Ich werde am Morgen im „Zohar Hostel“ zur Abwechslung nicht in aller Freundschaft verabschiedet (vor allem die Hotelchefin, eine zerknautschte Frau in den nicht mehr besten Jahren, wirft mir die berühmten Blicke zu, die töten könnten).
Bad Vibes
Offenbar ist meine Weigerung, ein Zimmer ohne eigenes Bad zu akzeptieren, auf böses Blut gestossen. Ist mir aber ziemlich egal. Dass ich dann bei der Bezahlung mit Kreditkarte auch noch einen Aufschlag bezahlen muss, macht es einfacher, den Laden schnellstmöglich hinter mir zu lassen.
In diesem Zusammenhang muss auch einmal gesagt werden, dass sich die Vermittlungsplattformen wie booking.com oder in meinem Fall Agoda die Sache allzu einfach machen. Erstens sollte in jedem Fall klar sein, ob ein Zimmer ein eigenes Bad oder ein Gemeinschaftsbad zur Verfügung hat. Und zweitens muss ausdrücklich deklariert werden, ob die Bezahlung in bar oder mit Kreditkarte (mit oder ohne Aufschlag) getätigt werden kann. Was natürlich nicht geschieht und in der Konsequenz zu den obigen Problemen führen kann.
Carrera 12b – vermisst!
Das neue Hotel „Casa Guadalupe“ liegt ganz in der Nähe, also mache ich mich nach einem wunderbaren Kaffee mit selbstgemachtem Kuchen in einer kleinen Beiz nebenan (denn auch Frühstück gab’s in meinem Lieblingshotel nicht) auf zur neuen Adresse.
Was sich allerdings wieder mal als kryptische Sache erster Ordnung entpuppt. Die Carrera 12b existiert zwar, die Hausnummer 1-21 allerdings fehlt zwischen 1-19 und 1-23.
Niemand hat je von einem Hotel Casa Guadelupe gehört. Damn it!
Also auch mein letztes Hotel verschwindet irgendwo im Universum. Aber nur, bis sich ein Sicherheitsbeauftragter (von denen es in dieser Gegend nur so wimmelt) meiner erbarmt und – oh Wunder! – tatsächlich weiss, wo sich das mysteriöse Etablissement befindet. Er führt mich schnellen Schrittes durch eine kleine Gasse, ich immer knapp hinter ihm, und bringt mich zur besagten Nr. 1-21. Man glaubt es nicht, aber auch diese Strasse ist die Carrera 12b.
Kann man sich vorstellen, dass es in Zürich auf knapp fünfzig Metern zwei Langstrassen oder zwei Bahnhofstrassen gibt? Oder in New York zwei Broadways? In Paris zwei Champs-Elysees? Die Managerin des Guadalupe, Sandra, kann es nicht glauben, als ihr ihr von dieser geheimnisvollen Nummerierung erzähle; für sie gibt es nur eine Carrera 12b und das ist die ihre.
Am späteren Nachmittag löst sich das Rätsel. Am Anfang der Strasse, also dort, wo die Strassen angeschrieben sind, ist die ursprüngliche Nr. 13b einfach durchgestrichen und durch 12b ersetzt worden. Ob dabei Aberglaube eine Rolle gespielt hat, ist unklar, aber durchaus möglich.
Ein wirklich wunderliches Ländchen, dieses Kolumbien, immer wieder gut für allerlei Überraschungen …
Der erste Preis beim Lotto
Ich bin schon etwas gespannt auf meine neue Bleibe, schliesslich haben die Erfahrungen der letzten Nacht ein paar Spuren hinterlassen.
Aber die Götter meinen es zum Abschluss gut mir mir, denn das Zimmer, das mir Sandra zeigt, ist mit grossem Abstand das schönste, komfortabelste, geräumigste, geschmackvollste der ganzen Reise. Der erste Preis beim Lotto.
Der Boden nicht mit billigen Spannteppichen oder Linoleum bezogen sondern mit echtem Parkett, das Badezimmer gross und tatsächlich mit heissem Wasser (was mir demonstriert wird; ich muss sogar zum Beweis die Hand unter das Wasser halten), das Bett riesig und weich, der TV funktionierend und als Höhepunkt ein Wärmestrahler, der die frostigen Temperaturen in Bogotà einfacher ertragen lässt.
Ich bin durch und durch einfach nur happy.
La Candelaria
Der Nachmittag gehört einer ersten Besichtigung der Stadt, was vor allem das Quartier Candelaria betrifft.
Auf den ersten Blick erinnert viel an Cartagena, an die farbigen Häuser, die langen Strassenzüge, auf beiden Seiten umrahmt von Farben und Kunst und guter Laune. Und doch ist es hier anders. Da ist erst mal das Klima. Es ist spürbar kälter, manchmal ziehen düstere Wolken (oder ist es eine Art Nebel oder Smog?) über die Stadt. Also alles andere als frühlingshaft.
Auch die Stimmung ist nie so fröhlich, so mediterran oder karibisch wie in Cartagena. Vielleicht sind es die vielen uniformierten Polizisten oder Armeeangehörigen, die das Bild verunstalten. Sie stehen an allen Ecken und Enden, ein grimmiger Ausdruck im Gesicht, eine Waffe locker umgehängt, die aber jederzeit eingesetzt werden kann.
Bogota ist eine gefährliche Stadt. Man tut gut daran, in den Stadtvierteln zu bleiben, wo die Sicherheit einigermassen gewährleistet ist. Die umliegenden Quartiere, wo die mehrheitlich arme Bevölkerung lebt, sind zwingend zu meiden. Ausser natürlich, wenn der Hang zu hochriskanten Ausflügen überhand nimmt.
Aber ich fühle mich von der ersten Sekunde an sehr wohl. La Candelaria ist ja nicht nur das historische, sondern vor allem das kulturelle Zentrum der Stadt. Dieses Quartier atmet Vergangenheit. Viele Straßen haben noch Kopfsteinpflaster, die Plätze und Häuser erinnern an das koloniale Erbe. Nicht verwunderlich, dass La Candelaria zu den am besten erhaltenen historischen Altstädten in Lateinamerika zählt.
Was mir natürlich besonders gefällt, ist das reichhaltige Kulturleben. Es wimmelt von Bibliotheken, Theater und Museen, aber auch Universitäten. Im Grunde genommen kann man die ganze Zeit in diesem Quartier bleiben. Es ist das Bohème-Viertel Bogotás, ein beliebter Treffpunkt von intellektuellen Randgruppen mit vorwiegend schriftstellerischer, bildkünstlerischer und musikalischer Aktivität oder Ambition. Hier schlägt das Herz des Nachtlebens und man ist mitten im Herzen Bogotás.
Wie finde ich zum Hotel zurück?
Ohne iPhone habe ich mir wieder wie früher angewöhnen müssen, mir den Rückweg zu merken. Also beim gelben Haus links, dann geradeaus, und bei den beiden Polizisten rechts bis zum Restaurant. Aber ich bin keinen Deut besser geworden. War das Haus gelb oder blau? Und wo sind die beiden Polizisten? Und Restaurants hat es so viele, dass man sich besser etwas anderes als Orientierungspunkt wählt. Ist aber egal, irgendwie finde ich trotzdem zurück.
Kilometerstand: 10118
Song zum Thema: Morat – No Hay Más Que Hablar
Und hier gehen die letzten Tage vorüber …