Angezeigt: 1 - 2 von 2 ERGEBNISSEN
Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Bäume aus dem Mittelalter

Der Hotelmanager verliert in Sekundenschnelle seine überfreundliche Contenance, als ich ihn beim Check-out auf die nicht-vorhandene Wifi-Unterstützung in den Hotelzimmern anspreche. Er stottert was von technischen Problemen, von Aufwand und Kosten. Ich weise ihn auf mögliche Repeater hin, aber davon scheint er noch nie was gehört zu haben.

Wieder mal ein Beispiel, wie Dummheit und Profitgier den Ruf unserer hochgelobten Hotellerie und Gastronomie ad absurdum führen. Wifi in einem Kongresshotel? Wofür auch!

Ich schenke ihm zum Abschied einen mitleidigen Blick, den er mit grimmig verzogenen Mundwinkeln quittiert.

 

Die längste Sitzbank der Welt

Ist mir gestern vor lauter Halbzeit-Feierlaune gar nicht aufgefallen – hier steht mit 38,03 Meter doch tatsächlich die die längste, aus einem Stück gefertigte Sitzbank der Welt.

 

The longesr bench of the world, cut from one single tree

Der Sinn und Zweck entgeht mir zwar wie meistens in solchen Angelegenheiten, aber der Eintrag im Guiness Buch der Rekorde hat sicher eine Rolle gespielt. Wenn ich ehrlich bin, finde ich dieses komische Streben nach den absurdesten Weltrekorden einfach nur… absurd.

„Die grösste Pizza der Welt. Der längste Bart der Welt. Die meisten Menschen in einem Auto.“

Da passt doch die längste Sitzbank der Welt perfekt hinein. Seltsamerweise (oder nein, eigentlich klar) sind die Schweizer überdurchschnittlich oft vertreten in diesem Buch der Rekorde.

Na ja, auf jeden Fall soll hier jeweils Anfang August die weit herum bekannte Lüdern-Chilbi stattfinden, da gibt es zumindest genügend Leute, die eine Sitzgelegenheit suchen.

Klinge ich heute etwas zynisch?

Kann sein, denn ausgerechnet zur Halbzeit schmerzt heute Morgen so ziemlich alles. Es gibt offenbar Muskeln und Sehnen und allerlei anderes, was mir bis jetzt unbekannt war. Und schmerzen kann. Aber das gibt sich. Eine halbe Stunde marschieren, und alles ist gut.

 

Tatsächlich ein bedeckter Himmel?

Ich traue kaum meinen Augen, als mir der Blick aus dem Fenster doch tatsächlich einen bedeckten Himmel zeigt. Wo zur Hölle ist das strahlende Blau geblieben, die kleinen verspielten Wölkchen, die brennende Sonne?

Und sind das tatsächlich ein paar düstere Schleier, die langsam und stetig am Himmel vorüberziehen?

 

Clouded sky - change of weather?

Anyway, auch heute steht ein überaus angenehmer Weg vor mir, auch wenn ich einmal mehr eine alternative Route nehmen muss. Das Hotel auf der Moosegg war ausgebucht, und weit und breit kein Ersatz zu finden. Die Lösung liegt in Signau im Roten Thurm. Auch gut.

Im Herzen des Emmentals führt die Route über einen langen Bergrücken mit verstreuten Bauernhöfen und viel Aussicht hinunter ins breite Tal der Grossen Emme, dann hinauf zur ebenfalls aussichtsreichen Moosegg.

Alternative:  Länge: 17 km, Aufstieg | Abstieg: 740 m | 1165 m, Wanderzeit: 7 h

 

From Lüdernalp to Signau

Ehrlich gesagt, ist mir das Wetter schnuppe, ich nehme, was kommt. Immerhin ist es mir in den letzten Tagen ja weiss Gott wohlgesonnen gewesen.

 

Lüdernalp disappers in the maze

Die Lüdernalp samt inkompetentem Manager bleibt im knappen Morgenlicht zurück, für einmal bedauere ich den Abschied nicht. Die Blumenpracht rechts und links des Weges muntert die Stimmung im Nu auf, und die positiven Gedanken sind zurück.

Die Natur spiegelt, man kann sich der Schönheit nicht entziehen. Wer durch diese Pracht geht und dabei negative Gedanken zulässt, sollte zuhause bleiben. Wenn schon, dann sind am besten gar keine Gedanken empfehlenswert.

