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Ladakh/Rajasthan

Baby Trek 1 – Tote stumme Welt

An diesem Morgen ist der Himmel ein Meer aus blauestem Blau.

Ein sehr willkommener Gruss an diesem besonderen Morgen (der eigentlich gar nicht so besonders ist, schliesslich geht es lediglich um die erste Etappe des Baby-Treks). Trotzdem bin ich sofort hellwach, denn trotz Baby liegt eine anstrengende Sache vor mir. Immerhin sind wir hoch genug, um den Puls zu beschleunigen. Die untenstehende Karte (während des Tages mit meiner Polaruhr aufgezeichnet) zeigt die Route.

Es sieht definitiv nach lebloser Wüste und sonst nichts aus.

 

Baby Trek Stage1
Baby Trek Etappe1

 

Der letzte am Start

Wie könnte es anders sein – ich bin mal wieder der letzte am Start. Dieses Schicksal verfolgt mich schon seit Jahren. Die anderen Trekker, mit denen ich mich gestern Abend bekannt gemacht habe– ein amerikanisches Ehepaar, eine ziemlich heilig aussehende, wahrscheinlich bereits erleuchtete Inderin – sind schon früh verschwunden.

Der Blick von der Terrasse zeigt ein grossartiges Panorama. Der Himmel hat sich zur Erde geneigt.

 

Likir Valley
Das Tal von Likir – in seiner ganzen Pracht

Beim Frühstück sind nur noch Lily, eine Belgierin, die vor einem Jahr ihren Mann verloren hat, sowie Chin und ich übrig geblieben.

Chin wird sich aber zuerst das Kloster ansehen (das ich beim Klostertrip bereits bewundert habe), also werde ich schon mal mit Lily losziehen. Sie wird zwar nicht den Treck mitmachen, mich aber ein Stück Weges begleiten. Währenddessen erzählt sie mir ihre wahrhaft tragische Geschichte. Sie verbrachten vor einiger Zeit einen gemeinsamen Trek in eben dieser Gegend, doch in der Zwischenzeit ist ihr Mann unerwartet gestorben. Sie möchte nun an gleicher Stelle Abschied nehmen.

Ich kann Ihr zwar nicht helfen, aber wie man weiss, ist Zuhören ein ziemlich wirksames Mittel.

 

Das Kloster bleibt hinter uns zurück

Ein wehmütiges Gefühl bleibt zurück, als ich mich vom Guesthouse verabschiede. Die warme Freundlichkeit der Familie, die uns in ihren Kreis aufgenommen hat, wird mir fehlen. Aber so ist es eben beim Reisen – immer nimmt man wieder Abschied. Traurig, wehmütig, beschenkt …

 

 Buddha on the roof
Der Buddha auf seinem Dachsitz bleibt hinter uns zurück
Valley near Likir
Am Talboden ist die Gegend noch einigermassen fruchtbar
Likir Gompa
Das Kloster grüsst ein letztes Mal
My friend Lily
Lily auf der Abschiedstour

 

So far – so good

Ja, und dann geht’s erst richtig los. Anfänglich ist der Anstieg zwar noch leicht verdaulich, sogar für ältere Herren, allerdings merkt man doch die Höhe von knapp 3800 Metern. Den ersten La (gleich Pass auf Ladakhisch) nimmt man sozusagen im Vorbeigehen und fühlt sich schon ein bisschen als Herr der Lage.

 

ascent to the first pass - not very exciting
Der Aufstieg zum ersten Pass – nicht sehr aufregend
Chörten at the top
Ein erster Chörten erwartet mich

So far so good. Der folgende steile Abstieg hätte allerdings nicht sein müssen. Im Bewusstsein, dass alles, was runtergeht, mit Sicherheit wieder bergauf gehen muss, macht man sich grummelnd ins tief eingeschnittene Tal hinunter.

 

Down to an unknown valley
Ein Abstieg in ein unbekanntes Tal hinunter

 

Das Raunen der Berge

Es ist nun brennend heiss geworden, die Felsen ringsherum scheinen sich mit Hitze aufzuladen, und einmal mehr bin ich froh um meinen (echten) Indiana-Jones-Hut, der mir einigermassen Schatten spendet. Und natürlich kommt der unvermeidliche Aufstieg, und diesmal wird es so richtig heftig. Ich versuche, ganz ganz ganz langsam zu gehen, aber die Pulsuhr zeigt alle paar Minuten, dass die obere gesetzte Grenze erreicht ist.

Also halte ich halt alle paar hundert Meter an, lausche, doch es ist absolut nichts zu hören (sieht man vom kaum hörbaren Raunen der Berge ab).

