Von Langtang nach Kyanjin Gompa
Es ist doch beruhigend, dass das System zuverlässig funktioniert. Grosse Anstrengungen, physisch oder psychisch, werden mit viel Schlaf korrigiert. Es gibt nichts, was durch eine gute Portion tiefen Schlafes nicht zurechtgebogen werden könnte.
So auch jetzt. Eine 10-stündige Tiefschlafphase hat bewirkt, dass sich die angeschlagenen Lebensgeister wieder zurückmelden. Sitarams Klopfen an der Tür kommt mir vor wie das Auftauchen aus tiefem schlammigem Wasser.
Die heutige Etappe wird uns ans Trekking-Ziel in Kyanjin Gompa bringen. Eine weitere Herausforderung für Muskeln und Lungen. Aber das ist zwischenzeitlich zur Normalität geworden.
Alles in Ordnung
Den Rest besorgt ein Teller voll heissem Porridge, dessen mangelnder Eigengeschmack mit einer Portion Honig („Original Nepalese Honey“) gesüsst wird. Nicht gerade mein bevorzugter Einstieg in den Tag, aber nun sind Kalorien gefragt, viele Kalorien. Denn wird mal wieder ziemlich happig.
Dann also auf zum letzten Gefecht, d.h. die letzten Kilometer Kyangjin Gompa auf knapp 3900 Metern. Es geht von Anfang an zügig vorwärts, zur Überraschung von Sitaram ist sogar ein schnellerer Schritt möglich (was ich selber kaum glauben kann).
Wir folgen dem Tal, ringsherum ein in der Morgensonne funkelndes Panorama von weissen Berggipfeln, mitten drin der Langtang Ri mit seinen geschwungenen Hüften und dem stolzen Haupt.
Ein angenehmer Spaziergang?
Der Weg scheint plötzlich ganz angenehm, die hohen Stufen werden weniger, es ist schon beinahe wie in den Alpen. Gelegentlich trifft man auf bekannte Gesichter, Franzosen, Russen, Holländer … Alle mit dem gleichen Ziel, Kyanjin Gompa.
Yaks und Dzopkes
Und das sind natürlich die Yaks. Im spärlichen Gras nach Essbarem suchend, mit struppigem, weiss-schwarzem oder ganz schwarzem Fell, mit dem so kostbaren buschigen Schwanz, der nach dem Tod des Tieres für allerhand Zeremonien benutzt wird. Und nicht zu vergessen die Dzopke, der Kreuzung zwischen Kuh und Yak. Sieht irgendwie speziell aus, aber auch sie scheinen mit der harten Natur da oben ganz gut zurechtzukommen.
Die Eselkarawanen werden nun gelegentlich ergänzt durch Pferdekolonnen, kleine zähe Tiere, die genauso wie die Esel ungeheure Lasten zu tragen vermögen. Auch sie mit wunderbar farbigen Bändern verziert.
Zerborstene Brücken
Auch hier sind die Auswirkungen des Erdbebens sichtbar. Brücken an dicken Stahlseilen sind mittendurch geborsten, nur noch die verrostenden Überreste der Seile liegen im Gras. Es bedeutet, dass man jetzt wieder wie früher die Schlucht hinunter und auf der anderen hochklettern muss. Eine ziemlich schweisstreibende Angelegenheit.
Chörten – links umgehen
Je höher man steigt, desto häufiger werden lange Reihen von Chörten, den Kultbauten des tibetischen Buddhismus; er stellt die lokale Weiterentwicklung eines Stupa dar.
Die unzähligen Steine, aufeinander getürmt, und jeder mit der gleichen Botschaft: Om Nami Padme Hum. Das Wort kommt aus dem Sanskrit, ohne eine eigentliche Bedeutung zu haben. Es ist der Klang, der alles ausmacht.
Und natürlich darf man niemals vergessen, um einen Chörten links herum zu gehen. Was mich zwangsläufig zur wunderbaren Geschichte von „Tim & Struppi im Tibet“ bringt und zwar zur Stelle, wo Kapitän Haddock stolpert, hangabwärts rennt und dabei die Aufforderung hört, den vor ihm auftauchenden Chörten linksherum zu umqueren.
Was er beinahe schafft, doch er stolpert und prallt voll in den Chörten hinein. Dadurch löst sich der obere Teil des verfallenden Bauwerks, fällt auf seinen Rucksack und zerstört die darin heimlich mitgeführten Whisky-Flaschen. Unbedingt lesen!
