Es hat sich in der Zwischenzeit zu einem normalen Gefühl entwickelt, irgendwo anzukommen, wo man noch nie gewesen ist. Auf unserer in der Zwischenzeit 2-monatigen Reise haben wir die siebte Grenze überquert. Sieben Länder, sieben Kulturen, sieben Sprachen.

Und wenn wir Indien und Nepal erreichen, werden es noch ein paar mehr sein, denn dort herrscht ein vielsprachiges Durcheinander. Nicht das uns das stören würde, wir haben in der Zwischenzeit gelernt, uns mit Händen und Füssen und Augen und Lächeln verständlich zu machen. Wir haben uns also sozusagen erfolgreich zu Weltbürgern entwickelt, die sich überall wohl fühlen.

Ich würde meinen, damit ist der Zweck dieser Reise erfüllt.

Wir kehren anders zurück als wie losgezogen sind.

Was wir leider immer noch nicht geschafft haben, ist die Unruhe wegzukriegen. Diesen Drang, immer und sofort weiterfahren zu wollen, dem nächsten Ziel, dem nächsten Land entgegen.

Deswegen wird unser Aufenthalt in Peshawar nur kurz, es drängt uns nach Süden, via Islamabad und Rawalpindi einer wichtigen Grossstadt entgegen – Lahore.

Und dann nur noch ein Katzensprung nach Indien.

Also Vorhang auf für Pakistan

Immer, wenn man über die Grenze ein neues Land erreicht, tut sich ein Vorhang auf – und dahinter schliesst sich einer. Eine neue Welt entsteht, obwohl auf den ersten Blick weder sichtbar noch spürbar.

Es sind die Details, die sich unterscheiden. Manchmal die Art, wie die Häuser gebaut sind. Oder die Kleidung der Menschen. Ihre Gesichter, eben noch hell, doch hier dunkel, die Augen mit einem seltsamen Glanz. Die Strassen, die Kinder, die Farben. Und immer die Gerüche. Sie sind die zuverlässigsten Indikatoren. Länder riechen anders, vielleicht sind es die Gewürze, die Abwässer, der Unrat am Strassenrand. Das Parfum der Damen. Die Art, wie die Kleider getragen werden. Vermummt oder mit stolzer Würde zur Schau gestellt.

Verstehen kann man es nicht. Und wahrscheinlich fällt es anfangs gar nicht auf, doch mit der Zeit – oder manchmal erst in der Erinnerung – wird es klar, und man versteht.

Aber wie sagte schon Buddha (der eh schon alles besser wusste): „Gut zu reisen ist besser als anzukommen“.

Hitze – und eine bevölkerte Strasse

Über das Land wäre viel zu sagen. Die vielfältige Kultur, die natürliche Schönheit, das alte Erbe des Landes. Einiges bleibt am Strassenrand liegen, aber immerhin werden wir Lahore besuchen, aber das Swat-Tal, das Kalash-Tal, Chitral, Hunza und Belutschistan, das alles bleibt uns vorenthalten.

Alles, was wir wollen, ist nach der langen Kälte so richtig von der Hitze angeprungen werden, und genau das geschieht. Wahrscheinlich noch nicht so, wie es in Indien zu erwarten ist, aber alles um die 30 Grad ist uns sehr willkommen.

Zugegeben, Peshawar bleibt eine Unbekannte, aber wir werden uns auf dem Heimweg etwas mehr Zeit geben. Und so setzen wir unsere Reise weiter, frohgemut, so scheint es, vielleicht ist es das Ziel, das nicht mehr weit ist.

Wir folgen anfänglich der Grand Trunk Road in Richtung Osten, die Strasse ist nun voll, von was auch immer, Fuhrwerke, Autos, Lastwagen, Fahrräder, Fussgänger, Hunde und Kühe -und irgendwann, beinahe verpasst, überqueren wir den Indus, dieses Monstrum von einem Fluss, der im Himalaya entspringt, sich durch Kashmir mäandert und schliesslich den langen Weg in Richtung Süden, dem Arabischen Meer entgegen, sucht.

Der Indus auf seinem langen Weg nach Süden

Die Grand Trunk Road

Eigentlich befinden wir uns seit Kabul auf der Grand Trunk Road, allerdings ohne unser Wissen, denn das Wissen eröffnet sich in unserem Fall immer erst auf der Reise.

