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Südindien

Ooty – Trekking im Teeland

Die Befürchtungen haben sich bestätigt.

Es wird gestreikt – heute fährt also definitiv kein Bus nach Mysore. Der Grund ist nicht ganz klar, aber es scheint ein lokales Tamil Nadu-Thema zu sein. Sind es nur die Busfahrer oder ist es möglicherweise sogar ein Generalstreik?

Der missmutige Herr am Ticketcorner verzieht sein rundes Pfirsichgesicht und murmelt was in seinen Dreitagebart, es könnte „keine Ahnung“ bedeuten. Für ihn heisst es, die nächsten Stunden verärgerte Kunden zu beruhigen und ihnen beizubringen, dass auch das lauteste Fluchen nichts nützt.

Streik

Ich bin nicht erfreut, genauso wenig wie die anderen Herrschaften, vornehmlich Touristen. Den Einheimischen scheint es schnurzegal zu sein. Ein Achselzucken, ein grimmiges Lächeln ist ihre einzige Reaktion. Es ist anzunehmen, dass solche Unzulänglichkeiten in diesem Land zur Tagesordnung gehören.

Und wie immer finde ich die Reaktion der Ausländer zum Schiessen. Gelassenheit heisst ja eigentlich, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Und nicht so, wie wir sie gerne hätten. Ich habe mich längst daran gewöhnt (oder bilde ich mir das nur ein?). Man muss in solchen Situationen mit dem Finger auf sich selbst zeigen und nicht auf die vermeintlichen Verursacher des Problems. Es scheint ein unabwendbares Schicksal zu sein, sich über unwichtige Dinge zu ärgern. Und dies verringert sich keineswegs mit zunehmendem Alter.

Anyway, das fröhliche Zusammensein der unterschiedlichsten Leute beim Frühstück bringt eine unerwartete Lösung. Man schlägt mir vor, einen Trek zu begleiten, der in ein paar Minuten losgeht und den ganzen Tag dauern wird. Keine Ahnung, wohin die Reise führt, aber es klingt nach Spass.

Es ist eine bunte, aber gut zusammengefügte Truppe. Ein dänisches junges Ehepaar, ein junges australisches Paar (Jerome und Orin oder ähnlich), drei Engländer, ein Deutscher, noch eine Australierin und der Guide. Die Stimmung ist – wie meistens in diesen Angelegenheiten, die sich durch Flexibilität und Toleranz auszeichnen – von Anfang an perfekt. Wir lassen uns zum Ausgangspunkt chauffieren und machen uns dann auf den Weg.

A colourful group on the trek
Farbige Zusammensetzung unseres Grüppchens

Wälder, bunte Häuser, lärmige Kinder

Die Sonne scheint, die frühmorgentliche Kälte hat sich widerstrebend verzogen, und so schreiten wir frohgemut aus. Immer dem Guide hinterher, der ununterbrochen redet und seine Kenntnisse zum besten gibt.

Anfänglich hört man zu, ist gefesselt von all den verrückten Geschichten, die dieses Land ausmachen. Etwas später lässt die Konzentration nach, man ist in seiner eigenen Welt, lässt sich treiben, vorbei an farbigen Häusern, voll von lärmigen Kindern, durch Wälder und Felder und entang seltsamen Kanälen, die der Bewässerung dienen.

Houses along the trek
Manchmal kleben die Häuser an den Berghängen, fast wie bei uns

 

Through shady woods, away from the burning sun
Durch schattige Wälder, weg von der brennenden Sonne

 

Along canals with dirty water
Entlang Kanälen mit schmutzigem Wasser

Teeplantagen

Und dann befinden wir uns unversehens mitten in einer grünen Welt. Einer hellgrünen, dunkelgrünen, mattgrünen, glänzendgrünen Welt voller Teepflanzen. Ich bin kein Teetrinker, greife nur in extremen Grippe- oder Erkältungszeiten zu diesem Getränk, aber angesichts dieser wunderbaren, schon von weitem duftenden Feldern könnte man tatsächlich zum Tee-Aficionadao werden.

