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Ladakh/Rajasthan

Nubra Valley – Das Tal der Blumen

Mission Impossible im Nubra Valley?

Der letzte Film „Fallout“ aus der Mission-Impossible Franchise mit Tom Cruise spielt gegen Ende im Nubra Valley, was natürlich eine Vorspielung falscher Tatsachen ist. Die Aufnahmen im vermeintlichen Nubra Valley wurden in Norwegen und Neuseeland gedreht. Eine gewisse Ähnlichkeit kann allerdings nicht bestritten werden.

Für uns ist es keine Mission Impossible, kein bedrohlicher Weltuntergang durch die Zündung einer Atombombe, sondern ein gemütlicher Trip entlang des Nubra Valleys, zu den grossartigen Klöstern und später leider, der unvermeidliche Husarenritt zurück über den Khardung La …

Aber von oben sieht das Tal schon ziemlich abweisend aus …

 

The view from space - quite grim world
Der Blick vom Weltall – ziemlich grimmig

 

Hundar

Wir nehmen das Morgenessen standesgemäss im Garten ein, der Duft der Blumen und Bäume kräuselt um unsere Nasen. Der Kaffee ist schwarz und stark, die Toasts knackig, der Orangensaft fruchtig. Nur die Konfitüre ist wie immer ein hinterhältiger Angriff auf die Geschmacksnerven …

Hundar, das Dorf, in dem wir die Nacht verbracht haben, ist eine Oase mit 200 Häusern und rund 1000 Einwohnern. Es ist damit das grösste und wohl auch das schönste Dorf im ganzen Tal. Der Hundar-Fluss versorgt das Dorf mit Wasser, nirgends sonst gedeihen die Apfel- und Aprikosenbäume so üppig wie hier.

 

Valley of the flowers
Das Tal der Blumen – tatsächlich nicht übertrieben

Um neun soll der zweite Teil unseres Trips beginnen. Ein paar Kloster warten auf uns (wir arbeiten massiv an unserem Karma), anschliessend müssen wir die gleiche Strecke wie gestern in umgekehrter Weise nochmals absolvieren. Wir sind alle bereit, es kann losgehen, doch Siddhart, der junge Inder, findet, dass er noch schnell eine heisse Dusche nehmen will (die eine geschlagene Stunde dauert).

Die kulturellen Unterschiede, die sich hier an diesem Beispiel zeigen, sind beeindruckend. Aber wir befinden uns hier in einer anderen Welt, in Siddharts Welt, und wir müssen uns damit abfinden, dass unsere Vorstellungen von Pünktlichkeit und Höflichkeit hier nicht anwendbar sind. Alles andere wäre eurozentrisches Beharren auf unseren Werten.

Immerhin trägt Siddhart einmal, ein einziges Mal, zu unserer Unterhaltung bei, als er uns von seiner Abschlussprüfung beim Schreibmaschinenkurs erzählt, als es mitten im Examen zu einem massiven Erdbeben kam.

„I did a Lot of Mistakes.“

Einfach grossartig. Absolut Monty-Python-würdig …

 

Das Nubra Valley

Die Fahrt durch das Tal der Blumen ist eine Reise der Bilder, ein Video, das ständig mitläuft. Das Auge wird übersättigt durch die wechselnden Sichten. Es ist gefangen in den das Tal umschliessenden Hügeln und Bergen, deren Abhänge in allen Nuancen von grau und weiss und braun in der Morgensonne leuchten. Und leicht und schwerelos darüber schwebend, Wolkenbänder, die gemächlich über den Himmel wandern.

Der Talboden, manchmal kahl und abweisend, dann wieder mit Bäumen und grünen Einsprengseln von Gras, ist flach und durchzogen vom Sheyok Fluss, der offenbar immer wieder ein Flussbett sucht oder sich ein neues schafft. Er ist der König des Tals, Segen und Fluch zugleich, gefürchtet und angebetet. Er bringt Gletscherwasser zum Überleben und solches, das tötet. Und er verändert das Tal nach seiner Façon, pflügt es um, überschwemmt, düngt, tränkt und ertränkt.

