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Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Wieder allein

Dieses Geräusch kenne ich doch – das Klatschen am Fenster, das Prasseln auf den Dächern, das Trommeln auf dem Asphalt. Es ist kurz nach Mitternacht, und es regnet. Ausserdem ist es kalt geworden, durch das offene Fenster dringt ein frostiger Hauch, zum ersten Mal seit langem bin ich einer warmen Decke dankbar.

Wunderbare Aussichten für einen ziemlich anstrengenden Wandertag in Richtung Süden, nach Les Paccots. Nichts Neues für den Wanderer.

Der Wanderführer formuliert es so:

Den mächtigen Moléson vor Augen und das Städtchen Gruyères im Rücken zur Mittelstation Plan Francey aufsteigen, der Nordwestflanke des Moléson entlang wandern und ins waldreiche Voralpenland von Les Paccots absteigen.

Für mich ergibt sich allerdings noch ein zusätzlicher Abschnitt von Broc nach Gruyères, aber was soll’s, Hauptsache vorwärts.

 

From Broc to Les Paccots

 

The Rain, the Park and other Things

Erinnert sich jemand an den wunderbaren 60-Jahre Song der Cowsills? Wenn ich mich recht erinnere, war es das Werk eines vielköpfigen Familienclans, wie es sie in den USA zahlreich gab und gibt. Nun, für alle Vergesslichen, hier der Link: The Rain, the Park and other Things.

Auf jeden Fall erinnert mich der traurige Blick durch den verregneten Morgen an das Lied (und andere Regenlieder, nicht zu vergessen Rain von den Beatles, nochmals eine Klasse besser). Denn es regnet nicht nur, es schüttet. Das alles kommt mir sehr bekannt vor.

Wie auch immer, ich werfe wieder mal meine gesamten Regenklamotten über, verabschiede mich vom netten Hotelpersonal und stürze mich hinaus in den Regen. Broc sieht im morgentlichen Dunst verlassen aus, wenige Autos preschen vorbei, werfen die Gischt nach allen Seiten. Eine einzelne Person kauert sich unter ihren Schirm und wirft mir einen mitleidigen Blick zu.

In der Ferne grüsst Gruyères auf dem Hügel, das erste Tagesziel, doch zuerst gilt es, dem Wanderweg einem kleinen Bach entlang zu nehmen. Der Pfad ist an einigen Stellen kaum begehbar, grosse Pfützen verwehren den Durchgang. Von den Bäumen tropft das Wasser, Dunst steigt aus den durchnässten Wiesen, ein optimaler Beginn der heutigen Etappe.

 

The path is definitely wet ... and the creek watery

 

Gruyères – ein Käse Hotspot

Wie könnte es anders sein – nach einer halben Stunde, ich habe noch nicht mal den halben Weg bis Gruyères geschafft, entflieht das schlechte Wetter irgendwohin, wo es der Teufel holen soll, und der Himmel taut in milchigem Blau auf. Wäre ich eine halbe Stunde später aufgebrochen, wäre ich trocken geblieben. Well, Shit happens …

Gruyères liegt auf einem malerischen Hügel, das Schloss grüsst mit spitzen Türmchen von weitem. Man überquert den Fluss durch eine gedeckte Brücke (Le Pont qui branle) und macht sich kurz darauf bereit für den Aufstieg hinauf zum Dorf, natürlich auf heissgeliebten Treppenstufen.

 

Bridge just below the hill to Gruyères

The castle of Gruyères

Stairs again - hopefully the last ones for today

Gruyères (oder Greyerz auf deutsch) ist ein bekannter mittelalterlicher Touristenort, allerdings vor allem bekannt geworden durch den gleichnamigen Käse, dessen Werbetafeln im Winter die Pisten entlang sämtlicher Langlauf- und Biathlon Wettbewerbe zupflastern. Aber das Dorf ist tatsächlich einen Besuch wert, auch wenn der Regen einen irgendwie tristen Eindruck hinterlassen hat.

Ich sitze ziemlich allein vor einem Restaurant, umgeben von nassen Tischen und Stühlen, und nippe an einem Kaffee, während rings um mich herum absolut nichts passiert, ausser ein paar Last- und Lieferwagen, die irgendwas aus- oder einladen. Oder sind das ein paar ausländische Touristen, die ziemlich verloren vor den Häusern stehen und sich wohl fragen, was sie hier machen?