Die Nilgiri-Berge sind berühmt, nicht nur für ihr angenehmes Klima, sondern vor allem für den berühmten Nilgiri Tee, der hier angebaut wird. Ursprünglich war das Gebiet um Udagamandalam Heimatland der Todas, einem Bergstamm von Hirten, die in fast völliger Isolation von den Städten des umliegenden Flachlandes lebten. Die Todas wurden missioniert oder verfolgt und von Teepflanzern von ihrem Land verdrängt.

Women working on the tea fields
Teepflückerinnen, froh um eine Abwechslung

 

Tea Fields
Tee soweit das Auge reicht

 

eroding tea fields
erodierende Teefelder

Teeverarbeitung

Am Schluss unseres kleinen Ausflugs in die Welt des Tees gehört selbstverständlich die Einführung in den nächsten Schritt des langen Prozesses der Teeverarbeitung, bis dieser dann in den bekannten Teebeuteln auf unseren Tischen liegt. Das entsprechende Gebäude liegt etwas oberhalb von Ooty, ein unscheinbares Haus, in dem emsig gearbeitet wird. Natürlich erklärt unser Guide, diesmal allerdings unterstützt durch den Boss des Betriebs, die einzelnen Schritte. Der in der Luft schwebende Duft ist betörend, er erinnert mich an lange vergessene Düfte aus meiner Jugendzeit. Natürlich erhalten alle Besucher einen Beutel mit dem wunderbaren Tee. Nicht, dass ich mich bereits auf die nächste Grippe freue, aber es wird auf jeden Fall ein besonderes Erlebnis sein, den unvergleichlichen Duft einzuatmen und am Getränk zu gesunden.

Und dann stehen wir auf einer Strasse und verabschieden uns, ganz herzlich, als hätten wir uns ein Leben lang gekannt. Das sind die Dinge, die eine Reise gleichzeitig so wunderbar und so traurig machen.

Der Mann am Schalter der staatlichen Busbetriebe ist genauso ein Arsch wie gestern. Da gibt es nichts zu holen. Immerhin finde ich in einem Reisebüro eine Möglichkeit, den Morgenbus nach Mysore zu buchen. Man stelle sich vor: da sitzt ein junger Mann auf einem klapprigen Stuhl an einem ebenso klapprigen Tisch, ein paar Prospekte vor sich, dahinter ein verwüstetes Lokal, das entweder im Umbau oder einfach so verwüstet ist. Mal sehen, ob das morgen klappt.

PS Song zum Thema: Spencer Davis Group – After Tea

Und hier geht’s weiter …

 

Südindien

Die Nilgiri Blue Mountain Railway

Ich verabschiede mich von meinem Hotel, es hat mir gut gefallen hier. Das TukTuk hält vor der Post („no problem, I wait and look for your luggage; I’m your friend“). Beruhigend. Das letzte mal die Fähre. Ein Mann vor mir hustet, ich tippe auf TB. Armer Kerl. Neben mir sitzen ein paar Junge und betrachten Bilder von Cricketspielern.

Die Unterschiede

Ich bin allein im Abteil, der darin schlafende Inder verzieht sich erschreckt. Ich schaue aus dem Fenster, lasse das Land an mir vorüberziehen. Manchmal schreckliche Bilder von drastischer Armut, schlimmer als je zuvor. Trotz Mitgefühl ist man Zuschauer. Ich sitze in meinem gekühlten Abteil, Magen voll, gesund und mit Geld in der Tasche.

