Auf der Etappe von Jaun nach Gruyères kommen Geniesser, Kulturliebhaber und Naturfreunde auf ihre Kosten. Auf dem Abschnitt, der erst am Jaunbach, dann an der Saane entlang führt, können Wanderer entdecken, wie das Wasser die Landschaft geformt hat. Kirchen, Kapellen und das einzigartige Erbe von La Gruyère prägen die Strecke.

Nun, Gruyère werde ich morgen allein entdecken müssen, aber geniessen wir unsere letzte gemeinsame Etappe bis Broc.

 

From Jaun to Broc

 

Es war einmal …

… eine Gruppe von Freunden, die 1997 den Entschluss fassten, eine längere Wandertour zu unternehmen und dabei den Montblanc zu umwandern. Es waren zehn harte Tage, aber auch eine Wanderung voll wunderbarer Landschaften und Begegnungen. Kein Wunder, dass man in der Folge an eine Fortsetzung dachte …

 

Tour du Mont-Blanc

Und so entwickelte sich aus diesem erstmaligen Ausflug eine Tradition, die nun beinahe ein Vierteljahrhundert alt ist und trotz zunehmendem Alter der Teilnehmer immer noch jedes Jahr einen festen Termin im Kalender besitzt.

Hier ein Überblick über unsere Wanderungen:

  • 1997 Tour du Montblanc (Schweiz / Frankreich / Italien)
  • 1998 Wales (UK)
  • 1999 Mairatal (Italien)
  • 2000 Veltlin (Italien / Schweiz)
  • 2001 GTA Gran Traversata die Alpi (Italien)
  • 2002 Korsika (Frankreich)
  • 2003 Wallis (Schweiz)
  • 2004 Pyrenäen (Spanien)
  • 2005 Dolomiten (Österreich / Italien)
  • 2006 Lake District (UK)
  • 2007 Wallis (Schweiz)
  • 2008 Piemont – Nizza (Italien / Frankreich)
  • 2009 Bernina (Schweiz)
  • 2010 Südfrankreich
  • 2011 Gotthard-Tessin (Schweiz)
  • 2012 Vorarlberg (Deutschland / Österreich / Schweiz)
  • 2013 Jura (Schweiz)
  • 2014 Kärnten (Österreich / Italien / Slowenien)
  • 2015 South West Coast Trail (UK)
    • 2016 Ladakh (Indien, allein)
  • 2017 Appenzeller Kulturspur (Schweiz)
  • 2018 Berner Oberland (Schweiz)
  • 2019 Engadina (Schweiz)
  • 2020 Walserweg (Schweiz)
  • 2021 Alpenpanoramaweg (Schweiz)

Die Übersicht zeigt, dass die anstrengenden Wanderungen mit tausenden von Höhenmetern in den letzten Jahren seltener geworden sind. Wir haben die Touren entweder verkürzt oder zumindest vereinfacht, wir meiden die hohen Alpenpässe und geniessen dafür gemütliche Wandertage im Appenzell oder im Jura oder im Berner Oberland.

Das zunehmende Alter (zumindest eines Teils der Teilnehmer) spielt dabei sicher eine Rolle. Und nicht zu vergessen – die schwierigen und anstrengenden Etappen auf dem Langtang Trek haben knallhart aufgezeigt, wo die Grenzen sind. Es ist nicht nur eine Frage des Könnens, vielmehr auch eine Frage des Wollens.

Denn die Bereitschaft, sich zu quälen, nimmt kontinuierlich ab. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was eine 500 km lange Non-Stop-Tour mit abnehmender Leistungsbereitschaft zu tun hat.

Tja, der Mensch, ein ewiges Rätsel …

 

Zurück zur Gegenwart

Dann also zum letzten Teil unserer gemeinsamen Wanderung. Von Jaun führt der Weg auf der linken Talseite nach Im Fang, danach auf der rechten Seite des Jaunbachs nach Charmey.

Das interessanteste Detail der heutigen Route – wir werden bei der Talenge unterhalb In Fang unbemerkt die Sprachgrenze überqueren. Von da an – nous parlerons français, mes amis! Wir verlassen aber nicht nur die deutschsprachige Schweiz, nein, wir überqueren ja auch den sogenannten Röstigraben, den kulturellen Graben, der die französischsprachige und die deutschsprachige Schweiz voneinander trennt.

Ob dieser fiktive Graben tatsächlich (noch) existiert, ist offen. Natürlich ticken die beiden unterschiedlichen Kulturen anders, sei es politisch oder gesellschaftlich, aber wahrscheinlich sind die Gemeinsamkeiten viel grösser als allgemein angenommen wird. Sonst hätten wir es kaum so lange miteinander ausgehalten.

 

The old Church of Jaun

Aber zuerst verabschieden wir uns von Jaun, einem kleinen versteckten Dorf mit grossen Traditionen.

La Cascade bleibt zurück, wir passieren die alte Kirche, die heute als Kantorei (Haus des Gesangs) genutzt wird. Ein merkwürdiges Schicksal, das mir nicht ganz klar ist. Doch wir wenden uns ab und folgen dem Bach entlang einer wundersam Welt in allen Nuancen von grün.

 

Walking through a green world

Es ist eine einfache, schnelle Etappe, eigentlich eher eine Art Auslaufen nach den anstrengenden Touren der letzten Tage. Wie dem auch sei, wir nehmen es gemütlich, das Ergebnis findet sich in unzähligen Fotos und Videos wieder (obwohl, wie man eigentlich weiss, nicht gleichzeitig schauen und fotographieren kann).

