In Gedanken bereite ich mich auf die nächsten Tage vor.

Es wird hart werden. Grob gerechnet warten immer noch über 2000 Kilometer auf mich, falls nicht vorher der Tank leer ist (erste Anzeichen sind spürbar). Der momentane Plan (der sich schnell ändern kann) sieht vor, über die Grenze nach Kolumbien zu fahren (dem achten und letzten Land auf der Route), dann nordwärts bis Cartagena am Meer und schliesslich den Bogen zurück nach Bogota zu machen. Eigentlich mehr als ich mir in den kühnsten Träumen vorgenommen habe.

Aber mal sehen, wie gesagt, alles kann sich von einem Moment zum anderen ändern … Dafür sich die Reisen ja da.

 

Adios Yellow House

Dann also ade Yellow House, es war schön.

Ich bin der erste beim Frühstück und auch der erste, der das Haus verlässt. Keine Zeit, um mich von Yoko zu verabschieden, der Lehrerin aus Tokio, die ohne Handy reist und null Probleme damit hat.

Wer hätte das gedacht? Ein Leben ohne Smartphone? Ohne Whatsapp oder Google Maps oder Medien oder Wikipedia? Für uns kaum vorstellbar. Man käme sich nackt vor, hilflos, als wären Hände und Füsse amputiert worden. Übertreibe ich? Vielleicht. Das Internet hat uns viele Vorteile gebracht, der Nutzen ist – vor allem auf Reisen – riesig.

Aber es macht uns auch abhängig, es macht uns zu Sklaven, wir bewegen uns in unserer Entwicklung zurück. Niemand mehr merkt sich Telefonnummern, niemand rechnet irgendwas im Kopf aus, niemand interessiert sich für Routen und Richtungen, alles ist da, jederzeit und überall.

Manchmal frage ich mich, ob wir auf dem richtigen Weg sind …

Anyway, auch Gabriela, die Hotelmanagerin, mit der ich lange und intensive Gespräche über die Welt, das (kommende) Grossvaterdasein, Kinder und deren Zukunft, Ehen und Scheidungen und Alleinsein und Einsamkeit führte, muss ohne Abschiedsgruss auskommen. Sie wird es überleben.

 

Ein sehr seltsamer Chauffeur

Die Fahrt Richtung Norden, Richtung Kolumbien, bringt nichts wesentlich Neues.

 

From Quito to Pasto

Nach Quito folgt der Bus der Strasse nach Norden, vor dem Fenster ziehen die  ewig gleichen Landschaften vorbei. Schlimm ist das nicht, man darf nur nicht vergessen, dass die Hügel und Berge und Ebenen und Flüsse keinesfalls nur notwendige Ingredienzien sind, quasi geschaffen und bereitgestellt für das gelangweilte Auge des Touristen. Ich frage mich, ob sie das aus der Optik des Reisens wohl immer gewesen sind.

 

along hills and mountains and valleys towards north sometimes a factory sometimes just landscape the road cuts through hills and montains

Wie gesagt, die Fahrt bietet viel fürs Auge, für den Photoapparat, vielleicht sogar für zukünftige Erinnerungen.

Es gibt allerdings eine Merkwürdigkeit, die garantiert im Langzeitgedächtnis haften wird. Der Chauffeur (oder wer auch immer für die Filmprogrammierung verantwortlich ist) legt zwar einen Film nach dem anderen ein, wechselt aber prinzipiell immer etwa zehn, zwanzig Minuten vor dem Ende des einen Films zum nächsten.

Und was noch spezieller ist – niemand scheint das auch nur im Geringsten zu stören. Ich meine, wie schauen sich diese Leute einen Film an? Sind sie nicht interessiert, wie die Geschichte ausgeht? Oder kennen sie den Schluss? Ist ihnen das eh scheissegal? Für mich kein Problem, ich kenne die meisten Filme und deshalb auch den Schluss (allerdings hätte ich bei „Hacksaw Ridge“ ganz gerne gewusst, wie die Geschichte ausgeht). Aber eben – das sind die Busgeschichten …

 

Letzte Station in Ecuador

In Tulcan, der letzten Station in Ecuador, steigt man in ein Taxi um.

Zwei Einheimische laden mich ein, die Kosten mit ihnen zu teilen. Klar. Und dann steht man vor einer langen gelben Brücke, holt sich den Stempel bei den ecuadorianischen Zollbehörden – adios Ecuador – und geht dann zu Fuss über die Brücke, der achten und letzten Station dieser Reise entgegen.

