Cusco ist das absolute, unumstrittene Highlight Perus. Im Gegensatz zu anderen Orten kann ich mich gut daran erinnern.
Auf der Skala von 1 bis 10 bezüglich touristischer Ausprägung erhält die Stadt mindestens eine Elf, und ist in diesem Fall durchaus positiv gemeint. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit einer der interessantesten und attraktivsten Orte Südamerikas. Und ich bin sicher, dass es mich nicht enttäuschen wird, auch wenn der touristische Zahn der Zeit, wie beispielsweise in Machu Picchu, vieles verändert oder zerstört hat.
Viejo?
Nach dem Frühstück (ich scheine der einzige Gast im „El Mirador de Santa Ana“ zu sein) mache ich mich auf in die Stadt hinunter.
Die Dame an der Reception rät mir, für den Rückweg ein Taxi zu nehmen. „Porque?“ „Es muy duro, Viejo!“ „Viejo“? Sagte sie das wirklich? Das erinnert mich doch irgendwie an Burma („You trekking? Yes, why? … You old!“). Aber in einem Punkt hat sie recht. Die Treppe hinunter in die Stadt hat es tatsächlich in sich. Und ein paar Stunden später, nämlich auf dem Rückweg, wird mich ihre Warnung auf schmerzliche Weise einholen …
La Plaza de Armas
Cusco ist nicht die einzige Stadt Südamerikas, deren Hauptplätze mit kriegerischen Namen benannt und voll von ebenso kriegerischer Helden sind. Im Unterschied zu anderen Orten stehen hier aber nicht irgendwelche Generäle im Licht der Bewunderung, sondern Helden des Inkareichs, getäuscht und verraten von den spanischen Konquistadoren unter der Führung von Francisco Pizarro.
Nach der erfolgreichen Bewältigung der Treppe stehe ich mitten auf der Plaza de Armas, dem Zentrum der Stadt, einstmals einer der heiligen Orte des untergegangenen Inkareiches.
Dass es hier von Touristen geradezu wimmelt, ist verständlich, denn wenn es in Peru einen Ort gibt, der garantiert in jedes touristische Angebot gehört, dann Cusco. Von hier aus sind die wichtigsten Orte des Inkareiches zu erreichen, darunter natürlich der der wichtigste, Machu Picchu.
Die meisten Touristen sind junge Backpacker, aber auch zahlreiche ältere Semester, vorzugsweise organisiert unterwegs. Das erkennt man nicht nur an den Gruppen und ihrem nicht sonderlich gut englisch/deutsch/japanisch/whatever sprechenden Guide, sondern auch an den typischen, irgendwie misstrauischen Blicken. Im Gegensatz zu den Backpackern sind sie nicht an die potentiellen Unabwägbarkeiten des Reisens gewohnt und wittern an jeder Ecke irgendwelche Halunken, die ihnen das letzte Hemd ausziehen wollen.
Das Inkareich
Immer, wenn man vom untergegangenen Reich der Inkas spricht, denkt man an Cusco, die einstige Hauptstadt des damaligen Riesenreiches, das sich über eine Fläche von knapp einer Million Quadratkilometer zog und neben Peru Teile von Bolivien, Chile, Argentinien, Equador und Kolumbien umfasste.
Man kann es vergleichen mit anderen Imperien der damaligen Zeit. Eine Hochkultur, die seltsamerweise weder das Rad noch ein Schriftsystem noch die Verarbeitung von Eisen oder Stahl kannte und trotzdem zu einem unfassbar grossen Reich wuchs, das in unfassbar kurzer Zeit vollkommen zerstört wurde.
Cusco – Hauptstadt des Inkareiches
Wenn man bedenkt, welches Schicksal die Stadt erdulden musste, hat Cusco nichts von ihrer zeitlosen Schönheit eingebüsst. Nicht nur die Eroberungskämpfe und Plünderungen der Spanier unter Franscisco Pizarro, auch Erdbeben und andere immer wiederkehrende Schicksalsschläge haben die Stadt zwar beschädigt, aber nicht zerstört.
Sie ist die Perle auf dem Altiplano geblieben, die sie immer war.
Heute ist Cusco immer noch die Hauptstadt der gleichnamigen Region und der Provinz Cusco im Zentrum des peruanischen Andenhochlandes. Sie liegt in 3.416 m Höhe und hat im Ballungsraum über 400’000 Einwohner. Kein Wunder wurde sie 1983 in die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen.
