Angezeigt: 1 - 2 von 2 ERGEBNISSEN
Trans Swiss Trail

Trans Swiss Trail – Nomadische Gene

Man ist gut beraten, bei der Planung kürzere Etappen vorzusehen. Der Körper braucht Intervalle, in denen er nicht ans Limit gehen muss (was ich eh nicht mache), wo er sich erholen kann, den Akku aufladen darf. Wer diese einfache Wahrheit vergisst, wird es bereuen.

Heute ist eine dieser Etappen. Auf- und Abstieg sind harmlos, die Distanz genau richtig.

Das findet auch der Travelguide:

Gemächlich geht es über die sanften Hügelzüge des Freiburger Mittellandes. Schattige Abschnitte im Wald und offene asphaltierte Abschnitte in Dörfern lösen sich ab. Ein Naturerlebnis ist der Zusammenfluss von Saane und Sense.

Allerdings wage ich die angegebene Dauer in meinem Fall zu bezweifeln. Ich rechne mit 6 oder mehr Stunden. Mal sehen …

 

From Murten to Laupen

 

Multi-Options-Welt

Wie auch immer, das Hotel Bahnhof bleibt zurück in Murten, ein letzter Blick auf das Städtchen, ich werde irgendwann zurückkommen, mit mehr Zeit und Musse. Aber werde ich das?

Es passt doch alles – wir leben in einer Multioptionszeit. Es sind immer und überall und natürlich gleichzeitig eine unendliche Anzahl von Optionen da. Ich könnte anstelle Murtens auch wieder mal ins Engadin oder nach Basel oder wohin auch immer reisen. Ich könnte auch etwas komplett Anderes unternehmen. Reisen. Musik hören (aber was?). Lesen (aber was?).

Vieles bleibt ein frommer Wunsch.

Wir sind Kinder im Spielzimmer, die vor lauter Spielsachen nicht mehr imstande sind, eine Wahl zu treffen. Die Eisenbahn oder doch lieber das angefangene Puzzle? Mit Barbie und Ken spielen oder das neue Hallowin-Kostüm anprobieren?

Wie aiuch immer, der Turm winkt mir zu (vielleicht hat er meine Zweifel erkannt), ich winke zurück. Dahinter der Jura, der Mont Vully, auch sie grüsse ich ein letztes Mal, es war schön bei euch.

 

Last glimpse on Murten, Mont Vully, Jura

Aber dann führt der Weg hügelaufwärts, entlang saftiger Wiesen. Mit wenig Mühe und leichtem Kopf schreite ich voran, vorbei an hässlichen Industriegebäuden, dann wieder am Rand eines dunkelgrünen Abhangs.

Gelegentlich braust eine Gruppe e-Bike bewehrter Herren vorbei. Ihr Tenü sitzt tadellos, farbig und modisch, gar nicht dem eher fortgeschrittenen Alter entsprechend. Sie nicken mir zu, fast mitleidig wie mir scheint, soviel Überheblichkeit in einem einzigen Blick.

Etwas weiter vorne gewahren sie endlich doch noch die Schönheit der Landschaft, man springt wendig vom Rad, ein schnelles Bild oder zwei, dann muss es schnell weitergehen. Irgendein unbekanntes Ziel muss auf sie warten, vielleicht aber – und das wäre schön für sie – ist auch bei ihnen der Weg das Ziel.

So wie bei mir.

 

Just beauty and calm

 

Nomaden-Gen

Manchmal, am Morgen vor dem Abmarsch, wenn ich voller Vorfreude auf die kommenden Stunden und Kilometer schaue, frage ich mich, was den Reiz ausmacht, den ich auch heute wieder verspüre. Dieses Verlangen, immer weiter zu gehen, Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer. während die Welt gelassen vorbeizieht. So stelle ich mir unsere Vorfahren vor, auf dem Weg nach irgendwo/nirgendwo, den Tieren hinterher, kein Heim, kein fester Ort, nur den endlose Weg vor sich, sonst nichts.

Vielleicht ist es etwas Uraltes, ein nomadisches Überbleibsel dieser Urahnen, das die Jahrtausende überlebt hat und nun bei mir etwas aktiviert hat, was still vor sich hingeschlummert hat.