 

My constant companions

 

Ein weiser Mann

Fernando Pessoa, einer der wichtigsten Dichter in portugiesischer Sprache und zu den bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts gehörend, war zu Lebzeiten beinahe unbekannt geschweige denn anerkannt.

Man kann in seinem wichtigsten Werk „Das Buch der Unruhe“ gelegentlich blättern (niemand liest es von vorne nach hinten), in den zufällig ausgesuchten Kapiteln versinken und sich zum hundertsten Mal fragen, warum ein derart weiser Mensch unbekannt und unbeachtet blieb.

Er schrieb am 21.6.1934: Sobald wir die Welt als eine Illusion und ein Trugbild betrachten, können wir alles, was uns widerfährt, als einen Traum ansehen, als etwas, was zu sein vortäuschte, weil wir gerade schliefen.

Nun, wenn das, was mich auch heute umgibt, lediglich eine Illusion, ein Trugbild, ist, dann hat der Illusionist gut gearbeitet. Ich komme mir zwar alles andere als schlafend vor, aber vielleicht gehört das gelegentliche Schnaufen bei steilen Aufstiegen zu einem Alptraum.

Aber es erinnert an Buddhas Weisheiten:

Verblendung oder Täuschung oder Illusion, die uns die Welt nicht so sehen lässt, wie sie ist, sondern wie wir sie sehen wollen oder fälschlich gelernt haben, sie zu sehen. Einige Gelehrte behaupten, das ganze Leben sei eine große Illusion.

Passt doch, nicht wahr?

 

cross by the wayside

 

Kreuze und fromme Sitzbänke

Wieder erinnern Kreuze am Weg an Verstorbene, man schweift einen Augenblick lang weg vom Leben, doch dann geht der Schritt vorwärts, die Gedanken ändern sich, verweilen bei einer Sitzbank, in deren Lehne ein frommer Spruch eingebrannt ist.

Man merkt den religiösen Hintergrund der Gegend.

 

Bench with religious saying

 

Ein Baum und ein Landeplatz

Aber dann taucht ein riesiger Baum auf, alles nur noch reinste Natur in all seiner Kraft und Schönheit.

Das wäre doch ein Baum, wo Tiburon nach seinem Sturzflug hätte landen können.

Viel später, als das Erinnerungsvermögen langsam und bruchstückhaft zurückkehrte, erinnerte er sich an diese plötzliche Stille, das Ächzen der Stangen und an den Boden, der mit erschreckender Geschwindigkeit auf ihn zugerast kam. Sein Jungfernflug war zu einem bizarren Totentanz geworden. Der Gleiter taumelte auf eine Gruppe Bäume zu, und im letzten Moment gelang es ihm, die Beine hochzuziehen, bevor er mitten ins ausladende Geäst eines riesigen Ahorns geschleudert wurde.

Der alte Baum schüttelte sich wie ein nasser Hund, dann war es still.

(Ausschnitt aus „Eine Schlange in der Dunkelheit„)

 

huge tree

 

Der Mensch und seine Haustiere

Immer mal wieder tuckert ein Lastwagen vorbei, „Lebende Tiere“ steht angeschrieben. Er ist vollbeladen mit Schafen, ein anderes Mal mit quiekenden Schweinen (die meistens instinktiv merken, dass etwas Ungutes im Gange ist).

Es fällt mir immer schwerer, diese Anblicke zu ertragen. Wird man im Alter dünnhäutiger? Erträgt man das Elend weniger?

Dass man sich im Alter eine dicke Haut zulegt, so quasi automatisch, ist dummes Zeug, im Gegenteil. Man wird durchlässiger, verletzlicher, weicher, vielleicht als Ergebnis der eigenen Lebenserfahrungen. Man schaut genauer hin, reflektiert, blickt unter Oberfläche, erkennt.

Der Mensch hat sich schon immer mit Schuld beladen. Rücksichtslosigkeit, Dummheit, Misshandlung, Gedankenlosigkeit, Kaltherzigkeit. Massentierhaltung. Tiermisshandlungen. Waisenhäuser. Verdingkinder … Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Wenn ich an die Strassenkinder in Kathmandu denke, kommen mir wieder die Tränen, und ich spüre einmal mehr die schmerzhafte Hilflosigkeit.

Ist der Mensch tatsächlich so, wie er manchmal scheint? Kaltherzig, auf den eigenen Vorteil bedacht, rücksichtslos, grausam und brutal?