Die Geschichte der Stadt ist lang und voller Tragik. Irgendwann im 13. Jahrhundert gegründet, entwickelte sie sich zum Zentrum des Inkareiches und Ausgangspunkt der schnellen Expansion des Inkareichs unter verschiedenen Inkas. Dem Einfall der Spanier im Jahre 1532 ging ein mörderischer Bürgerkrieg voraus, angefacht durch die beiden verfeindeten Inkabrüder Atahualpa und Huascar.
Doch kaum war der Bürgerkrieg mit dem Sieg Atahualpas an sein Ende gelangt, drohte eine neue, viel schlimmere Gefahr in Gestalt eines spanischen Conquistadors, der mit einer bescheidenen Truppe von knapp 200 Soldaten das Ende des glorreichen Inkareiches einläutete. Dass dabei die vergleichsweise Naivität der Inkas dem Verrat und der von vermeintlicher Gottesfurcht geprägten Brutalität der Spanier nichts entgegenzusetzen wussten, ist historisch gesehen eine Schande der damaligen eurozentrischen Kolonialisierungspolitik.
Aber eben, zumindest hat Cusco die Irrungen und Wirrungen der verrückten Zeit einigermassen schadlos überstanden. Ein Gang durch die Plätze und Gassen zeigt die unvergleichliche Schönheit der Stadt und des Erbes der Inkas.
La Piedra de los 12 Angulos
Wenn ich mich an etwas garantiert erinnere, dann an den zwölfeckigen Stein, „la piedra de los 12 angulos“, in der alten Inkamauer.
Man muss sich das so vorstellen, dass die Inkas riesige Steine mit unvorstellbarem Gewicht auf eine Weise bearbeiteten, dass auch die grössten und schwersten exakt in- und aufeinander passten.
Der grösste von ihnen hat zwölf Ecken, und zu all den umgebenden Steinen besteht nicht der geringste Zwischenraum. Die Fugen sind so eng, dass nicht der kleinste Finger hineinpasst. Wie die Inkas das geschafft haben, ist unbekannt.
Spannend dabei ist ja, dass sie in vielerlei Hinsicht kulturelle und bauliche Highlights schufen, die unerreicht sind, trotzdem aber versäumten, das Rad, möglicherweise die wichtigste Erfindung früherer Zeiträume, zu erfinden. Was möglicherweise – nebst allerhand politischer Naivität – einer der Gründe für ihre Niederlage gegen die Spanier war.
Man hat keine Mühe, die alte Inkamauer (auf der heute ein banales Gebäude steht) zu finden, denn dort, wo sich vor einer von weitem unscheinbaren Mauer dichte Trauben von Touristen sammeln und wie wild Fotos und Selfies schiessen, da ist der besagte Stein. Einmal mehr versucht man sich vorzustellen, wie die Inkas das geschafft haben. Auf jeden Fall Hut ab vor einer unglaublichen Meisterleistung!
Das touristische Cusco
Man geht durch Strassen und Gassen, gesäumt von unzähligen Läden, die alle das exakt gleiche Sortiment an farbigen Taschen und Mützen und Handschuhen und Pullovern aus Alpacawolle anbieten, aber auch durch abgelegene, stille, wo ein paar Indiofrauen ihre Produkte anbieten. Dass das wunderschöne knuddlge Lama dabei eine gewisse Rolle spielt, ist nicht verwunderlich. Auf jeden Fall scheint der Trick zu funktionieren.
Obwohl fern davon, mir etwas kaufen zu wollen, tut es mir einer dieser selbstgestrickten Pullover trotzdem an. Allerdings ist er mir mindestens drei Nummern zu klein, also muss ich diesen Kelch (vielleicht zum Glück) an mir vorübergehen lassen (und alle meine Versuche, etwas Ähnliches zu finden, scheitern kläglich).
Der Weg zurück – die elende Treppe
Gegen Abend – es wird schnell kälter, sobald sich die Sonne verzieht – der langsame Rückweg ins Hotel. Das stetige stundenlange Auf und Ab hat bei meinem Lieblingsknie offenbar Spuren hinterlassen, denn auf der Treppe hinauf in die oberen Gefilde, diesem Horrorgebilde aus tausend Stufen, jede in unterschiedlicher Höhe, spüre ich zum ersten Mal seit langem echte Schmerzen. Verdammt!
Und damit schwindet wohl endgültig die naive Vorstellung, dass die Wärme und die Ruhe und viel Bewegung während der Reise mein Knie wieder in Ordnung bringen. Weit entfernt davon …
Kilometerstand: 4665
Song zum Thema: The Stooges – Search and destroy
Und hier geht die Reise weiter …