 

Hot and tiresome
Heiss und anstrengend – allein in der Wüste
dead mute world
Ringsherum eine tote stumme Welt

Ich bin allein, ringsherum nur tote, furchteinflössende Welt, ich bin weitherum das einzige atmende Wesen (vielleicht treibt sich irgendwo noch ein verirrter Schneeleopard herum), einerseits ein beglückendes, das Herz berührendes Phänomen. Seltsam, es ist ein Gefühl vollkommener Freiheit. Als ob ich seit langem zum ersten Mal in vollkommener Harmonie mit allem wäre.

Manchmal setze ich mich hin, trinke langsam einen Schluck Wasser, lausche, betrachte die tote Welt um mich herum. Stille. Die Welt hat aufgehört, sich zu bewegen, zu atmen, ist zu einem reglosen, in Stein und Fels verschmolzenen Kunstwerk geworden. In diesem Augenblick möchte ich nirgends sonst sein. Und die Uhr sollte angehalten werden …

Dann, von seltsamer Glücksseligkeit erfüllt, setze ich den Weg fort. Aufwärts, abwärts, es ist egal … 

 

Please help me in keeping Ladakh clean

Doch der Weg bietet mehr Abwechslung, als man erwarten könnte. Mitten im Nichts – eine Recycllng Anlage. Man (die Trekker?) werden doch höflich gebeten, Papier, Plastik und Metall säuberlich zu trennen und in den jeweiligen Behaltern zu deponieren. Wenn man an den Müll auf den Strassen Lehs denkt, ebenso absurd wie unglaublich. Aber tatsächllich ist weit und breit nicht der kleinste Abfall zu entdecken. Es scheint, als wäre die Botschaft angekommen. Meine Hochachtung für soviel Glauben an die Vernunft der Memschheit … (Man stelle sich das Everest Base Camp vor – eine einzige Müllhalde.)

 

Recycling plant in nowhere
Recycling Anlage im Nirgendwo

 

Eine grüne Oase

Und dann wie aus dem Nichts – eine grüne Oase. Das saftige Grün der Bäume und Sträucher deutet auf Wasser hin. Der Pfad ist durch Mauern gesäumt,doch Menschen sind kene zu sehen. Das einzige Geräusch ist das kaum wahrnehmbare Sprudeln von unsichtbarem Wasser.

 

green oasis
Ein willkommener Ort für eine Pause
walls and trees
Mauern, aber keine Menschen

 

Indianer-Talente

Es gibt natürlich keine Beschilderung, und so steht man gelegentlich vor einem unlösbaren Rätsel, wenn der Weg in verschiedene Richtungen abzweigt. Dann muss man alte Indianer-Erfahrungen zu Rate ziehen, indem man die Richtung herausfindet, wohin die meisten Fussspuren führen (was natürlich auch mal schief gehen kann), und klopft sich aufs Apachen-Haupt, wenn sich die Entscheidung als richtig herausstellt.

Irgendwann tauchen in der Ferne Häuser auf einer Anhöhe auf. Es muss sich um Yangthang handeln, meinen heutigen Zielort.

Allerdings führt der Weg zu meinem Ärger zuerst mal wieder in eine Schlucht hinunter, aber – die Dummen haben meistens Glück – eine zierliche Japanerin namens Yoko weist mich auf den richtigen Weg, und so erreiche ich doch noch nach sechs Stunden, heftigstens keuchend und schwitzend, das Dorf, Mann, das sind fürwahr keine Baby-Etappen!

 

Sometimes the impression arises as if the path leads into infinity
Manchmal entsteht der Eindruck, als führte der Weg in die Unendlichkeit

 

Auf der Suche nach einem Homestay

Ich muss noch nachtragen, dass ich unterwegs einer ziemlich grossen Gruppe von Israelis begegnete. Wenn die in diesem winzigen Kaff eine Bleibe suchen, bleibt wenig übrig für mich.

Also auf ins erste Guesthouse, was sich aber schnell als Fehler herausstellt. Drei düster aussehende Burschen, die den Preis auf Ladakhisch diskutieren (grosser Fehler) empfangen mich in ihrem ziemlich neu aussehenden Guesthouse und offerieren mir ein Zimmer für 1000 Rupien.

Das Zimmer scheint ok, doch es gibt kein Badezimmer und als Dusche muss man sich einen Eimer kalten Wassers übers müde Haupt schütten. Was mir aber den Rest gibt, ist die Toilette oder das, was die Herren darunter verstehen. Man geht ums Haus herum (um Mitternacht ein Erlebnis, auf das man verzichten kann) und findet sich in einem krummen kleinen Gebäude mit zwei Türen wieder, in dem es nur ein Loch am Boden gibt. An sich nichts Besonderes, doch lässt sich zu allem auch die Tür nicht verschliessen, weil es der Konstrukteur der Tür nicht geschafft hat, den Bolzen so anzubringen, dass er in die entsprechende Öffnung passt.