Doch dann, meistens auf einem niedrigen Hügel gelegen, ein Kloster oder ein Dorf oder ein Tempel, manchmal mit goldenen Dächern, manchmal im Weiss der Klöster und dem Braunrot der Fenster an den kahlen Fassaden. Sie scheinen Fremdkörper zu sein in der düsteren Einsamkeit des abgelegenen Tals, und trotzdem gehören sie dazu. Als Wächter. Als Verbindung zum Himmel. Als Beschützer des Dorfes und der Menschen.

 

The Nubra Valley - bright and wide and sometimes even green
Das Nubratal – hell und weit und manchmal sogar grün
The river is the true ruler of the valley
Der Fluss ist der wahre Herrscher des Tals; die Strasse wird an den Abhang gezwungen

Das Nubra-Tal ist ein Hochgebirgstal auf durchschnittlich 3000 m Meereshöhe und liegt im äußersten Norden Indiens etwa 150 km nördlich von Leh, Ladakh. Der Name soll auf das Wort Ldumra zurückzuführen sein, das „Tal der Blumen“. Das Nubra-Tal setzt sich zusammen aus dem Tal des wilden, 550 km langen Shyok bis zur indisch-pakistanischen Grenze (Line of Control) und dem Tal der aus dem Siachen-Gletscher im Karakorum gespeisten Nubra, die bei Diskit in den Shyok mündet.

Der Shyok entspringt auf der Ostseite des südlichen Karakorum und umfließt dieses zunächst in südliche, ab dem Shyok-Bogen in nordwestliche Richtung. In Pakistan mündet der Fluss in den Indus. Südwestlich des Nubra-Tals zwischen Shyok und Indus liegt die Ladakh Range. Der Karakorumpass verbindet das Nubratal am Shyok-Oberlauf mit dem östlich gelegenen zu China gehörenden Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang. Er ist heute als Handelsweg nicht mehr von Bedeutung. [Copyright Wikipedia]

 

Diskit Gompa

Das Kloster Diskit Gompa, an einem steilen Abhang gelegen, ist von weitem kaum erkennbar in der grauen Einöde. Erst beim Näherkommen – der Wagen müht sich schnaufend den steilen Weg hinauf – erkennt man die riesigen Ausmasse der Klosteranlage. Sie ist die älteste und grösste buddhistische Anlage im Nubratal und beherrbergt um die 100 Mönche. Die Klosterverwaltung betreibt eine Schule, die über Computereinrichtungen verfügt und tibetische Kinder der Region in naturwissenschaftlichen Fächern in englischer Sprache unterrichtet.

 

On the right the monastery on the hillside, on the left on a small hill the Metreya statue
Rechts die Klosteranlage am Berghang, links auf einem kleinen Hügel die Metreya Statue
Diskit Gompa - the monastery complex is hardly recognizable from afar in the middle of the wasteland
Diskit Gompa – die Klosteranlage ist von weitem kaum erkennbar inmitten der Einöde
Entrance monastery
Eingang zum Kloster
A small temple on a hill
Ein kleiner Tempel auf einem Hügel

 

Metreya – der zukünftige Buddha

Die 32 Meter hohe Statue auf einem Hügel unterhalb der Diskit Gompa ist dem Shyok-Fluss zugewandt. Mit dem Bau der Statue wurde im April 2006 begonnen, und sie wurde am 25. Juli 2010 vom Dalai Lama geweiht. Auch im Inneren des Klosters steht eine Statue des zukünftigen Buddhas.

 

Maitreya inside the sanctuary
Metreya im Innenraum

Nach der buddhistischen Tradition ist Metreya ein Bodhisattva, der in Zukunft auf der Erde erscheinen, die vollständige Erleuchtung erlangen und das reine Dharma lehren wird. Den Schriften zufolge wird Maitreya ein Nachfolger des gegenwärtigen Buddha, Gautama Buddha, sein. Die Prophezeiung der Ankunft von Metreya bezieht sich auf eine Zeit in der Zukunft, in der das Dharma von den meisten auf der irdischen Welt vergessen sein wird.