Doch noch ausser Atem
Die Höhe wird spürbarer, der Atem kürzer, der Rucksack scheint wieder eine Tonne zu wiegen. Die letzten Höhenmeter zum Tagesziel sind extrem hart, alle hundert Meter steht nun eine gebeugte Gestalt und ringt nach Atem. Doch der Stolz lässt nicht zu, das Hilfeangebot von Sitaram anzunehmen. Das wäre der endgültige Todesstoss für mein eh schon angeknackstes Selbstvertrauen gewesen. Ich muss da durch, gehauen oder gestochen …
Der Stupa kurz vor dem Ziel
Es wird mir erst später klar, dass wir einen zusätzlichen Umweg machen, um den Stupa zu besuchen. Schon von weitem streckt sie ihr farbiges Haupt in den Himmel.
Gegen einen geringen Obolus darf man sie betreten und an der grossen Gebetsmühle drehen. Auch sie wurde zerstört, aber bereits wieder in altem Glanz wiederhergestellt. Was zur unumgänglichen Frage führt, warum die religiösen Bauten schneller und mit mehr finanziellen Mitteln restauriert werden als die Häuser und Hütten der Menschen.
Es scheint, dass der Mensch im Zusammenspiel von Himmel und Erde eine minderwertige Rolle spielt. Es überrascht mich keinen Augenblick.
Ein Gebet für müde Trecker
Dann endlich eine Brücke (die erstaunlicherweise keinen Schaden davon getragen hat), eine Schar Trecker sitzt mit ihrem Guide am Boden, während dieser buddhistische Gebete rezitiert. Ob mir seine Rezitationen geholfen hätten,die Anstrengungen besser zu ertragen, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Kyanjin Gompa
Kyanjin Gompa ist eine Ansammlung von Hotels, die meisten (oder alle?) neu und in allen Farben gestrichen. Ockergelbe. Grüne. Viele Blaue. Weisse. Ein farbiges Panoptikum.
Nicht überraschend sind wir wieder mal die letzten Ankömmlinge, die anderen bekannten Gesichter haben sich längst in den unterschiedlichen Unterkünften eingenistet und geniessen die warme Nachmittagssonne.
Oder sie haben bereits den Weg zum Kyanjin Ri eingeschlagen, von wo man aus einen perfekten Überblick über das Bergpanorama haben soll. Ist mir aber sowas von egal, mir scheint, dass ich genügend Höhenmeter geschafft habe.
Das mir zugewiesene Zimmer mit WC und Hot Shower ist perfekt, ebenso die Kartoffelsuppe und Tee (??) zum Lunch. Entgegen der ursprünglichen Tagesplanung (siehe oben) entscheide ich, den Nachmittag im Dorf zu verbringen und mich nochmals ein Stündchen in den Schlafsack zu verziehen, während die jugendlichen Kämpfer sich an die Eroberung weiterer Höhen machen.
Neue Hotels
Überall wird emsig gebaut, ganze Gassenzüge werden aufgezogen, ein Hotel neben dem anderen, man fragt sich, woher all die Touristen kommen sollen, um das Geschäft rentabel zu machen. Eine Beobachtung, die im ganzen Land gilt: irgendjemand, irgendwas (Touristen, Planer, Sehenswürdigkeiten…) geben den Anstoss, der Erfolg wird sichtbar, dann fängt der Schweinezyklus an. Es werden auf Teufel komm raus neue Angebote geschaffen, bis sie die Nachfrage übertreffen und es zwangsläufig zu Problemen kommt. Ein klassischer Teufelskreis.
Auch in diesem Dorf hätte ich arme Kinder gefunden. Auch sie sind ärmlich gekleidet, auch sie leiden an Erkältungen und weiss der Henker was alles, doch sie strahlen eine Fröhlichkeit aus, die ansteckend wirkt.
Das Kloster
Die Monastery sieht von aussen wie jedes andere Gebäude aus, also gehe ich anfänglich daran vorbei, bis ich mehrere Stimmen höre. Und tatsächlich, das unscheinbare Gebäude entpuppt sich als Sammlung reichhaltiger Kostbarkeiten, wie ich sie in dieser Schönheit nur in Ladakh gesehen habe.
Kalt und neblig
Auf dem Spaziergang durch das Dorf am späteren Nachmittag spüre die plötzliche Kälte, die aus dem Nichts das Dorf überfällt. Es ziehen Wolken auf, ich brauche nun wirklich alles Warme, was ich mitgebracht habe. Fliessendes Wasser gibt es bereits keines mehr, offenbar gefroren in der Zuleitung weiter oben. Vielleicht auch nur eine Ausrede des Wirts, der das kostbare Nass sparen will.
Der Abend im Dining Room gibt genauso wenig her wie der gestrige, also verzieht man sich einmal mehr schon früh in den warmen Schlafsack und spürt ein seltsames Gefühl des Glücks …
PS Song zum Thema: Foreigner – Cold as Ice
Und hier geht die Reise weiter …