Man kauert sich also über das Loch im Boden, währenddessen man verzweifelt versucht, mit der Hand die Tür geschlossen zu halten. Ich bin müde und erschöpft und habe keine Lust auf Abenteuer dieser Art. Ich packe also meine Siebensachen wieder zusammen und mache mich auf die Suche nach einer Alternative. Vorher schlafe ich unter einem Baum als in diesem Etablissement!

Ein paar ehrwürdige alte Herren weisen mir den Weg zu einem Guesthouse, ähnlich wie dem gestrigen, aber sogar noch eine Spur freundlicher.

Ich fühle mich auf jeden Fall sofort wie zuhause. Diesmal ist ein kleiner Junge von anderthalb Jahren für die Abendunterhaltung besorgt. Die Grosseltern sehen aus wie hundert, allerdings sind sie wahrscheinlich gerade mal ein paar Jahre älter als ich. Der Opa murmelt fortwährend buddhistische Weisheiten aus einem Buch, in der anderen Hand eine Gebetsmühle, an der er eifrig dreht.

So viele Glücksgefühle und später ein tiefer Schlaf …

 

Son of the family
Er sorgt für Unterhaltung im Wohnzimmer

Boy of the HouseFamily eating on the floor

 

PS Song zum Thema:  Bishop Briggs – Dreams

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Fahrt nach Likir – Haus auf dem Dach

Ein Trek für Babies?

Heute beginnt mein Trek, genauer gesagt der Baby-Trek, also ein Trek für Babies, weil er offenbar im Vergleich zu den „richtigen“ wie z.B. dem Marka-Trek, keine grossen Anforderungen stellen soll. Für einmal bin ich also bescheiden, gebe mich mit dem einfachsten zufrieden, und hoffe damit, das Angenehme mit dem Anspruchsvollen verbinden zu können.

Mal sehen, welche Art Babies gefordert sein werden …

 

Chin

Es ist Nachmittag, als ich nach mehreren aufwendigen Versuchen den Busbahnhof finde. Er liegt vorteilhafterweise ziemlich weit ausserhalb des Stadtzentrums. Damit ist man aber noch längst nicht am Ziel, denn es gibt

a) die grossen Busse (die nicht nach Likir fahren)

b) die Taxis (die viel zu teuer sind)

c) die kleineren Busse

Die letzteren wären tatsächlich die richtigen, wenn man sie denn finden würde. Mit ein bisschen Charme und weiterem Herumfragen werde ich schliesslich fündig und steige schon mal (anderthalb Stunden vor Abfahrt) in das altersschwach aussehende Vehikel ein. Später wird sich herausstellen, dass dies ein weiser Entschluss ist, denn das noch ziemlich leere Fahrzeug wird sich in den nächsten 90 Minuten bis zum letzten Platz füllen. Ich wähle wie immer die hinterste Reihe, ein junges Mädchen sitzt bereits mit Rucksack am Fenster. Sie stellt sich als Chinesin namens Chin aus China heraus, und sie hat das gleiche Reiseziel und den gleichen Treck wie ich vor.

Das ist doch schon mal gut.

 

Shop at bus station
Das Angebot für den Reiseproviant ist gross

Gasflaschen auf dem Nebensitz

Pünktlicher als die S12 fährt der Bus los, in der Zwischenzeit mit einem Sammelsurium der unterschiedlichsten Leute vollgepackt. Leute würde ja noch gehen, aber es werden zusätzlich tausend Taschen, Behälter, irgendetwas, was wie Hullahopp-Ringe aussieht, Blechkästen und sogar recht gefährlich aussehende Gasflaschen auf, neben und unter den Sitzen verstaut. Meine nicht ganz ernsthaft gemeinte Frage, ob die Dinger explodieren könnten, wird mit herzlichem Gelächter quittiert. Na denn halt!

Der Chauffeur hat sich offenbar den einen oder anderen Jason Bourne Action-Knaller reingezogen, denn er entschliesst sich, erstmal auf der falschen Spur zu fahren. Das führt zwar zu einigen recht dynamischen Manövern und lautem protestierendem Gehupe, was den Fahrer aber nicht im geringsten zu kümmern scheint. Mich schon ein bisschen, denn auf was muss man sich die nächsten Stunden einstellen?

 

Haus auf dem Dach

Die Fahrt dauert nicht allzu lange, denn nach einer halben Stunde sind wir immer noch in Leh, denn in mehreren Stops in irgendwelchen Hinterhöfen wird ein halbes Haus aufs Dach geladen. Holzlatten, Metallrollen, Werkzeuge, weitere Gasflaschen, Zementsäcke und weiss der Henker noch was. Der Luftwiderstand muss gigantisch sein.