Metreya wohnt derzeit im Tuṣita Himmel, der angeblich durch Meditation erreichbar sein soll. Auch Gautama Buddha lebte hier, bevor er in die Welt hineingeboren wurde, da alle Bodhisattvas im Himmel Tuṣita leben, bevor sie in das Menschenreich hinabsteigen, um Buddhas zu werden. Obwohl alle Bodhisattvas dazu bestimmt sind, Buddhas zu werden, unterscheidet sich das Konzept eines Bodhisattvas im Theravada- und Mahayana-Buddhismus stark. Im Theravada-Buddhismus ist ein Bodhisattva jemand, der nach voller Erleuchtung strebt (Arahantship in Pali), während im Mahayana-Buddhismus ein Bodhisattva jemand ist, der bereits einen sehr fortgeschrittenen Zustand der Gnade oder Erleuchtung erreicht hat, sich aber vor dem Eintritt ins Nirwana zurückhält, um anderen zu helfen. [Copyright Wikipedia]

 

The future Buddha Metreya
Der zukünftige Buddha Metreya

Sumur

Ein Abstecher nach Sumur, einem weiteren dieser prachtvollen Dörfer, lohnt sich nur schon, weil hier in kompakter Form die Symbiose zwischen Dorf und Kloster, also sozusagen zwischen Himmel und Erde, präsentiert wird. Alles ist da, die Moderne ebenso wie eine längst vergangene Zeit, die bewahrte Schönheit aus der Vergangenheit, ebenso wie die Hässlichkeit der Parkplätze, auf denen sich die Jeeps der Touristen stauen.

Es ist ein eigenartiges Dorf. Verwinkelte Gassen führen durch das Labyrinth des Dorfes, vorbei an Bächen zum Kloster, das sich etwas oberhalb des Dorfes befindet, zwischen Wiesen und Bäumen gelegen. Wie die meisten Klöster in Ladakh ist es in einem guten Zustand, die ca. 50 Mönche sorgen für Ordnung und Sauberkeit.

 

The Sumur Monastery
Das Kloster in Sumur
between heaven and earth
Wunderbar gelegen zwischen Himmel und Erde
One of the entrances to the interior
Einer der Eingänge zum Inneren
Meeting room, this time with tourists
Versammlungsraum, diesmal mit Touristen
A kaleidoscope of wonderful colors
Ein Kaleidoskop wunderbarer Farben

Der Weg zurück – Khardung La 2.0

Beim Rückweg ist die Sprachlosigkeit gewichen, die Abgründe haben ihren Schrecken verloren. Und trotzdem bleibt man still sitzen, lässt die Bilder ganz nah herankommen, damit man sie ein letztes Mal spüren kann.

Wir folgen dem Fluss mit einer gewissen Wehmut, es fühlt sich an, als würde man einen alten Freund zum letzten Mal grüssen. Dann verschwindet er, wir tauchen ein in die farblose Welt der Berge, in die Welt der Schluchten und Abgründe …

 

Shyok Fluss
Wir folgen dem Fluss ein letztes Mal
view to valley
Ein letzter Blick ins Tal hinunter
the abyss again
Und dann wieder diese Abgründe
road in desert land
Eine wirklich kunstvoll angelegte Strasse

Obstacles
Man steht sich im Weg
and back again on the top, breathless
Und wieder ganz oben, atemlos

Bye-Bye

Und dann sind wir zurück in Leh. Wir haben den Khardung La überlebt, wir haben Siddhart überlebt, wir sind um viele Erfahrungen und Eindrücke reicher geworden. Und die Bilder werden uns ein Leben lang begleiten …

Dann Goodbye Christine, Anu und Siddhart, ihr wart eine gute Gesellschaft. Ich wünsche euch ein schönes Leben!

 

our adventure group
Unsere Truppe nach überstandenem Abenteuer

 

PS Song zum Thema: Dubokaj – Ocean of Air

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Khardung La Pass – Nichts für schwache Nerven

„All great things are simple, and many can be expressed in single words: freedom, justice, honor, duty, mercy, hope.“ (Winston Churchill)

Wie immer zeigt der Gang durch die frühmorgendlichen, noch kaum wachen Strassen eine ganz andere Seite der Stadt.