Da kommt doch die alte Bauernfrau, die schweres Holz auf einen Anhänger lädt, gerade recht. Ich plaudere mit ihr und erhalte ein paar Minuten mehr über die wirkliche Natur des Menschen zu hören, als in jedem Lehrbuch zu finden ist. Sie ist längst pensioniert, allerdings, wie sie lachend verkündet, nur theoretisch, denn sie und ihr Mann müssen auch im hohen Alter zusehen, wie sie finanziell über die Runden kommen.

Sie erzählt das mit heiterer Gelassenheit, und kein einziges Mal ist so etwas wie Bitterkeit auf ihrem runzligen, wunderbar alten Gesicht zu erkennen, auch wenn sie die Ungerechtigkeit ihrer Situation sehr wohl beurteilen kann.

Also, der Mensch ist auch gutherzig, hilfsbereit, freundlich und viele anderes auch. Nicht, dass ich es nicht gewusst hätte, aber es rettet doch gleich meinen Tag …

 

Die höchste Weisstanne der Schweiz

Der Weg führt nun wieder durch einen dichten Wald, den Dürsrütiwald, der sich auf über 900 m ü. M. befindet. Und in diesem Wald wächst seit über 350 Jahren die mächtigste Weisstanne der Schweiz. Rund 57 Meter hoch war sie, bevor ihr der Sturm Lothar 1999 die Krone geraubt hat.

Man muss sich das vorstellen: Höhe 57 Meter, Umfang 4.90, Durchmesser 1.56 Meter, Alter 350 Jahre.

350 Jahre! Was muss die gute Tanne schon alles erlebt haben. Noch vor der Französischen Revolution, vor Napoleon, vor all den Ereignissen nachher erblickte der kleine Schössling das Licht des Waldes. Verrückt! Natürlich gibt es Bäume, die noch viel älter sind, so beispielsweise Methusaleh, eine 4700 Jahre alte Kiefer im Inyo National Forest in Nevada.

Doch ich kann mir vorstellen, dass sich der Wald um ihn herum nicht gross verändert hat. Zahlreiche Tannen und Buchen und Ahorn wuchsen ringsherum und verschwanden wieder. Manchmal tauchte ein Mensch auf, vielleicht spielende Kinder, Holzfäller oder Wildhüter, Füchse und Rehe und Eichhörnchen, später Spaziergänger und Wanderer.

Das alles hat den Baum nicht gekümmert. Nur dann, wenn ein Sturm kam oder schwerer Schnee, dann spürte er die Gefahr, doch erst in Lothar, diesem grausamen Kerl, fand er einen Widersacher, dem er nicht gewachsen war, der seine Krone wollte und bekam.

Man bleibt staunend und bewundernd und gerührt stehen.

 

Across the Dursrütiwald

the tallest white fir in Switzerland a very old story

you cannot see the broken top

sad looking top, broken by a storm

 

Kunstvoll gestapelte Holzbeigen

Und noch eine Merkwürdigkeit (ich wundere mich immer wieder über die unerwarteten Entdeckungen am Wegrand): diese Gegend ist offenbar auch berühmt für ihre Holzbeigen. Keine Ahnung, wer sich soviel Mühe macht, die Holzscheiter in eine Art Kunstwerk zu verwandeln.

Der Wagen mit den beiden Rädern steht nicht etwa vor der Beige, sondern ist ein dreidimensionaler Teil davon. Ich stelle mir die Leute vor, die sich vielleicht lange überlegen, welche Abbildung der zukünftige Holzstoss zeigen soll. Erstaunlich! Manchmal machen mich meine Landsleute hässig, aber immer wieder überraschen sie mich.

Genau dafür sind solche Wanderungen gemacht.

 

the art of stacked firewood

The art of stacked firewood in the Emmental

 

Im Tal der Emme

Und dann erreiche ich den Talboden, das Emmental, mache ein paar Meter durch Emmenmatt und zweige ab. Jetzt würde der Panoramaweg in Richtung Moosegg führen, doch ich wandere nun der Emme entlang nach Signau.

Der Fluss macht hier noch einen harmlosen Eindruck, so wie viele dieser Art. Doch wenn ein Starkgewitter losbricht, entwickelt sich der Fluss in Minutenschnelle zu einem reissenden Monstrum.