Es gibt mit Ausnahme der allgegenwärtigen Busse keine öffentlichen Verkehrsmittel in Ladakh. Alles, Menschen, Tiere, Material, Nahrungsmittel, und alles andere, was irgendwo gebraucht wird, kann nur mit Bussen oder allenfalls Lastwagen transportiert werden. Die wenigesten Einwohner besitzen ein eigenes Auto, jede Bewegung von A nach B geschieht also in den meisten Fällen mit Bussen. Kleinen, mittleren, grossen, alten, neuen und solche wie meiner in einem Zustand, der Böses erwarten lässt …

 

Stopps
Viele Stopps an vielen Orten
Houses on the roof
Halbe Häuser auf dem Dach

Es ist eng und fröhlich

Meine Mitfahrer sind nicht im Geringsten angespannt, nicht mal die waghalsigen Fahrmanöver des Drivers sind Anlass zur Unruhe. Man ist sich hier einiges gewohnt, und so stelle auch ich den inneren Hebel auf Entspanung und harre der Dinge, die da kommen werden.

Mit Ausnahme von Chin und mir sind alle Passagiere einheimisch. Sie haben eine gute Zeit, es wird geplaudert und gelacht, und man scheint trotz der extrem beengten Verhältnisse grossen Spass an der Fahrt zu haben. Und falls noch jemand an der Strasse eine Mitfahrgelegenheit sucht, wird er bestimmt nicht enttäuscht, denn irgendwo findet sich mit Sicherheit noch ein unbesetzter Quadratzentimeter.

Die Stimmung bleibt die ganze Fahrt über fröhlich. Lautes Lachen und Geschnatter sind die stetigen Begleiter, während vor dem Fenster die Landschaft vorbeihuscht. Ich fahre die Strecke bereits zum zweiten Mal, und trotzdem kommt sie mir unbekannt vor. Die Bilder zerfliessen ineinander, Hügel – gelbe, braune, schwarze, violette, und Berge, weiss gekrönt, von majestätischer Pracht und beunruhigender Grösse. Dazwischen der Indus, manchmal ruhig gleitend, eine irritierende Arglosigkeit vorgebend, im nächsten Augenblick zum wilden Biest mutierend.

packed bus
Zwar eng, aber das stört niemanden

Likir

Ein paar Stunden später – der Bus hat alle Pässe und Kurven mit zwar beängstigend quietschenden Bremsen geschafft, aber immerhin – geschieht das gleiche mit den Passagieren und dem Haus auf dem Dach, einfach umgekehrt. Der Bus quält sich zu den unmöglichsten Dörfern hoch, manchmal lediglich aus zwei, drei Häusern bestehend, irgendwo in verwunschenen Tälern, um das Material, zwar in Raten, wieder loszuwerden. Und auch die Leute verlassen uns, und irgendwann sind wir sozusagen die letzten Mohikaner im Bus.

Es ist Abend geworden, wir erreichen Likir, und es gilt ein Guesthouse zu finden.

Der Busdriver kennt sich im Dorf aus, natürlich auch diejenigen Etablissement, wo er die höchsten Provisionen erwarten darf. Und so landen wir – zwar etwas oberhalb des Dorfes – im Dolker Guesthouse. Es entpuppt sich als ungemein angenehmes Hotel, wo man sich sofort wohl fühlt.

Our guesthouse
Unser Guesthouse – ebenso angenehm wie interessant

Teil der Familie

Ein Guesthouse unterscheidet sich in Nichts von einem sogenannten Homestay, also einem privaten Anbieter von Übernachtungsangeboten. Das Schöne dabei ist, dass man sozusagen Teil der Familie ist, im gleichen Raum isst und sich mit den Grosseltern zu unterhalten versucht, während die beiden Kids des Hauses mit kleines Fahrrädern wie die Wilden in der Stube herumfahren.

Dabei sitzt man auf den hier üblichen Sitzen am Boden vor den niedrigen kleinen Tischen und weiss beim besten Willen nicht wohin mit den Beinen. Schliesslich wird das Essen serviert, heute Abend Momos, diesmal aber nicht mit Ziegenfleisch gefüllt (so hoffe ich). Auf jeden Fall mundet das Essen ungemein, und die Stimmung ist einfach wunderbar. Die Herzlichkeit der Ladakhis ist herzergreifend, und einmal mehr merkt man, wieviel wir in unserer eigenen Welt verloren haben.

Cycling in the living room
Die Tochter des Hauses beim Fahrradfahren im Wohnzimmer

Kommunikation trotz sprachlicher Grenzen

Man wird sich kaum über die Relativitätstheorie unterhalten können, aber irgendeine Kommunikation ist trotz der sprachlichen Grenzen immer möglich. Das ist das Faszinierende. Wir verstehen kein Wort Ladakhi oder was immer die Leute sprechen, und umgekehrt beherrscht gerade mal die Hausherrin ein paar notwendige Brocken Englisch. Und trotzdem erfahren wir viel. Man unterhält sich mit Händen und Füssen, man beobachtet, stellt Thesen auf, was da genau geschieht, zieht Schlussfolgerungen und hat am Ende einen einigermassen sinnvollen Einblick in eine andere Welt gewonnen. 

