Kyanjin Gompa talaufwärts, dann zurück nach Langtang
Der Morgen, genauso wie alle bisherigen, ist eine Präsentation der einzigartigen Schönheit der Bergwelt. Das Blau des Himmels ist nicht einfach blau, es ist das Blau eines Lapislazuli, der im Licht flackert. DIe Berge sind nicht einfach Berge, sie sind Monumente, festgefroren in der Zeit, und stechen wie aufrechte Krieger in den Himmel. Die Luft ist nicht einfach Luft, es ist eine Destillation aller vorstellbaren Aromen …
Doch die Berge haben ihre eigene Jekill and Hyde Natur. Einen Moment lang zeigen sie ihre schöne Seite, die Pracht der Farben und Formen, einen Augenblick später kommt ihr anderes Gesicht zum Vorschein, das der tödlichen Wildheit, der plötzlich ausbrechenden Bedrohung. Als winziger Mensch tut man gut daran, sich an ihre Janusköpfigkeit zu erinnern.
Aber nicht heute. Heute zeigen die Berge ihr schönes Antlitz, das der Pracht und der Unberührbarkeit …
Upps – hat mich die Schönheit der Bergwelt (oder meine poetische Ader??) so sehr überwältigt, dass ich zwangsläufig im Kitsch gelandet bin? Es macht ganz den Anschein. Sorry, People, manchmal kann man einfach nicht anders, als den frühen Morgen in den schönsten Farben loben …
Kein Kyanjin Ri
Also, abgesehen von der tatsächlichen Schönheit des Morgens, gilt es, ein paar Entscheidungen zu treffen. Obwohl der Schlaf lang und gut war und ich mich schon bald wieder fühle wie der biblische Samson, bevor man ihm die Haare abschnitt, habe ich nicht vor, einen einzigen Meter in Richtung des Kyanjin Ri hochzuklettern. Es genügt, wenn sich ganze Heerscharen wie ein einziger Zug der Lemminge dorthin hochkraxelt. Warum? Weil es in allen Travelguides steht, weil es so in der Trekplanung steht, also wird es genauso getan.
Wir nicht. Der Zug der Lemminge, den ich bisher folgsam mitgemacht habe, hat mir genügt. Also werden wir, wie gestern besprochen, dem Flusslauf talaufwärts folgen. Also dorthin, wo schon bald die tibetische Grenze kommen würde.
Talaufwärts – dem Fluss entlang
Wir sind schon sehr bald vollkommen allein. Das Dorf bleibt hinter uns zurück und damit die letzten Reste von Zivilisation.
Es gilt, ein langes Geröllfeld zu überqueren, beinahe wie bei Langtang, aber diesmal von Bächen und Runsen verursacht, die nach dem Monsum eine ungeheure Menge Wasser herabbringen. Auch der Flusslauf sieht aus wie eine einzige riesige Wüste, dabei ist es das Ergebnis des gleichen Phänomens.
Ich würde es gerne sehen, wenn im Frühjahr das Wasser des Flusses anschwillt, wenn die Wassermassen mit Tosen und Grollen talabwärts rollen und dabei alles mitreissen – Steine, Sand, Geröll, Felsen, Erde, Bäume. Das muss ein Wahnsinnsspektakel sein.
Werbung für „High Spirits“
Der Moment scheint ideal, um in der menschenleeren Gegend Werbung zu betreiben. Was natürlich per se ganz und gar nicht zur heeren Schönheit der Umgebung passt, aber wir befinden uns bekanntlich im 21. Jahrhundert – ohne PR und Werbung geht gar nichts.
Dann also ein dreifaches Hurra meiner Trekking-Organisation, meinem Guide Sitaram und seinem zur Abwechslung mal ziemlich fitten Kunden.
Der Thai-Mönch
Würde man meinen, aber da taucht eine seltsame Gestalt auf. Ein Mönch, beladen mit tausend Ausrüstungsgegenständen, vom Zelt bis zum Kocher. Er ist Thai, spricht kaum englisch, aber was wir verstehen, ist, dass er allein in den Bergen unterwegs ist, dabei meistens im Freien übernachtet und sich das Essen selbst zubereitet. Wieder einer dieser unglaublichen Gestalten, die man hier antreffen kann. Wir werden ihm noch ein paar Mal über den Weg laufen.
Wir kehren also zurück, langsam und gemütlich, dabei keinen Augenblick den Blick auf die Umgebung vergessend. Die Berggipfel, die an diesem blauen Morgen so unantastbar, so entrückt aussehen, als wären sie die Wächter über die Welt.
Man muss sie immer wieder von neuem entdecken. Um einzusehen, wie relativ doch alles ist. Wir. So klein. So unscheinbar.
Und dann, wenn irgendwo ein Grashalm zu entdecken ist, Yaks, Muttertiere mit ihren Jungen. Ganz ruhig den Boden abtastend. Sie finden Futter, wo keines zu sein scheint. Verrückt.
Zurück nach Langtang
Nach dem Mittagessen entschliessen wir uns, schon mal zurück bis Langtang zu marschieren. Die geplante Etappe im Touren-Guide gibt zwar vor, dass dieser Teil erst morgen, aber dann bis Lama Hotel gemacht wird.
Das scheint uns, vor allem Sitaram aus nachvollziehbaren Gründen, nun doch etwas gar viel zu sein. Vor allem denke ich in zunehmendem Mass an mein linkes Knie. Immerhin konnte ich vor gut zwei Jahren nicht mal mehr eine halbe Stunde der Limmat entlang spazieren, ohne heftige Schmerzen zu verspüren.
Es ist also heute der ultimative Lakmus-Test für mein Knie.
Doch alles ist gut, keine Schmerzen. Wir kennen nun die Strecke und alle Restaurants und Teehäuser und Chörten im Umkreis von hundert Kilometern und werden schon beinahe wie alte Bekannte begrüsst.
Kein Zimmer – oder ein falsches
Langtang ist beim zweiten Besuch sozusagen fast Heimat, wir kennen uns aus, freuen uns auf ein weiteres gutes Zimmer im Hotel. Aber weit gefehlt. Einmal mehr hat der Wirt einer Gruppe von Gästen, ungeachtet unserer Reservation, das Zimmer vergeben und weist uns nun einem im Aufbau befindlichen Hotel seiner Schwester zu.
Auf den ersten Blick kein Problem, aber die dazugehörige Toilette löst bei mir eine heftige Abwehrreaktion aus, und als auch noch das versprochene warme Wasser der Dusche ausbleibt, platzt mir der Kragen und wir dislozieren in ein anderes Etablissement.
Auch nicht unbedingt das Mass aller Dinge (die warme Dusche befindet sich in einem kleinen Häuschen ziemlich abseits des Hotels, aber das von Solarstrom erzeugte heisse Wasser entschädigt für alle anderen Unannehmlichkeiten).
Die Zusammensetzung der essenden Kundschaft im Dining Room – wie immer ein besonders interessantes Phänomen – ist diesmal wieder anders. Ein Paar aus Tschechien, die sich über Facebook zu diesem Trek gefunden haben, stellen zwei wunderbare Diskussionspartner dar, die soviel zu erzählen wissen, dass wir die armen Wirtsleute, die längst Schlafaugen haben, vollkommen vergessen. Sorry, Leute!
PS Song zum Thema: Jace Everett – Bad Things
Und hier geht die Reise weiter …