 

Emme Emme 2

Emme 3 Emme 4

Ich wandere also frohgemut dem Fluss entlang, Bäume entlang dem Ufer schenken mir gnädig etwas Schatten. Es scheint ein Hündelerparadies zu sein, alle paar Meter kreuzen mich Herr und Hund oder Frau und Hund, und immer werde ich andächtig beschnüffelt und in manchen Fällen als Zeichen beginnender Freundschaft abgeleckt (von den Hunden natürlich, weder von Herr noch Frau).

 

Old bridge over troubled water

Dann dreht der Weg ab auf die andere Seite der Emme, der Übergang ist nicht einfach eine Brücke, sondern ein hölzernes Kunstwerk aus alten Zeiten. Ich nehme an, dass dieser Übergang früher eine  grössere Rolle gespielt hat als heutzutage, aber um dem Kunstwerk die nötige Bedeutung zu geben, gehe ich ganz langsam und andächtig darüber.

Der Rest ist schnell erzählt, via Schüpbach und einen unnötigen Umweg über Wiesen und an Bauernhöfen vorbei, erlebe ich wieder mal den Einmarsch der Gladiatoren. Das Dorf scheint verlassen, oder ist es nur die Sommerhitze des Nachmittags?

Das Hotel ist schnell gefunden, hat allerdings geschlossen, also muss ich dem Herrn des Hauses wieder mal telefonieren (das kennen wir in der Zwischenzeit). Das Haus ist gross und scheint unter einem erheblichen Mangel an Gästen zu leiden.

Der Hausherr, ein junger Herr in den besten Jahren, entpuppt sich schon beim Willkommensgespräch als fanatischer Anhänger der Kryptowährungen, und ist überzeugt, dass sich damit alle Probleme der Welt lösen lassen.

Ich bin zwar skeptisch, kann aber soviel Euphorie nicht viel entgegensetzen. Ausserdem bin ich viel zu müde dazu …

 

Song für einmal nicht zum Thema passend (aber ich bin in Rimini-Stimmung): Fabrizio De André – Andrea

Und hier geht der Pfad weiter … nach Münsingen, wo ich meine Wanderkumpels treffen werde

 

Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Orangegelbe Pracht am Abend

Manchmal, in letzter Zeit öfters, erwache ich am Morgen und bin einen Augenblick lang unsicher, wo ich mich befinde. Das geschieht immer dann, wenn man sich an schnell wechselnden Übernachtungsorten befindet.

Der heutige Morgen ist einer davon: es dauert aber nur einen Moment, bis ich das Dröhnen der Traktoren und Lastwagen erkenne. Klar, Luthern, die steile Strasse neben dem Hotel, wo sich der Verkehr den Anstieg hinauf quält. Diese Art Lärmattacke hat mich auch gestern Abend beim Nachtessen überfallen.

 

Der Geist, dieser störender Geselle

Der Umstand, dass ich heute Abend den halben Weg hinter mir haben werde, bringt ein merkwürdiges Gefühl hervor. Eigentlich müsste ich stolz auf das Erreichte sein, das war ja bisher eine ziemlich lockere Angelegenheit. Aber eben, der Geist ist manchmal ein ziemlich störender Geselle, indem er bereits an das Ende, den Abschied denkt. Das immer gleiche Mantra: Enjoy! Geniesse! Es ist bald fertig passt perfekt dazu.

Aber so ticken wir halt, unfähig, den Moment zu geniessen, im Moment zu verweilen. Viel lieber denken wir an das, was nach dem Genuss kommt.

Ach Gott, so früh am Morgen und schon so philosophisch.

Aber alles hat seinen Grund. Es könnte ja sein, dass ich tief im Unterbewusstsein weiss, dass sich dieses Abenteuer nicht wiederholen lässt. Der Reiz, das Vergnügen, das Glücksgefühl gehört immer zum ersten Mal. Jede Wiederholung ist immer ein Versuch, die Gefühle nochmals zu erleben, etwas Vergangenes noch einmal zum Leben zu erwecken. Das geht nicht.

Und ausserdem kommt dazu, das wissen meine Muskeln und Knochen viel besser als mein hochmütiger Geist, schliesst sich beim Älterwerden ein Fenster nach dem anderen.

So ist das eben. Traurig, aber wahr, würde Georg Danzer singen.

 

Zugegeben, es ist ein Genuss

Ein herrlicher Panoramaweg durch die typischen Hügellandschaften des urtümlichen Emmentals. In stetem Auf und Ab geht es auf einem meist breiten Höhenzug vom Napf, vorbei an kleinen Landwirtschaftsbetrieben, Alpen und durch Wälder zur Lüderenalp.