Mehr braucht es nicht, um zu verstehen, dass wie alle eins sind …

Chin - reading
Chin beim Studium des Travelguides, mit Überraschungen

Geographische Entdeckungen

Chin ist eine spannende Gesprächspartnerin, und einmal mehr ist die Erkenntnis eindrücklich, wie sehr man von Vorurteilen geleitet wird. Sie erzählt von ihren Sorgen, vom unerträglichen Stress an ihrem bisherigen Arbeitsort. Sie hat den Job trotz guter Verdienstmöglichkeiten gekündigt, will sich nun in Ladakh darüber klar werden, wohin der Weg führen soll. Immer wieder erstaunlich und Augen öffnend, wenn man hinter die Kulissen einer vermeintlich homogenen Kultur sehen kann.

Weniger erstaunlich dann, als sie in meinem Führer entdeckt, dass China tatsächlich einen Teil von Ladakh besetzt hält. Offenbar kein Thema in der Geographiestunde …

Und dann Rückzug ins Zimmer, in den Schlafsack, in die Träume von den morgigen Anstrengungen …

 

PS Song zum Thema:  Billy Talent – Surprise Surprise

Und hier geht die Reise weiter … mit dem Tag 1 auf dem Baby Trek

 

Ladakh/Rajasthan

Klöster in Ladakh – Direkter Draht zum Himmel

In Ladakh wird man permanent von einem Gefühl eingeholt.

Es scheint, als wäre man aus der Zeit gefallen, man nennt das eine Dischronie. Einen Augenblick ist man in einer Zeit gelandet, die längst vergangen ist (ein Gefühl, das mir aus Burma bekannt ist), Doch das Jetzt macht sich bemerkbar. Mönche, in Roben gekleidet, die gleichen wie vor tausend Jahren, in der Hand ein Handy. Für sie ist diese asynchrone Welt kein Problem, Ich hingegen spüre gelegentlich ein Gefühl des Gespaltenseins, als wäre ich aus meiner eigenen Zeit gefallen und in etwas gelandet, was nicht mehr ist.

Mal sehen, ob sich diese merkwürdigen Gefühle auch heute – oder besonders heute – einstellen, denn heute werde ich einen Trip zu den berühmtesten Klöstern unternehmen und leiste mir zur Abwechslung einen eigenen Driver (dessen Namen ich mir beim allerbesten Willen nicht merken kann) mit Minibus.

 

Trip to monasteries
Kloster-Trip nach Lamayuru

 

Fahrt mit Rundblick

Am Anfang ist alles wunderbar. ich sitze vorne mit prächtigstem Rundblick. Wir fahren einige Zeit dem Indus entlang, der hier bereits seine 800 Kilometer auf dem nassen Buckel hat und einen ziemlich kraftvollen gefährlichen Eindruck macht. Entlang des Flusses gibt’s etwas Grün, ein paar Bäume, manchmal sogar etwas wie Wiesen, doch darum herum eine einzige tote Wüste.

 

The Indus
Der Indus – nach mehr als 800 Kilometern

Langezogene kahle Hügel gehen abrupt in schartige Hänge über, die Farben wechseln von Minute zu Minute, von Dunkelbraun zu Ocker zu Gelb, dann wieder zu grauestem Grau und dunkelstem Schwarz. Am Horizont streckt der Sechstausender Stok Kangri seinen schneebedeckten Kopf in die Wolken.

 

Stok Kangri
Stok Kangri

 

„After Whisky Drive is risky“

Alle paar Kilometer werden die Autofahrer auf die besonderen Gefahren auf der Strasse hingewiesen. Es sind grosse, von weitem sichtbare Tafeln mit witzigen Sprüchen, die Schrift ist klar und unmissverständlich. Mein Fahrer zuckt nur die Schultern, als ich ihn lachend darauf aufmerksam mache.

„Nobody cares about it“, behauptet er. Auf meine Bemerkung, dass in Indien jedes jahr weit über 100’000 Leute im Strassenverkehr sterben, verzieht er bloss das Gesicht. „Nobody cares“, wiederholt er störrisch.

Dabei sind die Sprüche wirklich witzig. Das muss man sich mal vorstellen: irgendwo in einem verstaubten Büro in der Provinz Jammu/Kaschmir sitzen würdevolle alte (oder auch dynamische junge) Inder, denken sich Sprüche aus und lachen sich dabei krumm.