Neben dem Schloss, das allerlei kulturelle Aktivitäten anbietet und ausserdem eine bedeutende Sammlung von was auch immer besitzen soll, bietet das kleine Städtchen vor allem einen Blick auf die Art und Weise, wie vor hunderten von Jahren gebaut und gewohnt wurde.

 

The castle og Gruyères 2

Quiet and sad after the morning's rain

 

Erinnerung an ALIEN

Wenn ich etwas mehr Zeit hätte und nicht eine anstrengende Route vor mir hätte, würde ich das H.R. Giger Museum in Gruyères besuchen.

Ich kann mich nur allzu gut an ALIEN von Ridley Scott erinnern, irgendwann gegen Ende der 70-Jahre, damals noch im grössten Kino in Zürich, dem Apollo. Der Saal war proppenvoll, nach einer halben Stunde mucksmäuschenstill, während der Horror in Form eines Monstrums langsam die Nerven zu strapazieren begann.

Die ultimative Horrorshow – ein begrenzter Raum in einem riesigen Raumschiff, dazu dunkel, feucht, mit vielen düsteren Nischen, und irgendwo ein unappetitlicher Alien, der von Stunde zu Stunde grösser und gefährlicher wurde, und dem die gesamte Besatzung des Raumschiffs Nostromo zu Opfer fiel. Ausser Ripley, gespielt von Sigourney Weaver, die als die erste Actionheldin in die Filmgeschichte einging.

Aber das Monstrum, das fremdartige Wesen, geschaffen von Hansruedi Giger, war stilbildend für viele der nachfolgenden Horror- oder SF-Filme. Nicht überraschend, dass er dafür den Oskar erhielt.

Hier ein Ausschnitt aus dem Film (nicht für zarte Gemüter):

 

 

Der Weg nach Süden, dem Moléson entgegen

Kurz nach Gruyères beginnt der Aufstieg, anfänglich durch einen Wald. Ein paar Männer stehen diskutierend neben dem völlig zerstörten Wrack eines Pickups. Offenbar ein Opfer des vergangenen Gewittersturms, der nicht nur Bäume und Gebäude in Mitleidenschaft gezogen hat, sondern auch Autos, die zur falschen Zeit am falschen Ort gestanden haben und durch herabstürzende Bäume zerquetscht wurden.

Einmal mehr zeigt uns die Natur, wer hier die Macht im Staate hat.

 

Destroyed vehicle by the thunderstorm

Dann aber verlässt der Weg den Wald und beginnt sanft zu steigen. Das Tal bleibt zurück, die Abhänge sind weniger schroff als in den vergangenen Tagen, ich fühle mich sehr wohl, obwohl wieder mal weit und breit keine einzige Seele, ausser den obligaten Kühen, zu sehen ist.

 

Smooth ascent to the Moléson

Doch in der Ferne, noch verhüllt von Nebel und Wolken, zeigt sich der Moléson, der Hausberg der Freiburger, ein markanter Kalksteinkoloss. Er zeigt mir die Richtung an, an ihm vorbei wird der Weg nach Süden gehen.

Immer wieder Kühe, meine ständigen Begleiter seit Rorschach; werden sie in fünfzig Jahren auch noch so zahlreich auf den Wiesen weiden, oder hat sie der Klimawandel endgültig vertrieben? Einerseits eine Notwendigkeit, denn die ewigen Furzer sind zumindest für einen Teil des CO2 Ausstosses verantwortlich, andererseits ein schmerzlicher Verlust.

Aber so ist die Zeit, sie hinterlässt nur Opfer.

 

Le Moléson, the Hausberg of the people of Fribourg, as seen from afar

And again cows - my favorite animals (except every other animal)

 

Le Moléson – Freiburgs Hausberg

Die mächtige Kuppe des Molésons kommt Schritt für Schritt näher, irgendwie bedrohlich in seiner Schroffheit, seiner Schwärze, seiner offenkundigen Ablehnung jeglichen Besuchs von ausserhalb. Oder scheint es nur so?

In Plan Francey findet sich die Talstation der Luftseilbahn auf den Moléson, ein weiterer Höhepunkt, den ich durch den engen Zeitplan verpasse. Die Aussicht allerdings dürfte an diesem nebligen Tag eher bescheiden sein, also verpasse ich nichts. Aber das muss irgendwann nachgeholt werden.

