Immer wieder erstaunlich, wie schnell sich der Mensch von der Strapaze eines langen Fluges und mehr als dreissig schlaflosen Stunden erholt.

Auf jeden Fall scheint am Morgen alles in bester Ordnung zu sein. Die von draussen hereinschwebenden Düfte von frischem Kaffee sind so verführerisch, dass der Magen in lautes Knurren verfällt.

 

Das Chillhouse

Das Chillhouse ist Klasse. Es besitzt mehrere Etagen, auf dem Dach lässt sich geruhsam von den Strapazen erholen, während man beim Morgenessen über das ganze Parterre verteilt sitzt. Einige sitzen an winzigen Metalltischchen, deren ungleich lange Beine (oder ist es der Boden?) zu erheblichen Schwankungen führen, andere sitzen auf Bänken oder einer der Wand entlang führenden Bar.

 

Breakfast in quiet surroundings Chilling on the roof

Das Problem ist, dass man dabei kaum in Kontakt kommt. Man hört die unterschiedlichsten Sprachen, spanisch natürlich, aber auch englisch, französisch, deutsch. Die übliche Mixtur. Aber das Morgenessen ist Klasse: frisch gebackenes Brot mit selbst gemachter Konfitüre, Butter, Rührei, frisch gepresster Orangensaft und Kaffee, was begehrt das Herz (oder der Magen) mehr.

 

Die ersten Schritte

Wie sich schnell zeigt, ist Buenos Aires, wie soll ich sagen, auf den ersten Blick eindrücklich, auf den zweiten herausfordernd, auf den dritten eine Liebeserklärung. Mehr Zuneigung kann man einem Ort nicht zusprechen, als zu sagen, dass man hier leben könnte.

Die offiziell nur 202 Quadratkilometer große Stadt bildet den Kern einer der größten Metropolregionen Südamerikas, des Gran Buenos Aires mit etwa 13 Millionen Einwohnern.

Sie streckt sich heute rund 68 Kilometer von Nordwest nach Südost und etwa 33 Kilometer von der Küste nach Südwesten aus. Sie wird oft als „Wasserkopf“ Argentiniens bezeichnet, da sich hier fast alle wichtigen Institutionen des Landes befinden und in der Stadt und vor allem in der Umgebung etwa ein Drittel aller Argentinier wohnt. Sie ist ein wichtiges kulturelles Zentrum und wurde 2005 durch die UNESCO mit dem Titel Stadt des Designs ausgezeichnet. [Wikipedia]

Antoine erklärt mir auf der Karte, was man in Buenos Aires nicht verpassen darf.

Ich werde zwar kaum die ganze Stadt zu Fuss durchqueren, aber heute beginne ich mal mit dem berühmten Zentrum mit der Avenida 9 de Julio, der Plaza de Mayo, dann die beiden Quartiere San Telmo und La Boca und – falls es die Beine zulassen – den Puerto Madero.

Aber, um dahin zu gelangen, kommt man nicht um die Benutzung der Metro herum, was bekanntlich eine spezielle Herausforderung für mich darstellt (siehe Bangkok).

Ich bin in der Zwischenzeit zur Überzeugung gelangt, dass jede Stadt versucht, auch ein eigenes Ticketing-System für ihre Metro zu erfinden, mit dem Ziel, möglichst jeden Kunden vor eine intellektuelle Herausforderung zu stellen (vielleicht gilt das aber nur für mich).

Bezahlt man am einen Ort mit Münzen, ist es am anderen mit Jetons, am dritten mit Tickets. Hier eine neue Variante, eine mit einer geladenen Karte, einer Kreditkarte ähnlich, auf der zwei Fahrten geladen sind. Anschliessend kann sie wieder aufgeladen werden. Nicht schlecht …

Und tatsächlich, für diese Variante genügt auch meine intellektuelle Kapazität.