 

Through dense forest

Die heutige Etappe ist genau das, was nun eher angesagt ist – angenehm zu wandern, eine flache Tour, entlang Bächen, durch schattige Wälder und Dörfer und vorbei an Bauernhöfen und kleinen Weilern.

 

the crossing of a river

Wherever you go, you'll find small pretty farms houses

Cows everywhere

 

Ein Dorf und ein Bach und ein See

Wir nähern uns, soviel steht fest, wohl oder übel dem Endziel, auch wenn wir unbewusst das Tempo drosseln, die Etappe in die Länge ziehen. Aber nicht zu vergessen – im Gegensatz zu mir gilt es, in Broc den Zug nach Hause nicht zu verpassen.

Zunächst aber erreichen wir das malerische Dorf Charmey am Ausgang des von den hohen Gipfeln des Hochmatt und des Schopfenspitz überragten Tals. Es war ab dem Hochmittelalter das wichtigste Produktionszentrum für den Gruyère Käse.  Früher ein von der Landwirtschaft geprägtes Dorf, hat es sich zu einem bedeutenden touristischen Hotspot entwickelt. Es gibt hier Winter-und Sommertourismus, der einstige Weltcup Skifahrer Jacques Lüthi stammt offenbar von hier.

Die Geschichte ist immer ähnlich: ein ursprünglich armes, aber malerisch gelegenes Dorf wird irgendwann entdeckt, vielleicht durch Wanderer oder andere Touristen, es spricht sich herum, bis jemand das Potential entdeckt, und schwupps wird aus dem armen Dorf ein reiches Dorf. Neue Einwohner ziehen her, Pendler oder Pensionäre, Hotels öffnen und Restaurants, und man entdeckt die Nachfrage nach lokalem Kunsthandwerk, sofern es ein solches gibt.

 

Charmey

Nach Charmey durchquert der Weg einen überraschend urtümlichen Wald. Man glaubt, in eine Welt der Feen und Kobolde eingesogen zu werden, ein letztes Mal so scheint es, und wir lassen den Zauber auf uns wirken. Manchmal steigt der Weg steil hinauf, verdorrtes und verfaultes Laub knistert unter den Schritten, dann wieder plätschert ein Rinnsal über den Pfad, man möchte bleiben und dem Wasser zuhören.

 

Up and up

Sometimes a small creek

Destroyed path

Dass das Wasser aber auch eine geradezu unheimliche Zerstörungskraft hat, zeigt sich etwas später. Der Pfad ist beinahe zur Unkenntlichkeit zerschlagen, herab gestürzte Baumstämme, Steine und Geröll und Holzreste machen das Überqueren schwierig. Man will sich nicht vorstellen, wie es beim Gewitter gewesen sein muss …

Der Jaunbach ist hier zu einem hässlichen dreckigen Gerinsel geworden, nichts erinnert an das klare Wasser dem Jauntal entlang. Eine Brücke führt hinüber, aber nicht irgendeine sondern eine richtige Hängebrücke. Das Schwingen erinnert an Nepal.

 

The Jaunbach - dirty river

Swinging bridge across the river

 

Der schönste Abschnitt ist geschlossen

Der Lac de Montsalvens, durch den der Jaunbach fliesst, ist ein Stausee. Nach einem Teilstück am Ufer des Lac de Montsalvens erreichen wir den gleichnamigen Staudamm aus dem Jahr 1920, den ersten in Europa mit doppelter Bogenstaumauer.

Dann würde der Weg durch die wilde Jaunbachschlucht, über Holzbrücken und durch in den Fels gegrabene Galerien verlaufen, streckenweise an senkrechten Felswänden vorbei und durch unbeleuchtete Tunnels.

Der Konjunktiv ist leider korrekt, denn dieser Abschnitt, auf den wir uns gefreut haben, ist gesperrt. Auf der entsprechenden Website heisst es:

Der Rundwanderweg um den Lac de Montsalvens ist teilweise geöffnet. Der Abschnitt zwischen der Barrage und dem Ort les Taillisses in Richtung Motélon bleibt aufgrund von Sanierungsarbeiten gesperrt. 

Sanierungsarbeiten – so ein Shit!

 

Le Lac de Montsalvens

Lac de Montsalvens seen from the dam wall (picture taken by Mauron)

Wir müssen uns mit einem kurzen Blick in die Jaunbachschlucht hinunter begnügen. Schade, sehr schade!

 

View to the Jaunbach Gorge

 

Broc und Schokolade und ein Abschied

Nicht nur ist der Weg durch die Schlucht gesperrt, man muss nun auch noch einen grossen Umweg machen, um nach Broc, dem heutigen Tagesziel, zu gelangen. Die Gebäude der berühmten Schokoladenfabrik Cailler sind schon von weitem zu erkennen, sie weisen den Weg.

Und dann sind wir da, im Zentrum von Broc, in der Gartenwirtschaft meines Hotels, und geniessen das letzte gemeinsame Bier.

 

Last round

Dann also, so long, my brave friends. Es war wie immer grossartig und unterhaltsam und ein weiteres Kapitel in unserer Wanderhistorie. Bis zum nächsten Mal!

 

Song zum Thema:  Nelly Furtado – All good things (come to an end)

Und hier geht der Trail, wieder allein, weiter … nach Les Paccots

 

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