Ich kann nicht lesen, draussen läuft ein Film ab. Der Zug wendet sich in Richtung Landesinneres. Ein neuer Inder hat sich zu mir gesellt und legt sich schlafen. Leises Schnarchen erfüllt ab nun das Abteil. Ein schönes Gefühl des Nicht-Alleinseins. Langsam neigt sich von Osten her die Dunkelheit herab. Lichter überall. Kleine schwache Lichter, verloren in der Nacht. Trotzdem scheint es mir, dass in diesem Land niemand wirklich allein ist. Nicht nur durch die permanente Anwesenheit von Millionen Menschen, es ist etwas anderes. Merkwürdig – mir scheint, als gingen die Leute liebevoller miteinander um als bei uns. Was ist uns alles verloren gegangen.

Nicht zum ersten Mal eine überraschende Pünktlichkeit in Coimbatore. Ich bin in der Zwischenzeit wieder zu einem kompetenten Traveller geworden. Aussteigen, sich umsehen, anstehen am Ticketschalter, dann schwierige Kommunikation mit der Dame am Schalter. Es gibt zwar 1. Klasse-Tickets nach Mettupalayam, lohnt sich aber nicht, da die Nilgiri Railway eh nur 2. Klasse hat. Ich kaufe mir „Indian Railways at a Glance“ und erschrecke ob der Grösse und dem Gewicht des Buches.

Ein TukTuk bringt mich pfeilschnell durch einen unglaublichen Verkehr und liefert mich beim Hotel ab. Irgendwas gefällt mir nicht daran. Zuviel Unklarheit. Und ein merkwürdiges Zimmer mit einem riesigen Spiegel an der Wand.

Immerhin hat es auf der andern Strassenseite ein wirklich gutes Restaurant. Ich esse Chinesisch und wundere mich über die Bedienung, die Gäste, alles. Ich esse und gehe schlafen.

Mettupalyam

Morgens um 2 Uhr bin ich hellwach und schaue „Star Wars Phantom Menace“. Der Film ist nicht mal um diese Tageszeit gut. Um 04.30 verabschiede ich mich (die beiden Männer an der Rezeption schlafen auf dem Boden) und lasse mich durch die menschenleeren und beinahe lautlosen Strassen zum Bahnhof kutschieren. Ein eigenartiges Gefühl der Reglosigkeit.

Am Bahnhof ist bereits halb Coimbatore auf den Beinen. Ich bin sicher, dass viele davon keine feste Bleibe haben. Wieder einer dieser surrealen Momente, die mir so gefallen. Ein anderer Planet, und ich ein Besucher aus dem All. Trotzdem ist alles ruhig, gelassen, von einer erstaunlichen Friedlichkeit. Schön.

Die Lokomotive wartet

Auf dem Perron erhasche ich die Blicke eines jungen Paares, das im 2. Klassabteil sitzt. Ich geselle mich zu ihnen, kurz darauf ergänzt die herzige Belgierin Jenny unser trautes Zusammensein. Vergnügtes Quatschen, während sich der Zug um genau 05.15 in Bewegung setzt und langsam in den dämmernden Morgen hinausfährt.

In Mettupalyam steht die Nilgiri Blue Mountain Railway bereits auf dem Perron und erwartet ungeduldig ihre Gäste.

Steam and noise
Dampf und Lärm
Quite old looking, but still in operation
Ziemlich alt aussehend, aber immer noch in Betrieb

Ein irritierendes Gewühl entsteht. Niemand weiss genau, wo man sich nun mit welchem Ticket hinsetzen darf. Ich finde irgendwann heraus, dass nur die Hälfte des besseren Wagens reserviert ist und man sich deswegen dort niederlassen darf. Jenny und ich wagen es, während die beiden Franzosen der Sache nicht trauen und lieber im dicht gepackten 2. Klassabteil bleiben.

