Heute also geht’s nach Westen, nach Pokhara.
Ich habe Sitaram Goodbye gesagt, der Abschied ist uns schwer gefallen. Er war ein exzellenter Guide, nicht nur in Bezug auf seine Kenntnisse der lokalen Fauna und Flora. Er hat mich vor allem um einige Kilogramme erleichtert, wenn der alte Mann kurz vor dem Kollaps stand.
Ich wünsche ihm alles Gute oder noch mehr, denn ob seine Idee, in Malta nach Arbeit zu suchen, eine gute ist, wage ich zu bezweifeln. Also all the best, my Friend!
Der Prithvi-Highway
Der Prithvi Highway ist die zentrale Verbindungsstrasse zwischen den beiden grössten Städten des Landes, gut 200 Kilometer lang, und bietet einen grossartigen Eindruck von Hügeln und Bergen und tiefen Tälern entlang schäumender Flüsse.
Die Schlange von Bussen entlang der Strasse, frühmorgens um halb sieben, ist lang und unübersichtlich. Es geht nun darum, den richtigen Bus zu finden, einen rot-gelben, der mich heute nach Pokhara bringen soll. Gar nicht so einfach, denn irgendwie scheinen alle gleich auszusehen, vielleicht sind es auch nur meine verschlafenen Augen, die etwas Mühe haben. Wenn auch – wie nicht anders zu erwarten – vernebelt durch die Staub- und Abgaswolken der Busse und der überladenen LKWs.
Aber dann taucht ein knalloranger Bus auf, den ich sofort ins Herz schliesse, denn er erinnert an eine unvergessliche Fahrt in Peru.
Zuerst aber gilt es, der Stadt zu entfliehen, was unter Umständen Stunden dauern kann. Auch zu früher Morgenstunde sind die Strassen verstopft, es gibt keine Möglichkeit zur schnelleren Flucht. Kathmandu ist ein Gefängnis, das seine Insassen nicht so schnell entwischen lässt.
Wenn man sich dann bei Thankot aus dem Kathmandutal herausgequält hat, beginnt die lange Serpentinenstrasse hinunter, bis die Strasse den Trisuli Fluss trifft, dem wir von hier an folgen werden.
Leichtes Gepäck
Der gestrige Tag hat nicht nur dazu gedient, die Strapazen des Treks (und der letzten Busfahrt) zu verdauen, sondern auch einigen organisatorische Pflichten nachzukommen.
Man muss sich im Klaren sein: Solo-Traveling heisst auch immer organisieren. Nicht der Tour Operator kümmert sich um Hotels, Essen, Tickets, Abfahrtszeiten und alles andere. Das liegt alles bei mir selbst und kann mitunter viel zeitlichen Aufwand bedeuten, viel mehr, als man es sich vorstellt.
Ich werde die nächsten zwei Wochen mit sehr leichtem Gepäck reisen. Also mit dem kleinen Rucksack, wenig Kleidern, einfach nur dem Allernötigsten.
Ich habe die Vorstellung schon immer verführerisch gefunden, nur mit dem zu reisen, was man wirklich braucht zum Leben. Das Leben auf die Basics zu reduzieren und dabei festzustellen, wie wenig man wirklich braucht. Ein paar wenige Kleider (es gibt tausend Laundries, die das Waschen für wenig Geld anbieten), Zahnbürste/-pasta und Deo und Duschzeugs, Medikamente (im schlimmsten Fall gibt es überall Apotheken und Ärzte) und da im 21. Jahrhundert lebend, einen (schweren) Sack voll technischen Schnickschnacks wie Ladekabel und solchen Blödsinns, der das Sinnentleerte unserer Existenz erst so richtig nachweist.
Man müsste es mal ausprobieren. Sehen, was nach einigen Tagen ohne Smartphone und iPad und Camera geschieht. Konzentriert man sich endlich wieder auf das Schöne, das Überraschende, das Erstaunliche, ohne gleich nach Camera oder iPhone zu greifen, ohne im Kopf bereits die Beschreibung vorzuformulieren?
Fühlt man sich abgenabelt von der Welt? Hat man den Eindruck, nicht mehr dazu zu gehören? Stellt sich ein Gefühl der Leere ein?
Der ultimative Test. Ìrgendwann werde ich es ausprobieren. Irgendwann.
Der Rucksack ist tatsächlich so klein, dass er heute sogar in die Gepäckaufbewahrung oberhalb meines Sitzplatzes passt. Das Hotel in Pokhara, das Nirvana-Hotel (schon der Name deutet auf gute Zeiten hin), ist für ein paar Tage gebucht, alles andere wird sich zeigen.