Der Weg geht stetig auf und ab. Die Begleitung an klaren Tagen: eine grandiose Aussicht auf die Alpen, das Mittelland bis hin zum Jura. Etwa in der Mitte der Strecke liegt die bekannte Oberlushütte. Sie lädt ein zu einer Rast mit Blick auf die verschneiten Wetterhörner. Gestärkt geht es weiter via Geissgratflue zur Lüderenalp, beliebtes Ausflugsziel mit schöner Rundsicht in Richtung Berner Alpen und Jura. Hier steht mit 38,03 Meter die längste, aus einem Stück gefertigte Sitzbank der Welt. Weit herum bekannt ist auch die Lüderen-Chilbi, die jeweils Anfang August stattfindet.

So steht’s im Führer, klingt gut, auch wenn für mich nur ein Teil zutrifft. Denn heute mache ich wohl oder übel den zweiten Teil des ungeplanten Ausflugs via Luthern statt via Napf.

Und so hätte der Tagesplan ausgesehen:

 

From Napf to Lüdernalp

Man erkennt den Unterschied auf unten stehender Karte, aufgezeichnet von meinem Polargerät: der Weg von Luthern via Chrutzi auf den Höhenzug hinauf, wo er wieder auf den Panoramaweg trifft, ist um einiges länger als die originale Route.

Aber ich freue mich auf einen kurzweiligen Trip das Tal hinauf bis Chrutzi, bevor der Weg abzweigt.

Länge: 16 km, Aufstieg | Abstieg: 1050 m | 640 m, Wanderzeit: 6 h 25 min

 

From Luthern to Lüdernalp

 

Ein freundlicher Biker

Bereits auf den ersten Metern der heutigen Route wird klar, dass der Tag wieder so wird wie der gestrige, heiss und anstrengend.

Die ersten Kilometer das Tal hinein führen in langen Kehren der Landstrasse entlang. Immerhin ist der Verkehr dünn, gelegentlich knattert ein Landwirtschaftsgefährt vorbei, der Blick des Bauern geradeaus, als hätte der einsame Wanderer nicht mehr verdient als ignoriert zu werden. Ist mir aber egal, ich fühle mich prächtig, die Luft ist kühl, ein leichtes Windchen weht. Perfekt!

 

Church at Luthern
Auch wenn ein Ort sonst nicht viel hergibt, eine schöne Kirche ist immer da

Ein Biker, wieder mal ein älterer Herr, glaubt mir behilflich sein zu müssen, so zumindest denkt er, und spricht mich an. Er scheint ein aufgestautes Mitteilungsbedürfnis zu haben (kenne ich), denn ich erfahre seine halbe Lebensgeschichte, und so dauert es etwas, bis ich verstehe, was er mir sagen will. Es gibt offenbar tatsächlich einen Wanderweg.

Tatsächlich, bei einem Bauernhaus oberhalb der Strasse führt so etwas wie ein Pfad durch. Nun gut, ich bin zwar nicht überzeugt, dass es viel bringen wird, aber ich mache dem Herrn die Freude, mir geholfen zu haben, und zweige ab. Immer wieder erstaunlich, wie schnell man jemandem eine Freude machen kann, er mir durch seinen Hinweis, ich ihm durch Dankbarkeit.

Was ich befürchtet habe, trifft nach wenigen hundert Metern ein – der sogenannte Wanderweg führt ziemlich genau nach einem halben Kilometer zurück auf die Landstrasse.

 

Der rechte, der mittlere oder der linke

Chrutzi (wieder so ein Name, Hübeli, Chrutzi, wer denkt sich sowas aus?) ist das letzte Dorf oder Dörfchen, bevor das Tal weiter hinten am Napfhang endet. Ob in den fünfeinhalb Häusern mehr als zwanzig Menschen wohnen, bezweifle ich, aber wer Einsamkeit und Ruhe sucht, ist hier richtig.

Man möchte meinen, dass die Abzweigung in Richtung Ober Scheidegg klar sein müsste, aber einen Wegweiser gibt es nicht, also steht man wie der sprichwörtliche Esel vor dem Berg, denn es zweigen tatsächlich drei Wege ab. Die Karte ist etwas ungenau, und so erweist sich die Entscheidung für die mittlere Strasse, die einen besseren Eindruck macht als die beiden anderen, wieder mal als ziemlich falsch.