Die meisten Läden und Restaurants und Agenturen sind noch geschlossen, kaum Verkehr, ein paar verschlafene Traveller schlurfen durch die leeren Gassen. Man hört sogar das Kreischen von Elstern und anderen Rabenvögeln, normalerweise kaum wahrnehmbar durch das Dauergehuppe.

Ich bin auf dem Weg zur Agentur, die den Trip organisiert hat, mit einem nach Kaffee dürstenden Magen und finde doch tatsächlich ein kleines Restaurant, das bereits geöffnet hat. Dann sitze ich draussen an einem kleinen Tischchen, kaum ein Mensch weit und breit, einen starken Black Coffee vor mir, ein kühles Windchen im spärlichen Haar, die Aussicht auf einen wunderbaren Tag … Was will man mehr.

 

From Leh to the Nubra Valley
Von Leh ins Nubra Tal

Der Fahrer gibt Gas

Vor der Abfahrt unterhalte ich mich mit dem Boss der Agentur und frage ihn nach der abgelaufenen Saison.Er winkt ab. „Why? Less Tourists?“ Nein, sagt er, viele Touristen, aber das Niveau habe massiv abgenommen. Mein fragendes Gesicht beantwortet er mit einer abschätzigen Geste. „Too many Indian Tourists!“

Upps, das sitzt! Als echter Ladakhi ist er offenbar nicht gerade gut auf seine Mitlandleute aus dem Süden zu sprechen. Die Horden von Handy- und Selfiestick-bewaffneten Touristen sind tatsächlich eine Überraschung der eher negativen Sorte. Offenbar gehört es bei der schnell wachsenden und wohlhabenden Mittelschicht zum guten Ton, auch mal einen Kurztrip nach Ladakh zu unternehmen.

Im Mini-Van sitzen erwartungsvoll – zwei Inder. Eine freundliche hübsche Dame namens Anu, die in London lebt, und ein junger Mann aus Gujarat mit dem vielversprechenden Namen Siddhart. Ich hoffe, Buddha hat Freude an seinem Namensvetter aus Ahmedabad. Später setzt sich noch eine deutsche Dame, Christine, zu uns, und dann gibt der Driver Gas.

 

Auf ins Nubratal

Dann also auf ins Nubratal, übersetzt Blumengarten, und das ist, wie wir später sehen werden, durchaus wörtlich zu nehmen. Der zweithöchste befahrbare Pass der Welt, der Khardung La, führt über 5370 Meter hinüber ins fruchtbare Tal.

 

Leh disappearing in the clouds
Leh weit unter uns im Dunst

Die ersten Kilometer sind nichts Besonderes. Unter uns erstreckt das Industal, die undurchdringliche, mit einem gelben Dunst überzogene Silhouette von Leh, die sich an die Berge anlehnenden letzten Häuser und Wiesen. Doch es geht schnell aufwärts, Kurve um Kurve. Die eh schon wüstenartige Umgebung scheint noch abweisender zu werden. Unter uns schneidet das Band der Strasse wie eine riesige Narbe in die Berghänge. Leh ist längst unter uns verblasst, nur noch weit weg ein Flecken aus Grün, einem Spielzeugdorf gleich.

Wir nähern uns einer Welt, in der nichts zu leben scheint. Ein eigenartiges Gefühl schleicht sich ein.

 

Higher and higher ...
Es geht höher und höher ..

Checkpoint

Man steigt und steigt, unzählige Serpentinen hinauf, wir überqueren die 4000-Meter-Grenze, einsame Seitentäler tauchen aus dem leichten Nebel auf, schneebedeckte Gipfel, die meisten über 6000 Meter strecken ihre Gipfel und Kappen in den blaugrauen Himmel.

Dann der erste Kontrollposten, South Point, gemäss meiner iPhone-App genau 4657 Meter hoch gelegen. Kontrolle des Passes und des Permits. Ausländer brauchen für bestimmte Regionen in Ladakh eine Zusatzbewilligung, die aber leicht zu erhalten ist (ausser für Chinesen: Chin hatte null Chance dafür; offenbar sind die alten Konflikte zwischen Indien und China immer noch lebendig).