 

Base station of the cable car to the Moleson

Aber immerhin gibt es ein riesiges Restaurant, wo ich einen Kaffee trinke und tatsächlich unser Luzerner Ehepaar erblicke. Ich habe kaum Zeit, sie zu begrüssen, denn ein Border Collie hat Gefallen an meinen unermüdlichen Streicheleinheiten gefunden.

 

Coffee break beneath the MolésonNew friend

 

Fort mit dem Denken

Manchmal, viel zu selten, setzt mein Denken aus, obwohl rechts und linkst des Weges soviel zu sehen, zu hören, zu riechen ist. Das sind die Höhepunkte des Wanderns, wenn man ganz bei sich ist, in vollständiger Balance.

Vielleicht haben die zahlreichen Meditationskurse doch ihre Wirkung getan.

Ich erinnere mich an den ersten Vipassana-Kurs nach der U Ba Khin Tradition im Jahr 2003, vor allem an die unerträglichen Schmerzen beim Sitzen in der ungewohnten Stellung (ich spüre heute noch, nach beinahe 20 Jahren, meinen Rücken, meine Beine, meine Schultern … Und die Gedanken, weit weg zu rennen).

Die endlos scheinende Stunde, das Zählen der letzten Minuten, umgerechnet in Sekunden, nur noch 300, nur noch 250, nur noch 100 … Und dann endlich der Gesang von Mutter Sayamagyi, die jeweils das Ende einer Stunde einläutete.

Die komplizierten Strukturen des Buddhismus, der achtfache Weg und alles andere, anfänglich unverständlich, bis es nach einiger Zeit endlich seine Wirkung entfaltete.

Das edle Schweigen, für uns Dauerquatscher eine beinahe unerträgliche Pein – 10 Tage ohne Sprechen, ohne Medien, ohne Musik, ohne Bücher, ohne Kontakte, ohne alles – bis am neunten Tag das Schweigen gebrochen wird, und alles aus einem herausbricht. Alles Aufgestaute, alles nur nonverbal Kommunizierte, alle Gedanken, die während den endlosen Stunden das Gehirn verstopften, alles musste raus, sofort.

Und das Wichtigste – plötzlich spürte man, dass zwar keine Lichtphänomene aufgetaucht waren (wie sie sehnlichst erwartet worden waren), aber die innere Batterie aufgeladen worden war, als wäre man innerlich um Jahre verjüngt worden.

Und eben – die Achtsamkeit, eines der zentralen Themen im Buddhismus, erweckt und aktiviert auf dem Weg nach Les Paccots. Mehr kann man nicht erwarten …

 

Noch weit weg – der Genfersee

Der Moléson verschwindet in seinem selbst gewählten Nebelkostüm, er wirft mir noch einige schwarze drohende Blicke hinterher, stört mich aber nicht, denn nun geht es langsam bergabwärts.

Die Natur verändert sich, wird flacher, zumindest manchmal, winzige Bäche sprudeln durch sumpfartige Wiesen, bedeckt mit kniehohem Gewächs, das ich wieder mal nicht identifizieren kann.

Dann doch eine erste unerwartete Überraschung (ich weiss, ein Pleonasmus) – weit weit weg, so scheint es, ist doch tatsächlich ein hellblauer Streifen zu erkennen, der erste Gruss des Lac Léman. Oder will man mich täuschen? Etwas vorgaukeln, was nicht da ist, nur in meiner Phantasie?

Und trotzdem, es scheint, dass ich meinem Ziel näherkomme. In einer Woche bin ich in Genf. Leise schleicht sich Wehmut ein.

 

Changing Landscape

First glimpse of the Lake Geneva

Aber vorläufig bin ich noch weit weg vom Genfersee, sogar noch ziemlich weit weg von Les Paccots, dem heutigen Tagesziel.

Der Weg führt manchmal mühsam der Teerstrasse entlang, dann wieder mitten durch den Wald und einmal sogar entlang einer Finnenbahn. Ich habe irgendwo gelesen, dass Les Paccots ein wahres Paradies für Sportler sein muss. Es würde mich nicht wundern, schon bald über einen Jogger zu stolpern (oder eher er über mich). Es muss also so sein, dass ich mich langsam der Zivilisation nähere.

