Leider kann man den Riesenvogel gar nicht richtig sehen, höchstens erahnen, doch beim Einsteigen wird schnell klar, um was für einen Koloss es sich handelt. Nachdem er sich – endlich – langsam in Richtung Abflugschneise begeben hat, scheint es doch ein Hindernis zu geben, auf jeden Fall sind wir schon bald wieder auf dem Weg zurück ans Dock, wo irgendein Schaden zuerst geflickt werden muss.
Wenn das ein Omen ist, dann kann ich mich auf was gefasst machen. Ist mir aber egal, irgendwie werden wir den Anschlussflug nach Chiang Mai schon kriegen.
Heute beginnt ein neues Abenteuer, es soll nach Laos gehen, ein unbekannter Fleck auf der Landkarte. Und damit ein weiteres Kapitel meiner Berichte.
Dann fliegen wir doch noch los, langsam zuerst, die Tonnen müssen in Bewegung gesetzt werden, dann schneller, man spürt die ungeheure Kraft der Motoren, und wir heben ab …
Endlich. Asien, ich komme.
Europa – vom Winter geschunden
Unter mir verflüchtigt sich Europa, ein Land nach dem anderen, öde Gegenden, vom Winter geschunden, es geht schnell, und man merkt, wie klein unser geliebter Kontinent ist.
Irgendwann ein Meer unter uns, düster und bedrohlich, und ich habe den komischen Eindruck, dass Nordafrika zugeschneit ist, bis ich meinen geographischen Fehler entdecke. Wir fliegen über das Schwarze Meer und das, was zugeschneit ist, ist die nördliche Türkei.
Erinnerungen an eine lange mühselige Reise
Irgendwann fliegen wir über Iran, Afghanistan, Pakistan, eine raue, gelbe, verbrannte Gegend, der Mondoberfläche ähnlich. Und wieder holt mich die surreale Einsicht ein, dass wir für die Strecke bis hierher einige Wochen anstrengenden Fahrens auf dem Hippie-Trail mit dem VW-Bus benötigten. Aber hier, zehntausend Meter über der Erde, sind wir gerade mal ein paar Stunden unterwegs.
Schliesslich die Überquerung von Indien, schwarz in immer noch dunkler Nacht, und irgendwann im Anflug an Indochina ein Schimmer am Horizont, und bei der Landung in Singapur ist es warm und hell und wunderbar …
Und dann sind wir da …
Wir erwischen wie erwartet den Anschlussflug, eine kleinere Maschine der Silk Air, aber ganz in Ordnung, und es geht wieder nordwärts, teilweise denselben Weg zurück, nur auf der andern Seite der malaysischen Halbinsel. Nördlich von Bangkok versuche ich mich an die erste Reise zu erinnern, an Chiang Mai, den Trek mit Sam und alles andere …
Und dann landen wir, sogar aus grosser Höhe ist zu erkennen, dass aus dem Städtchen eine Metropole geworden ist. Ich nehme ein Taxi, der Fahrer versteht den Namen des Hotels nicht, bis er ihn geschrieben sieht. Im Gegensatz zur Stadt hat sich das Hotel nicht gross verändert, wenigstens ein Hauch von Stabilität in der verrückten Welt.
Ich bin da. Es ist der 7. Februar.
Es ist heller Nachmittag, die Stadt liegt in heissem Mittagstaumel, und genauso geht es mir. Aber, entschlossen, der Müdigkeit die Stirn zu bieten, setze ich mich ins Hotelrestaurant (nichts hat sich geändert, nicht mal die Tischtücher), lese im Führer und erkundige mich schon mal nach Touren in den Norden.
Die Dame an der Rezeption ist begeistert und bucht mich auf den Trip vom 10. Februar. Bis dahin hoffe ich, mich genügend an die veränderten Umstände gewöhnt zu haben, an eine neue Umgebung, an Sonne und Wärme, eine andere Kultur, andere Gewohnheiten.
Da sitze ich nun also, im Galare Guesthouse, wie vor etwas mehr als 23 Jahren, versuche mich zu erinnern, und vielleicht, mit wenig Aussicht auf Erfolg, mein jüngeres Ich wiederzufinden. Was würde es wohl sagen zu dem älteren Kerl, zu dem es geworden ist? Wäre es enttäuscht, beunruhigt oder doch ganz zufrieden? Was würde es finden? Etwas Zerbrochenes, Unvollständiges, Zerrissenes, abgewetzt und plattgewalzt durch die Tücken des Lebens? Ich weiss es nicht. Ich muss es selbst herausfinden.