Man vertritt die Beine, atmet die immer dünner werdende Luft ein, zieht den Kragen hoch, die Mütze ins Gesicht. Es wird kälter. Ein scharfer Wind bläst ums Gesicht, drückt Tränen in die Augen. Man flüchtet ins geheizte Innere des Vans zurück.

 

Checkpoint
Checkpoint

Eine abweisende Welt

Und dann geht es erst richtig los. Irgendwann ist die Grenze zwischen asphaltierter und unbefestigter Strasse erreicht. Es braucht nun keinen Hinweis an den Fahrer mehr, langsamer zu fahren, denn jetzt stellt die Strasse eine echte Herausforderung dar.

Der Toyota quält sich Meter um Meter der Passhöhe entgegen, einem noch weit entfernten nebligen Einschnitt zwischen den hohen Bergen zu. Der Fahrer kennt sein Metier: im Slalomstil umfährt er gekonnt die tiefsten Löcher, weiss zum Vornherein, wo er ein entgegenkommendes Auto zu erwarten hat und wo die besten Ausweichmöglichkeiten bestehen.

Man glaubt nun an eine andere Welt, es ist etwas Unheimliches um uns herum. Unsere metaphysische zweite Natur meldet sich, findet diese seltsame Welt furchteinflössend, abstossend. Sie scheint mitteilen zu wollen, dass wir uns hier an einem Ort befinden, der nicht erstrebenswert ist, den wir schnell verlassen sollten.

Es ist still geworden im Van. Alle Augenpaare sind nach draussen gerichtet. In die kalte, anweisende Welt, in deren Inneres wir immer weiter vorstossen.

 

road getting worse and worse
Die Strasse wird schlechter und schlechter, je höher wir kommen

Es herrscht viel Verkehr, aber da die Strasse nur einspurig ist, werden die Ausweichmanöver häufiger. Ich sitze am Fenster, neben mir ein Abgrund, der immer steiler und tiefer zu werden scheint, und mir gelegentlich einen leichten Zusatzschnaufer entlockt, wenn dass Fahrzeug beim Ausweichen die letzten Zentimeter kratzt.

Der geplante Trip über den Leh-Manali Highway drängt sich ins Bewusstsein. Ist das hier eine erste Kostprobe? Es scheint so.

 

Traffic jam
Stau vor der Passhöhe

Es ist nicht nur eine Herausforderung für die Nerven, sondern auch für die Mägen: man wird so sehr herumgeworfen, dass nicht einmal mehr der verkrampfte Griff nach den Haltegriffen etwas nützt. Das Atmen fühlt sich jetzt, da wir uns der 5000 Meter Grenze nähern, bereits etwas anders an.

Die Gespräche im Wagen sind verstummt, alles schaut nach vorn, der nächsten Kurve, dem nächsten Graben, dem nächsten Lastwagen entgegen. Den Blick aus dem Seitenfenster, auf den gähnenden Abgrund, lässt man besser sein, sonst wird der Atem noch etwas nervöser.

Doch kurz vor der Passhöhe ein Stau. Kaum vorstellbar, dass sich auf dieser Höhe ein Stau bilden kann, aber die Realität ist wie meistens phantasievoller als die Vorstellung.

 

Passhöhe Khardung La – 5369 Meter über Meer

img_1916Und dann sind wir da, auf der Passhöhe, meine App zeigt 5369 Meter an, und es schneit.

Zwar nur leicht, aber es ist saukalt. Natürlich steigt man aus, macht einige schwankende Schritte, atmet tief durch, fotographiert, und ist ein bisschen stolz, hier zu sein (obwohl die eigentliche Leistung ein kleines technisches Wunder aus Japan und ein kompetenter Fahrer bewirkt haben; wir sind ja nur staunend dagesessen).

Überall stehen Tafeln, worauf voller Stolz auf den „highest motorable Pass in the World“ hingewiesen wird (was allerdings nicht stimmt, es ist nur derzweithöchste, aber davon wollen die Inder natürlich nichts wissen).