Auch hier eine schnelle Abfertigung, wieder ein Stempel, ein freundliches „Bienvenidos en Colombia“, und ich bin in God’s own Drug Country. Das ist’s dann aber auch schon. Wieder ein Taxi, wieder eine Einladung zum Kosten teilen, wieder eine schnelle Fahrt über schlechte Strassen, Ipiales zu, dem Kaff, wo der nächste Bus nach Pasto im Norden auf mich wartet.

 

Ein neues Land, eine neue Währung

Ausnahmsweise ist es aber kein Bus, wie ich verblüfft feststelle, sondern ein Minibus, sehr komfortabel und trotzdem vergleichsweise billig.

Schon wieder eine neue Währung – kolumbianische Pesos sind es dieses Mal. Habe ich überhaupt mal erwähnt, dass Ecuadors Währung amerikanische Dollars sind? Irgendwann hat sich die Regierung entschlossen (wahrscheinlich aus ökonomischer Verzweiflung), sich mit Haut und Haaren der US Währung zu unterjochen. Mit allen Nachteilen natürlich, denn eine eigene Geldpolitik ist schlicht unmöglich. Das Lustige ist, dass es aber eigene Münzen gibt, z.B. ein-Dollar-Münzen, die aber nur in Ecuador gültig sind. In den Staaten würden sie sich totlachen.

 

fog capped mountains empty space covered with clouds but then the influence of man fields and farms

Wie auch immer, Kolumbien hat eine eigene Währung, beinahe wie in Vietnam mit sehr hohen nominalen Geldeinheiten (zehntausend, fünfzigtausen, hunderttausend). Ich bezahle also für den Minibus 10’000 Pesos, was umgerechnet ungefähr 4 Franken entspricht (aber auch nur bei dem miserablen Kurs, den mir die beiden jungen Damen im Casa de Cambio an der Grenze untergejubelt haben; für einmal nützt auch meine Charmeoffensive nichts, aber auch gar nichts). Sogar im Minibus wird ein Film gezeigt, wieder einer aus der untersten Blut- und Knallerschublade, aber das kleine Mädchen neben mir schläft Gottlob ein.

 

Pasto

Pasto, ein kleines Städtchen würde man meinen, hat aber mehr Einwohner als Zürich, entpuppt sich als das, was ich mir vorgestellt habe, eine Übernachtungsstation.

Der Taxichauffeur, der mich in die „Posada Divino Niño“ bringen soll, hat seine besten Tage hinter sich, auf jeden Fall sieht er aus, als hätte er Simon Bolivar noch persönlich gekannt. Er nimmt es sehr gemütlich, hat aber, wie sich schnell herausstellt, nicht die geringste Ahnung, wo mein Hotel zu finden ist.

„Hay que preguntar al Senor“, wiederholt er immer wieder. Ob er sich dabei auf Gott persönlich bezieht, weiss ich nicht, auf jeden Fall nützen auch seine diesbezüglichen persönlichen Beziehungen wenig, und es dauert eine Ewigkeit, bis wir die Adresse finden. Immerhin habe ich damit bereits einen anständigen Teil der Stadt mitbekommen. Aber nichts, was man sich näher ansehen sollte.

 

Die Posada Divino Niño

Die „Posada Divino Niño“ – schon wieder eine religiöse Anspielung – hat genau ein Zimmer, wie sich später herausstellt.

Was heisst Zimmer, es ist ein Appartement mit Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche und Bad und das alles in recht grosser Entfernung voneinander, sodass ich am gleichen Abend noch unerwartet zu Fitnessübungen komme.

Es ist bereits stockdunkel, ich mache mich auf die Suche nach einem ATM Automaten, denn auch das „Gotteskind“ erwartet Barzahlung. Die Restaurants, an denen ich vorbeikomme, machen mir keinen grossen Eindruck, und so lasse ich das Essen (ich kann für Monate kein Huhn und keine Pommes Frites mehr sehen) vorbeibringen, sitze vor dem TV und stochere ohne Begeisterung in einer Plastikschale auf einem zähen Huhn, fettigen Pommes Frites und Reis ohne Geschmack herum. Na ja …

 

Kilometerstand: 7464

Song zum Thema: Tom Waits – The World is green

Und hier geht die Reise weiter … nach Cali

 

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