paar Tiere gesehen, die meisten aus ziemlicher Entfernung, wir haben uns andere im Kopf vorgestellt, vor allem zahlreiche Vögel, und wir haben viele Stunden im Freien, an Hitze und frischer Luft verbracht.
Wir fühlen uns zwar nicht gerade wie Dr. Livingstone, der berühmte Entdecker und Abenteurer im 19. Jahrhundert, aber ein bisschen dürfen wir stolz sein, dass wir uns tollkühn mitten in den Dschungel gewagt haben.
Das ist doch auch schon etwas …
PS Song zum Thema: Foo Fighters – The Feast and the Famine
Und hier geht die Reise weiter …