Wenn ich es mir recht überlege, stehen wir hier oben gerade mal gut 500 Meter unterhalb des Kilimandscharo Gipfels, der immerhin den höchsten Berg Afrikas darstellt. Allerdings haben wir uns im Unterschied zum Kilimandscharo einigermassen gemütlich hochfahren lassen und haben nicht erst nach Tagen mühseliges Wanderns den Gipfel erreicht. Irgendwie verrückt.

Ähnlich wie auf dem Kibo ist allerdings das Wetter. Es zieht durch Mark und Bein, und nach einiger Zeit stellt sich eine gewisse Kurzatmigkeit ein. Nicht verwunderlich! Wir stehen höher als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben je sein werden.

 

World's highest motorable Road
Der höchste befahrbare Pass der Welt

Auf dem höchsten befahrbaren Pass der Welt steht Auto an Auto, sie entleeren ihre Passagiere in die dünne Luft. Aufgeregte Stimmen, oh und ah, Kameras werden gezückt, um den einmaligen Moment einfangen zu können, die stolzen Beweise für die staunende Welt.

Allerdings hat man dazu nicht mehr benötigt als Geld, ein bergtüchtiges Fahrzeug und einen erfahrenen Driver. Die eigene Leistung ist vernachlässigbar klein.

Das ist in diesem gloriosen Augenblick absolute Nebensache. Und wieder einmal zeigt sich, wie sehr der Mensch zur Verdrängung fähig ist.

 

The top of the world
Die Passhöhe – höher als die meisten Besucher je erreichen werden


Ebenso grandios wie furchteinflössend

In der uns umgebenden Landschaft zeigt sich die Natur mit Pomp und Prunk. Man schaut mit einem inneren Schaudern in die verschneiten Täler hinunter, die von Wolkenvorhängen verdeckten Berggipfel hinauf, man spürt instinktiv die Bedrohung, die Macht, die Warnung. Der Himmel ist aus Blei, grau und düsterer als jeder bekannte Himmel.

 

As grandiose as terrifying
Ebenso grandios wie furchteinflössend
Far away from civilization
Weit weg von der Zivilisation

Kalt und irgendwie deprimierend

Das graue Nieselwetter verstärkt den deprimierenden Eindruck der Umgebung. Inmitten hunderter flatternder Gebetsfahnen stehen ärmliche Blechhütten, auf deren dünnen Dächern der erste Schnee liegt. Ich bin sicher, dass irgendwelche armen Schweine aus Bihar oder Uttar Pradesh hier arbeiten, für einen Hungerlohn auf über 5000 Metern bei diesem elenden Wetter..

Irgendwo versteckt, doch genau über dem Abgrund thronend, steht eine Reihe von WC-Häuschen. Ich bin auf meinen Reisen, insbesondere in Indien, in dieser Hinsicht schon Schlimmem begegnet, aber das hier schlägt alles (auf eine genauere Beschreibung möchte ich zum Wohl der Leser verzichten).

 

Three little people in the midst of awesome surroundings
Drei kleine Menschen inmitten grandioser Umgebung

Anyway, auch mit warmer Wollkappe zieht der eisige Wind durch die Kleider, und wir flüchten uns ins warme Auto, um die Fahrt ins Tal hinunter an Angriff zu nehmen, ins Nubratal, wo wir auf wärmere Temperaturen hoffen.

Die Fährt ist sozusagen deckungsgleich mit der Fahrt zur Passhöhe, also die gleiche Quälerei für Fahrer, Wagen und Insassen. Aber die Architektur der Strasse ist eine Meisterleistung. Der Blick zurück zeigt den tiefen Einschnitt, der quer in eine beinahe senkrechte Wand geschnitten wurde, und gerade noch erkennbar gegen den nun blauen Himmel der Sendemast auf der Passhöhe..

