Nun, nach der gestrigen anstrengenden Etappe dürfen wir uns auf eine lange, aber zumindest ebene Strecke entlang dem Ticino freuen.

Und unser kleines Grüppchen hat temporären Zuwachs erhalten. Silvia, meine Ex-Gemahlin, möchte herausfinden, wie es um ihre Fitness steht und begleitet uns bis Bellinzona.

In Biasca, wo die Etappe startet, vereinen sich das Bleniotal vom Lukmanier und die Leventina vom Gotthard her. Etwas oberhalb des Bahnhofs befinden sich die Wasserfälle der Heiligen Petronilla. Schäumend stürzen sie über die Felswände. Nach einigen Minuten durch Biasca erreicht man den Ticino.

Bei Biasca öffnet sich das Tal zu einer breiten, langgestreckten Ebene: der Riviera. Hier lässt sich prächtig an den Ufern des Ticino wandern, meistens durch Auenwald, oft auch auf einem Flussdamm. Am Ende wartet Bellinzona mit seinen drei Burgen.

Unsere Daten: Länge 25 km; Aufstieg | Abstieg 680 m | 710 m; Wanderzeit 7 h 30 min

 

From Biasca to Bellinzona
Von Biasca nach Bellinzona

Entlang der Riviera

Seltsamerweise trägt die langgestreckte Ebene, die sich bis kurz vor Bellinzona hinzieht, den vielversprechenden Namen Riviera. Auf jeden Fall bietet die heutige Etappe 25 Kilometer reinstes Wandervergnügen dem Ticino entlang.

Der Weg führt mehrheitlich durch schattigen, duftenden Auenwald. Wie nehmen es gemütlich, die letzten Tage haben trotz phantastischer Etappen ihre Spuren hinterlassen. Aber das Wandern an diesem sonnigen Tag bringt soviel Abwechslung, dass die müden Beine schon bald vergessen sind. So könnte man sich das vorstellen, flach, abwechslungsreich, schattig. Aber das würde vermutlich schon bald wieder in eine gewisse Langweile kippen.

Wie auch immer, der Weg ist weit und alles andere als langweilig.

The path along the Ticino

Manchmal, vielleicht auch nur eingebildet, hat man den Eindruck, dass die Lichtfülle der Sommerstunden abgenommen hat.

Es ist zwar immer noch warm, gelegentlich ziemlich heiss, aber der Herbst kündigt sich auf leisen Sohlen an. Auch dieser gefühlt ewig dauernde Sommer wird enden, vielleicht sind wir froh um das, was hinter der Tür wartet. Im günstigsten Fall werden wir uns wieder an Dunkelheit, an Kälte  und frostige Winde gewöhnen, vielleicht sogar erfreuen.

Allerdings sind diese Vorstellungen an diesem warmen Spätsommertag weit weg.

Und so wandern wir schwatzend, lachend, kaum einmal ausser Atem kommend, dem Ufer entlang, gelegentlich auch auf Dämmen entlang des Flusses. Sie erinnern daran, dass hier immer latente Überschwemmungsgefahr herrscht.

The Ticino, sometimes smooth, then again a wild monster through riverside forests along the Ticino

That's the way it ought to be - shady trees, pleasant paths The Ticino - water and rocks and trees

Versteckte Schönheiten

Nach knapp zwei Stunden überqueren wir den Fluss bei Lodrino, von nun an führt die Wanderung auf der anderen Uferseite weiter.

Das gibt uns Gelegenheit, bei Castione-Arbedo einen ausgedehnten Break mit Fototermin einzulegen, während hinter uns die Moësa gurgelt und rauscht, bevor sie kurz danach vom Ticino verschluckt wird.

Der Travelguide ist wieder einmal unzufrieden mit unserem achtlosen Vor-sich-her-wandern, denn eigentlich würde man in den Dörfern entlang des Weges zahlreiche versteckte Schönheiten finden. Aber eben, sie sind versteckt und somit unbekannt, und so erfahren wir wieder einmal erst im Nachhinein, was wir alles verpassen.

Beispiele gefällig: etwa in Osogno die Kapelle Santa Maria del Castello oder in Claro das Bergkloster Santa Maria Assunta.

Allerdings muss ich zu unserer Verteidigung hinweisen, dass wir seit Airolo soviele Kapellen und Kirchen gesehen haben, dass wir uns mindestens ein Freiticket in den Himmel erworben haben.

Santa Maria del Castello in Osogno Santa Maria Assunta in Claro

Die Klöster Santa Maria del Castello in Osogno und Santa Maria Assunta in Claro

Eine zukünftige Energieversorgung

Im Unterschied zu den versteckten Schönheiten, die wenig Interesse finden (leider), sticht uns ein seltsames Gebäude in der Nähe des Wegs, ein Art Kran mit sechs Armen, ins Auge. Dass es sich dabei um ein futuristisches Projekt, initiiert von einem Amerikaner, handelt, ist ziemlich einmalig in seiner utopischen Richtung.

Es handelt sich hierbei um ein Hubkraftwerk. Die Idee scheint trivial und genial zugleich: Bei geringem Strombedarf werden Betonblöcke mittels erneuerbarer Energie hochgezogen und bei hohem Strombedarf zur zusätzlichen Energiegewinnung wieder abgesenkt, ähnlich dem System von Wasserkraft mit Staudamm und Pumpwerk.

Mal sehen, ob sich daraus etwas ergibt und ob die Idee schlussendlich nicht eine Idee bleiben wird.

a lifting power plant

Die letzte Stunde

Bellinzona kommt näher, wir haben, ohne es gross zu merken, tatsächlich 25 Kilometer abgespult. Und einmal mehr gäbe es viel zu sehen und zu entdecken, Beispiele trutziger Wehrbereitschaft, Zeugen vergangener Auseinandersetzungen, wahrscheinlich genauso unnötig wie die heutigen.

Der Travelguide ist auf jeden Fall begeistert:

Ein kleiner Abstecher zu den Schlössern Castelgrande, Montebello und Sasso Corbaro lohnt sich. Sie gehören zu den eindrucksvollsten Exemplaren mittelalterlicher Wehrbauten des gesamten Alpenbogens. Mit ihren zinnenbewehrten Mauern, Türmen und Toren wurden die prächtigen Monumente im Jahr 2000 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Zweck der Festungen war es, den nördlichen Völkern den Zugang zum Tessiner Tal zu versperren und die Wegezölle sowie die Strasse in Richtung Gotthard zu kontrollieren.

Santa Maria Assunta in Claro The castle MOntebello above Bellinzona

                                                                                           Die Burgen Castelgrande und Montebello oberhalb Bellinzona

Bellinzona am südlichen Zugang zu den Alpenpässen Gotthard, San Bernardino und Lukmanier ist die wohl italienischste Stadt der Schweiz.

Die mächtige Festungsanlage der drei mittelalterlichen Burgen bilden sozusagen die Skyline der Tessiner Hauptstadt.

Man spricht von lombardischem Charakter der Stadt, hier scheint der Einfluss der norditalienischen Provinz am grössten gewesen zu sein. Nicht verwunderlich, dass Bellinzona ein von der UNESCO anerkanntes Weltkulturerbe darstellt.

Auf jeden Fall werden wir am Abend zumindest die kulinarischen Vorzüge der Stadt gebührend feiern. Was einmal mehr beweist, dass Kunst und alles andere in erster Linie durch den Magen geht.

 

Passender Song:  The New Colony Six – At the River’s Edge

Und hier geht der Trail weiter … nach Tesserete

 

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