Verstaubte Erinnerungen
Auf dem Weg entlang des Flusses versuche ich angestrengt, irgendeine Erinnerung an das letzte Mal vor knapp dreissig Jahren oder das erste Mal vor über 40 Jahren zu aktivieren. Erfolglos!
Auf langen Serpentinen hinunter ins Tal des Trisuli
Die Sache mit dem Gedächtnis
Das Gedächtnis ist eine seltsame Sache. Es ist so ungefähr das am wenigsten Vertrauenswürdige in der Suche nach Vergangenheit. Es tendiert dazu, Ereignisse zu entsorgen, dafür andere zu kreieren, die es so nie gegeben hat. Und weitere werden manchmal so verändert, bis sie eine vollkommen andere Form angenommen haben.
Vielleicht eine, die uns besser gefällt.
Obwohl ich diese Strasse schon zweimal durchgefahren bin, scheint mein Gedächtnis bezüglich dieser Route auf brutale Entsorgung geschaltet zu haben. Es ist schlichtweg nichts geblieben. Ich muss also Annahmen treffen.
Ich bin also zweimal hier durchgefahren. Das erste Mal mit unserem klapprigen VW-Bus, das zweite Mal mit einem Touristenbus so wie heute. Ich nehme an, dass es Anfang 1975 eher wenig Verkehr gegeben haben muss. Ob die Strasse damals wirklich schlechter war, bezweifle ich. Sie ist nämlich auch heute nicht in einem Zustand göttlicher Offenbarung. Immerhin – da es sich um einen sogenannten Tourist-Bus handelt – sind nur die Sitze belegt, also für einmal keine Sardinenbüchse mit Aussicht auf Erstickungstod.
Doch entweder sind meine Augen durch den Treck in Mitleidenschaft gezogen worden, oder die Landschaft scheint von einem seltsamen Grüngrau überzogen zu sein. Wir fahren sozusagen durch eine milchig grüne Landschaft, als wäre sie künstlich farbverändert worden. Hoffentlich gibt sich das wieder.
Wir folgen dem schmutzigen Trisuli fast den ganzen Tag
Neben mir sitzt ein dezent gekleideter Herr in mittleren Jahren, Frau und Sohn auf den beiden Sitzen vor uns. Offenbar auch auf dem Weg nach Pokhara, ein Familienausflug. Wir kommen uns allerdings nicht näher, seine spärlichen Englischkenntnisse sind eine zu grosse Barriere.
Er gibt den Herrn des Hauses, mit fester Hand und klaren Anweisungen. Die Familie gehorcht schweigend.
Blick aus dem Fenster in eine fremde Welt
Manchmal beim Vorbeifahren oder bei kurzen Stopps – ein Blick in eine fremde Welt. Obwohl – ist sie wirklich fremd, oder scheint es nur so? Da stehen Menschen inmitten von Autos, vor Läden und Restaurants, schwatzend, lachend, wartend …
Alles, was sie von uns unterscheidet, ist eine andere Hautfarbe, eine andere Kultur, eine andere Nationalität? Mehr nicht. Alles andere ist gleich. Sie leiden unter der Hitze oder Kälte, sie fühlen sich gross oder klein, reich oder arm, sie lieben ihre Kinder und hassen Ungerechtigkeit. Manchmal lachen sie oder weinen, sind hungrig oder durstig. Alles eine Frage der Perspektive.
Es ist eine lange, beinahe siebenstündige Fahrt, in einem Zustand meditativer Versunkenheit, denn alles, was ich tue, ist aus dem Fenster schauen und versuchen, nichts zu denken. Natürlich gelingt es nicht, immer wieder tauchen Erinnerungen auf, assoziativ, zusammenhangslos, auf merkwürdige Weise traurig. Hat es etwas zu tun mit meinem baldigen runden Geburtstag, der mir am nächsten Tag droht? Wer weiss …
Pokhara – eine ferne Erinnerung
Schon viele Kilometer vor dem Erreichen der Stadt entsteht der Eindruck, nicht mehr weit vom Ziel entfernt zu sein. Was aber täuscht, denn die Stadt wächst an allen Ecken und Enden. Aus dem kleinen geruhsamen Städtchen ist eine Metropole geworden, laut und hektisch und voller Leben. Das Taxi bringt mich in ein paar Minuten zum Hotel Nirvana, ein freundlicher Herr empfängt mich, und ich fühle mich sofort wohl und beinahe zu Hause.
Der See ist nahe, die lange Strasse entlang dem Phewa Lake ebenso, nichts steht einem sehr geruhsamen Aufenthalt in einer Stadt, die ich vollkommen vergessen habe, entgegen.
PS Song zum Thema: AC/DC – Highway to Hell
Und hier geht die Reise weiter …