Man stelle sich diese Strasse vor: sie fängt in Kabul an, durchquert die weiten Ebenen von Pakistan und Indien, folgt dem Ganges durch die übervölkerten indischen Teilstaaten Uttar Pradesh und Bihar, erreicht schliesslich nach tausenden von Kilometern Westbengalen, dann überquert sie ein letztes Mal eine Grenze und endet nach über 3000 Kilometer in Chittagong in Bangladesh.

Eigentlich wäre es doch eine grossartige Idee für eine weitere Reise, die ganze Strecke abzufahren, aber vorläufig begnügen wir uns mit einem Ausschnitt davon, immerhin fast 2500 Kilometer, und das alles mit unserem alten klapprigen Vehikel. Und durch Regionen, die alles andere als einfach zu befahren sind.

Manchmal sollte uns Angst und Bange werden, aber unsere begrenzte Phantasie lässt dies nicht zu. Also fahren wir einfach weiter.

The Grand Trunk Road

Islamabad und Rawalpindi

Islamabad ist eine relativ neue Stadt, erst in den 60-Jahren erstellt. Sie mutet tatsächlich noch etwas unfertig an. Es ist etwas am Entstehen, aber es scheint niemand so recht zu wissen, wo es hinführen soll.

Der Name Islamabad bedeutet Stadt des Islam. Er ist von zwei Wörtern abgeleitet: Islam und abad. Islam bezieht sich auf die Religion des Islam, die Staatsreligion Pakistans, und -abad ist ein persisches Suffix, das kultivierter Ort bedeutet und auf einen bewohnten Ort oder eine Stadt hinweist.

Das klingt zwar gut, hilft aber vorläufig nicht für eine positivere Bewertung dieses seltsamen Orts.

Wir fahren also weiter nach Rawalpindi, eine Stadt, wo wir die Nacht verbringen. Sie liegt ganz in der Nähe von Islamabad, und so werden die beiden Städte wegen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Verbindungen als „Zwillingsstädte“ bezeichnet.

Die Stadt hat viel zu bieten. Es gibt viele gute Hotels, Restaurants, Clubs, Museen und Parks. Die bevölkerten Alleen der Altstadt beherbergen viele Attraktionen, neben muslimischen Schreinen gibt es Tempel der Hindus und Sikhs.

Auch in der näheren Umgebung befinden sich lohnenswerte Ausflugsziele. Beispielsweise die Mankiala Stupa, eine von mehreren weitgehend verfallenen buddhistischen Stupas, etwa 30 Kilometer von Rawalpindi gelegen. Oder auch das Pharwala-Fort, ebenfalls etwa 40 Kilometer entfernt von Rawalpindi.

Aber eben, es bleibt beim Konjunktiv und der schwachen Hoffnung, dass wir auf der Heimreise mehr Zeit und Musse für Sightseeing haben werden.

Lahore – der Kampf durchs Gewühl

Die Fahrt in den Süden entpuppt sich als ebensolche Herausforderung wie die vorherige Etappe. Es ist gut, keine festen Zeiten und schon gar nicht irgendwelche Verabredungen zu haben, und so fahren wir einfach dahin, manchmal über weites unendlich scheinendes Land, dann wieder entlang baum- und buschbewachsenen Ebenen, dazwischen Häuser, Dörfer, Städte. Und viele Menschen. Überall.

Die Ankunft in Lahore, der zweitgrössten Stadt des Landes, gestaltet sich schwierig, denn nun gilt es zum ersten Mal, sich in den vollen Strassen und Gassen zurechtzufinden.E

Lahore

Eine wichtige überfällige Anmerkung: kann man sich heute überhaupt noch vorstellen, ohne Handy und Navigationsgerät ein Ziel zu erreichen? Man tippt Namen und Adresse ein, und einen Augenblick später weiss man, wo man sich befindet und wo die Route zum angegebenen Ziel durchführt. Pipifax, nicht wahr?Im Jahr des Herrn 1974 musste man sich ohne diese wunderbaren Gadgets irgendwie durchkämpfen. Eigentlich funktioniert es nur, indem man hofft, auf jemanden zu treffen, der erstens englisch spricht und zweitens die Frage beantworten kann.

Dabei ergibt sich eine entscheidende Erkenntnis und Lehre. Sie wird auch in Indien ihren Wert haben. Bei der Frage nach einem Ort niemals NIEMALS mit der Hand oder dem Kopf in die mögliche Richtung zeigen. Der Gefragte wird in 99% der Fälle nicken, auch wenn er nicht die geringste Ahnung oder die Frage schlichtweg nicht verstanden hat.Es hat wie vieles in Asien mit Gesichtsverlust zu tun. Lieber eine falsche Auskunft geben denn als Unwissender entlarvt zu werden.