 

Path through dense forest

 

Les Paccots – nicht meine Welt

Nichts kann mich noch erschüttern, auch nicht der drohende Regen, der wie ein Damoklesschwert über der zerzausten Landschaft hängt. Irgendwann stehe ich zwar vor der Ortstafel von Les Paccots, aber wie sich zeigen wird, heisst das nicht viel bei diesem langgezogenen Dorf, das sich über endlose Kilometer hinzuziehen scheint.

 

Les Paccots

Aber Geduld bringt Rosen, wie man so schön sagt, und tatsächlich taucht Au petit Gîte auf, ein kleines Hotel weit weg vom Zentrum, wie ich schmerzlich erfahren werde. Das Zimmer besitzt aber seinen eigenen hölzernen Charme, obwohl die Dame des Hauses einen etwas abweisenden Eindruck macht.

 

My wooden room at Au petit gÎte

Ist mir aber ziemlich egal, es ist spät geworden, ich habe über acht Stunden gebraucht (Kaffee und Hundestreicheln inklusive), und ich möchte unbedingt etwas essen. Allerdings steht die Absicht wieder mal in vollständigem Kontrast zur Wirklichkeit, denn ein Restaurant zu finden ist offenbar ein aussichtsloses Unterfangen.

Mit schmerzenden Füssen und Beinen stolpere ich der endlos scheinenden Strasse entlang, immer in der Hoffnung, irgendwann irgendwo das Zentrum zu finden, wo wunderbare Restaurants darauf warten, mich verköstigen zu dürfen.

Aber eben, es gibt zwar Coiffeursalons und seltsame Shops, die den ganzen Ramsch anbieten, wir er nur in Touristenhochburgen angeboten wird, es gibt sogar Hotels, die allerdings geschlossen sind. Am Schluss, ziemlich entnervt und verärgert, lande ich doch tatsächlich in einem Fastfood Restaurant und lasse mir einen Cheeseburger mit Frittes munden. Immerhin läuft im Hintergrund ein Fussballspiel der EM, was mich zumindest teilweise etwas besänftigt …

 

Song zu Thema:  UNKLE – Set no Sun

Und hier geht der Weg weiter … nach Vevey am Genfersee

 

Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Die Sprachgrenze

Auf der Etappe von Jaun nach Gruyères kommen Geniesser, Kulturliebhaber und Naturfreunde auf ihre Kosten. Auf dem Abschnitt, der erst am Jaunbach, dann an der Saane entlang führt, können Wanderer entdecken, wie das Wasser die Landschaft geformt hat. Kirchen, Kapellen und das einzigartige Erbe von La Gruyère prägen die Strecke.

Nun, Gruyère werde ich morgen allein entdecken müssen, aber geniessen wir unsere letzte gemeinsame Etappe bis Broc.

 

From Jaun to Broc

 

Es war einmal …

… eine Gruppe von Freunden, die 1997 den Entschluss fassten, eine längere Wandertour zu unternehmen und dabei den Montblanc zu umwandern. Es waren zehn harte Tage, aber auch eine Wanderung voll wunderbarer Landschaften und Begegnungen. Kein Wunder, dass man in der Folge an eine Fortsetzung dachte …

 

Tour du Mont-Blanc

Und so entwickelte sich aus diesem erstmaligen Ausflug eine Tradition, die nun beinahe ein Vierteljahrhundert alt ist und trotz zunehmendem Alter der Teilnehmer immer noch jedes Jahr einen festen Termin im Kalender besitzt.

Hier ein Überblick über unsere Wanderungen:

  • 1997 Tour du Montblanc (Schweiz / Frankreich / Italien)
  • 1998 Wales (UK)
  • 1999 Mairatal (Italien)
  • 2000 Veltlin (Italien / Schweiz)
  • 2001 GTA Gran Traversata die Alpi (Italien)
  • 2002 Korsika (Frankreich)
  • 2003 Wallis (Schweiz)
  • 2004 Pyrenäen (Spanien)
  • 2005 Dolomiten (Österreich / Italien)
  • 2006 Lake District (UK)
  • 2007 Wallis (Schweiz)
  • 2008 Piemont – Nizza (Italien / Frankreich)
  • 2009 Bernina (Schweiz)
  • 2010 Südfrankreich
  • 2011 Gotthard-Tessin (Schweiz)
  • 2012 Vorarlberg (Deutschland / Österreich / Schweiz)
  • 2013 Jura (Schweiz)
  • 2014 Kärnten (Österreich / Italien / Slowenien)
  • 2015 South West Coast Trail (UK)
    • 2016 Ladakh (Indien, allein)
  • 2017 Appenzeller Kulturspur (Schweiz)
  • 2018 Berner Oberland (Schweiz)
  • 2019 Engadina (Schweiz)
  • 2020 Walserweg (Schweiz)
  • 2021 Alpenpanoramaweg (Schweiz)