 

Avenida 9 de Julio

Das Zentrum der Stadt, dort, wo die breiteste Strasse der Welt, die Avenida 9 de Julio, durchführt, ist der Ausgangspunkt der heutigen Unternehmung. Der Obelisk beherrscht den Platz, ein gewaltiges Monument, mit historischem Hintergrund, den er sollte an die 400-jährige Gründung der Stadt erinnern.

Obelisk in the midst of Avenida 9 de Julio
Obelisk bei der Avenida 9 de Julio

Hohe Gebäude säumen die Strassen, hektischer rauscht durch. Im Vergleich zu Delhi ist es erstaunlich ruhig; kaum einmal ein Hupen oder eine der anderen typisch indischen Vergewaltigungen der Hörgänge. Vom Baustil her könnte es durchaus auch Madrid sein oder Barcelona, die Ursprünge der Architektur sind ersichtlich. Am besten lässt man sich treiben, ganz langsam, so wie gewohnt, spürt den Sog, den Rhythmus der Stadt.

Die Plaza de Mayo (hier wird der ‚y‘ zwischen Vokalen als ’sch‘ ausgesprochen) führt direkt zur Casa Rosada, einem tatsächlich in rosa gehaltenem Gebäude, das ich mir etwas näher ansehen will. In der irrigen Meinung, dass es sich um ein Museum oder etwas Ähnliches handelt, trete ich entschlossen durch den Eingang, wo mich ein schwer bewaffneter Soldat mit grimmiger Miene aufhält, denn das, was ich für ein etwas kitschiges Museum gehalten habe, entpuppt sich als der Präsidentenpalast. Upps …

Buenos Aires - Center
Es könnte auch irgendeine Grossstadt in Europa sein
La Casa Rosada
La Casa Rosada – das Regierungsgebäude
Skyscapers in Buenos Aires
Der Eindruck täuscht – das Land steht permanent am finanziellen Abgrund

 

Mothers of the Plaza de Mayo

Auf der Plaza de Mayo versammeln sich übrigens jeden Donnerstag die ‚Mothers of the Plaza de Mayo‘ und marschieren im Gegenuhrzeigersinn um das zentrale Monument herum. Damit wollen sie an die verschwundenen Kinder des schmutzigen Krieges in den 70-Jahren erinnern, die Fotos ihrer vermissten Lieben an die Brust geheftet.

 

San Telmo

San Telmo ist berühmt für seine idyllischen Gassen, die vielen Bars und Restaurants, die kleinen Läden und Museen und die schattigen Plätze, wo man die müden Beine ausstrecken und einen Kaffee geniessen kann.

 

Cafes at San Telmo
Wunderschöne Cafés Und Restaurants in San Telmo …
Churches in San Telmo
… und ebenso schöne Kirchen

Es wimmelt von Touristen, man hört viel amerikanisches Englisch, ganze Gruppen wohlbeleibter älterer Trumps, in ihrem Schlepptau ziemlich schrecklich gekleidete ältere Damen, folgen ihrem Führer, während die brennende Sonne die Gesichter unter den Hüten rot anlaufen lässt. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie mir über den Weg laufen.

 

La Boca

La Boca ist ein anderes Kaliber. Es ist das ärmste und raueste Quartier der Stadt. Hier sollte man gewisse Gassen nicht zur Nachtzeit aufsuchen. Nicht, dass Buenos Aires besonders gefährlich wäre, aber man sollte es auch nicht herausfordern. Aber das gilt für alle Grossstädte dieser Grössenordnung, sei es Mumbai oder Moskau oder Paris oder was auch immer …

Aber La Boca ist natürlich die Heimat der ‚Boca Juniors, einem der heissesten Fussballclubs der Welt. Hier haben namhafte Fussballer ihre Sporen abverdient, also letztlich ein Mekka für Fussball-Aficionados.