Der linke Weg ist der richtige. Er macht keinen wirklich appetitanregenden Eindruck, steil, voller Steine und Gräben, und komplett überwachsen von allerhand Gewächs. Einmal mehr die Erkenntnis, dass dieser Weg eine ziemliche Zeit nicht mehr benützt worden ist.

 

This is really a path

Hier muss man sich tatsächlich durch hohes Gras kämpfen, fehlt nur noch eine Machete. Einen Moment lang komme ich mir vor wie Livingstone im Dschungel von Afrika, vielleicht erwartet mich weiter oben Mr. Stanley. „Mr. Landolt, I presume?“

Wie nicht anders erwartet, gibt es auf diesem gottverlassenen Weg keine Sitzbänke, wofür auch? Und so setze ich mich halt am erstbesten Ort hin, es ist nicht wirklich komfortabel, aber immerhin ist die Aussicht wie meistens grossartig. Und wer es noch nicht bemerkt hat – der Himmel ist beinahe wolkenlos, ein paar Schleierwolken in der Ferne. Wenn Engel reisen …

 

View from my picknick place

View down the valley

Irgendwann lichtet sich der Wald, die Strasse wird besser, ein Bauernhof taucht auf, es muss sich um Unterhumbel handeln. Ich lasse die Bemerkungen zu den seltsamen Namen für einmal weg, aber bei Oberhumbel kann ich nicht anders als grinsen.

„Wo wohnen Sie denn?“  „In Oberhumbel, das ist kurz nach Chrutzi und gar nicht weit weg von Hübeli.“ „Wo?“

 

Zurück auf dem Panoramaweg

Der Höhenzug von der Ober Scheidegg bis Oberänzi ist nun ein einziges Vergnügen nach dem anstrengenden Aufstieg. Soll ich nochmals den hohen blauen Himmel erwähnen, der heiter über mir hängt? Oder die leichte Brise, die in den Zweigen der Tannen flüstert? Die Hitze, die manchmal unerwartet durch einen kühlen Luftzug unter den Bäumen gedämpft wird?

Ich muss immer wieder stehen bleiben, es kann nicht sein, dass dieses Panorama nicht die verdiente Aufmerksamkeit erhält. Und so schaut man hinunter und hinauf, nach rechts und nach links, mit leerem Kopf und vollem Herzen.

 

Aber taucht doch tatsächlich ein Wegweiser auf, ich weiss schon von weitem, was es ist, und hallo alter Freund, da bist du wieder, ich habe dich sehnlichst vermisst. Von da an ist der Weg wieder klar und gut und beschildert.

Back on Track!

 

Back on track!

 

Erinnerungen an Gerüche und anderes

Während hinter und unter mir das Luzerner HInterland verschwindet, folge ich der im Führer beschriebenen phantastischen Gratwanderung. Es fühlt sich ein wenig an wie die längst vergangenen Sommerferien in Ahornen im Oberseetal.

Die Wege durch den Wald sind ähnlich, Tannen rechts und links, Gestrüpp und Sträucher, ein unverwechselbarer Duft nach Tannennadeln und Harz streichelt um die Nase. Längst vergessene Bilder tauchen auf, die Nase ist der zuverlässigste Erinnerungsdetektor. Und schon sind die Gerüche aus der Kindheit zurück, sie sind so weit von unserer Gegenwart entfernt, dass die Wahrscheinlichkeit, sie noch einmal geniessen zu können, gegen Null tendiert.

Und natürlich als erster mein Lieblingsgeruch, auch er im Nebel der Vergangenheit verloren – der Geruch in einer speziellen Kiste gelagerten Salzes. In meiner Kindheit kaufte man das Salz noch in der sogenannten Salzwaage, einem kleinen Laden, der ausschliesslich dem Verkauf von Salz diente. Und der ganze kleine Raum war erfüllt mit dem herrlichsten Geruch.

Ich werde ihn nie wieder riechen.

 

Small three-edged cloud in the sky
Eine dreieckige Wolke grüsst aus der Ferne, ein stiller kleiner Tolggen über dem perfekten Gemälde.

Path through forest

 

Dummheit und Überheblichkeit

Manchmal ist der Weg breit wie eine Waldstrasse, dann wieder als schmales Band dem steilen Hang entlang. Der Führer hat recht – man muss vorsichtig sein, einen Fuss vor den anderen setzen, auch harmlos aussehende Abhänge sind tückisch. Die vielen Wanderertoten, deren Anzahl in der Zwischenzeit diejenige der Bergsteiger übertrifft, spricht Bände.