Die Übersicht zeigt, dass die anstrengenden Wanderungen mit tausenden von Höhenmetern in den letzten Jahren seltener geworden sind. Wir haben die Touren entweder verkürzt oder zumindest vereinfacht, wir meiden die hohen Alpenpässe und geniessen dafür gemütliche Wandertage im Appenzell oder im Jura oder im Berner Oberland.

Das zunehmende Alter (zumindest eines Teils der Teilnehmer) spielt dabei sicher eine Rolle. Und nicht zu vergessen – die schwierigen und anstrengenden Etappen auf dem Langtang Trek haben knallhart aufgezeigt, wo die Grenzen sind. Es ist nicht nur eine Frage des Könnens, vielmehr auch eine Frage des Wollens.

Denn die Bereitschaft, sich zu quälen, nimmt kontinuierlich ab. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was eine 500 km lange Non-Stop-Tour mit abnehmender Leistungsbereitschaft zu tun hat.

Tja, der Mensch, ein ewiges Rätsel …

 

Zurück zur Gegenwart

Dann also zum letzten Teil unserer gemeinsamen Wanderung. Von Jaun führt der Weg auf der linken Talseite nach Im Fang, danach auf der rechten Seite des Jaunbachs nach Charmey.

Das interessanteste Detail der heutigen Route – wir werden bei der Talenge unterhalb In Fang unbemerkt die Sprachgrenze überqueren. Von da an – nous parlerons français, mes amis! Wir verlassen aber nicht nur die deutschsprachige Schweiz, nein, wir überqueren ja auch den sogenannten Röstigraben, den kulturellen Graben, der die französischsprachige und die deutschsprachige Schweiz voneinander trennt.

Ob dieser fiktive Graben tatsächlich (noch) existiert, ist offen. Natürlich ticken die beiden unterschiedlichen Kulturen anders, sei es politisch oder gesellschaftlich, aber wahrscheinlich sind die Gemeinsamkeiten viel grösser als allgemein angenommen wird. Sonst hätten wir es kaum so lange miteinander ausgehalten.

 

The old Church of Jaun

Aber zuerst verabschieden wir uns von Jaun, einem kleinen versteckten Dorf mit grossen Traditionen.

La Cascade bleibt zurück, wir passieren die alte Kirche, die heute als Kantorei (Haus des Gesangs) genutzt wird. Ein merkwürdiges Schicksal, das mir nicht ganz klar ist. Doch wir wenden uns ab und folgen dem Bach entlang einer wundersam Welt in allen Nuancen von grün.

 

Walking through a green world

Es ist eine einfache, schnelle Etappe, eigentlich eher eine Art Auslaufen nach den anstrengenden Touren der letzten Tage. Wie dem auch sei, wir nehmen es gemütlich, das Ergebnis findet sich in unzähligen Fotos und Videos wieder (obwohl, wie man eigentlich weiss, nicht gleichzeitig schauen und fotographieren kann).

 

Through dense forest

Die heutige Etappe ist genau das, was nun eher angesagt ist – angenehm zu wandern, eine flache Tour, entlang Bächen, durch schattige Wälder und Dörfer und vorbei an Bauernhöfen und kleinen Weilern.

 

the crossing of a river

Wherever you go, you'll find small pretty farms houses

Cows everywhere

 

Ein Dorf und ein Bach und ein See

Wir nähern uns, soviel steht fest, wohl oder übel dem Endziel, auch wenn wir unbewusst das Tempo drosseln, die Etappe in die Länge ziehen. Aber nicht zu vergessen – im Gegensatz zu mir gilt es, in Broc den Zug nach Hause nicht zu verpassen.