Früher zogen Völker den Wildtieren hinterher, um sie jagen zu können oder wanderten von einem Ort zum nächsten, wenn das Essen knapp wurde. Der Nomadismus ist eine traditionelle Lebens- und Wirtschaftsform, in der Menschengruppen als Wandervölker zusammenleben. Sie sind nicht sesshaft und verweilen mindestens wenige Tage, aber höchstens 20 Jahre an einem Ort. (aus Study Smarter)

Gibt es sowas wie ein Nomaden-Gen?

Ich wäre dankbar dafür.

Along forests ...

Ein Traktor wühlt die eh schon malträtierte Erde auf, der Staub wirbelt, der Motor dröhnt, der Fahrer zieht stoisch seine Geraden, ich bleibe stehen. Was wird hier dem Boden beigegeben? Man ist im Verlauf der letzten Jahre misstrauisch geworden. Sind es Pestizide oder andere giftige Zugaben?

Man fragt sich und will es eigentlich gar nicht wissen.

 

Hard work on the fields

Die Natur kennt kein Erbarmen. Leben und Tod sind nahe beisammen. Der ewige Kreislauf. Werden und vergehen. So wie bei den Bäumen. Die einen überleben, andere, vielleicht die Nachbarn, sterben.

Man weiss es und ist trotzdem seltsam traurig, wenn man die verdorrten Überreste eines einstmalig stolzen Baumes sieht. Sie scheinen sich zuzuwinken, der tote Baum neigt sich dem noch lebenden zu, als wollte er er an sein zukünftiges Schicksal erinnern.

 

Dead tree greets living one

 

Unter dem Apfelbaum

Der Tag ist heiss und wolkenlos. Ich erreiche Liebisdorf, freue mich auf einen Kaffee im lokalen Restaurant, doch es ist geschlossen.

Die Architektur der Häuser und Ställe entspricht nun mehr und mehr dem bekannten Berner Stil. Sie strahlen etwas aus, etwas Gemütliches, Warmes, sowas wie ein Hauch Geborgenheit in dieser kalten Welt.

Beim Emmentaler-Haus  überdeckt ein breites, aufgefächertes Dach den Wohnbereich, die Tenne und den Stall. Das weitausladene Vordach (Ründe) schützt zwar die Fassade, lässt aber im Obergeschoss kaum Licht zu den Zimmern. Der oft zentrale Eingang führt an zwei Stuben vorbei zur Küche. Diese Längsteilung ermöglicht es, von zwei Familien bewohnt zu werden. Der Haustyp im Emmental ist ein Ständerbau, der vorwiegend aus Holz gebaut wird. Das Haus ist ein Vielzweckbau. [aus „Regionaltypische Gebäude in der Schweiz“]

 

Typical Bernese architekture

Das Dorf scheint ausgestorben zu sein, niemand weit und breit, ein Geisterdorf.

Wo sind die Einwohner? Handelt es sich um ein typisches Schlafdorf, wo man eben nur schläft und den Rest des Tages auswärts verbringt? Es macht den Anschein. Diese Dörfer gehören definitiv nicht zu meinen Lieblingen. Alles, was ein Dorf lebenswert macht, fehlt hier, und seien es nur Kinderstimmen, Teenager auf getunten Mofas, Läden oder Restaurants und Spaziergänger auf der Strasse. Schwatzende Frauen an der Haustür.

So stelle ich mir eine leblose Geisterstadt vor, wie Consonno in der Lombardei.

Since a landslide buried the only access road in 1976, Consonno has been abandoned.
Seitdem 1976 ein Erdrutsch die einzige Zufahrtsstrasse verschüttete, ist Consonno verlassen (copyright Tagesanzeiger).

Kein Mäuerchen, keine Sitzbank am Strassenrand, kein Brunnen zu sehen, ich bin aber trotzdem hungrig und möchte irgendwo im Schatten mein wohlverdientes Mittagessen einnehmen. Ein Apfelbaum, noch voll von reifen Früchten, erregt meine Aufmerksamkeit. Ich räume ein Stück Boden frei von verfaulenden Früchten und setze mich ins Gras.

Immerhin bin ich nicht ganz allein unter meinem Apfelbaum, in der Nähe haben sich ein paar Kühe in den Schatten gelegt, während sie gelassen und entspannt zum x-ten Mal ihr Gras wiederkauen. Ich fühle mich ihnen nahe, schon beinahe verwandt, und sei es nur durch das gemeinsame Ziel, in aller Ruhe im Schatten zu sitzen oder zu liegen und etwas zu essen.