Und ausgerechnet hier, an der dümmsten Stelle, kreuzt mich doch tatsächlich ein Biker. Ich weiss kaum, wohin ausweichen, nicke ihm zu, keine Lust auf eine Unterhaltung, das ist einfach nur ein kopflos dummes Abenteuer.

 

Sometimes a wide and pleasant path ...

... sometimes a steep dangerous path

 

Vielleicht der schönste Abschnitt überhaupt

Morgen werde ich diesen Abschnitt über die Voralpen verlassen und das Emmental erreichen. Wie die nächsten Etappen aussehen, weiss ich noch nicht, aber die Karte zeigt eine andere Topologie. Eines weiss ich aber ganz genau, dieser Tag bereitet mir unerschöpfliche Freude. Ich kann mich nicht erinnern, je soviele wunderbare Stunden durch so grossartige Gebiete gewandert zu sein wie heute.

Die folgenden Bilder zeigen, was ich meine.

 

Just fun along the path In between across a bridge ... .... beneath trees ... ... and other hills ... ... across small houses ...... and across strange round hills

 

Die Oberlushütte

Schönheit kann ermüdend sein, und so kann ich dem Angebot der Oberlushütte nicht widerstehen. Ausser ein paar debilen Bikern bin ich heute sehr wenigen Leuten begegnet. Hier allerdings scheint sich das halbe Emmental versammelt zu haben. Die meisten sind mit dem Bike hochgefahren, andere mit ihrem hochgetunten SUV. Die wohlgenährten Bäuche verlangen nach PS, nicht nach Wanderschuhen.

Ein junger Herr gesellt sich zu mir an den Tisch, ein Biker natürlich, er erzählt aus seiner Sicht von der Schönheit der Gegend und den wunderbaren Wegen. Ich verkneife mir jede Kritik, wie immer ist alles eine Sache der Optik. Es gibt, wie schon mehrmals erwähnt, keine absolute Wahrheit. Jeder hat seine eigene.

 

Die Lüdernalp, ein Feiertagsbier und zum Dessert ein wahrhaft göttlicher Sonnenuntergang

Die Lüderenalp ist ein bekanntes Ausflugsziel im Emmental mit Rundsicht in den Jura und zu den Berner Alpen. Herrlich liegt auf 1141 Metern das 1890 entstandene Kurhaus, das damals auf Molkekuren und Tuberkulose-Patienten spezialisiert war. 1961 brannte es nieder und wurde durch ein Hotel mit Restaurant ersetzt, das bei Feriengästen und Ausflüglern beliebt ist.

Nach knapp sechseinhalb Stunden taucht die Lüdernalp auf, für einmal eine vergleichsweise mondäne Unterkunft für den bescheidenen Wanderer. Es scheint sich um ein Kongresshotel zu handeln, im Gartenrestaurant haben sich junge Leute versammelt und hören ziemlich gelangweilt den ausgesprochen wichtig klingenden Worten ihres Bosses zu.

Einmal mehr bestätigt sich, dass sich bei mir der zeitliche und vor allem innere Abstand zum Businessleben in den letzten Jahren rasant vergrössert hat. Wenn ich die von Anglizismen strotzenden Ausführungen höre, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ach Gott, wie schön ist es, diese Sprüche nicht mehr hören zu müssen …

Aber der heutige Tag ist ja ein Feiertag – die halbe Strecke ist geschafft. Jedes wohlverdiente Bier am Abend schmeckt mir, aber das heutige natürlich ganz besonders.

 

A beer for halftime celebration

Und dann, als würde auch der Himmel etwas zur Feier beitragen, zeigt der Abend, zu was er fähig ist. Eine blutrote Sonne, umgeben von einem rötlichgelben Schleier, begleitet durch das Gebimmel der Kuhherde unter dem Hotelfenster, versinkt in atemberaubender Schönheit. Es erinnert mich an viele andere Sonnenuntergänge, in Vietnam, in Laos, in Burma.

 

Cows beneath the fading evening

Jeder schöner und kitschiger als der andere, und trotzdem jeder ein Moment für die Ewigkeit.

 

 

Song zum Thema:  Al Green – Love and Happiness

Und hier geht der Trip weiter … nach Signau