„Life is short, don’t make it shorter!“

Oder eben – „After Whisky, drive is risky!“

Ich hätte mir dei Sprüche aufschreiben sollen, so sind leider nur ein paar wenige im Gedächtnis geblieben.

Es ist lange her, seit ich Ähnliches im Kaschmir gesehen habe. Ich kann mich noch gut an „Be gentile on my Curves“ erinnern, aber der beste von allen bleibt für alle Ewigkeit „Death lays its icy Hands on Speed-Kings“. Einmal mehr – sowas gibt’s – wie so vieles andere – nur in Indien!

 

Jetzt wird’s ungemütlich

Und dann, nach einer guten halben Stunde, ist’s aus mit der gemütlichen Fahrt, jetzt wird’s richtig heftig. Die Strasse führt zum ersten Mal steil hinab in ein durch den Indus in den Felsen gefressenes Tal (was den Driver nicht aus der Ruhe bringt, der Boden unter meinen Füssen aber ziemlich malträtiert wird).

Sozusagen ein erster Härtetest für die geplante Fahrt von Leh nach Manali auf einem der gefährlichsten Highways der Welt. Ich bin gewarnt.

 

Along the river

Sometimes a green spot

... an overhanging rock wall

The Waste Land

Die Gegend entspricht einer menschenleeren Mondlandschaft, einer verwüsteten, toten Welt. Das erinnert mich an das berühmte Gedicht The Waste Land von T. S. Eliot. Teil 1 The Burial of the Dead fängt wie folgt an:

April is the cruellest month, breeding

Lilacs out of the dead land, mixing

Memory and desire, stirring

Dull roots with spring rain.

Winter kept us warm, covering

Earth in forgetful snow, feeding

A little life with dried tubers.

Einmal im Leben möchte ich in der Lage sein, einen einzigen Satz so zu schreiben.

Breeding Lilacs out of the dead Land.

Einfach unglaublich. Und unglaublich schön … Jedes Wort eine Kostbarkeit.

 

strange colours

rugged mountains and hills

Indus between rocks and stones

Der Verkehr ist erstaunlich dicht, Truck um Truck auf dem Weg von Srinagar nach Leh.

Abgesehen von der Gefährlichkeit der Strasse (keine Leitplanken, hunderte Meter senkrecht in die Tiefe, entgegenkommende Fahrzeuge) ist die Aussicht spektakulär. und wie immer in solchen Momenten ergibt man sich am besten der Situation und lässt sich entspannt in den Sitz zurücklehnen und geniesst das Schauspiel.

 

Strategische Route für die indische Armee

Die Strasse führt von Leh nach Srinagar im Kaschmir und bedeutet deswegen eine strategische Route für die indische Armee.

Was sich auch ziemlich schnell bemerkbar macht: unendlich lange Wagenkolonnen von indischen Armeefahrzeugen blockiert über Kilometer die Strasse; sogar die nicht zu unterschätzenden Überholkünste meines Fahrers vermögen hier wenig auszurichten, im Gegenteil: an einer scharfen Kurve kurz nach einer Brücke bricht der Verkehr vollständig zusammen.

Ein entgegenkommender Militärkonvoi versperrt durch ein Pannenfahrzeug den Weg, und so warten wir halt, ganz nach indischer Art vollkommen gelassen auf die Weiterfahrt. Man unterhält sich mit den Soldaten, sofern sie englisch sprechen, und denkt sich dabei einiges. Was für arme Schweine, die in dieser Einöde Dienst machen müssen!

 

Checkpoint

Traffic Jam in nowhere land

Das Moon-Valley

Irgendwann geht’s dann doch weiter und über hundert bestehenden Brücken und solchen im Bau, nach zehntausend Kurven erreichen wir das Moon-Valley und gleich darauf die erste Destination, das Kloster Lamayuru.

Das Moon-Valley verdankt seinen Namen sehr eigenartig aussehnden Felsformationen, seltsam gerundeten weissen Kegeln und Wülsten, die sich total von der Umgebung unterscheiden.

 

Mars or something like that

all kind of colours

 

Das Kloster Lamayuru befindet sich wie die meisten auf einem hohen Felsen, zu dem man über viele enge Kurven hochfahren muss. Überraschenderweise sind wir fast die einzigen Besucher an diesem grauen Tag, was uns Gelegenheit gibt, das Innere der Gompa, der eigentliche Name für die Klöster, in aller Ruhe inspizieren zu können.

 

Monastery Lamayuru
Das Kloster Lamayuru hoch auf dem Felsen

The entrance to the monastery

Von jetzt an gilt es also, alle paar Augenblicke die Schuhe auszuziehen, in achtungsvoller Stille durch die Räume zu gehen und ob der unglaublichen Schönheit der hier aufbewahrten Schätze die Sprache zu vergessen.