 

Cows in the shade

 

Das Naturschutzgebiet Auried

Manchmal erlebt man Überraschungen. Eine davon ist das berühmte Naturschutzgebiet Auried.

Auf dem Weg nach Laupen, das schnell näher kommt, stehe ich unvermittelt an einer Hecke, die ein besonderes Bijou verdeckt. Es muss sich um ein Schutzgebiet handeln, doch erst die Recherche im Internet gibt Auskunft.

Immer wenn ich sowas sehe, bin ich seltsam gerührt. Allein die Tatsache, dass die Kommunen oder der Kanton oder der Staat Geld ausgibt, viel Geld, um ein Stück Natur zu erhalten, produziert Glücksgefühle und für einen Augenblick die Überzeugung, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren ist. Solange sich jemand verantwortlich dafür fühlt, Fröschen und anderem Getier eine Heimat zu verschaffen, kann es Hoffnung geben.

 

Nature reserve Auried 1

Nature reserve Auried 2

Mit Einbruch der Dämmerung versammeln sich an den Weihern des Aurieds ganze Horden kleiner, grüner Quaker. Es sind Laubfrosch-Männchen, die im Frühling – bis gegen Mitternacht – mit geblähter Schallblase lauthals nach paarungswilligen Weibchen rufen.

Eine der grössten Laubfrosch-Populationen der Schweiz hat im Auried sein Zuhause. Die heute sehr selten gewordene Froschart schätzt die gut besonnten Gewässer im ehemaligen Kiesabbaugebiet als Laichplätze. Die Feuchtwiesen mit Einzelbäumen dienen ihnen als Sommerlebensraum. Aber auch andere Amphibien, Watvögel, Libellen und weitere Wirbellose fühlen sich in der strukturreichen Landschaft rundum wohl. Damit dies in Zukunft so bleibt, lässt Pro Natura gegen die Verbuschung Schottische Hochlandrinder weiden. Zudem werden die Flächen mit zusätzlichen Pflegemassnahmen offen gehalten.

 

The Saane shortly before Laupen

Unweit des Aurieds, bereits in der Nähe von Laupen, vereinigen sich Saane und Sense, die arme Sense hört auf zu existieren. Beim Zusammenfluss spielen Kinder, geniessen das heisse Spätsommerwetter.

Der Gasthof Bären in Laupen scheint aus einer anderen Epoche zu stammen, einer längst vergangenen, und wenn es einen Beweis dazu braucht, genügt ein Blick auf mein Zimmer. Es könnte durchaus im letzten oder vorletzten Jahrhundert gewesen sein, draussen fahren Pferdekutschen vorbei, die Männer tragen steife Hüte, die Frauen lange Röcke. Es ist winzig, besitzt weder Toilette noch Dusche noch Lavabo. Egal.

Aber was soll’s – es gefällt mir trotzdem.

 

Am Stammtisch

Vor dem Nachtessen genehmige ich mir das übliche hochverdiente Bier. Die Dame des Hauses setzt mich an einen runden Tisch im Gartenrestaurant, doch kaum habe ich den ersten Schluck genommen, steht eine Dame in den besten Jahren vor dem Tisch und fragt, ob sie sich setzen darf.

Es ergibt sich in kurzer Zeit eine herzliche Unterhaltung, die lediglich unterbrochen wird durch weitere ältere Herrschaften, die sich ebenfalls zu uns setzen. Upps, bin ich hier an einem Stammtisch gelandet? Meine diskrete Frage danach wird positiv beantwortet. Es handelt sich tatsächlich um den Stammtisch dieser Leute, die sich jeden Donnerstag hier treffen. Meine schüchterne Frage, ob ich den Platz räumen soll, wird lachend abgelehnt. Vielleicht bringt der komische fremde Kerl etwas Abwechslung in die Runde.

Cracker barrrel in Laupen

Und so wird der Abend erstens lustig und zweitens mit mehr Alkohol unterstützt, als mir lieb ist. Morgen steht eine lange Etappe bevor, ein Kater ist das letzte, was mir fehlt.

Aber wie gesagt, Abwechslung tut not, ich werde bereitwillig in den trauten Kreis aufgenommen und nach knapp einer Stunde mit dem ersten Kupplungsversuch konfrontiert. Ausserdem überlegt man sich, ob man die letzte Etappe im Tessin nicht gemeinsam absolvieren könnte.