 

A horizontal incision in the mountainside
Ein horizontaler Einschnitt in den Berghang

Yaks im Schneegestöber

Und da, unerwartet und überraschend, ein Yak und dort noch eines. Die zottigen Viecher machen einen gelassenen Eindruck, über den Boden gebeugt, um das wenige,was dieser hergibt, zu erkunden. Und ebenso unerwartet ein plötzliches Schneegestöber aus dem eben noch blauen Himmel, doch die Yaks sind gut geschützt gegen alle Angriffe des Wetters, das in diesen Breitengraden alle paar Minuten wechseln kann.

Man möchte sie knuddeln, diese wunderbaren Kreaturen.

 

Yaks - Well protected against the cold
Yaks – Gut geschützt gegen die Kälte

It starts snowing
Es beginnt zu schneien

Das Schwemmland des Shyoks

Der Übergang zum asphaltierten Teil ist nur kurz ein Vergnügen, denn nun drückt der Fahrer aufs Gaspedal, was bei der kurvenreichen Strasse und dem ständigen Gegenverkehr ein beinahe grösseres Risiko darstellt als die Fahrt entlang dem Abgrund.

 

Alluvial plain of the Syok river
Schwemmland des Syoks

Unter uns liegt das weite Schwemmland des Shyoks, einem im Karakorum entspringenden Indus-Zufluss. Er wird von den Leuten im Nubratal gefürchtet wegen seiner immensen Gewalt: regelmässig überflutet er die Ufer, zerstört Häuser und Felder. Die Strasse verläuft nun parallel zu ihm, Über unübersichtliche Kurven folgen wir ihm, bewundern das beinahe vergessene Grün, die kleinen Bäche, die zwischen Pappeln und Wachholderbäumen sprudeln.

Das Nubratal hat seit jeher an der Karawanenstrasse zwischen Leh und Zentralasien gelegen. Edelstoffe wie Wolle, Borax, Salz, Gold wurden gegen Safran und Gemüse getauscht. Ein Überbleibsel aus diesen Zeiten sind die zweihöckrigen Kamele, von denen es heute noch etwa 90 im Nubratal gibt. Sie sind zwar arbeitslos, aber die Ladakhis haben ein neues Businessmodell entdeckt, indem sie Kamel-Ausritte über die Sanddünen bei Hundar anbieten.

Und genau da wollen wir hin.

 

Kamelritt über die Sanddünen

Ich bin zwar immer etwas skeptisch gegenüber diesen manchmal schrecklichen und peinlichen Angeboten an Touristen, aber für eine halbe Stunde auf einem Kamel zu reiten, hat schon seinen besonderen Reiz. Schon von weitem ist eine zahlreiche Horde von zumeist indischen Touristen zu erkennen.

Vom Parkplatz aus überquert man über einen schwankenden Holzsteg den Fluss (was bei den indischen Touristen bereits die ersten Schweissausbrüche auslöst) und gelangt so zum Startplatz, wo sich inmitten einer grossen Menge Touristen die Kamele befinden. Ein milchiger Dunst schwebt über der Ebene, verziert die Abhänge und Berggipfel mit einem trüben Schleier.

 

Over a wooden walkway to the takeoff site
Über einen Holzsteg zum Startplatz

Wunderbare Tiere

Es dauert also eine Weile, bis wir drankommen. In der Zwischenzeit bewundern wir diese geduldigen und unglaublich schönen Tiere. Wir haben es hier mit Trampeltieren zu tun, also den zweihöckrigen Kamelen, ideal fürs Reiten, vor allem optimal für die nicht sehr wendig aussehenden Touristen, die hier in grossen Scharen darauf warten, losreiten zu können.

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Trampeltiere erstreckte sich ungefähr vom mittleren Kasachstan über die südliche Mongolei und das nordwestliche China bis zum großen Bogen des Gelben Flusses. Im dritten vorchristlichen Jahrtausend setzte die Domestikation der Tiere ein, als Last- und Nutztiere sind sie heute in weiten Teilen Asiens verbreitet – die Gesamtpopulation wird auf 2,5 Millionen Exemplare geschätzt. Man trifft sie von Kleinasien bis in die Mandschurei an. Nördlich ist das Trampeltier bis Omsk in Westsibirien verbreitet, das etwa auf 55 Grad nördlicher Breite liegt.