Nilgiri Blue Mountain Railway

Irgendwann viel später ruckelt der Zug los, mit Höllenlärm, Rauch und Dampf. Die kleine schwach aussehende Lokomotive stösst den Zug mit den 4-5 Wagen an. Es ist ein wunderbares Erlebnis, wenn auch ziemlich anstrengend. In den 16 Tunnels dampft und dröhnt die Lokomotive, es hämmert wie im Herrn der Ringe, wenn Saruman seine unterirdischen Fabriken begutachtet. Manchmal halten wir an, Wasser nachfüllen, jedermann drängt an die Luft, schiesst Photos von sich und der Gruppe, lacht, redet. Fröhlichkeit pur.

Einfach schön.

It gets steeper and narrower
Es wird steiler und enger

Und hier das Video mit sehr schlechter Qualität:

 

Steam and rattling

Nach den steilen Anstiegen, die übrigens durch ein Schweizer Patent, das Zahnstangensystem, überwunden werden können, empfängt uns eine liebliche Landschaft, geprägt durch sattgrüne Teeplantagen, Eukalyptusbäume (wie seltsam), farbige Kleckse von Häusern dazwischen. Die Bahn wurde übrigens von den damaligen Teeplantagenbesitzern finanziert. Man fühlt sich in einer andern Welt, abgehoben von der Hitze der Ebene, in plötzlich klarer, spürbar kälter werdenden Luft. Manchmal, wenn die Sonne hinter Wolken verschwindet, plötzlich ein Hauch von Frösteln. Unerwartet und ungewohnt.

Dark tunnels
Dunkle Tunnels
Refill water
Wasser nachfüllen

Goodbye, kleine tapfere Lokomotive

Irgendwo auf der Strecke wird die Lokomotive ausgewechselt und durch ein moderneres Dieselmodell ersetzt. Goodbye, kleine tapfere Lokomotive, du hast gute Arbeit geleistet. Mögest du noch weitere 100 Jahre die Ghats hinaufschnaufen.

Der zweite Teil der Strecke geht etwas schneller, ich diskutiere mit einem in Ooty ansässigen Herrn, den ich mir als Arzt vorstellen kann, der sich aber als Businessmann entpuppt, der irgendwas mit organischem Dünger zu tun hat.

Und dann ist da Ooty (eigentlich Udagamandalam, aber wer kann sich das schon merken). 2400 Meter über Meer, heiss an der Sonne, und wie sich später herausstellt, schmutzig und wenig einladend. Vorerst aber beziehe ich mein Hotel, ein kleines Zimmerchen im „Reflection Guest House“. Ich hoffe, der Name ist gut gewählt. Es hat zwar, zumindest im ersten Moment, kein warmes Wasser, aber vielleicht mache ich ja wieder mal alles falsch.

Ich lasse mich treiben durch die extrem schmutzigen Strassen und Gassen, vorbei am Dreck und Unrat an den Wegrändern.Die Tiere, hier in grosser Anzahl und zum Teil in einem erbärmlichen Zustand, suchen auf der Strasse nach etwas Essbarem. Ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich nicht wohl. Und da zeichnet sich irgendwas mit einem Streik ab, was meine geplante Abreise gefährden könnte. Was soll’s, ich lasse es auf mich zukommen. Merkwürdig, wie unterschiedlich meine Reaktionen sind. Kochi – Begeisterung, Ooty – Abneigung.

Es wird kalt

Kaum sind die letzten Sonnenstrahlen verglüht, wird es merklich kälter. Auch mein Pullover ist kaum warm genug, um genügend Schutz zu geben. Ich gehe früh ins Hotel, müde und etwas verstimmt, lese noch ein paar Zeilen und finde es gar nicht so kalt. Was sich aber nach einiger Zeit als trügerisch erweist: zuerst muss ich die eine warme Decke höher ziehen, dann die zweite, schliesslich ziehe ich den Pullover an, und dann auch noch meine langen Hosen, und ganz am Schluss wickle ich ein Tuch um den Hals. Was für eine Scheiss-Kälte!

PS Song zum Thema: The Communards – So cold the Night

Und hier geht’s weiter …