Na denn, was kann mir da noch passieren?

Auf jeden Fall ist es stockdunkel, als ich endlich zu meinem Dinner komme, und es fällt, der Dunkelheit oder meiner Betrunkenheit geschuldet, ziemlich schwer, das Essen zu erkennen. Aber es mundet auf jeden Fall, was immer es gewesen sein könnte …

 

Passender Song: Inspiral Carpets – Two Worlds collide

Und hier geht der Trail weiter … nach Bern, in die Bunderhauptstadt

 

Trans Swiss Trail

Trans Swiss Trail – Die Vollkommenheit des Tages

Man würde meinen, dass ein chinesisches Frühstück aus Reissuppe oder Nudelsuppe besteht, vielleicht noch aus Jiaozi mit Hackfleisch und Chinakohl gefüllt. Oder auch Baozi oder Youtiao. Das hätte mir gefallen.

Aber nichts dergleichen. Man hat sich an die lokalen Essgewohnheiten angepasst und serviert Brot mit Butter und Marmelade und Käse und Schinken. Das Brot allerdings, das muss gesagt werden, ist das beste, was ich seit Monaten gegessen habe. Und das in einem chinesischen Hotel.

Die Wege des Herrn sind wirklich unergründlich.

Anyway, um 9.50 fährt das Schiff ab, ich kann mir Zeit nehmen, würde liebend gerne mit dem Personal auf Mandarin die letzten Gerüchte und Neuigkeiten diskutieren, aber eben, mein Chinesisch beschränkt sich auf Danke und sonst nichts. Schade.

Das Schiff scheint bereit zu sein für die Abfahrt, ich steige ein, freue mich auf die Überfahrt, während mein Herz etwas schwer wird beim Gedanken an den Abschied von Neuenburg, das mir so sehr gefallen hat.

Aber dann geht’s los. Das Schiffshorn tutet und kräftige Dieselmotoren bringen das Schiff in Bewegung.

Ich bin zwar weiss Gott keine Wasserratte, aber solche Überfahrten sind schon eine besondere Freude. Und da, ein riesiger Vogelschwarm, den ich leider nicht einer bestimmten Art zuordnen kann, zieht pfeilschnell knapp über das Wasser der Stadt zu. Sind es Zugvögel, die sich hier sammeln? Keine Ahnung.

 

Bye bye Neuchatel

Last glimpse on the Chaumont

Neuchatel stays behind

 

 

Zwischen Wäldern und Wasser

Auf mich wartet offenbar wieder mal eine grossartige Etappe, gemäss meinem Lieblingsautor und -wanderer Patrick Leigh Fermor ein Weg zwischen Wäldern und Wasser.

Auch der Guide ist begeistert:

Der Neuenburgersee wird mit dem Schiff überquert. Von weitem grüsst der imposante Mont Vully. Der Aufstieg ist steil, aber kurz. Oben wartet eine tolle Rundsicht. Durch den prächtigen Uferwald Le Chablais geht es ins mittelalterliche Städtchen Murten.

 

From Neuchâtel to Murten

Weder Guide noch Fermor haben sich getäuscht – sobald man in Cudrefin das Schiff verlässt, findet man sich auf einem traumhaften Pfad wieder, der mal durch dichten Wald, dann wieder entlang dem See führt.

Es gilt wieder einmal, die Momente auszukosten, langsam zu gehen, der Schönheit ihren Platz und ihre Zeit zu geben. Fernando Pessoa würde von der strahlenden Vollkommenheit des Tages reden. Ich muss ihm zustimmen. Jawohl.

Und so geht der Weg weiter, immer weiter, der Sonne und den Schatten nach, der Vollkommenheit des Tages.

Danach folgt das Naturschutzgebiet des Grand Caricaie. Das Gebiet ist ein wichtiges Zwischenziel für die Vögel auf dem Weg von den nordischen Steppen zu den Küsten Europas und Afrikas. Nirgends in der Schweiz leben mehr Vogelarten als hier.

 

It's just a path, but as every one still a miracle

And then the lake again, with all its splendor

The trees bow to each other (Aragorn to the Hobbits: you bow to noone)

Hanging branches or are they beards of dwarfs?