Lahore – mitten im Hass

Eben, die schwierige Durchfahrt durch die Millionenstadt (heute über 11 Millionen Einwohner, damals wesentlich weniger). Es ist, wie sich schnell herausstellt, nicht nur ein logistisches Problem. Ausgerechnet an diesem Tag ist eine Demo angesagt.

Tausende von Menschen bevölkern die Strasse, schwenken Fahnen, rufen irgendwelche Slogans – und entdecken uns. Das wird nun nicht lustig und entwickelt sich zu einer Lektion in Ruhe bewahren und immer ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht zeigen. Ob man dazu murmelt „Blöde Idioten“ oder „Alles Arschlöcher“, ist nebensächlich.

Und so wird unser armes Gefährt zum Objekt des Hasses, es wird darauf gehämmert, man bringt es zum Schaukeln, immerhin scheint es der Belustigung zu dienen, was die aufgehetzte Stimmung etwas zu beruhigen vermag.

Anyway, irgendwann entweichen wir dem Mob und finden tatsächlich den Weg zum Hotel.

Lahore – Himmel und Hölle

Es gibt immer wieder Erlebnisse, die im Gedächtnis bleiben, für immer und ewig. Dieser späte Nachmittag und Abend gehört definitiv dazu.

Ich habe mich durch die Menschenmenge gekämpft, auf der Suche nach Essbarem (kein Problem) und nach dem Eindruck, den diese verrückte Stadt auf einen Fremden zu machen versteht. Und so stehe ich am Strassenrand, vor mir ein Chaos, wie es nur auf dem indischen Subkontinent möglich ist.

Kann man es beschreiben? Es bräuchte ganz viele Adjektive und Adverbien, und nicht nur „heiss“ oder „laut“, sondern in seiner Intensität Worte auch „verrückt“, „verstörend“, „skurril“ oder in der Zusammenfassung ganz einfach „überwältigend“.

Es rasen Tuktuks vorbei, schwarze Abgaswolken hinter sich herziehend. Die Fussgänger nehmen es im Durcheinander erstaunlich gelassen, sie kennen nichts anderes. Würdevoll dahin schreitende alte Männer, Turbane oder andere Kopfbedeckungen auf den ebenso würdevollen Köpfen. Fahrräder kämpfen sich mit Todesverachtung zwischen Trucks und Autos und anderen Vehikeln durch. Eine Kuh mampft seelenruhig inmitten der befahrenen Kreuzung auf Abfällen herum. Und da – ein kleiner jüngerer Mann oder ist es eher ein kleiner älterer Junge – schiebt sich behende auf einem fahrbaren hölzernen Unetrsatz vorbei, mir freundlich zunickend.

Es ist Himmel und Hölle zugleich.

Lahore Bazar

Lahore – Betten auf dem Gehsteig

In der Nähe, knapp hinter dem Trottoir, stehen ein paar hölzerne Hütten, der Blick hinein zeigt unzählige Gestelle, die entfernt an Betten erinnern. Keine Ahnung, wofür sie dienen, aber ich bin sicher, dass nichts in diesem Land nicht irgendeinem Zweck dienen.

Eine Stunde später, es wird langsam dunkel, und ich befinde mich auf dem Heimweg, erkenne ich, zu welchem Zweck die Betten da sind. In der Zwischenzeit sind die Hütten leer, und die Betten stehen in einer Reihe auf dem Gehsteig, und tatsächlich – es haben sich bereits einige Gäste auf den behelfsmässigen Matratzen bequem gemacht.

Es wird nun klar: wer kein Zuhause mit Bett besitzt – und davon gibt es viele – kann sich hier für eine Nacht ein Bett mieten. Es steht zwar nahe der befahrenen Strasse, aber das scheint niemanden zu stören. Ausser wenn eine heilige Kuh Gefallen an den strohgefüllten Matratzen entdeckt und voller Lust hineinbeisst, bis der entsprechende Schläfer den Bösewicht entdeckt und lauthals protestiert.

So bin ich unfreiwillig Zeuge eines Theaterstücks geworden, das tagtäglich gespielt wird. Mitwirkende sind ein Anbieter, mehrere Betten mit strohgefüllten Matratzen, Nachfrager nach billigen Übernachtungsmöglichkeiten und manchmal eine heilige, allerdings hungrige Kuh.

Unübertrefflich.

Song 1974: The Hollies – The Air that I breathe

Und hier der Trip weiter … über die indische Grenze nach Amritsar

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