Nicht unähnlich der katholischen Kirche scheinen auch die Klöster durchaus ein Gefühl für Reichtum zu haben. Der Fahrer klärt mich auf, dass ganze Wälder (von denen es ja nicht allzu viele gibt) den Klöstern gehören. Ich weiss zwar nicht, ob das immer noch der Fall ist, aber der den Klöstern gehörende Boden wurde an landlose Bauern verpachtet und entsprechend ein horrender Pachtzins eingezogen.

Das kommt uns doch ziemlich bekannt vor, nicht wahr?

 

Forms and colours

the inner sanctum

Gods and Power

Gods in bad mood?

Einblick ins tägliche Leben

Für jemanden aus dem reichen Westen ist es immer wieder ein zwiespältiges Gefühl, die ärmlichen Lebenswelten anderer Länder zu erfahren. Ein Gefühl der Scham stellt sich ein, aber auch der Hoffnungslosigkeit, der Hilflosigkeit gegenüber der täglichen Mühsal dieser Menschen. Sie kennen nichts anderes, sind sich daran gewöhnt, aber genügt das, um sich wieder in die wohlige Gewissheit des eigenen Lebens zurückziehen zu können? Natürlich nicht. Und jeder einigermassen verantwortungsvolle Traveller wird zumindest das dumpfe Empfinden eigenen Versagens mitnehmen.

Aber trotzdem ist der Einblick ins tägliche Leben der Menschen nicht nur bedrückend. Die Häuser sind einfach und billig gebaut, aus Lehm und Steinen und allem, was die karge Umwelt zur Verfügung stellt. Die Behausungen gleichen manchmal zerfallenden Ruinen, Dächer fehlen oder Mauern oder sind in sich zusammengestürzt. Aber das Leben ist da, auch wenn es im Moment nicht sichtbar ist, Ich würde gerne einen Blick ins innere der Häuser werfen, käme mir aber wie ein Eindringling vor. Aber wir sind eh Eindringlinge. Wir sind da, wo wir eigentlich nichts zu suchen haben. Wir sind nicht besser als Zoobesucher, die mit staunenden Augen vor den Käfigen der willden Tiere stehen.

 

Stone houses beyond the monastery
Behausungen unterhalb des Klosters
lifeless atmosphere
Niemand da, aber das Leben findet statt

Looks like an earthquake has hit

Zwei zähe alte Ladies

Aber es gibt einen schmalen Durchgang, der hinunter zu den Häusern führt. Man fühlt sich ins Mittelalter versetzt. So stelle ich mir die schmutzigen, stinkenden Gassen der Dörfer und Städte im mittelalterlichen Europa vor. Und in gewissen verarmten Gegenden in Gebirgstälern sieht es immer noch genauso aus.

Doch dann treffe ich auf zwei würdevolle alte Ladies. Sie sitzen auf dem kalten Boden, an die Mauer gelehnt, Gebetsketten in den Händen. Die eine der beiden trägt eine dunkle Sonnenbrille, das Gesicht auf der Vorstufe zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Wir tauschen Grussworte aus, die universell gültige Möglichkeit, eine Kommunikation herzustellen. Doch dabei bleibt es. Wir betrachten uns gegenseitig, lächeln, wissend, dass sich die zwei Welten ganz nahe und trotzdem ganz fern sind.

 

Medieval impressions
Wie im Mittelalter
old ladies
Meine liebsten alten Damen – ein Bild für die Ewigkeit

Der schäumende Indus und Momos

Anyway, wir haben in Lamayuru den entferntesten Punkt erreicht, fahren also wieder zurück, einmal mehr den schäumenden Wellen des Indus entlang (der sich irgendwo mit dem Zanskar-Fluss zusammenschliesst und dann den Weg Richtung Kaschmir und anschliessend gegen Süden durch Pakistan nehmen wird).

 

 River Rafting

In der Zwischenzeit ist es Mittag geworden, der Hunger meldet sich, und mein Driver stoppt vor einem unscheinbaren Gebäude, wo es seiner Meinung nach die besten Momos in ganz Ladakh geben soll. Nun denn, warum nicht. Dass die Füllung allerdings aus Ziegenfleisch besteht, ist eine Überraschung, die ich zuerst verdauen muss. Ich erinnere mich an Mui Ne und ein Ziegengericht, dass mich ziemlich schnell aus dem Restaurant vertrieb. Aber es schmeckt gut, und das sehr schüchterne Mädchen, das uns das Essen serviert, bekommt ein paar Komplimente, die es erröten lässt.

 

Alchi

Alchi, ein weiteres Kloster, ausnahmsweise nicht auf einem Felsen, sondern mitten im Dorf gelegen.