Und da, mitten im Gehölz, ein besonderer Leckerbissen für Spechte. Für sie muss es wie eine Art Tafelschmaus für Ritter und Prinzessinnen sein. Ich höre in Gedanken das rhythmische Klopfen der scharfen Schnäbel auf das wehrlose Holz. TOK TOK TOK.

Tok tok tok ….

 

A tidbit for woodpeckers

 

Befestigungen, Findlinge und Nüsslisalat

Etwas später verlässt der Weg den Neuenburgersee und zweigt nach Osten ab, von jetzt an dem Broyekanal (Canal de la Broye) folgend. Er verbindet den Murtensee mit dem Neuenburgersee.

Dieser letzte Abschnitt zwischen Murten- und Neuenburgersee wird auch Broyekanal (frz.: Canal de la Broye) genannt. Ein Kanal mit ähnlichem Verlauf wurde schon von den Römern verwendet, unter anderem für den Fernhandel sowie für die Materialbeschaffung zum Bau von Aventicum (Steinbrüche im Jura).

Alle paar Minuten wird die Stille durch das Röhren von kräftigen Aussenbordmotoren durchbrochen. Man wähnt sich irgendwo an der Côte d’Azur, wo sich Millionäre und russische Oligarchen tummeln. Hier sind es wahrscheinlich aber nur ein paar Möchtegern Millionäre, die Boote sind zwar laut und schnell, aber klein und unbedeutend. Alles ist relativ.

 

Roaring boats on the Broye Canal

Noch weiter dem Kanal entlang findet man sich plötzlich vor einer überdimensionierten offenen Halle, in der bei näherer Untersuchung Nüsslisalat angebaut wird. Man könnte meinen, dass die halbe Schweiz damit versorgt werden könnte.

 

Lamb's lettuce for half of Switzerland

Aber der Weg hat weitere Leckerbissen zu bieten.

Beispielsweise, versteckt hinter Gebüsch und Bäumen, ein riesiger Findling, vom Rhonegletscher von der Furka bis hierher transportiert. Er hat eine lange Reise hinter sich, der alte Stein.

Was könnte er uns wohl erzählen? Seit der letzten Eiszeit vor gut 20’000 Jahren ist viel Zeit vergangen. Eigentlich alles Wichtige, was die Entwicklung des Homo Sapiens betrifft, ist in diesen Jahren (ein Augenzwinkern gemessen an der Zeit seit dem Big Bang) geschehen. Was sind wir doch für Wichtigtuer.

Wie gesagt, alles ist relativ.

 

A boulder, originating from far awaym transported here by a glacier

 

Der Mont Vuilly

Doch dann beginnt der Aufstieg zum Mont Vuilly.

Nach knapp eineinhalb Stunden steht man vor dem Mont Vully und verlässt das Naturschutzgebiet. Der kleine Hügel besticht durch seine aussergewöhnlich schöne Lage zwischen dem Neuenburger-, Bieler- und Murtensee. Ein kurzer Aufstieg und man befindet sich bereits oben auf den riesigen Ackerflächen. Im Frühling blüht hier der Raps in leuchtendem Gelb. Der Abstieg erfolgt auf der Südseite. Statt Raps stehen hier in Reih und Glied die berühmten Weinberge des Mont Vully. Chasselas und Pinot Noir sind die wichtigsten Rebsorten des Gebiets. Aber auch Merlot, Chardonnay oder Gamaret werden hier gekeltert. Der Panoramablick über die Ebene und die Alpen im Hintergrund sucht seinesgleichen.

Der Pfad ist manchmal steil und anstrengend, dann wieder leicht und luftig durch schattige Wälder. Und die Aussicht auf den Murtensee ist phantastisch.

 

Up to the Mont Vuilly

Fabtastic view on the Lake of Murten

 

Helvetische Befestigungsruinen

Aber dann. ganz unerwartet (die Geschichte der Helvetier, notabene unsere gemeinsamen Vorfahren, hat sich längst aus meinem Gedächtnis verflüchtigt), eine uralte Befestigungsanlage der Helvetier. Auch nach hunderten von Jahren noch gut erhalten und zeigt, was die damaligen Baukünstler zu bieten hatten.

Ich zitiere aus mehreren Artikeln:

Dort gibt es neben der Aussicht und allerlei Kunst auch ein helvetisches oppidum zu entdecken. Von der befestigten Stadt, die in den letzten zwei vorchristlichen Jahrhunderten rund 50 Hektaren umfasste, ist ausser einer rekonstruierten Wehrmauer aber nichts mehr zu sehen: Die Helvetier hatten ihre Stadt 58 v. Chr. selber zerstort, bevor sie unter dem greisen Fuhrer Divico gegen Casars Legionen zogen und bei Bibracte in Burgund unterlagen.

