Morgensonne, es ist noch früh, ein laues Lüftchen weht um die Nase.
Ein perfekter Beginn eines perfekten Tages. So hoffe ich. Denn heute gilt es, auf dem Irrawaddy nach Bhamo zu fahren.
Der Irrawaddy
Es könnte ein Meer sein, das vor mir liegt, doch es ist nur ein Fluss, mächtig, breit, das andere Ufer kaum zu erkennen. Wenn ich nicht den Mekong längst zu meinem Lieblingsfluss ernennt hätte, würde es definitiv dieses braun-dreckige Gewässer sein, auf dem ich die nächsten Stunden verbringen werde.
Einzelne Boote kreuzen einsam auf dem Wasser, vielleicht Fischerboote, vielleicht Transportboote. Wer weiss das schon. Es ist beinahe still, ein paar Stimmen übertönen das leise Rauschen des Wassers.
Eigentlich bin ich viel zu spät auf diesem Riesenfluss.
Der ursprüngliche Plan sah vor, das Boot in Richtung Norden bereits in Mandalay zu nehmen. Es hätte länger gedauert, wäre vielleicht auch mühseliger gewesen, doch das Erlebnis hätte ein grandioses sein können. Die Versuchung, den verrückten Zug nach Norden zu nehmen (siehe vorherige Kapitel), und erst in Katha auf das Schiff umzusteigen, hat letztendlich den Ausschlag gegeben.
Speedboat
Und so sitze ich also eine Stunde vor Abfahrt vor Ort, das heisst beim kleinen Holzhäuschen, in dem ein freundlicher junger, englisch sprechender Mann (eine Seltenheit in Katha) Tickets für das sogenannte Speedboat verkauft. Das Wetter ist freundlich, nicht allzu heiss, nichts steht einer wunderbaren achtstündigen Fahrt auf dem Irrawaddy entgegen.
Wie zu erwarten ist das Boot voll (ich habe in diesem Land noch nie erlebt, dass ein Vehikel nicht vollständig ausverkauft war). Man sitzt in Zweierkolonnen nebeneinander, ich auf Sitz 54, den mir ein guter Freund ans Herz gelegt hat.
Den Grund für diesen Vorzug erschliesst sich mit allerdings nicht, er ist genauso durchgesessen und unbequem wie alle anderen auch, aber sei’s drum.
Hier bin ich nun also, seltsamerweise die Füsse in der Luft, denn zwischen ihnen und dem Schiffsboden gibt’s in Gottes Namen nur Luft. Dies wird sich in ein paar Stunden als äusserst mühsam erweisen, denn der Mensch braucht Halt, und sei es bloss der Kontakt mit einem festen Untergrund.
Das Schiff selbst ist vielleicht zwanzig Meter lang, hat Platz für ca. 100 Passagiere (ein dichter Menschenknäuel von Eingeborenen macht sich auf einer Art Plattform bequem) und beherbergt die Mannschaft (die ich allerdings nie als solche erkennen kann) in einem abgeschlossenen Häuschen.
Ein besonderes Erlebnis sind die Toiletten, die am Heck angebracht sind. Durch das offene Dach schaut man den Wellen zu, die vom Schiff aufgewirbelt werden, während man der Natur ihren Lauf lässt.
Landsleute
Es gibt tatsächlich noch einen Ausländer auf dem Boot, ein anderer Schweizer. Wir klettern aufs Dach und während das Ufer an uns vorbeizieht, tauschen wir unsere Reiseerlebnisse aus, ein immer wieder spannender Mix aus Bekanntem und Unbekanntem.
So funktioniert der Informationsbazar, die Drehscheibe, auf der neue Ideen geboren und Pläne kurzfristig geändert werden.
Wir verstehen uns auf Anhieb gut, sicher auch gefördert durch die Tatsache, dass sich unsere Reisestrategien sehr ähnlich sind. Auch er kann aus einem unerschöpflichen Fundus von Erlebnissen erzählen, manchmal kommt man sich vor, als gäbe es einen Wettbewerb, wer nun wirklich der grösste Spinner ist (Einwand: die wirklichen Spinner sind viel, viel verrückter als wir; das sind Leute, die beispielsweise mit dem Fahrrad von Moskau zum Polarkreis fahren – im Winter!).
Fliegende (schwimmende) Händler
Die Stunden gleiten vorbei, wie im Traum, nur das ratternde Geräusch des Motors, die leisen Stimmen der dösenden Passagiere dringen durch das leise Raunen des Flusses.
Alle paar Stunden taucht ein Boot auf, nimmt Fahrt auf, gesellt sich längseits zu unserem Schiff. Es sind fliegende Händler, die ihre Waren auf dem Schiff verkaufen wollen. Eine willkommene Abwechslung für das müde Auge.
Manchmal ein anderes Schiff
Manchmal kreuzt ein Schiff, meistens bunt bemalt und mit anderen Passagieren voll beladen. Man winkt sich zu, wünscht sich eine gute Fahrt.
Manchmal gegen Osten, dann wieder Norden
Die Ufer des Irrawaddy ziehen vorbei, manchmal ein Dorf, ein paar Hütten, ein Tempel oder eine Stupa, dichter oder gerodeter Dschungel, weite Kehren nach Norden, dann wieder Osten.
Gegen Abend kündet Rauch in der Ferne das Nahen der Zivilisation an, und tasächlich, wir werden erwartet. Es erinnert mich an die Ankunft in Siem Reap, das Boot legt unter Ächzen und Zittern an, und wir sind da.
Gegen Abend dann der unvermeidliche Sonnenuntergang, diesmal über dem Irrawaddy, immer betörend, immer berührend, auch wenn schon tausend Mal erlebt.
Jonathan
Abendessen in einem Restaurant, ein einziger Weisser sitzt da und isst – ein Schweizer, Jonathan, der seit einem Jahr hier lebt und für das UNHCR arbeitet. Seine Geschichte lohnt sich, ausführlicher zu beschreiben, aber dazu später …
PS Der Song zum Thema: The Hat ft. Father John Misty – The Angry River
Und hier geht die Reise weiter …