Schrödingers Katze
Ja, und dann sitze ich wieder einmal vor leeren Seiten im Tagebuch, die gefüllt werden müssen, ich fühle mich leer, der Kopf aber noch voll vom Reisestress. Es scheint mir, als ob ich noch nicht richtig angekommen bin, ich bin hier und gleichzeitig noch weg. Schrödingers Katze sozusagen. Etwas fehlt noch, vielleicht die Seele, die noch irgendwo im Hindukusch festhängt.
Aber das innere System brennt weiter, unruhig, nervös, getrieben von Energie und Leistung. Aber das wird sich geben. Zuerst mal zur Ruhe kommen. Heute heisst die Devise herumhängen, ein kaltes Bier trinken (Heinecken, nicht Singha, was für eine Sünde!). Herunterkommen. Vergessen.
Schnee und bittere Kälte sind bereits eine ferne Erinnerung. Nur meine Nase bleibt verstopft. Was soll’s.
Eine würdevolle alte Dame
Die würdevolle alte Dame, die mir Brot und Eier und Kaffee bringt, verbeugt sich schüchtern. Ich frage sie nach ihrem Namen, doch die Gesprächsversuche scheitern an der Sprachgrenze, es bleibt nur der Austausch eines gegenseitigen Lächelns.
Jetzt, in diesem einen Augenblick, beim Frühstück an der Sonne, unter mir der gemächlich fliessende Fluss, dessen Namen ich nicht weiss, ist alles gut. Es ist angenehm warm, vielleicht 25 Grad, und ich befinde mich in einem labilen Gleichgewicht, das zum Anfang jeder Reise gehört.
Während ich am Kaffee nippe, spüre ich, wie sich langsam die Ruhe einstellt, auf die ich mich so gesehnt habe. Die letzten Wochen waren krass – bezüglich Arbeitsbelastung, Stress, Frustrationen. Unser Leben in Reinkultur, manisfestiert an schlaflosen Nächten, an Bauchschmerzen, an Rückenproblemen.
Erinnerungen verblassen
Ich will herausfinden, was an Erinnerungen an den letzten Besuch noch geblieben ist. Ein Tag wie aus dem Bilderbuch, um herunterzukommen. Und um die Stadt zu erkunden.
Auf der Suche nach Déja-Vus.
Der gemütliche, langsame Gang durch die Stadt zeigt, dass die Erinnerungen nach mehr als zwanzig Jahren verblasst sind. Was aber nicht nur mit der beschränkten Kraft des Gedächtnisses zu tun hat, sondern vor allem mit der Geschwindigkeit, mit der sich die Stadt verändert hat. Mein Gott, wo sind die stillen Gassen geblieben, die kleinen Restaurants, die freundlichen Menschen, die eine ganz besondere Ruhe und Gelassenheit ausströmten? Alles fort, weggefegt durch die Dynamik des Fortschritts.
Déja-Vus
Und doch – innerhalb der Stadtmauern, einem letzten Refugium der alten Kultur – scheint alles so zu sein wie immer … Der Buddha sitzt auf seinem Ruhebett, in Gedanken im Nirwana, seinem Ziel.
Dieser eine flüchtige Augenblick
Gegen Abend, die Dunkelheit ergiesst sich wie gewohnt von einem Augenblick zum anderen über die Welt, nimmt die bisher heroisch bekämpfte Müdigkeit überhand. Aber ich schaffe es noch bis zum Nachtmarkt, der mir seltsam fremd vorkommt. Hier kauften wir vor langer Zeit Winterjacken (!) und liessen sie uns nach Hause schicken, wo sie tatsächlich nach einer dreimonatigen Seereise bei uns eintrafen.
Bevor ich mich endgültig ins Nirvana abmelde, noch ein letztes Singha Bier im Gartenrestaurant. Motorengeräusche überall, der Vollmond hängt rötlich am Himmel.
Alles ist gut.
Alles, was wir haben, ist dieser eine flüchtige Augenblick.
PS Song zum Thema: Art of Noise – Moments in Love
Und hier geht’s weiter …