Der Mont Vully beherbergt ein reiches historisches Erbe. Auf seinem flachen Rücken bestand wahrscheinlich bis zur Auswanderung der keltischen Helvetier um 58 v. Chr. ein Oppidum, dessen Festungswall noch heute gut sichtbar ist. Nach der durch Gaius Iulius Caesar erzwungenen Rückkehr der Helvetier wurde jedoch anstelle des Oppidums auf dem Mont Vully ein neues in der Nähe von Avenches errichtet (im Bois de Châtel).

 

Man steht ein bisschen ehrfürchtig vor den uralten Bauten und versucht sich vorzustellen, wie die damalige Welt ausgesehen haben muss. Eine gewalttätilge Welt (beinahe wie heute), eine Welt, in der nichts sicher war. Wo alles zerbrechlich, gefährdet, bedroht war. Wo der Feind um die nächste Ecke lauerte. In diesem Fall der alte Julius Cäsar und seine römischen Kohorten.

Lange her.

Aber auf der anderen Seite wartet die Gegenwart in Form von weitflächigen Rebbergen.

Der Weinberg von Vully hat eine Gesamtfläche von 152 ha (102 ha im Kanton Freiburg und 46 ha im Kanton Waadt). Die Hauptrebsorten des Vully sind Chasselas (mit 60 % der Produktion) und Pinot Noir (25 %). Der Hauptmarkt für Vully-Weine ist die deutschsprachige Schweiz mit rund 80 % des Verbrauchs, der Rest wird hauptsächlich im Kanton Freiburg verkauft.

Keine Ahnung, ob die diesjährige Trochenperiode Schaden angerichtet hat. Die Trauben sehen auf den ersten Blick gut aus, aber ich bin ja kein Experte.

 

Vineyards at Mont Vuilly

Seems like a good vintage

 

Erinnerungen an die Expo 2002

Nach Sugier folgt der Weg dem Murtensee entlang. Er ist lang, sehr lang, immerhin belohnt er mit immer wieder phantastischen Ausblicke auf den sich im Wind kräuselnden See. Dann wieder versteckt sich der Pfad in dichtem Wald, manchmal ist keine Menschenseele zu sehen, dann wieder ganze Gruppen, die sich offenbar für die reichhaltige Vogelwelt interessieren.

 

Across the Murten lake Lake Murten

Ich bleibe aber erst stehen, als mir ein kleines Gebäude am Ufer ins Auge fällt.

Es erinnert an die Expo 2002, die Schweizer Landesausstellung, die mir immer noch im Gedächtnis geblieben ist. Neben all den wunderbaren Exponaten in Biel und Neuenburg erinnere ich mich vor allem an den verrosteten Monolith, der genau an diesem Platz im See draussen stand.

Ein Anblick für die Götter.

Allen Anstrengungen zum Trotz konnte keine Lösung gefunden werden, den Monolith im Murtensee zu erhalten oder ihn zumindest an einem anderen Ort aufzustellen.

Sehr schade.

 

Expo.02 was the 6th Swiss national exposition - the Monolith

 

Endlich Murten

Jedes Kind kennt diesen Spruch:

Karl der Kühne verlor bei Grandson das Gut, bei Murten den Mut, bei Nancy das Blut.

Ob sich die Geschichte genau so abgespielt hat, bleibt dahingestellt. Aber dass das Städtchen Murten historisch gesehen eine Rolle gespielt hat, ist unbestritten.

Ich bin froh, das heutige Tagesziel erreicht zu haben. Ich bin mal wieder fast zwei Stunden länger unterwegs gewesen als im Guide angegeben. Immerhin erwische ich noch den einen oder anderen Blick auf das alte Städtchen mit seiner reichhaltigen Geschichte.

 

Ascent to the center of town

Old towers face darkness and night

Aber dann genug der Wälder und Wässer und Burgen und Findlinge, alles was mein Herz begehrt, kann mit einer heissen Dusche und einem kühlen Bier gedeckt werden.

 

Passender Song:  Noir Désir – Le Vent nous portera

Und hier geht der Trail weiter … nach Laupen tief im Bernbiet