Manchmal, wenn man sie am wenigsten erwartet, sind sie plötzlich da, diese seltenen Momente der Harmonie und der totalen inneren Ruhe. Und immer treten sie dann auf, wenn etwas vorbei ist, so wie die vergangene Nacht im Bus, so wie an diesem wunderbaren Morgen in Asuncion.
Ich sitze in einem winzigen Kaffee, schräg gegenüber meinem Hotel, dem Posada Colonial, vor mir eine dampfende Tasse Kaffee (allein schon Garantie für positive Gefühle) und einem riesigen Stück selbstgemachten Kuchens. Selbstgemacht natürlich durch die Truppe junger Damen, die gemeinsam dieses Etablissement führen. Man sitzt einfach da, vollkommen leer, irgendwie erschöpft, aber auch voll positiver Energie, und wünscht sich, dass dieser Augenblick nie vorbeigehen möge.
Paraguay – ein neues Land
So bin ich nun also in Paraguay, dem Land, das ich am wenigsten kenne.Ich habe nicht viel mitbekommen von der nächtlichen Fahrt von Foz do Iguaçu nach Asuncion.
Ein bisschen vom Fussball (da gab’s doch mal einen berühmten Torhüter namens José Luis Chilavert, der vor allem als Torschütze (!) bekannt wurde), etwas von ihrem ehemaligen Diktator Strössner, mehr nicht. Aber ich bin gespannt auf ein neues unbekanntes Land.
Die Hitze vor der Tür ist allerdings im Sinne des Wortes atemberaubend. Sie kracht auf den Kopf wie ein Dampfhammer, und wenn sogar die Leute vom Hotel stöhnen ob der Hitze – Dios mio, que calor! – dann muss es tatsächlich heiss sein. Soll mich aber nicht davon abhalten, einen ersten Gang in die Stadt zu wagen.
Dass das Land in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, wird schnell sichtbar.
Die Abhängigkeit vom grossen Nachbar Brasilien, dessen Wirtschaft ins Stocken geraten ist, hat eine fatale Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Manchmal erinnern mich die heruntergekommenen Häuser an Havanna, ebenso der desolate Zustand der Strassen und Trottoirs. Es ist ratsam, den Blick nicht allzu sehr in die Ferne schweifen zu lassen, will man nicht in ein Loch oder einen quer über das Trottoir gehenden Graben stolpern.
Rauchende Busse, das wichtigste Verkehrsmittel, dröhnen beinahe im Sekundentakt vorbei, dicke blaue Dieselwolken ausstossend. Ich folge der Calle Hazara, einer der Hauptstrassen, die direkt ins Zentrum führen, und obwohl es stinkt und kracht und dröhnt und schwitzt, fühle ich mich ausgesprochen wohl.
Das alte Delhi Syndrom ist offenbar zu neuem Leben erwacht.
La Muy Noble y Leal Ciudad de Nuestra Senora Santa Maria de la Asuncion
Asuncion ist die Hauptstadt und mit 544’000 Einwohnern auch die grösste Stadt Paraguays. Ihr Name (spanisch für Himmelfahrt) lautet vollständig ‚La Muy Noble y Leal Ciudad de Nuestra Senora Santa Maria de la Asuncion‘.
Wow, das ist mal ein Name. Klingt schon anders als Bümplitz oder Gunzgen (der schlimmste Name überhaupt). Wenn man ihn allerdings jeweils als Geburtsort angeben muss, kriegt man neben dem Platzbedarf unweigerlich einen Krampf im Handgelenk …
La Plaza de los Héroes
Die Stadt gibt sich bescheiden mit ein paar schönen Plätzen (wo man sich im Schatten der belaubten Bäume auf einer Sitzbank wunderbar ausruhen kann), der obligaten Kathedrale (ich bin seit Jahren nicht mehr in so vielen Kirchen gewesen), den noch viel obligateren Statuen der grimmigen Helden irgendeines vergangenen, wahrscheinlich längst vergessenen Freiheitskrieges.
Die Plaza de los Héroes ist nicht nur eine Art Zentrum der Stadt, es stellt auch eine erste Insel inmitten der schlechten Luft und des allumfassenden Lärms dar.
Ich kenne leider keine der Helden und Heldinnen, die hier ihren Ort der Verehrung gefunden haben, dafür müsste man tief in die Geschichte des Landes eindringen, die oftmals von Gewalt und Kriegen geprägt war.
Also nichts Überraschendes auf diesem Kontinent.
Ein besonderes Café
Irgendwann stolpere ich mehr zufällig über ein ausserordentliches Café. Unscheinbar von aussen, eröffnet es innen eine Schatzkiste für die Freunde der Literatur und der Kunst allgemein (ich habe übrigens auf der Plaza de los Heroes einen Buchladen gefunden und konnte der Versuchung nicht widerstehen, meinen all-time-favorite Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Marquez nochmals zu kaufen.
Vielleicht ist der Kauf schlicht auf die freundliche und äusserst attraktive junge Dame am Verkaufsschalter zurückzuführen, was beweist, dass Kunst und Schönheit immer zusammengehören).
Freundliche Gesichter
Ich bin froh und auch ein bisschen überrascht, dass ich mich hier so wohl fühle.
Vielleicht ist es die Stimmung, die Atmosphäre, die freundlichen Gesichter der Leute, denen trotz der sichtbaren Armut die Lebensfreude geblieben ist. Mit einem Wort, man fühlt sich willkommen. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass Paraguay zwar langsam auf der Karte der Touristendestinationen erscheint, aber man als Tourist eben doch noch eine seltene Spezies ist.
Das zeigt sich spätestens dann, wenn man in einem dunklen Hinterhofladengeschäft eine Flasche Wasser kauft und die Dame den unschuldigen Kunden mit einem Wortschwall eindeckt, den dieser trotz (knapp) bestandenem Examen an der Universidad Complutense in Madrid bestenfalls in Ansätzen versteht … Dios mio!
Kilometerstand: 2434
Song zum Thema: Radiohead – Burn the Witch
Und hier geht die Reise weiter …