Zunächst aber erreichen wir das malerische Dorf Charmey am Ausgang des von den hohen Gipfeln des Hochmatt und des Schopfenspitz überragten Tals. Es war ab dem Hochmittelalter das wichtigste Produktionszentrum für den Gruyère Käse.  Früher ein von der Landwirtschaft geprägtes Dorf, hat es sich zu einem bedeutenden touristischen Hotspot entwickelt. Es gibt hier Winter-und Sommertourismus, der einstige Weltcup Skifahrer Jacques Lüthi stammt offenbar von hier.

Die Geschichte ist immer ähnlich: ein ursprünglich armes, aber malerisch gelegenes Dorf wird irgendwann entdeckt, vielleicht durch Wanderer oder andere Touristen, es spricht sich herum, bis jemand das Potential entdeckt, und schwupps wird aus dem armen Dorf ein reiches Dorf. Neue Einwohner ziehen her, Pendler oder Pensionäre, Hotels öffnen und Restaurants, und man entdeckt die Nachfrage nach lokalem Kunsthandwerk, sofern es ein solches gibt.

 

Charmey

Nach Charmey durchquert der Weg einen überraschend urtümlichen Wald. Man glaubt, in eine Welt der Feen und Kobolde eingesogen zu werden, ein letztes Mal so scheint es, und wir lassen den Zauber auf uns wirken. Manchmal steigt der Weg steil hinauf, verdorrtes und verfaultes Laub knistert unter den Schritten, dann wieder plätschert ein Rinnsal über den Pfad, man möchte bleiben und dem Wasser zuhören.

 

Up and up

Sometimes a small creek

Destroyed path

Dass das Wasser aber auch eine geradezu unheimliche Zerstörungskraft hat, zeigt sich etwas später. Der Pfad ist beinahe zur Unkenntlichkeit zerschlagen, herab gestürzte Baumstämme, Steine und Geröll und Holzreste machen das Überqueren schwierig. Man will sich nicht vorstellen, wie es beim Gewitter gewesen sein muss …

Der Jaunbach ist hier zu einem hässlichen dreckigen Gerinsel geworden, nichts erinnert an das klare Wasser dem Jauntal entlang. Eine Brücke führt hinüber, aber nicht irgendeine sondern eine richtige Hängebrücke. Das Schwingen erinnert an Nepal.

 

The Jaunbach - dirty river

Swinging bridge across the river

 

Der schönste Abschnitt ist geschlossen

Der Lac de Montsalvens, durch den der Jaunbach fliesst, ist ein Stausee. Nach einem Teilstück am Ufer des Lac de Montsalvens erreichen wir den gleichnamigen Staudamm aus dem Jahr 1920, den ersten in Europa mit doppelter Bogenstaumauer.

Dann würde der Weg durch die wilde Jaunbachschlucht, über Holzbrücken und durch in den Fels gegrabene Galerien verlaufen, streckenweise an senkrechten Felswänden vorbei und durch unbeleuchtete Tunnels.

Der Konjunktiv ist leider korrekt, denn dieser Abschnitt, auf den wir uns gefreut haben, ist gesperrt. Auf der entsprechenden Website heisst es:

Der Rundwanderweg um den Lac de Montsalvens ist teilweise geöffnet. Der Abschnitt zwischen der Barrage und dem Ort les Taillisses in Richtung Motélon bleibt aufgrund von Sanierungsarbeiten gesperrt. 

Sanierungsarbeiten – so ein Shit!

 

Le Lac de Montsalvens

Lac de Montsalvens seen from the dam wall (picture taken by Mauron)

Wir müssen uns mit einem kurzen Blick in die Jaunbachschlucht hinunter begnügen. Schade, sehr schade!

 

View to the Jaunbach Gorge

 

Broc und Schokolade und ein Abschied

Nicht nur ist der Weg durch die Schlucht gesperrt, man muss nun auch noch einen grossen Umweg machen, um nach Broc, dem heutigen Tagesziel, zu gelangen. Die Gebäude der berühmten Schokoladenfabrik Cailler sind schon von weitem zu erkennen, sie weisen den Weg.

Und dann sind wir da, im Zentrum von Broc, in der Gartenwirtschaft meines Hotels, und geniessen das letzte gemeinsame Bier.

 

Last round

Dann also, so long, my brave friends. Es war wie immer grossartig und unterhaltsam und ein weiteres Kapitel in unserer Wanderhistorie. Bis zum nächsten Mal!

 

Song zum Thema:  Nelly Furtado – All good things (come to an end)

Und hier geht der Trail, wieder allein, weiter … nach Les Paccots