Die freilebenden Bestände wurden durch Bejagung immer weiter zurückgedrängt. Im 19. Jahrhundert starben sie im Westen ihres Verbreitungsgebietes aus, seit den 1920er-Jahren gingen auch im Osten die Populationszahlen deutlich zurück. Im Jahr 2003 lebten laut Schätzung der IUCN nur rund 950 wildlebende Trampeltiere in drei getrennten Populationen: in der Taklamakan-Wüste und im Lop-Nor-Becken im chinesischenXinjiang (zusammen rund 600 Tiere) sowie im mongolischen Teil der Wüste Gobi (rund 350 Tiere).

Trampeltiere sind an trockene Habitate angepasst. In den Wintermonaten halten sie sich bevorzugt entlang von Flüssen auf und wandern in den Sommermonaten in die Trockensteppen und Halbwüsten. Bemerkenswert sind dabei die Temperaturschwankungen in ihrem Lebensraum, die −30 °C bis +40 °C erreichen können. (Copyright Wikipedia).

 

 

Gentle, patient - you have to hold back not to caress them
Sanftmütig, geduldig – man muss sich zurückhalten, um sie nicht zu streicheln

So much serene dignity
Gelassene Würde

Still young and cuddly
Noch jung und knuddelig

Schläfrig
Etwas schläfrig, warten auf den grossen Auftritt

 

Lawrence of Arabia – wieder mal

Und dann, nach langem Warten, ist es soweit.

Das Aufsteigen ist nicht das Problem (allenfalls für dickliche Inderjungen,die kaum ihr Bein heben können), sondern der Augenblick danach, wenn das Kamel aufsteht. Man wird zuerst nach vorne, dann nach hinten geschleudert (oder umgekehrt?), und wehe, wenn man sich dabei nicht festhält.


So far so good
Bisher alles gut

Eine Anzahl Kamele werden aneinander festgezurrt, vorne geht ein junger Mann, das Seil des vordersten Tieres (meines) in der Hand. Es ist irgendwie ein erhebender Moment, wie man über den Sand schaukelt und gleitet, die Bewegungen sind ganz sanft, aber man kann die Kraft spüren. Auf jeden Fall komme ich mir vor wie Lawrence of Arabia, doch anstelle der würdevollen stolzen Beduinen werde ich von lärmenden Indern begleitet, die ihre Sticks in die Höhe halten und ein paar Millionen Selfies schiessen …

 

Ready for takeoff
Bereit zum Start

On the road in caravan
Unterwegs in der Karawane
Camel Guide
Der Führer läuft voraus

 

Um uns herum eine eigenartige Landschaft. So könnte es irgendwo in der Sahare aussehen …

 

The dunes are a legacy of the river
Die Dünen sind eine Hinterlassenschaft des Flusses

My own camel - I would love to take it home; just a treasure
Mein eigenes Kamel – am liebsten würde ich es nach Hause mitnehmen; einfach ein Schatz

Abend im Nubratal

Und dann ist unser Abenteuer vorbei. Wir verabschieden uns von unseren zottigen Freunden, die wie in kurzer Zeit liebgewonnen haben, und machen uns auf den Heimweg ins Hotel. Der Abend senkt sich langsam herab, Zeit den aufregenden Tag zu beenden.

 

Bye-bye, you wonderful animals
Bye-bye, ihr wunderbaren Tiere

Hundar

Im Dorf Hundar, wo wir unser Guesthouse haben, blühen tausend Blumen in allen Farben, die Bäume neigen sich schwerbeladen von Aprikosen und Äpfeln. Unser Hotel ist inmitten eines grossen Gartens gelegen. Wir sitzen in der Abendsonne, lassen den Tag Revue passieren.

Später noch ein letzter, etwas müder Spaziergang durch das Dorf. Ein paar Knaben beäugen uns aufmerksam, sie sind das einzige Lebenszeichen im stillen Abend …

 

Vegetable garden in Hundar
Gemüsegarten in Hundar

Friends at the roadside
Freunde am Strassenrand

 

PS Song zum Tag:  Dissidenten – Walking the Camel

Und hier geht die Reise weiter …