Die erste Mannschaft zählt zu den erfolgreichsten Fußballmannschaften Argentiniens und spielt seit der Gründung des modernen argentinischen Ligensystems in der Primera División. Heimspiele werden im Estádio Alberto J. Armando oder im Volksmund La Bombonera ausgetragen. Bocas größter Rivale ist River Plate. Die Spiele zwischen den beiden Vereinen werden Superclásicos genannt und versetzen das ganze Land in den Ausnahmezustand.

Ich bin zwar ein Fan des argentinischen Fussballs, aber was mich noch mehr begeistert, ist das spezielle Flair des Viertels. Die Murales von La Boca sind weltberühmt, und man kann nicht anders als trotz der Hitze vor den bunt bemalten Mauern stehen zu bleiben und sich zu wundern über die Kunstfertigkeit der Laienkünstler.

 

Bienvenidos La Boca
Wahre Künstler am Werk
Murales
Murales in La Boca

 

Puerto Madero

Es ist übrigens heiss, sehr heiss, und ich bin froh um das stetige leichte Lüftchen, das dem schwitzenden Gesicht schmeichelt. Auf der Karte sind die Ausläufer des Rio de la Plata als blaue Zonen, also so wie Wasser normalerweise aussieht, eingezeichnet.

Das, was sich allerdings zeigt, ist eine braune Brühe, die nur mit Mühe als Wasser bezeichnet werden kann. Offenbar ist die argentinische Seite des Flusses komplett verunreinigt (auf der uruguayanischen Seite soll es besser sein; dort kann man immer noch baden).

Finde ich ziemlich schändlich, denn der Puerto Madero, eine kilometerlange, wunderschön angelegte Überbauung des ursprünglichen Hafengebiets, hätte ein schöneres Bild verdient.

 

Puerto Madero
Puerto Madero – und Wolkenkratzer
Puerto Madero
Puerto Madero – und braunes Wasser
Puerto Madero
Puerto Madero – beeindruckende Gebäude
Puerto Madero
Puerto Madero – alte Hafenanlagen

 

Eine alte Fregatte

Festgezurrt am Hafenquai, wahrscheinlich für alle Ewigkeit, liegt eine Fregatte, ein ehemaliges Schulschiff, wie sich herausstellt. Es wurde im 19. Jahrhundert gebaut und war bis in die 30-Jahre des letzten Jahrhunderts im Einsatz.

 

An old School Ship
Eine Fregatte – früher ein Schulschiff

Jetzt tummeln sich Touristen in seinem Inneren, Kinder spielen in den unendlich lange scheinenden Gängen.

Was mich besonders fasziniert, ist das Steuerrad. Wer zumindest die ‚Pirates of the Caribean‘ gesehen hat, kann sich das ungefähr vorstellen. Nicht auf diesem Schiff: hier sind drei (!) Steuerräder hintereinander installiert. Grund: bei schweren Stürmen genügte ein einziges Steuerrad nicht, es brauchte im Extremfall alle drei Steuerräder, die von bis zu 6 Männern bedient werden mussten. Wow …

 

Three Steering Wheels for bad Weather
Drei Steuerräder für stürmisches Wetter
Weaponry
Da bekommt man beinahe Angst

 

Das andere Buenos Aires

Der Schritt wird noch langsamer, man bezahlt langsam den Tribut an die langen Kilometer in der flirrenden Hitze. Und so ende ich in einem kleinen Restaurant, trinke ein Glas Vino Tinto, esse eine Empanada und fühle mich einfach grossartig.

Dieser Eindruck verblasst auf dem Weg zurück zum Hotel. Im Gegensatz zu den protzigen Wolkenkratzern, die ein vollkommen anderes Bild der Stadt abgeben, herrscht bei den unteren Bevölkerungsschichten grosse Not. Siehe unten …

 

Poverty in the former rich city
Armut – die andere Seite der Stadt

 

Kilometerstand:  null

Song zum Thema: Talking Heads – Air

Und hier geht die Reise weiter …

 

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