Eigentlich ein trauriger Anblick, denn viele der Malereien sind massiv beschädigt durch einfliessendes Wasser, durch Luftverschmutzung, durch Sorglosigkeit. Es ist nicht mehr in Betrieb, nur noch ein paar Mönche aus einem nahegelegenen Kloster sorgen für etwas Verwaltung, sprich einziehen der Eintrittsgebühr.

Eigentlich wäre eine indische Institution für den Erhalt zuständig, davon merkt man allerdings nicht viel. Eine der mit wirklich ausserordentlichen Malereien bedeckte Wand hat irgendein Dilletant versucht, in ebensolcher Kunstfertigkeit zu übermalen, was allerdings massiv in die Hose gegangen ist. Schade. Das ist die Art und Weise, wie man uralte Kunstwerke verfallen oder zerstören lässt (nicht immer braucht es den IS oder die Taliban dazu).

 

Souvenir stalls in Alchi
Das Kloster ist schlecht erhalten, aber die Souvenirstände sind top

Entrance to the monastery

Likir

Likir, das letzte Kloster auf unserer Fahrt, in einem Nebental gelegen, entpuppt sich als besonderer Leckerbissen. Hier merkt man das Leben, hier sind zahlreiche Mönche zugang, die sich der Erhaltung dieses Klosters besondere Mühe geben. Und der Blick von der obersten Zinne in die Umgebung ist atemberaubend.

Man nähert sich dem Kloster langsam und gemächlich, erkennt von weiterm die Umrisse des mehrstöckigen Gebäudes, das goldene Glitzern des riesigen Buddhas. Und ringsherum, einmal mehr, graue, braune, düstere Felsen machtvoll in ihrer toten Präsenz.

 

Stupas on the road to Likir
Stupas säumen den Weg hinauf zum Heiligtum
getting nearer - the monastery
Und dann beim Näherkommen, das Kloster in all seiner Pracht

Der Blick ins Tal hinaus gibt die Richtung an, die ich übermorgen am ersten Tag des Treks folgen werde. Es sieht noch wunderbar und angenehm und verlockend aus. Mal sehen, ob es so bleibt …

 

Entrance
Der Eingang zum Inneren des Klosters

Eine Sammlung göttlicher Pracht

Aber dann das Innere – eine Sammlung erhabener tibetischer Kunst, die das Auge betäubt. Man glaubt, flüstern zu müssen, macht vorsichtig und lautlos einen Fuss vor den anderen, bleibt stehen, staunt, fassungslos.

Angesichts der drohenden Klimakatastrophe erhält eine umstrittene Ansicht Auftrieb. Hat es die Menschheit verdient zu überleben, oder wäre es besser, sie würde auf Nimmerwiedersehen verschwinden, als hätte es sie nie gegeben? Es gibt nicht nur Mozart und Beethoven, Picasso und Jackson Pollock, James Joyce und Tolstoy und all die anderen, die der Menschheit etwas hinterlassen haben, das sie über alles andere erhebt. Die der Menschheit ein Zeugnis hinterlassen haben, dass der Mensch – wie es John Steinbeck in „East of Eden“ formulierte – bedeutender ist als ein Stern.

Auch diese Kunstwerke hier in diesen abgelegenen Klöstern, von unscheinbaren Mönchen vor langer Zeit geschaffen, geben Zeugnis davon ab, dass der Mensch in all seiner Jämmerlichkeit mehr ist als es die Gegenwart zu zeigen glaubt.

 

Colours and shapes
Betörende Farben und Formen
The inner sanctum
Man fühlt sich klein und unbedeutend
Buddha in the sanctum
Auch er ist da, in all seiner Pracht
Roof of the sanctum
Jede Kleinigkeit ist ein Kunstwerk

Der Buddha auf dem Dach

Aber nicht nur das Innere gibt Einblicke in die besondere Bedeutung des Klosters. Auf dem Dach (oder ist es die oberste Etage?) sitzt ein gewaltiger Buddha, golden bemalt, mit dunkelblauer Haarkrone, wie ich sie noch nie gesehen habe. Sein Blick aus den halbgeschlossenen Augen wie gewohnt in der Ferne, in einem zukünftigen Leben im Nirvana ohne die ewige Wiederkehr. Man beneidet ihn fast ein wenig …

 

Buddha on the roof
Der Buddha – für einmal auf dem Dach sitzend

Müde und erschlagen

Die Batterie ist leer, der Kopf ist voll, das Herz läuft über ob all der Pracht. Es ist Zeit, nach Hause zu fahren und durchzuatmen. Wir sind ruhig geworden, der Driver kennt das Verhalten seiner Kunden, wenn die Energie erschöpft ist. Der Weg ist lang, aber nicht mehr mühsam, nur noch ein Abrollen der Kilometer, hin und wieder ein Blick auf andere Klöster hoch oben auf den Hügeln …

 

PS Song zum Thema:  Bang Gang – Sacred Things

Und hier geht die Reise weiter …